Kanzler (Österreich)

Kanzler (Österreich)
Bundeskanzler Werner Faymann

Der Bundeskanzler ist der Vorsitzende der österreichischen Bundesregierung. Er koordiniert und vertritt als Regierungschef Österreichs die Regierungsarbeit gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit. In Alleinregierungen einer Partei ist er realpolitisch der mächtigste Politiker des Landes, in Koalitionsregierungen hängt sein Einfluss von der Stärke seiner Parlamentsfraktion ab. Amtssitz des Bundeskanzlers ist das Bundeskanzleramt. Der gegenwärtige Amtsinhaber ist Werner Faymann (SPÖ).

Inhaltsverzeichnis

Ernennung

Die Ernennung des Bundeskanzlers erfolgt seit der Verfassungsnovelle vom 7. Dezember 1929 (BGBl. 392/1929) durch den Bundespräsidenten (bis dahin wurde die Bundesregierung vom Nationalrat gewählt), welcher de jure in der Wahl der Person vollkommen frei ist, de facto jedoch auf die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat Rücksicht nehmen muss. Der Bundeskanzler schlägt dem Bundespräsidenten die übrigen Mitglieder der Bundesregierung zur Ernennung vor. Mit der Vereidigung ist die Bundesregierung (und mit ihr der Bundeskanzler) sofort handlungsfähig, eine Bestätigung durch den Nationalrat ist nicht erforderlich. Der Nationalrat kann der Bundesregierung oder einzelnen Bundesministern jedoch jederzeit das Misstrauen aussprechen, das den Bundespräsidenten zur Entlassung der Regierung bzw. des Regierungsmitglieds verpflichtet. Einzelne Minister entlässt der Bundespräsident auch auf Vorschlag des Bundeskanzlers.

Amtszeit

Die Amtszeit des Bundeskanzlers ist zeitlich nicht beschränkt wie etwa die des Bundespräsidenten oder des Nationalrates, die Ernennung erfolgt unbefristet. Die Ernennung des Bundeskanzlers und der übrigen Bundesminister durch den Bundespräsidenten hat verfassungsrechtlich nichts mit den Wahlen zum Nationalrat zu tun, auch nicht mit der Amtszeit und der Volkswahl des Bundespräsidenten. De facto korreliert sie meist mit Nationalratswahlen.

Die Bundesregierung reicht nämlich im Normalfall nach einer Nationalratswahl geschlossen ihren Rücktritt ("Demission") beim Bundespräsidenten ein. Die abtretende Regierung wird vom Bundespräsidenten "mit der Fortführung der Geschäfte beauftragt", bis eine neue Regierung bestellt ist und bleibt daher bis zur Angelobung der neuen Regierung noch im Amt. Der Rücktritt ist rechtlich nicht zwingend, aber sinnvoll, da der Bundespräsident die Regierung sonst aus eigener Initiative entlassen oder ihr der neue Nationalrat das Misstrauen aussprechen könnte (was den Bundespräsidenten zur Entlassung zwänge).

Die Bundesregierung kann jederzeit beschließen zu demissionieren, wenn ihr dies aus politischen Gründen zweckmäßig erscheint. Der Bundespräsident hat dann eine neue Regierung zu bestellen. Neuwahlen kommen in diesem Zusammenhang lediglich zustande, wenn der Bundespräsident auf Vorschlag der Regierung den Nationalrat auflöst oder wenn der Nationalrat, was häufig der Fall ist, selbst seine Auflösung beschließt.

Formaler Rahmen

Anders als etwa in Deutschland hat der österreichische Bundeskanzler gegenüber den Bundesministern keine Richtlinienkompetenz. Er ist nach der Verfassung den übrigen Mitgliedern der Bundesregierung in der Amtsführung rechtlich gleichgestellt, er ist also „primus inter pares“. Da aber die Minister vom Bundespräsidenten auf seinen Vorschlag ernannt werden und er auch ihre Abberufung vorschlagen kann, ist seine Stellung im politischen System Österreichs herausragend. Allerdings kann der Bundeskanzler in einer typischerweise bestehenden Koalitionsregierung aber keinen Minister seines Koalitionspartners von sich aus zur Entlassung vorschlagen, da die andere Partei dann wohl die Koalition aufkündigen würde und dadurch die parlamentarische Mehrheit (und somit der Bundeskanzler selbst) gefährdet wäre.

