Kameralist

Kameralist

Kameralistik (von lateinisch: camera, wörtlich "Zimmer", "Gewölbe", hier etwa „fürstliche Schatztruhe“), auch kameralistische Buchführung oder Kameralbuchhaltung, ist ein Verfahren der Buchführung. Die Kameralistik wurde im Jahr 1762 von dem österreichischen Hofrat Johann Mathias Puechberg entwickelt.[1]

Im Gegensatz zur Doppik, also der doppelten Buchführung, werden von der heute praktizierten Kameralistik (Ausnahme: württembergische Geldverbundrechnung) kassenwirksame Einnahmen (Einzahlungen) und Ausgaben (Auszahlungen) betrachtet, jedoch nicht die Einnahmen und Ausgaben im betriebswirtschaftlichen Sinne und auch nicht Erträge und Aufwendungen. Des Weiteren werden in der Kameralistik stets Planrechnungen auf der Basis von Prognosen praktiziert (Soll/Ist): Haushaltsplan (1 oder 2 Jahre) und Mittelfristige Finanzplanung (5 Jahre). Schließlich liefert die Kameralistik die Daten für die Finanzwissenschaft.

Der Vergleich der zumeist praktizierten Kameralistik mit der praktizierten Doppik lässt die Kameralistik als unzulängliches Rechnungswesen erscheinen. Vergleicht man die Theorie der Kameralistik mit der Theorie der Doppik, wird deutlich, dass der Gegensatz von Doppik und Kameralistik – zwei formale Systeme – nur ein Scheinwiderspruch ist. Sowohl im Rahmen der Kameralistik als auch im Rahmen der Doppik lassen sich alle Vorgänge (einschließlich Vermögensveränderungen) abbilden. Allerdings können beide Systeme von Politik und Verwaltung (z. B. durch Sonderregelungen bezüglich der Erfassung bestimmter Schulden) aber auch in der privaten Wirtschaft (vgl. z. B. Zweckgesellschaften zur Auslagerung von Schulden bzw. für Sale-Lease-Back) missbraucht werden.

Die International Federation of Accountants (IFAC) unterscheidet zwischen zwei Arten der staatlichen Rechnungslegung (International Public Sector Accounting Standards; IPSAS): „Financial Reporting Under the Cash Basis of Accounting“ (Einzahlungs-Auszahlungsrechnung) und „Financial Reporting Under the Accrual Basis of Accounting“ (Aufwands- und Ertragsrechnung) und gibt entsprechend verschiedene Standards heraus. Beide Rechnungen können sowohl mittels Doppik als auch mittels Kameralistik durchgeführt werden.

Im weiteren Sinn versteht man unter Kameralistik die so genannte Kameralwissenschaft, das heißt die Wissenschaft von der staatlichen Verwaltung und Volkswirtschaftspolitik, wie sie in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert gepflegt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Ziele

Nach Artikel 114 Absatz 1 des Grundgesetzes hat der Bundesminister der Finanzen dem Bundestag und dem Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden im Laufe des Rechnungsjahres zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen. Nach § 73 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung[2] ist über das Vermögen und die Schulden Buch zu führen oder ein anderer Nachweis zu erbringen. In § 1 der Buchführungs- und Rechnungslegungsordnung für das Vermögen des Bundes (VBRO) heißt es zu den Zielen: Die Buchführung und die Rechnungslegung über das Vermögen und die Schulden des Bundes haben den Zweck, den Bestand des Vermögens und der Schulden zu Beginn des Rechnungsjahres, die Veränderungen während und den Bestand am Ende des Rechnungsjahres nachzuweisen. Die Vermögensrechnung soll ferner darlegen, in welcher Höhe die Haushaltseinnahmen und Haushaltsausgaben zur Vermehrung oder Verminderung des Vermögens oder der Schulden im Laufe des Rechnungsjahres geführt haben, und damit erkennen lassen, inwieweit einem Überschuss oder einem Fehlbetrag der Haushaltsrechnung eine Minderung oder Mehrung des Vermögens und der Schulden gegenübersteht.

