Jobst Bürgi

Jobst Bürgi
Porträt Jost Bürgis

Jost Bürgi (* 28. Februar 1552 in Lichtensteig im Toggenburg; † 31. Januar 1632 in Kassel[1]) war ein Uhrmacher und Instrumentenbauer, sowie von 1579 bis 1604 Hofastronom des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen in Kassel. Von 1604 bis 1630 stand er im Dienste Kaiser Rudolf II. in Prag, wo Johannes Kepler Hofastronom war. Er kehrte 1631, ein Jahr vor seinem Tod, nach Kassel zurück.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Auf der Kasseler Sternwarte, einer der ersten festen Einrichtungen dieser Art in Europa, beobachtete er zusammen mit dem Hofmathematiker Christoph Rothmann die Gestirne im Auftrag des Landgrafen Wilhelm IV. Daneben hatte Bürgi die Messinstrumente zu warten, doch verbesserte er aus eigenem Antrieb auch ihre Bauweise. Zu den von ihm neu entworfenen Geräten zählten Uhren, Modelle des Kosmos (als Vorgänger des Planetariums) und einige seiner berühmten Globen sowie neue Vermessungsinstrumente, wie ein universeller Reduktionszirkel, ein Triangularinstrument und ein Gerät zum perspektivischen Zeichnen.

Bürgis wichtigste mathematische Leistungen waren die Berechnung einer von 2 zu 2 Sekunden fortschreitenden Sinustafel („Canon Sinuum“, nach 1592 verloren), sowie die Publikation einer Logarithmentafel („Arithmetische und geometrische Progresstabulen …, von 1620). Bürgi entdeckte die Logarithmen ab 1588.

Da Bürgi kaum Latein-Kenntnisse hatte, fertigte Nicolaus Reimers (Ursus) in den Jahren 1586 bis 1587 am Hofe des Landgrafen Wilhelm IV. für Bürgi eine deutsche Übersetzung von Copernicus' De Revolutionibus Orbium Coelestium an, die als sogenannte Grazer Handschrift [2] [3] [4] erhalten ist. Dies gilt als die erste deutsche Übersetzung von Copernicus' Hauptwerk, drei Jahrhunderte vor der von Menzzer, die 1879 gedruckt wurde.

Leben

Bürgis Werdegang bis zu seiner 1579 erfolgten Anstellung als Hofuhrmacher und Astronom des Landgrafs Wilhelm IV. von Hessen-Kassel ist kaum bekannt. Über Bürgis Jugend und Ausbildung gibt es nur die Vermutung, dass er keine höhere Schule besuchte, weil er des Lateins unkundig war, und dass er in Straßburg bei Josias und Isaak Habrecht an der zweiten Straßburger Münsteruhr gearbeitet habe, bis sein noch unbekanntes Talent von dem Astronomen-Landgrafen entdeckt wurde, der zeitweise in Straßburg studiert hatte. Seine mathematischen Kenntnisse erwarb er vermutlich ebenfalls in Straßburg u. a. beim Schweizer Mathematiker Konrad Dasypodius. Wahrscheinlich ist auch ein Italienaufenthalt in Mailand, Florenz oder Cremona. Bürgis Bestallung am 25. Juli 1579 in Kassel ist die erste erhaltene Urkunde aus seinem Leben. Erstaunlich ist dabei das Wappen, mit dem der 27-jährige seine Bestallung siegelte. Gegenüber seinem Familienwappen, einer Eule, hat Bürgi nämlich selbständig seine Initialen, das halbe Zahnrad als Zeichen seines Berufes und zwei Sterne hinzugefügt, als wolle er seine innerlich bereits erfolgte Hinwendung zur Astronomie programmatisch symbolisieren. 1591 wurde Bürgi in die Stadt Kassel eingebürgert, wo er laut Häuserliste von 1605 im Graben ein Haus erwarb. In erster Ehe war er mit der Tochter des David Bramer verheiratet, der Pfarrer in Felsberg bei Kassel war, 1611 heiratete er Catharina Braun. Beide Ehen blieben kinderlos. 1591 nahm er seinen jungen verwaisten Schwager Benjamin Bramer als Pflegesohn zu sich und bildete ihn in Mathematik aus. Bramers vermessungstechnische Schriften enthalten viele wertvolle Mitteilungen über Bürgis Erfindungen. Im Februar 1592 begehrte Kaiser Rudolf II. in Prag von seinem Onkel in Kassel einen mechanischen Bürgi-Globus einschließlich Planetenbewegungen vom Erbauer persönlich überbracht zu bekommen. Bürgi konnte am 4. Juli 1592 (nach dem alten Kalender) in einer persönlichen Audienz beim Kaiser den besonderen Planetenglobus übergeben. Dieser hat leider die Beraubungen Prags nicht überdauert. Als er nach Kassel zurückkehrte, war der Astronomen-Landgraf Wilhelm der Weise am 25. August 1592 gestorben, und Bürgi wurde von dessen Sohn und Nachfolger Moritz dem Gelehrten am 1. Januar 1593 (alter julianischer Kalender) zu gleichen Bedingungen und in etwa gleichem Wortlaut neu bestallt. 1596 und 1604 reiste Bürgi zu Reparaturarbeiten nochmals nach Prag. Am 23. Dezember 1604 trat er dann auf Wunsch des Kaisers und mit Zustimmung von Landgraf Moritz ganz in kaiserliche Dienste und erhielt auf der Prager Burg eine Werkstatt mit zwei Gehilfen. Dort arbeitete er auch für den kaiserlichen Astronom Kepler. U. a. führte er dort dessen Erfindung der ersten Zahnradpumpe aus. 1609, mit Unterbrechungen bis 1614 und 1617, war Bürgi wieder in Kassel, wo er offensichtlich nur beurlaubt gewesen ist. Anschließend ging er wieder nach Prag, um 1631 endgültig nach Kassel zurückzukehren. Hier ist er am 31. Januar 1632 gestorben.

