KZ Russee

KZ Russee

Das Arbeitserziehungslager Nordmark an der Rendsburger Landstraße am Stadtrand von Kiel wurde im Juni 1944 errichtet. Der Antrag auf Genehmigung dieses Arbeitserziehungslagers wurde von SS-Sturmbannführer Fritz Schmidt Anfang 1944 gestellt. Kommandant des Lagers wurde SS-Sturmbannführer Johannes Post.

Inhaltsverzeichnis

1944 bis Kriegsende

Lageraufbau

Der Architekt Steinfaß erhielt am 1. Mai 1944 den Auftrag zur Bauaufsicht von der Gestapo. Ausgeführt wurden die Arbeiten von der Nord-Süd-Bau GmbH und dem Unternehmen G. Schlüter, Preetz, wobei diese nur die Facharbeiter stellten. Die Hilfsarbeiter waren Häftlinge der Gestapo aus der Polizeibaracke „Drachensee“ im Stadtteil Hassee. Das Lager bestand bei Kriegsende aus über 20 Baracken, Unterkünften sowohl für die Häftlinge als auch für die Wachmannschaften. Weiterhin gab es ein „Gästehaus“ und zwei Wachtürme. Der Arrestbunker war halb unterirdisch mit 48 lichtlosen Einzelzellen. Die unbeheizten Häftlingsbaracken waren für 200 Personen vorgesehen, als Toiletten dienten offene Kübel oder einige wenige Latrinen.

Es gab eine Krankenbaracke, die durch einen zwangsverpflichteten Arzt aus Hassee, einen russischen Arzt, eine Krankenschwester und einen dänischen Sanitäter betreut wurde. Die medizinische Versorgung der oft überbelegten Baracke war unzureichend, und die Gefangenen liefen Gefahr, durch den Sanitäter Jensen getötet zu werden.

Lageralltag

Gefangene mussten ihre Wertsachen und Kleidung abgeben und gegen Lagerkleidung eintauschen. Auf Lagerkleidung wurde später verzichtet und es wurden stattdessen rote Kreuze auf der Kleidung der Häftlinge angebracht, wodurch sie erkennbar waren.

In dem Lager, das nicht einmal ein Jahr bestand, wurden insgesamt 5.000 Menschen inhaftiert, 600 davon überlebten es nicht. Die meisten waren sowjetische oder polnische Zwangsarbeiter. Nach Berichten von Augenzeugen war die Behandlung der Gefangenen KZ-ähnlich. Sie wurden bis zur völligen Erschöpfung zur Arbeit angetrieben, geprügelt und auch willkürlich erschossen. Es gab nur wenige Fluchtversuche, eine erfolgreiche Flucht gelang einigen Häftlingen erst Ende April.

Der Arbeitstag begann um 5:00 Uhr früh und dauerte 10 Stunden. Im Lager selbst bestanden die Arbeiten aus der Errichtung neuer Baracken und der Instandsetzung der Wege. Außerhalb des Lagers mussten die Häftlinge Trümmer in Kiel beseitigen, Blindgänger entschärfen und bei der Errichtung von Bunkern in Schulensee und am Schützenwall mitwirken. Weiterhin wurden die Arbeiter durch ansässige Unternehmen als billige Arbeitskräfte genutzt. Zu den Unternehmen gehörten die Holsten-Brauerei, die Land- und See-Leichtbau GmbH, das Betonbauunternehmen Ohle & Lovisa und die Nordland Fisch-Fabrik in Hassee.

Ende des Lagers

Mitte April 1945 befanden sich etwa 900 Häftlinge in dem Lager, das durch Evakuierungsmärsche mit 1.800 Gefangenen belegt wurde. Die Gefangenen kamen u. a. aus dem KZ Fuhlsbüttel, einem Außenlager des KZ Neuengamme, und aus dem Ghetto Riga. In den zwei Wochen vor Kriegsende wurden etwa 300 Menschen erschossen und in Massengräbern verscharrt. Die Wachmannschaften vernichteten belastende Akten und setzten sich noch vor Erreichen des Lagers durch die Alliierten zumeist Richtung Dänemark ab. Am 3./4. Mai 1945 erreichte das 8. britische Korps das Lager, in dem nur noch wenige halb verhungerte Gefangene lebten.

Nach Kriegsende

Direkt nach dem Ende des Krieges wurde das Lager einige Monate als Unterkunft für Displaced Persons eingerichtet und im Herbst 1945 bezogen Flüchtlinge das jetzt „Flüchtlingslager Russee“ genannte Areal. Der Arrestbunker war zum Ziegenstall und Kartoffellager umfunktioniert worden.

Gerichtliche Aufarbeitung

Im Herbst 1947 wurden von der britischen Besatzungsmacht vier Militärgerichtsprozesse unter dem Namen “Kiel-Hassee-Cases” durchgeführt. Der Lagerkommandant Post wurde wegen der Erschießung von Royal-Air-Force-Piloten gehängt, sein Stellvertreter Otto Baumann wurde ebenfalls hingerichtet. Der „Lagersanitäter“ Jensen wurde wegen der Ermordung Schwerkranker ebenfalls zum Tode verurteilt. Da er Däne war, intervenierte das dänische Königshaus bei der britischen Regierung und das Urteil wurde so in lebenslange Haft umgewandelt, aus der er später vorzeitig entlassen wurde. Weitere Verurteilte erhielten bis zu 20 Jahre Haftstrafen, wurden aber spätestens nach etwa 10 Jahren entlassen.