Da die Landesverfassungen meist keine Vermögensrechnung vorsehen, regelt das Haushaltsgrundsätzegesetz in § 35 HGrG: Über das Vermögen und die Schulden ist Buch zu führen oder ein anderer Nachweis zu erbringen. Die Buchführung über das Vermögen und die Schulden kann mit der Buchführung über die Einnahmen und Ausgaben verbunden werden.

Vorteile

Kompatibilität zur Finanzwissenschaft

Die Finanzwissenschaft (Volkswirtschaftslehre) beruht im Wesentlichen noch immer auf dem Kreislaufmodell und denkt deshalb in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in Zahlungsströmen. Dies findet seinen Niederschlag im „Gesetz über die Statistiken der öffentlichen Finanzen und des Personals im öffentlichen Dienst“ (FPStatG). Insofern sind Kameralistik und volkswirtschaftliche Gesamtrechnung kompatibel. Diesem Kriterium genügt eine kaufmännische Buchführung nicht.

Der praktizierten kameralistischen Buchhaltung sind ein Haushaltsquerschnitt und eine Gruppierungsübersicht beigefügt. Unter Haushaltsquerschnitt versteht man die Zusammenstellung der Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen geordnet nach Aufgabenbereichen und -arten. Dadurch werden die Schwerpunkte des staatlichen Handelns deutlich. Als Gruppierungsplan bezeichnet man die Gruppierung der Einnahmen und Ausgaben des Haushaltsplans nach Arten. Der Gruppierungsplan ermöglicht u. a. die Ermittlung der Investitions- und Konsumausgaben und die begünstigten gesellschaftlichen Gruppen. Diesen Informationen hat die kaufmännische Buchführung nichts vergleichbares entgegenzustellen. Die kaufmännische Buchführung hätte diese Daten in einer zusätzlichen Nebenrechnung zu erfassen.

Ermittlung der staatlichen Schuldengrenze

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Die Schuldendeckungsfähigkeit (Vermögen muss größer oder gleich den Schulden sein) begrenzt in der Privatwirtschaft die Schuldenaufnahme, da ansonsten Insolvenz droht. Die kaufmännische Buchführung dient der Überwachung dieser Grenze.

Demgegenüber wird die Grenze der Staatsverschuldung durch das Grundgesetz anders gemessen und gezogen: Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG). Zur Überwachung dieser Schuldengrenze ist die Kameralistik besser geeignet als die kaufmännische Buchführung. Es fehlt der kaufmännischen Buchführung eine die Investitionsausgaben nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 HGrG erfassende Einzahlungs-Auszahlungs-Rechnung. Die kaufmännische Buchführung hätte diese Daten in einer zusätzlichen Nebenrechnung zu erfassen.

Geringe Manipulierbarkeit

In der Doppik und in der Kameralistik gibt es die Möglichkeit auf das Rechnungswesen manipulierend einzuwirken, indem Sachverhalte entsprechend der eigenen Ziele gestaltet werden, zum Beispiel durch Einsatz von Rückmietverkäufen oder Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP). Im Gegensatz zur Doppik kann in der Kameralistik die Verwendung der Gelder dem Geldgeber (und somit letztlich dem Steuerzahler) objektiv richtig dargelegt werden. Aktivierungswahlrechte und Passivierungswahlrechte sowie Bewertung (Rechnungswesen) und damit verbundene Ermessenspielräume haben im Gegensatz zur Vorgehensweise bei der Doppik keinen Einfluss auf die Rechnungslegung.

Einhaltung des Budgetrechts des Parlaments

Von der Konzeption hat die Kameralistik den Vorteil, dem Budgetrecht des Parlaments zu entsprechen. Ex ante werden die geplanten Ein- und Ausgabenströme festgelegt und somit die Verwaltung gebunden, die gesetzten Prioritäten des Parlaments anhand des Haushaltsplanes zu realisieren. Die Einhaltung der Prioritäten kann ex post anhand der Rechnungslegung überprüft werden. In der Doppik fehlt diese Planungs- und Kontrollfunktion, da Jahresabschluss mit Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung ex post erstellt werden und deshalb um eine Budgetplanung ergänzt werden müsste, sofern nicht das Budgetrecht des Parlaments beschnitten werden sollte.