Im Totenbuch der Martinskirche findet sich folgende Eintragung:

„Anno domini 1632. Jost Burgi von Liechsteig aus Schweitz, seiner Kunst ein uhrmacher, aber der Erfahrung [nach] ein berümbter (am kaiserlichen hoff und fürstlichen höffen) astronom und gottselig mann, aetis 81 anno.“

Jost Bürgi: Mechanischer Himmelsglobus, hergestellt 1594 in Kassel, jetzt im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich

Werk

Als Bürgi nach Kassel kam, war dort schon seit etwa 20 Jahren der sehr bedeutende Uhrmacher Ebert Baldewein tätig, der zwei mechanisch sehr bedeutungsvolle Planetenuhren gebaut hatte (die 1561 fertig gestellte steht heute noch im Astronomisch-Physikalischen Kabinett in Kassel[5], die von 1568 für Kurfürst August von Sachsen, heute im Mathematisch-Physikalischen Salon Dresden. Außerdem hat Baldewein 1575 einen großen, für sich allein stehenden Himmelsglobus hergestellt, der als erster dieser Art durch ein im Inneren des Globus befindliches Uhrwerk betrieben wurde. Der Stand der Uhrmacherei war 1579, als Bürgi in Kassel seine Tätigkeit aufnahm, bereits erstaunlich hoch, wenn man ihn mit dem um 100 Jahre früher vergleicht. Stellt man die Bürgi-Globen jenem von Baldewein gegenüber, so ist letzter zweifelsohne als wesentliche Ausgangsgrundlage der Bürgi-Globen zu erkennen, aber gleichzeitig sind sofort sehr starke Fortschritte Bürgis festzustellen. Bürgi ist daher nicht erst bei Baldewein allmählich in die hohe Uhrmacher- und Mechanikerkunst hineingewachsen, sondern ist bereits mit beträchtlichen Erfahrungen und starken eigenen Vorstellungen eingetreten. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass der junge Bürgi Anregungen von den besten Uhrmachern seiner Zeit, wie z. B. Gianello Torriano (1500-1585) aus Cremona, erhalten hat. Die erste ganz selbständig von Bürgi gebaute Uhr von 1585 weist daher schon viele Besonderheiten auf: Sowohl in der Auslegung des eisernen Werkskörpers, als auch in der Formgebung und schließlich in der Ausführung lässt sich nur wenig Verwandtes mit der sonst damals in Süd- und Mitteldeutschland üblichen Bauweise feststellen. Es ist etwas anderes als die Werke der kleineren und größeren Tischuhren, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Baldewein, von Habrecht in Straßburg, Imbser in Tübingen, Gruber in Nürnberg oder Fobis in Lyon gebaut wurden. Was besonders auffällt sind der ganz ungewöhnliche Werkskörper und die einmalig großen, besonders zarten, eisernen Zahnräder des Gehwerks. Hier zeigt sich eine einmalige, neue ingenieurmäßige Auffassung des Getriebes: Verringerung der Radmasse, Regelmäßigkeit der Zahnteilung und –Form, des Weiteren bestes Zentrieren und Auswuchten. Bürgis Uhren weisen aber noch weitere Besonderheiten auf: Eine Zwischenaufzugsvorrichtung (remontoir d´égalité), die es ermöglicht, die ungleiche Antriebswirkung der Feder vollständig auszugleichen, Federtrieb für drei Monate, Kreuzschlag-Hemmung, Sekundenzeiger. Man kann seine Planetenuhren mit gutem Gewissen als „Analog-Computer“ bezeichnen. Mit seinen Konstruktionen war Bürgi seiner Zeit um 100 bis 150 Jahre voraus.

