Joachim Campe

Joachim Campe
Joachim Heinrich Campe
J. H. Campe -
Kupferstich von F. Müller
Grabmal von Joachim Heinrich Campe auf dem Magni-Friedhof in Braunschweig

Joachim Heinrich Campe (* 29. Juni 1746 in Deensen bei Holzminden; † 22. Oktober 1818 in Braunschweig) war ein deutscher Schriftsteller, Sprachforscher, Pädagoge und Verleger.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn des Kaufmanns Burkhard Hilmar Campe, der den Adelstitel abgelegt hatte, besuchte ab 1760 als einer der ersten Schüler die Amelungsbornsche Klosterschule zu Holzminden (heute Campe-Gymnasium), studierte ab 1765 in Helmstedt und ab 1768 in Halle evangelische Theologie (bei Johann Salomo Semler). Anschließend war er von 1769 bis 1773 und im Jahr 1775 Hauslehrer und Erzieher von Alexander und Wilhelm von Humboldt in Tegel. Von 1773 bis 1775 war er Feldprediger des in Potsdam stationierten Regiments des Kronprinzen, dann 1776 Prediger an der Heiliggeistkirche ebendort. Anschließend nahm er den Ruf an das Philanthropinum (eine Reformschule) von Prof. Johann Bernhard Basedow in Dessau an und wurde dort kurze Zeit Mitkurator, bald auch dessen Leiter. Nach einem Streit mit Basedow verlässt er Dessau und geht nach Hamburg. Campe war 1777 der Freimaurerloge Balduin zur Linde in Leipzig beigetreten, 1778 der Loge Absalom zu den drei Nesseln in Hamburg. Er trat 1780 aber wieder aus, wohl weil er in seinen karitativen Absichten enttäuscht war; jedenfalls hat er keine Loge mehr besucht.[1] 1777 überträgt ihm Jakob Böhl, der Leiter eines großen Handelshauses die Erziehung seiner Söhne. In der damals ländlichen Umgebung von Billwerder gründete Campe am Hammerdeich (heute Hamburg-Hamm-Süd) eine eigene Erziehungsanstalt. In dieser Zeit pflegt er intensive Kontakte mit den Berliner und Hamburger Aufklärern Friedrich Gottlieb Klopstock, Mathias Claudius, Gotthold Ephraim Lessing. Er verkehrt in den Häusern Reimarus und Sieveking. Der 1777 erschiene Jugendroman Robinson der Jüngere eine freie Übersetzung und Bearbeitung des Robinson Crusoe von Daniel Defoe wurde in fast alle Sprachen übersetzt, gilt als erste spezifische deutsche Jugendschriftund wird zu einem der erfolgreichsten deutschprachigen Jugendromane überhaupt. 1781 folgt der Jugendroman Die Entdeckung von Amerika. Die Tantiemen machen Campe finanziell unabhängig.[2] Ostern 1783 übergibt er die Leitung seines Erziehungsinstitutes an Ernst Christian Trapp und zieht sich mit vier Schülern auf ein Gut nach Trittau (heute Kreis Stormarn) zurück. Seine aktive Zeit als Erzieher endet nun und er widmet sich verstärkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Campe unternimmt Reisen durch Deutschland und die Schweiz. 1788 beruft Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel als "Hochfürstlicher Schulrath" zum Leiter eines Schuldirektoriums nach Wolfenbüttel. Unter der administrativen Leitung von Karl August von Hardenberg, dem späteren preußischen Reformkanzler, soll das Schulwesen des Landes umgreifend reformiert werden. Weitere Mitglieder des Direktoriums sind Konrad Heusinger, Johann Stuve und Ernst Christian Trapp. Die einschneidenden Reformpläne scheitern am Widerstand der Kirche und der Landstände. 1790 wird das Schuldirektorim aufgelöst.

1787 gründet Campe die Braunschweigische Schulbuchhandlung, die er selber leitete. Der Herzog förderte dieses Vorhaben, wusste ihn zumeist vor der preußischen Zensur zu bewahren, subventionierte den Kauf eines Verlagsgebäudes und gewährte Portofreiheit für die Buchsendungen. Campe verstand es, in dieser urheberrechtsfreien Zeit seine Rechte an den eigenen Büchern zu wahren und noch mehr mit dem Druck auch fremder Werke zu verdienen. Der Aufklärer Campe, der seine jungen Leser ursprünglich vor verderblichen Romanen bewahren wollte, erfand im deutschen Buchhandel die Massenproduktion. Wenige Tage nach dem Sturm auf die Bastille bricht Campe zusammen mit seinem ehemaligen Schüler Wilhelm von Humboldt auf nach Paris. Gemeinsam besichtigte man die Revolutionsplätze, soupierte mit Mirabeau, nahm an Sitzungen der Nationalversammlung teil, so auch der Nachtsitzung des 4./5. August, die den Zustand Frankreichs so grundlegend veränderte. Campe erhielt am 26. August 1792 neben Friedrich Schiller, Friedrich Gottlieb Klopstock, George Washington,Johann Heinrich Pestalozzi und 16 anderen Ausländern den Ehrenbürgerbrief der Republik Frankreich.