Wirtschaftlichkeit des Rechnungswesens

In der Kameralistik halten es die Finanzministerien für zu aufwändig, die Vermögenssituation im Sinne einer Bilanz darzustellen. Betrachtet man den Wert von Grundstücken, die sich über Jahrhunderte im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, so wird schnell klar, dass die jeweiligen Anschaffungswerte inzwischen nur noch Erinnerungswert haben. Währungsreformen und Hyperinflationen sind der Grund dafür. Zusätzlich ist die Bewertung des Grundvermögens extrem schwierig, da es keinen Marktpreis für öffentliche Grünflächen oder Straßen gibt. Darüber hinaus werden Standorte von Behörden in der Regel politisch und nicht anhand der standortbezogenen Abschreibungen und Zinsen bestimmt. So ist z. B. Berlin zur Hauptstadt und zum Sitz der Regierung bestimmt worden. Dabei wäre ein Sitz in Mecklenburg-Vorpommern, Ostfriesland oder dem Schwarzwald deutlich günstiger.

Ein doppisches Rechnungswesen hätte nur dann einen Sinn, wenn die Solvenz eines Staates anhand des Reinvermögens aus der Bilanz festgestellt würde. Da der Glaube besteht, dass ein möglicher Staatsbankrott nicht bilanziell zu messen ist, werden mit Hilfe der Doppik meist Zahlen produziert, die für keine Entscheidung relevant sind.

Kritik und Diskussion

Kameralistik kann wichtige Funktionen nicht wahrnehmen

Die Aufgaben eines Rechnungswesensystems mit externem Adressatenkreis (also der doppischen FiBu ebenso wie der kameralen Haushaltsrechnung) lassen sich unter den Begriffen:

  • Dokumentation: aller Geschäftsvorfälle, welche die Vermögens- oder die Schuldensituation der Organisation verändern
  • Information: außenstehender Personen über solche Veränderungen

zusammenfassen.

Beide Aufgaben nimmt die bestehende Kameralistik nur eingeschränkt wahr. Grundsätzlich kann die Kameralistik wie die Doppik alle Geschäftsvorfälle über die Zahlungen, das Vermögen, die Schulden und seine Veränderungen (Aufwand, Ertrag) erfassen.

Dokumentation

Da die in ihrer heutigen Form Kameralistik eine Bestandsführung i. S. der Dokumentation von Vermögenswerten und Schulden heute nur eingeschränkt wahrnimmt (Finanzvermögen und Finanzschulden; kein Sachvermögen und kein Verwaltungsvermögen), kann sie wichtige, gesetzlich vorgegebene Aufgaben systembedingt nicht wahrnehmen.

  • § 73 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung schreibt vor, dass über Vermögen und Schulden Buch zu führen oder ein anderer Nachweis zu erbringen ist. Das Nähere regelt das Bundesministerium der Finanzen. Die Kameralistik kommt den Regelungen des Bundesministeriums nach.
  • Auch § 1 der Buchführungs- und Rechnungslegungsordnung (s. o.) beschreibt u. a. das Ziel, „den Bestand des Vermögens und der Schulden zu Beginn des Rechnungsjahres, die Veränderungen während und den Bestand am Ende des Rechnungsjahres nachzuweisen“. Dieser Forderung kommt die Kameralistik nach, indem es den Haushaltsplan und die Finanzvermögens- und Finanzschuldenrechnung integriert. Mehr möchte das Finanzministerium derzeit nicht.
  • Das Grundgesetz, Bundesgesetze und jede Landeshaushaltshausordnung fordern, dass die öffentliche Verwaltung wirtschaftlich zu handeln habe. Die Kameralistik liefert – sofern gewünscht – alle Daten, an denen die Wirtschaftlichkeit der Organisation gemessen werden könnte.

Da die Kameralistik derzeit vom Finanzministerium die Aufgabe hat, die von der Politik beschlossene Bestimmung der Ausgaben zu überwachen, werden darüber hinaus eine Vielzahl von vermögens- bzw. schuldverändernden Geschehnissen völlig unbeachtet gelassen. Damit können Fehlsteuerungen verbunden sein (Beamte verursachen weniger Auszahlungen als Angestellte), die unseren öffentlichen Haushalt noch über viele Jahre nachteilig beeinflussen werden.