Der Hauptverantwortliche Fritz Schmidt konnte erst im Dezember 1963 gefasst werden. Er stritt jegliches Wissen ab, konnte dadurch die Kieler Staatsanwaltschaft überzeugen und daher wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Allerdings verurteilte ihn das Landgericht Kiel für Beihilfe zum Mord an vier Luftwaffenoffizieren zu zwei Jahren Zuchthaus, die durch die Untersuchungshaft abgegolten waren.

Gedenken

Ein offizielles Gedenken der Opfer wurde von der Stadt Kiel nicht initiiert. Als Anfang der 1960er Jahre bei Straßenbauarbeiten ein Massengrab entdeckt wurde, wurde die Öffentlichkeit noch einmal an die Verbrechen erinnert. Ein Fußball- und ein Tennisplatz sowie ein Supermarkt wurden einige Jahre später an der Stelle des Lagers errichtet. Am 17. Juni 1971, dem Tag der Deutschen Einheit, wurde ein Findling als Erinnerung aufgestellt. Der recht unscheinbare Findling wurde erst im Mai 1985 durch einen zweiten Gedenkstein ergänzt. Der Text wurde von der kirchlichen „Projektgruppe KZ Russee“ entworfen. Der Schlusssatz „Dieses Lager mahnt uns, jedem Ansatz von Brutalität und Terror zu widerstehen und für eine menschenwürdige Zukunft einzutreten“ wurde von den verantwortlichen Politikern als untragbar abgelehnt und daher ersatzlos gestrichen. Nachdem im November 2000 auf dem ehemaligen Lagergelände der Überrest eines nach Kriegsende von polnischen Zwangsarbeitern aufgestellten Gedenksteins für die Opfer des Faschismus gefunden worden war, gestaltete der „Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein“ auf Initiative des Kieler Kulturausschusses Anfang 2003 einen „Gedenkort ‚Arbeitserziehungslager Nordmark‘“. Seit dem 4. Mai 2003 – dem 58. Jahrestag der Befreiung des Lagers – befinden sich nun ein weiterer Gedenkstein sowie drei Stelltafeln auf dem Gelände und ermöglichen es Besuchern, sich detailliert über die Geschichte des „Arbeitserziehungslagers“ zu informieren.

Literatur

  • Wolfgang Benz (Red.): „Dachauer Hefte 5 – Die vergessenen Lager“, München 1994, ISBN 3-423-04634-1
  • Fritz Bringmann: „Arbeitserziehungslager Nordmark“. Berichte, Erlebnisse, Dokumente, Herausgeber: VVN – Bund der Antifaschisten, Landesverband Schleswig-Holstein, Kiel, o. J.
  • Uwe Carstens: „Die ‚Wohnkolonie Rendsburger Landstraße‘. Vom Arbeitserziehungslager zum Flüchtlingslager“ in Demokratische Geschichte Band IX. Veröffentlichungen des Beirats für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein. Malente 1995, S. 259-273.
  • Renate Dopheide: „Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Kiel und Umgebung“, in „Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 77“, 1993
  • „Gedenkort ‚Arbeitserziehungslager Nordmark‘“. Materialien, Fotos und Dokumente zu einer Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo in Kiel 1944-1945. Herausgegeben vom Arbeitskreis Asche-Prozeß und dem Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. Redaktion: Frank Omland. Kiel 2003, 80 Seiten.
  • Detlef Korte, „‚Erziehung‘ ins Massengrab. Die Geschichte des ‚Arbeitserziehungslagers Nordmark‘ Kiel Russee 1944-45“, Veröffentlichung des Beirates für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein 10, Kiel 1991
  • Jan Klußmann, „Zwangsarbeit in der Kriegsmarinestadt Kiel 1939-1945“ in „Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte“, Band 81, Bielefeld 2004
  • Frank Omland: Das "Arbeitserziehungslager Nordmark". Eine Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo in Kiel 1944-1945. In: Materialien für den Geschichtsunterricht 3. Hrsg. vom Schleswig-Holsteinischen Heimatbund. Redaktion: Detlev Kraack. Kiel 2007. 12 Seiten.
  • ders.: Vom Umgang mit Geschichte. Das Beispiel des Gedenkorts „Arbeitserziehungslager Nordmark“ in Kiel, S. 340 – 357 in: Informationen zur schleswig-holsteinischen Zeitgeschichte Heft 50/Winter 2008 (PDF, 736 kB)
  • Gerd Stolz: „Menschen und Ereignisse – Gedenktafeln in Kiel“, Husum 2001
  • „Kieler Nachrichten“ vom 1. Februar 2002, vom 28. Januar 2003, vom 5. Mai 2003

Weblinks

54.297510.0855555555567Koordinaten: 54° 17′ 51″ N, 10° 5′ 8″ O


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