Campes einzige Tochter Charlotte, Vorbild der „Lotte“ in seiner Robinson-Bearbeitung, heiratete 1795 den Verleger Friedrich Vieweg, der 1799 von Berlin nach Braunschweig umsiedelte und auch die Schulbuchhandlung übernahm. 1807 wurde er Deputierter Braunschweigs in Kassel, der Hauptstadt des von Napoloen gegründeten Köniogreichs Westfalen. Aufgrund der zunehmenden politischen Reaktion, wohl aber auch die Auswirkungen einer schweren Krankheit, zog er sich ins Privatleben zurück. In der Folge verlagerte sich der Schwerpunkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit in Richtung Studien zur deutschen Sprache. Er gab schon vor Konrad Duden ein großes Wörterbuch der deutschen Sprache heraus. 1809 verleíht ihm die Universität Helmstedt den Ehrendoktortitel der Theologie. Joachim Heinrich Campe war der Onkel von Julius Campe und von Friedrich Campe. Am 22. Oktober 1818 starb Joachim Heinrich Campe als Wohlhabender aber von der Öffentlichkeit völlig Vergessener in Braunschweig.

Sprachpurismus

Campe entwickelte für zahlreiche (ca. 11.500) Fremdwörter Verdeutschungen, von denen etwa 300 in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen wurden, beispielsweise

Keinen Eingang in die Alltagssprache fanden u. a.

Campes Sprachpurismus war aber, anders als der Fremdwortpurismus des 19. Jahrhunderts, nicht nationalistisch, sondern aufklärerisch motiviert. Beeindruckt vom hohen Diskussionsniveau der einfachen Bevölkerung Frankreichs während der französischen Revolution, bemühte sich Campe, Fremdwörter durch im Sprachsystem verankerte, durchsichtige und damit auch Ungebildeten verständliche Wörter zu ersetzen. Damit, so hoffte er, wären diese Ungebildeten nicht mehr vom politischen Geschehen ausgeschlossen. Campe bezweckte also nicht vorrangig den Erhalt sprachlicher Reinheit, sondern die Schaffung von etwas, das später „Öffentlichkeit“ heißen sollte; letztlich war sein Programm daher emanzipativ.

Auf der anderen Seite verlief die Bruchlinie im barocken Sprachenstreit hauptsächlich entlang der konfessionellen Grenzen, wobei vor allem von Seiten der süddeutschen und österreichischen Geistlichkeit versucht wurde, eine südliche Schreibsprache zu etablieren, während die Gelehrten des protestantischen Nordens eine an die meißnerische Mundart angelehnte hochdeutsche Schriftsprache bevorzugten. In diesem damals heftig geführten Streit war Campe klar auf Seite der nördlichen Schriftvariante, wie sie 1748 von Johann Christoph Gottsched vorgelegt wurde. Erst 1784 wurde der barocke Sprachenstreit zumindest auf politischer Ebene endgültig entschieden, indem auch in den habsburgischen Kronländern die Gottsched'sche Variante als Amtssprache eingeführt wurde. Damit war aber für den Süden des deutschsprachigen Raumes das aufklärerische Prinzip, die Schrift möglichst nah an das Gesprochene heranzuführen, nicht verwirklicht worden.