Information

Die kaufmännische Buchführung und die flankierenden gesetzlichen Bestimmungen (hier vor allem das HGB) haben sich in der Privatwirtschaft seit vielen Jahren bewährt. Das HGB hat dabei ganz besonders die nominale Kapitalerhaltung (Anschaffungswertprinzip) und damit den Anlegerschutz im Visier. Ob diese Zielsetzung für einen Staat angemessen ist, wurde bisher im Rahmen der Doppik nicht diskutiert. Angesichts der umfangreichen Infrastruktur wäre für den Staat auch die Zielkozeption der Substanzerhaltung (Wiederbeschaffungswertprinzip) denkbar.

Vielfach wird vorgebracht, dass eine Handelsbilanz leichter lesbar sei als ein kameralistischer Abschluss. Dies dürfte jedoch eher eine Frage des Geschmacks sein.

Neues Steuerungsmodell contra Kameralistik

Derzeit wird in den Gesetzen mehrerer deutscher Bundesländer (z. B. Gemeindehaushaltsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen) die Einführung des Neuen Steuerungsmodells als Verwaltungsreform forciert. In Nordrhein-Westfalen heißt das Vorhaben z. B. „Neues Kommunales Finanzmanagement“ (NKF). Ausgangspunkt sind folgende Defizite, die Gesetzgeber in der traditionellen Steuerung auf Basis von Einnahmen und Ausgaben zu erkennen meinen:

  • strikte Trennung von Fach- und Ressourcenverantwortung,
  • Steuerung in erster Linie über die zur Verfügung gestellten Ressourcen,
  • damit einhergehend fehlende Ergebnisorientierung,
  • unklare Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung,
  • keine vollständige Abbildung des Ressourcenaufkommens und -verbrauchs,
  • keine vollständige Übersicht über das Vermögen und Schulden,
  • keine vollständige Ermittlung von produktbezogenen Kosten.

Dazu ist im Einzelnen zu bemerken:

  • Die Verwendung der Doppik führt nicht zwangsläufig zur Änderung der Steuerung. So wird in Österreich seit über 30 Jahren die Doppik praktiziert und gleichwohl nach Haushaltszahlen entschieden. Ebenso wenig verhindert die Kameralistik die Steuerung in Hinblick auf den Output. So ist z. B. im Haushaltsgrundsätzegesetz vorgesehen, dass Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im Rahmen eines Systems der dezentralen Verantwortung einer Organisationseinheit veranschlagt werden können. Dabei wird die Finanzverantwortung auf der Grundlage der Haushaltsermächtigung auf die Organisationseinheiten übertragen, die die Fach- und Sachverantwortung haben. Voraussetzung sind geeignete Informations- und Steuerungsinstrumente, mit denen insbesondere sichergestellt wird, dass das jeweils verfügbare Ausgabevolumen nicht überschritten wird. Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen sind durch Gesetz oder den Haushaltsplan festzulegen (vgl. § 6a Haushaltsgrundsätzegesetz). Die Politik weigert sich jedoch häufig, Ziele vorzugeben, weil dann ein Scheitern leicht nachzuweisen ist (vgl. z. B. Bundeskanzler Schröder im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit oder Bundeskanzler Kohl im Hinblick auf die blühenden Landschaften im Osten). Auch in der Verwaltung herrscht diese Interessenlage vor. Insofern scheitern outputorientierte Ansätze nicht am Rechnungswesen, sondern an der Politik. Diese will nicht in ihren Möglichkeiten, Risiken einzugehen, Schulden zu machen und Staatseigentum kurzfristig zu liquidieren, beschnitten werden.
  • Erhellend mag folgendes Zitat wirken: „Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass öffentliche Verwaltungen sich nur ein gewisses Maß an Konfliktträchtigkeit erlauben können. In diesem Sinne führt die öffentlich gewünschte Einführung von Methoden dazu, die öffentlich geführte, gegebenenfalls politisierte Debatte über die Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung zu entschärfen oder gar zu beenden. Dass es sich bei der Anwendung nur um einen Schein handelt wird nicht erkannt. Treten Schwierigkeiten auf, so wird im Weiteren über methodische Schwierigkeiten diskutiert, die an die Stelle der ursprünglichen politischen Schwierigkeiten treten. Sie machen ganz vergessen, dass die Methoden zur Handhabung politischer; also inhaltlicher Probleme eingeführt wurden.“ (Günter E. Braun, Ziel in öffentlicher Verwaltung und privatem Betrieb, S. 328) Die Diskussion über die Methode wird zum Ritual.
  • An der kameralistischen Buchführung wird eine übermäßige Bindung der Verwaltung an eine zu detaillierte Planung und die damit verbundene mangelnde Flexibilität kritisiert. Allerdings kann dieser Kritik das Budgetrecht des Parlaments entgegen gehalten werden. Zudem ist davon auszugehen, dass Verwaltungen eine komplexere Zielkonzeption als privatwirtschaftliche Unternehmen haben, die sich im Wesentlichen auf die Gewinnerzielung konzentrieren können. Insofern ist zu befürchten, dass ein doppisches Rechnungswesen, das im Wesentlichen auf das Ziel Gewinn und die Nebenbedingungen „Liquidität“ und „Schuldendeckungsfähigkeit“ ausgerichtet ist, Politik und Verwaltung zu stark einengt.
  • Eine Kostenrechnung (Kostenarten, -stellen und -trägerrechnung) kann sowohl zur Kameralistik als auch zur kaufmännischen Buchführung hinzu gefügt werden. Eine Leistungsrechnung ist regelmäßig nicht möglich, da es meist keine Umsatzerlöse gibt. Deshalb stellt sich die Frage: Ist eine laufende Kostenrechnung erforderlich oder reicht eine in der Kameralistik übliche fallbezogene Betrachtung aus (entscheidungsbezogene Wirtschaftlichkeitsbetrachtung + Erfolgskontrolle)? Da Verwaltungen in der Regel statischer sind als privatwirtschaftliche Unternehmen, ist dort eine Kostenrechnung nur im Ausnahmefall der Gebührenkalkulation zu verantworten.
  • Die Kameralistik ist auf eine vollständige Erfassung von Einnahmen, Ausgaben, Vermögen und Schulden ausgelegt. Gleichwohl haben die Finanzminister in der Vermögens- und Schuldenrechnung Ausnahmen geschaffen. Diese ermöglichen es der Politik und der Verwaltung, Transaktionen mit Vermögenswirkungen vor den Bürgern zu verbergen (z. B. Pensionslasten, Forderungsverkäufe mit Verlusten, Grundstückverkäufe mit Verlusten, Haftung für Kredite). Ausnahmen sind auch bei der Doppik möglich.

Verschwendung infolge Budgetierung

Als problematisch gilt ferner, dass die kameralistische Buchführung strikt auf einen bestimmten Wirtschaftszeitraum fixiert scheint (normalerweise das Haushaltsjahr), obwohl dies nicht so ist (vgl. Übertragbarkeit nach § 19 Bundeshaushaltsordnung, Deckungsfähigkeit nach § 20 Bundeshaushaltsordnung, flexible Haushaltsführung und Verpflichtungsermächtigungen nach § 16 Bundeshaushaltsordnung).

Die kameralistische Praxis biete für sparsames Wirtschaften keinen Anreiz:

  • Eingesparte Mittel erhöhten nicht den Finanzbestand der handelnden Organisationseinheit, sondern verfallen – falls keine Übertragbarkeit besteht – am Ende des Haushaltsjahres.
  • Ein nicht ausgeschöpfter Haushalt führe in der Regel dazu, dass der Haushalt des folgenden Jahres der handelnden Organisationseinheit entsprechend gekürzt wird.