Bürgi hat neben Himmelgloben und Uhren auch verschiedenartige interessante neue und verbesserte Instrumententypen gebaut. Bei ihnen und bei speziellen Vermessungsinstrumenten legte er einen Erfindungsreichtum und eine Präzision an den Tag, durch die seine Erzeugnisse den Standard seiner Zeit weit übertrafen.

Er erfand er den Proportionalzirkel. Der Reduktionszirkel oder auch Proportionalzirkel wird verwendet, um Strecken in einem bestimmten Verhältnis zu teilen, zu vergrößern oder zu verkleinern. Außerdem kann mit ihm der Kreisumfang in gleiche Teile geteilt werden. Zusätzlich können verschiedene Spezialkonstruktionen vorgenommen werden, etwa die Teilung einer Strecke nach dem Goldenen Schnitt oder die "Quadratur des Kreises" (also die Konstruktion eines Quadrates, das zu einem gegebenen Kreis flächengleich ist).

Proportionalzirkel von Jost Bürgi (1552-1632)

Der Reduktionszirkel besteht aus zwei Schenkeln, die durch eine bewegliche Einstellschraube (meistens mit einem Nonius) verbunden sind. Er hat an jedem Ende zwei Spitzen. Das eine Paar dient zum Abgreifen des Ausgangsmaßes, das zweite zum Abschlagen der zu konstruierenden Größe. Mit präzise gefertigten Geräten kann eine Genauigkeit von +/- 0,1 mm erreichen.

Für ein Triangularinstrument (Entfernungsmesser) von 1592 erhielt er 1602 ein Patent. Publiziert wurde die Anwendung dieses Instruments aber erst 1648 durch seinen Schwager Benjamin Bramer. Der Gebrauch des Triangularinstruments zur Feststellung unzugänglicher Standorte N der Feinde: An einem gut zugänglichen Ort setzt man das Instrument ein und richtet die bewegliche Seite D an der linken Seite nach N; dann transportiert man das Gerät nach rechts derart, dass AB in derselben Linie bleibt wie vorher und stellt dann die rechte Seite mit der Bussole ebenfalls nach N ein, und erhält im Gerät das Dreieck AEV, das mit dem großen Dreieck mit N als Scheitel ähnlich ist. Aus der gemessenen Distanz der beiden Beobachtungspunkte ergibt sich sofort die gesuchte Entfernung.

Jost Bürgis Triangularinstrument

Ein weiteres, andersartiges Instrument Bürgis, ein Perspektivzeichengerät, ist in Kassel und im kunsthistorischen Museum in Wien (in Fragmenten) erhalten. Jost Bürgi war an der Kasseler Sternwarte nicht nur Uhrmacher und Instrumentenbauer, sondern wuchs unter Rothmanns Anleitung immer mehr auch in die Rolle des Astronomen und Mathematikers hinein, eine Rolle, in der er nach Rothmanns Weggang aus Kassel 1590 schließlich alleine dastand. Offenbar hatte es eifersüchtige Rivalitäten zwischen diesen beiden besonders begünstigten Mitarbeitern des Landesherrn gegeben. Schließlich hat sich Bürgi aber auch als Beobachter durch die Entdeckung neuer Sterne in die Geschichte der Astronomie eingeführt, was die Universalität des großen Ingenieurs Bürgi in ihrer ganzen Breite erkennen lässt.

