- Islamischer Terrorismus
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Mit dem Begriff Islamistischer Terrorismus (seltener auch Islamischer Terrorismus) wird Terrorismus bezeichnet, der durch extremen religiösen Fanatismus vor dem Hintergrund islamistischer Ideologie motiviert ist. Islamistische Terroristen berufen sich zur Rechtfertigung ihrer Aktionen auf die Grundlagen des Islam, den Koran und die Sunna, wobei diese dem Zweck entsprechend interpretiert werden.
Inhaltsverzeichnis
Ideologie
Zentral in der Ideologie islamistisch-terroristischer Gruppierungen und Organisationen ist die kompromisslos kriegerische Interpretation des Begriffs Dschihad, der als islamisch legitimierter militärischer Kampf zur Ausweitung und Verteidigung des Gebiets des Islam (Dar al-Islam) verstanden wird. Ein wichtiges Denkmuster ist dabei die Einteilung der Welt in den Dar al-Islam und den Dār al-Harb. Hinzu kommt nach der Lehre Ibn Taimiyas der Kampf gegen Herrscher, die als vom Islam abgefallen gelten, weil sie die Schari'a nicht anwenden. Wichtige Ideologen waren dabei Muhammad ibn Abd al-Wahhab, Sayyid Qutb und Abdallah Azzam.
Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg untersucht in seinem Buch Der nahe und der ferne Feind – Das Netzwerk des islamistischen Terrorismus die Dynamik zwischen diesen beiden Formen des islamistischen Terrorismus, wobei der „nahe Feind“ aus der Sicht der Terroristen die Herrscher muslimischer Staaten sind, der „ferne Feind“ vor allem die Vereinigten Staaten und Israel, die manchmal als der „große Satan“ und der „kleine Satan“ bezeichnet werden. Nach Steinberg ist der internationale islamistische Terrorismus ohne diese Dynamik kaum zu verstehen. Danach entstanden in einzelnen muslimischen Ländern Terrororganisationen, die zuerst die eigene Regierung stürzen wollten. Da dies nicht möglich war, fanden die religiösen Freiheitskämpfer nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan ein neues Betätigungsfeld in Afghanistan, wo sie mit Unterstützung ihrer Heimatländer und auch der USA in den 1980er Jahren die Sowjetunion bekämpften. Erst nach dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan, der als Sieg der Muslime verstanden wurde, begannen die einzelnen Gruppen den Kampf gegen den „fernen Feind“ zu organisieren. Eine zentrale Figur war dabei Osama bin Laden und seine Organisation Al-Qaida.
Charakteristisch für den islamistischen Terrorismus ist seine Bereitschaft zur asymmetrischen Kriegführung, insbesondere durch Selbstmordattentate. Dabei spielt die religiöse Vorstellung, dass sie als "Märtyrer" (Schahid, Pl. Schuhada) direkt ins Paradies einziehen dürfen, eine wichtige Rolle bei der Bereitschaft der Terroristen, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Aber auch Beweggründe wie gesellschaftliches Ansehen und die finanzielle Unterstützung der Familie von Selbstmordattentätern tragen zur Motivation bei.
Brennpunkte
Betroffen vom islamistischem Terrorismus sind in erster Linie die Menschen im muslimischen Kulturkreis selbst, wo die Terroristen versuchen, die aus ihrer Sicht nicht islamisch legitimierten und/oder zu pro-westlichen Regime gewalttätig zu destabilisieren und durch ihre Vorstellung eines fundamentalistischen Gottesstaates zu ersetzen. In der westlichen Weltöffentlichkeit finden dagegen hauptsächlich die Anschläge gegen die westliche Kultur Aufmerksamkeit während vergleichbare Ereignisse in Afrika und im fernen Osten kaum wahrgenommen werden. Weitere Brennpunkte des islamistischen Terrorismus sind die Südgrenze der ehemaligen Sowjetunion (Kaukasuskonflikte), Indien und Teile Ozeaniens.
Reaktionen in westlichen Ländern
In der öffentlichen Diskussion der westlichen Welt fand der Begriff verstärkt nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA Beachtung. Die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus ist seither ein Schwerpunkt in dem von den Vereinigten Staaten propagierten Krieg gegen den Terror.