Um diesen Effekt zu vermeiden, würde die handelnde Organisationseinheit vermehrt Ausgaben tätigen, die nicht bedarfsorientiert sind, sondern allein dem Ziel dienten, die verfügbaren Mittel vollständig auszuschöpfen (so genanntes „Dezemberfieber“ bzw. Budgetverschwendung, auch Nikolausdecke genannt). Ein weiterer Grund für das „Dezemberfieber“ sei, dass die Verwaltung stets eine Reserve für Unvorhergesehenes vorhalten müsse. Dies mache sie, indem sie zunächst nur die dringenden Ausgaben tätige. Erst am Ende des Jahres würden die wichtigen – aber nicht dringenden – Ausgaben getätigt. Zudem komme es zu erhöhten Ausgaben im zweiten Halbjahr durch die zeitaufwendigen – durch EU-Recht vorgeschriebenen – Beschaffungsverfahren.

Diese Phänomene sind allerdings auch bei der Anwendung der Doppik vorzufinden, wenn die für eine öffentliche Institution unabdingbare Budgetierung eingeführt wurde. Gegenmaßnahme: Zero-Base-Budgeting.

Schwierigkeiten bei der Umstellung zur Doppik

Während die Umstellung auf der kommunalen und der Landesebene mittlerweile durchaus voranschreitet, bestehen auf der Bundesebene noch erhebliche Schwierigkeiten und Vorbehalte.

Die Einführung der Doppik erfordert – wie auch die Umsetzung der für den Bund gesetzlich vorgeschriebenen Vermögensrechnung im Rahmen der Kameralistik – unter anderem eine vollständige Bewertung des Anlagevermögens und des Umlaufvermögens, welches einen immensen Aufwand für die Bundesministerien und Bundesbehörden darstellt. Der Nutzen dagegen besteht lediglich in einer größeren Transparenz zur Vermögenslage, da natürlich keine steuerlichen Abschreibungen erfolgen können, da von Körperschaften öffentlichen Rechts – sofern sie keinen Betrieb gewerblicher Art betreiben – keine Einkommensteuern gezahlt, sondern erhoben werden.

Auch ist die Anwendung der Kostenstellenrechnung und der Kostenträgerrechnung (erweiterter Bestandteil der Doppik, um den Verursacher von Kosten und ertragerwirtschaftende Stellen eindeutig identifizieren zu können) sehr aufwendig, aber wenig sinnvoll, da ein großer Teil der Bundesbehörden und Ministerien (z. B. Bundesministerium der Verteidigung, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) keine Umsätze aufweisen, da sie ihre Leistungen gratis abgegeben (z. B. äußere Sicherheit, Autobahnen für Pkw, Entwicklungshilfe). Die Finanzierung erfolgt überwiegend aus den im Bundeshaushalt beschlossenen und festgeschriebenen Einzelplänen. Die Einzelpläne wiederum werden aus Steuern, die definitionsgemäß ohne Gegenleistung eingenommen werden, und Kreditaufnahmen finanziert.

Die Einführung der Doppik in diesen Bereichen erfordert also nicht nur entsprechende Gesetzesänderungen, sondern auch eine vollständige Neudefinition der Geschäftsprozesse und entsprechende Mitarbeiterschulungen, einhergehend mit entsprechenden Kosten, wobei der Nutzen fraglich bzw. gar nicht gegeben ist. Im Gegenteil: Während der Umstellung geht die gesamte Organisationskraft in das neue Projekt. Konkrete Verbesserungen des Verwaltungshandelns müssen zurücktreten.

Die Umstellung auf die Doppik bringt zudem erhebliche computertechnische Umstellungen mit sich, weil ERP-Systeme eingeführt werden müssen, die Doppik und Kameralistik gleichermaßen abbilden.

Gerechter Finanzausgleich

Mittelfristig wird die kaufmännische Buchführung zu mehr Gerechtigkeit beim Länderfinanzausgleich und kommunalen Finanzausgleich führen können. Auch für den Einsatz von Haushaltssicherungskonzepten gäbe es eher als heute Indizien. Die Begünstigten könnten dann in all diesen Fällen ihre gesamten Finanzen mit Hilfe der kaufmännischen Buchführung offenlegen.

Dieser Vorteil einer kaufmännischen Buchführung wäre auch mittels Kameralistik zu erreichen, wenn sowohl Bund als auch Länder eine Vermögens-Schuldenrechnung, wie im Haushaltsgrundsätzegesetz vorgesehen, durchführen würden.