Werke

  • Philosophische Gespräche über die unmittelbare Bekanntmachung der Religion und über einige unzulängliche Beweisarten derselben (1773)
  • Pädagogische Unterhandlungen (1777)
  • Sammlung einiger Erziehungsschriften (Leipzig, 1778)
  • Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder (Hamburg, 1779/1780)
  • Kleine Kinderbibliothek (12 Bände, Hamburg 1779 bis 1784)
  • Die Entdeckung von Amerika (1781)
  • Theophron oder Der erfahrene Ratgeber für die unerfahrene Jugend (Hamburg, 1783)
  • Väterlicher Rath für meine Tochter. Ein Gegenstück zum Theophron, der erwachsenen weiblichen Jugend gewidmet (1789)
  • Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens. Von einer Gesellschaft praktischer Erzieher (Hamburg, Wolfenbüttel, Wien, Braunschweig, 1785 bis 1792)
  • Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibungen für die Jugend (12 Teile, Hamburg 1785 bis 1793, Fortsetzung 6 Teile, Braunschweig 1794 bis 1801)
  • Über einige verkannte, wenigstens ungenützte Mittel zur Beförderung der Industrie, der Bevölkerung und des öffentlichen Wohlstandes. Zwei Fragmente (Wolfenbüttel, 1786)
  • Braunschweigisches Journal philosophischen, philologischen und pädagogischen Inhalts (Braunschweig 1788 bis 1791); fortgesetzt als:
  • Schleswigsches, ehemals Braunschweigiges Journal (Neues Braunschweigiges Journal) (Altona, 1792); dann:
  • Schleswigsches Journal) (Altona, 1792 bis 1793)
  • Briefe aus Paris (1790)
  • Proben einiger Versuche von deutscher Sprachbereicherung (Braunschweig 1791)
  • Geschichte der französischen Staatsumwälzung (1792)
  • Über die Reinigung und Bereicherung der deutschen Sprache (Braunschweig, 1794)
  • Beiträge zur Beförderung der fortschreitenden Ausbildung der deutschen Sprache (Braunschweig 1795 bis 1797)
  • Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Wörter (2 Teile, Braunschweig 1801)
  • Neue Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibungen für die Jugend (7 Teile, Braunschweig 1802 bis 1806)
  • Sämtliche Kinder- und Jugendschriften (38 Teile, Braunschweig 1806 bis 1822)
  • Wörterbuch der deutschen Sprache (5 Bände, 1807 bis 1812)
  • Hanno Schmitt (Hrsg.): Briefe von und an Joachim Heinrich Campe, Band 1: Briefe von 1766–1788, Harrassowitz, Wiesbaden 1996, Band 2: Briefe von 1789–1814, ISBN 978-3-447-05682-3, Wiesbaden 2008.

Literatur

  • Gabriele Brune-Heiderich: Die Begegnung Europas mit der überseeischen Welt. Völkerkundliche Aspekte im jugendliterarischen Werk Joachim Heinrich Campes. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1989 (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 11, Pädagogik; 385), ISBN 3-631-41834-5.
  • Hans-Heino Ewers (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung. Reclam, Stuttgart 1991, ISBN 3-15-009992-7. (PDF der Universität Köln)
  • Ludwig Fertig: Campes politische Erziehung. Eine Einführung in die Pädagogik der Aufklärung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1977 (= Impulse der Forschung; 27), ISBN 3-534-07744-X.
  • Helmut Henne: Semantik und Lexikographie. Untersuchungen zur lexikalischen Kodifikation der deutschen Sprache. de Gruyter, Berlin u. a. 1972 (= Studia linguistica Germanica; 7), ISBN 3-11-003528-6.
  • Michaela Jonach: Väterliche Ratschläge für bürgerliche Töchter. Mädchenerziehung und Weiblichkeitsideologie bei Joachim Heinrich Campe und Jean-Jacques Rousseau. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1997, (= Aspekte pädagogischer Innovation; 22) ISBN 3-631-32373-5.
  • Christa Kersting: Die Genese der Pädagogik im 18. Jahrhundert. Campes „Allgemeine Revision“ im Kontext der neuzeitlichen Wissenschaft. Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1992. ISBN 3-89271-381-2
  • Silke Köstler-Holste: Natürliches Sprechen im belehrenden Schreiben. J. H. Campes „Robinson der Jüngere“ (1779/80). Niemeyer, Tübingen 2004. (= Reihe germanistische Linguistik; 247) ISBN 3-484-31247-5
  • Sibylle Orgeldinger: Standardisierung und Purismus bei Joachim Heinrich Campe. de Gruyter, Berlin u. a. 1999. (= Studia linguistica Germanica; 51) ISBN 3-11-016312-8
  • Carola Pohlmann: Erfahrungs schriebs und reichts der Jugend, J. H. Campe als Kinder- und Jugendschriftsteller. Reichert, Wiesbaden 1996. (= Ausstellungskataloge. Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz; 18) ISBN 3-88226-893-X
  • Angelika Reinhard: Die Karriere des Robinson Crusoe vom literarischen zum pädagogischen Helden. Eine literaturwissenschaftliche Untersuchung des Robinson Defoes und der Robinson-Adaptionen von Campe und Forster. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1994. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 1463) ISBN 3-631-42450-7
  • Jürgen Schiewe: Sprachpurismus und Emanzipation. Joachim Heinrich Campes Verdeutschungsprogramm als Voraussetzung für Gesellschaftsveränderungen. Olms, Hildesheim u. a. 1988. (= Germanistische Linguistik; 96/97) ISBN 3-487-09289-1
  • Hanno Schmitt: Visionäre Lebensklugheit. Joachim Heinrich Campe in seiner Zeit (1746–1818). Harrassowitz, Wiesbaden 1996. (= Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek; 74) ISBN 3-447-03822-5.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Heinz Jansen: Aus dem Göttinger Hainbund. Münster 1933, S. 77. Allg. Handbuch der Freimaurerei, Bd. I, Leipzig 1863, S. 159
  2. Vgl. Ewers, Hans-Heino: Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung. Stuttgart: Reclam, 1991. S. 463f. Ebenso die Einleitung vom Theophron.

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