Jozef Tischner

Jozef Tischner

Józef Tischner (* 12. März 1931 in Stary Sącz (Südpolen); † 28. Juni 2000 in Krakau), Philosoph und katholischer Priester.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Józef Tischner entstammt einer Goralen-Familie und wuchs im Dorf Łopuszna im südpolnischen Tatravorland auf. Ab 1950 studierte er in Krakau Theologie (Priesterweihe 1955) und Philosophie. Tischner promovierte 1963 bei Roman Ingarden, einem Husserl-Schüler, und habilitierte sich 1974 in Warschau. Im Oktober 1980 predigte er in einer berühmt gewordenen Messe auf dem Krakauer Wawel für die versammelte Führung der oppositionellen Solidarność-Gewerkschaft. In den 90er Jahren begleitete Tischner mit seinen Stellungnahmen den Neuaufbau der polnischen Demokratie. Mehrere Jahre lang war Tischner, der seinen Lebensmittelpunkt als Philosophie-Professor in Krakau behielt, Präsident des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen. Im September 1999 wurde er mit der höchsten staatlichen Auszeichnung Polens, dem Weißen Adler, ausgezeichnet.

Wirkungen

Durch Roman Ingarden wurde Tischner mit den Methoden und Ansichten der phänomenologischen Bewegung vertraut gemacht. So verwundert es nicht, dass Tischner mit einer Arbeit über „Das transzendentale Ich in der Philosophie Edmund Husserls“ promovierte. Als Phänomenologe hatte Tischner sowohl dem staatlich verordneten Marxismus-Leninismus als auch dem in der kirchlichen Lehre bestimmenden Thomismus einen eigenen originellen Entwurf entgegenzusetzen, was sich in Büchern wie „Der unmögliche Dialog. Christentum und Marxismus in Polen“ oder „Der Untergang des thomistischen Christentums“ niederschlug. Tischner grenzte seine Philosophie später aber auch von den Phänomenologen Edmund Husserl und Martin Heidegger ab, denen er z.B. vorwarf, menschliche Beziehungen nur intentional und nicht dialogisch zu verstehen. Nach seiner Hinwendung zur Dialogphilosophie in der Tradition von Martin Buber und Emmanuel Levinas betrachtet Tischner Leben als Gespräch zwischen Menschen, das auf der gegenseitigen Achtung und Offenheit füreinander beruht („Das menschliche Drama“). Aus den Predigten und Aufsätzen, die Tischner in der Aufbruchstimmung der Solidarność-Proteste vor Verhängung des Kriegszustandes im Dezember 1981 verfasst hat, ist die „Ethik der Solidarität“ entstanden. Mit den in einer einfachen und dennoch philosophisch tiefgreifenden Sprache verfassten Texten wurde Józef Tischner zum Solidarność-Philosophen, welcher der herrschenden marxistisch-leninistischen Ideologie auf intellektueller Ebene eine ethisch verantwortete Weltdeutung entgegensetzte. In Tischners Dialogphilosophie ist der Hintergrund erkennbar, vor dem die Kombination von kämpferischer Auflehnung gegen unnötiges Leid bei gleichzeitiger Achtung vor der Würde des politischen Gegners gelingen konnte. Aus solchem Geist ist die Kultur der Runden Tische und der relativen Gewaltfreiheit beim Umsturz so vieler gewaltpotenter kommunistischer Regimes erwachsen.

Werke

In deutscher Sprache sind erschienen:

  • Der unmögliche Dialog. Christentum und Marxismus in Polen, Graz 1982. Polnisches Original: Polski kształt dialogu, Paris 1981.
  • Ethik der Solidarität. Prinzipien einer Hoffnung, Graz 1982. Polnisches Original: Etyka solidarności i Homo sovieticus, Paris 1982.
  • Das menschliche Drama, München 1989. Polnisches Original: Filozofia dramatu, 1986.
  • Wertedenken. Totalitäre Herausforderung, hg. vom Józef Tischner Institut, Kraków 2005. Polnische Originale: Myślenie według wartości, Paris 1982; Totalitarne wyzwanie, in: Polski Młyn, Kraków 1991.

Weblinks


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