Aktuelle Situation

Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts betreiben Länder und Gemeinden die Abschaffung der kameralistischen Buchführung zugunsten der kaufmännischen Buchführung. Hierbei wird mehr und mehr auf das Neue Steuerungsmodell übergegangen.

Die erste deutsche Kommune, die im Rahmen einer landesrechtlichen Ausnahme- und Experimentierklausel ihr kommunales Rechnungswesen umgestellt hat, ist die nordbadische Stadt Wiesloch. Bundesweit konkretisieren sich die Umstellungsbestrebungen inzwischen, so dass die alleinige Anwendung der Kameralistik in Deutschland, zumindest auf der kommunalen und der Landesebene, wohl schon in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören wird. Gleichwohl gibt es nicht eine Gemeinde, in der das neue Steuerungsmodell tatsächlich funktioniert. In der Regel wird nach tradierten haushaltsrechtlichen Kriterien entschieden.

Zudem werden auf der Landesebene zunehmend Landesbetriebe eingerichtet, die nach kaufmännischen Grundsätzen geführt werden und Jahresabschlüsse nach den Regeln des Handelsgesetzbuches vornehmen müssen. Die damit unter Umständen verbundene Kostenrechnung erhöht die wirtschaftliche Kompetenz der Verwaltung. Gleichzeitig verlieren Parlament und Ministerialverwaltung an Einfluss. Dies birgt die Gefahr, dass diese Institutionen nicht mehr ihrer politischen Verantwortlichkeit gerecht werden können, da die Legitimationskette Volk – Parlament – Verwaltung, wie sie im Artikel 20 GG dargelegt ist, unterbrochen ist.

Literatur

Zur Kameralistik:

  • Rudolf Johns: Kameralistik. Grundlagen einer erwerbswirtschaftlichen Rechnung im Kameralstil. Wiesbaden 1951.
  • Ludwig Mülhaupt: Theorie und Praxis des öffentlichen Rechnungswesens in der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden 1987.
  • Ernst Walb: Die Erfolgsrechnung privater und öffentlicher Betriebe. Berlin und Wien 1926.
  • Ernst Walb: Grundsätzliches zu Neuerscheinungen über Kameralrechnung. In: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung. 28. Jg, 1934.
  • Werner Thieme: Kaufmännische Buchführung in der öffentlichen Verwaltung? In: Die öffentliche Verwaltung. Heft 11/2008, S. 433-441.
  • Walter Lutz: Wenn es die Kameralistik nicht gäbe, müsste man sie erfinden! Ein Vergleich von Doppik und Kameralistik- aus der Sicht eines Gemeinderates; mbverlag 2008; ISBN 978-3-9404-1109-9
  • Klaus von Wysocki: Kameralistisches Rechnungswesen. Verlag Poeschel, Stuttgart 1965.

Zur Umstellung auf die Doppik:

  • Joseph Lichtnegel: Sistematische Darstellung der Grundsätze im neuen österr. Civil-Cassa-, Rechnungs- und Controlswesen. Verlag Manz, Wien 1868.
  • Joseph Lichtnegel: Geschichte der Entwicklung des österreichischen Rechnungs- und Kontrollwesens. Verlag Gutenberg, Graz 1872.
  • Walter Waldschmidt, Kaufmännische Buchführung in staatlichen und städtischen Betrieben. Berlin 1908.
  • Klaus B. Gablenz/Uwe Laib: Doppische Bewertung leicht verständlich Verlag Jüngling gbb, 2007.
  • Uwe Laib: Buchführungssystematik im Rahmen der kommunalen Doppik Verlag Jüngling gbb, 2007.

Einzelnachweise

  1. Johann Matthias Puechberg: Einleitung zu einem verbesserten Kameral-Rechnungsfuße, auf die Verwaltung einer Kameral-Herrschaft angewandt. 1762. Zitiert in: Reinbert Schauer: Rechnungswesen in öffentlichen Verwaltungen. 2007 Verlag Linde, Wien: S. 19.
  2. Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2897)

Weblinks


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