Reaktionen von Muslimen
Die Bewertung des Terrors ist sowohl in der islamischen Öffentlichkeit als auch bei muslimischen Rechtsgelehrten nicht einheitlich.[1]
Einerseits werden von vielen muslimischen Organisationen und Rechtsgelehrten islamistisch motivierte Terroranschläge gegen unschuldige Menschen, und insbesondere Selbstmordattentate, deutlich und öffentlich verurteilt.[2] So haben am 21. November 2004 auf einer Großdemonstration in Köln 20.000 bis 25.000 Muslime gegen islamistischen Terrorismus demonstriert.[3] In einer gemeinsamen Erklärung distanzierten sich die größten muslimischen Verbände in Deutschland am 25. August 2006 von den vereitelten Terroranschlägen auf zwei Regionalbahnen Nordrhein-Westfalens und betonten dabei, dass solche Taten durch den Islam nicht gerechtfertigt werden können.[4] Im Oktober 2006 verabschiedeten sunnitische und schiitische Religionsgelehrte in Mekka eine Erklärung, die Selbstmordattentate und Anschläge auf heilige Stätten zur Sünde erklärt.[5]
Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut The Gallup Organization veröffentlichte im März 2008 die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zum Thema „Who Speaks for Islam? What a Billion Muslims Really Think“ (dt.: Wer spricht für den Islam? Was eine Milliarde Muslime wirklich denken). Demnach bewundert die große Mehrheit der Muslime den Westen für seine Demokratie und seine bürgerlichen Freiheiten, will aber nicht, dass man ihnen westliche gesellschaftspolitische Strukturen aufzwingt.[6]
Andererseits spiegeln die westlichen Medien bevorzugt die Selbstdarstellungen der muslimischen Verbände in Europa oder in den USA. Der Blick auf Medien und öffentliche Meinung in arabischen Ländern macht deutlich, dass Terroranschläge dort in Abhängigkeit vom Kontext beurteilt werden: Die Anschläge in Europa – insbesondere die Madrider Zuganschläge oder die Terroranschläge am 7. Juli 2005 in London – oder die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA wurden mehrheitlich verurteilt. Selbstmordattentate im Irak nach dem Einmarsch der Amerikaner und insbesondere der islamistische Terror gegen Israel im Rahmen des Nahostkonflikts dagegen werden meist als begründet angesehen oder verteidigt.[7] Einen Eindruck davon gibt das umfangreiche Material beim Übersetzungsdienst Middle East Media Research Institute (MEMRI), wo sowohl Zeitungsmeldungen als auch Video-Mitschnitte aus arabischen Medien veröffentlicht und Übersetzungen angeboten werden.[8]
Für die Situation in Deutschland kommt eine umfangreiche Studie im Auftrag des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 2007 u.a. zu dem Ergebnis, dass etwa 40% der befragten Muslime physische Gewalt für ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung bei einem Angriff des Westens gegen den Islam halten, dass aber über 90% der Befragten Selbstmordattentate und Terror für nicht legitim halten.[9]
Literatur
- Egün Capan: Terror und Selbstmordattentate aus islamischer Perspektive. INID, Mai 2005. - ISBN 3-935521-10-3
- Mark A. Gabriel, Ph.D.: Islam und Terrorismus: Was der Koran wirklich über Christentum, Gewalt und die Ziele des Djihad lehrt. Resch-Verlag, 2005. - 2. (unveränderte) Auflage. - ISBN 3-935197-39-X
- Gilles Kepel: Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus. München: Piper, Oktober 2004. - 1. Auflage. - ISBN 3-492-24248-0
- Reinhard Möller: Islamismus und terroristische Gewalt. Würzburg: Ergon, Januar 2004. - 1. Auflage. - ISBN 3-89913-365-X
- Guido Steinberg: Der nahe und der ferne Feind. Das Netzwerk des islamistischen Terrorismus. Beck-Verlag November 2005. - ISBN 3-406-53515-1
- Th. Kolnberger / C. Six (Hgg.): Fundamentalismus und Terrorismus. Zu Geschichte und Gegenwart radikalisierter Religion. Magnus Verlag November 2007. ISBN 978-3-88400-604-7
Weblinks
- Verurteilung von Terroranschlägen islamistischer Terroristen durch Muslime
- Bundesamt für Verfassungsschutz: Islamismus und islamistischer Terrorismus
- LifeGen.de: Atom-Terrorgefahr: Die Wächter des Weltfriedens
- EU-Liste terroristischer Organisationen, Gruppen und Personen, Verordnung Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002
- Udo Ulfkotte in Bundeszentrale für politische Bildung Heft 274: Internationaler islamistischer Terrorismus
- Sabine Damir-Geilsdorf 7. Dezember 2003:Krieg im Namen des Islam?, Aushandlungen und Transformationen religiöser Konzepte am Beispiel der islamischen "Märtyreraktionen" im Palästinakonflikt
- Guido Steinberg: Islamismus und islamistischer Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten (pdf), Ursachen der Anschläge vom 11. September 2001 ISBN 978-3-933714-28-2
- Monitor-Bericht: Das Internet: Die Cyber-Waffe der Terroristen
Einzelnachweise
- ↑ vgl. dazu bspw. Volker Trusheim: Selbstmordattentäter. Islamische Positionen zu Selbstmordattentaten., Artikel v. 27. August 2007, S.3, im Dossier Islamismus der Bundeszentrale für politische Bildung
- ↑ vgl. dazu z.B. die Sammlung von Stellungnahmen auf der deutschsprachigen Webseite Muslime gegen Terror
- ↑ http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,328990,00.html
- ↑ http://de.wikinews.org/wiki/Nach_Kofferbomben:_Muslimische_Verb%C3%A4nde_verurteilen_Terror
- ↑ http://de.wikinews.org/wiki/Irakische_Geistliche:_Selbstmordattentate_sind_S%C3%BCnde
- ↑ Die Welt v. 9. März 2008: Mehrheit der Muslime bewundert westliche Werte
- ↑ Volker Trusheim: Selbstmordattentäter. Islamische Positionen zu Selbstmordattentaten., a.a.O.
- ↑ http://www.memri.org, die Video-Mitschnitte unter http://www.memritv.org
- ↑ Katrin Brettfeld und Peter Wetzels: Muslime in Deutschland. Integration, Integrationsbarrieren und Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und religiös motivierter Gewalt. Ergebnisse von Befragungen im Rahmen einer multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen. Universität Hamburg, Fakultät für Rechtswissenschaft, Institut für Kriminalwissenschaften, Abteilung Kriminologie, Hamburg, Juli 2007, S. 199. Vgl. dazu Anna Reimann: 500 Seiten politischer Sprengstoff, in: Der Spiegel, 20. Dezember 2007
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