Titelblatt zu Jost Bürgis Logarithmentafel von 1620

Als abstraktem Wissenschaftler steht ihm die Aufstellung der ersten Logarithmentafel zu. Für Berechnungen seiner Modelle und astronomischen Messungen erstellte Bürgi zunächst eine Sinustafel in Anschluss an Peuerbach, und ab 1588 das erste bekannte Logarithmensystem. Auch der Engländer John Napier arbeitete zu gleicher Zeit nach dem System der Logarithmen.

Er hatte seine vereinfachte Rechnungsart durch die Veröffentlichung einer Anleitung bekannt gemacht und wurde dadurch als „Erfinder der Logarithmen“ berühmt. Jost Bürgi hingegen hatte „sein Licht unter den Scheffel gestellt“ und nicht puibliziert. Wissenschaftshistoriker betrachten Bürgi heute als einen der führenden Wissenschafter (Astronom. Mathematiker) seiner Zeit. Nach den Massstäben seiner Zeit war er ungebildet, er sprach und las kein Latein, damals die einzige Sprache für wissenschaftliche Publikationen[6]. Dies hat Bürgi vermutlich davon abgehalten, seine hochinteressante und so praktische Entdeckung der Mitwelt bekanntzugeben. Bürgi war Mechaniker, ein Praktiker, der seine mathematischen und astronomischen Erkenntnisse umsetzte in praktische Rechenverfahren (Logarithmen) oder in hochkomplexe mechanische Modelle (für die astronisischen Erkenntnisse)und nicht in Bücher.

Erst 1620 gab er in Prag heraus: Aritmetische und Geometrische Progress Tabulen, sambt gründlichem unterricht, wie solche nützlich in allerley Rechnungen zugebrauchen und verstanden werden sol, Prag 1620. Kepler hielt ihn zur Bearbeitung und Publikation seiner Erkenntnisse an, was er aber selbst nicht tat, sondern erst andere Autoren.

Über seine Arbeit existieren einige Traktate:

  • Die mechanischen Instrumente, kollationiert vom Geograf und Mathematiker Levinus Hulsius
  • 1648 veröffentlichte Bürgis Schwager, der Mathematiker Benjamin Bramer, als Anhang seines Werkes "Apollonius Cattus oder Kern der gantzen Geometria" einen "Bericht von M. Jobsten Burgi Geometrischen Triangularinstrument". Für diese Erfindung, das die Triangulation um eine Distanzmessung erweiterte, hatte Bürgi 1592 ein Patent erhalten.
  • Der dritte Traktat "Der mechanischen Instrumenten" von Levinus Hulsius (1604/5) führt in den Gebrauch von Bürgis Reduktionszirkel ein. Es dient durch Ausnützung von Streckenverhältnissen dem Vergrößern oder Verkleinern von Konstruktionen oder Landkarten, wie es später (etwas ökonomischer) der Pantograf tat.
  • Ferner besitzt die Biographica-Sammlung der ETH Zürich ein umfangreiches Dossier zu Bürgis Tätigkeiten:

Ehrung

Der Mondkrater Byrgius ist nach ihm benannt.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jost Bürgi als Künstler der Mechanik, Separatum Toggenburgerblätter für Heimatkunde 1982/Heft 34; by Johann Wenzel; Publisher: Toggenburgerblaetter
  2. UB-Graz / Handschriftenkatalog / Katalogisat Nr.:560
  3. Nicolaus Copernicus Gesamtausgabe: De revolutionibus: die erste deutsche Übersetzung in der Grazer Handschrift [1]
  4. Jürgen Hamel: Die astronomischen Forschungen in Kassel unter Wilhelm IV. Mit einer wissenschaftlichen Teiledition der Übersetzung des Hauptwerkes von Copernicus 1586 (Acta Historica Astronomiae ; Vol. 2) Thun ; Frankfurt am Main : Deutsch, 1998; 2., korr. Aufl. 2002, 175 S., ISBN 3-8171-1569-5 (1. Aufl.), 3-8171-1690-X (2. Aufl.), Abb., 15 x 21 cm, kartoniert EUR 14,80 / sFr 23,10. Inhalt: HTML PDF
  5. Ludolf von Mackensen: Die erste Sternwarte Europas mit ihren Instrumenten und Uhren: 400 Jahre Jost Bürgi in Kassel. Callwey, München 1988, ISBN 978-3766708755.
  6. Ludwig Oechslin: Jost Bürgi. Ineichen, Luzern, 2001. S. 108

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