Der Bundeskanzler leitet die von ihm (meist wöchentlich) einberufenen Sitzungen der Bundesregierung (Ministerrat), in denen die Regierungsarbeit formal koordiniert wird. Vom Ministerrat beschlossene Regierungsvorlagen – das sind Gesetzentwürfe aus Ministerien, die nach dem so genannten Begutachtungsverfahren (bei dem Stellungnahmen aller Ministerien, aller Bundesländer und vieler Interessenvertretungen eingeholt werden) und darauf allenfalls folgenden Entwurfskorrekturen die Zustimmung aller Minister gefunden haben – leitet der Kanzler zur Behandlung im Parlament an das Nationalratspräsidium weiter. Vom Parlament beschlossene und vom Bundespräsidenten unterzeichnete ("beurkundete") Gesetze hat der Bundeskanzler laut Verfassung gegenzuzeichnen. Nur mit den Unterschriften dieser beiden Staatsorgane erlangen Gesetze Rechtskraft. Sie sind vom Bundeskanzler unverzüglich im Bundesgesetzblatt zu verlautbaren.

Der Bundeskanzler kann (als Ergebnis der Verhandlungen zur Bildung seiner Regierung) im Bundeskanzleramt auch Materien verantwortlich leiten, die sonst einem Ressortminister zufallen. Vor der Einrichtung eines eigenständigen Außenministeriums betreute der Bundeskanzler auch die auswärtigen Angelegenheiten; später gab es einen Kunstkanzler, der Kunstagenden wahrnahm.

Protokollarisch steht der Bundeskanzler an vierter Stelle hinter dem Bundespräsidenten und den Präsidenten des Nationalrates und des Bundesrates.

Realpolitische Stellung

Die realpolitische Stellung des Bundeskanzlers - der im Volksmund schlicht als "Kanzler" bezeichnet wird - hängt von seiner persönlichen Autorität, von der Stärke der Partei, die er vertritt, und von seiner Stärke in dieser Partei ab. In der Öffentlichkeit gilt er als Hauptverantwortlicher für die aktuelle Politik des Landes.

Der Kanzler hat mehr politisches Gewicht und kann eine kohärentere Politik verfolgen, wenn der Finanzminister sein Vertrauensmann ist und gemeinsam mit ihm agiert. Da Regierungsbeschlüsse einstimmig zu fassen sind und den anderen Ministern der Überblick über das Gesamtbudget fehlt, hat der Finanzminister eine Schlüsselposition inne.

Dass sich eine realpolitische Vormachtstellung des Bundeskanzlers aber auch ohne die typische realpolitische Umgebung ergeben kann, zeigte die erste Amtszeit von Wolfgang Schüssel, der im Jahr 2000 nur der drittstärksten Partei vorstand, die auch nicht den Finanzminister stellte.

In der seit Dezember 2008 amtierenden österreichischen Bundesregierung steht der sozialdemokratische Bundeskanzler Werner Faymann dem konservativen Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll gegenüber, sodass die Möglichkeiten des Kanzlers begrenzt sind. Eine derartige Konstellation ermöglicht eine Pattstellung in der Regierung. Annähernd gleichstarke Koalitionsparteien teilen sich daher oft die beiden Ämter auf (im Jahr 2000 konservativer Bundeskanzler und freiheitlicher Finanzminister bei Mandatsgleichheit im Nationalrat, seit 2007 sozialdemokratischer Bundeskanzler und konservativer Finanzminister). Da der gegenwärtige Finanzminister auch das Amt des Vizekanzlers innehat, das ähnlich wie das des Bundeskanzlers juristisch nicht mit besonderen Mitteln gegenüber den anderen Bundesministern ausgestattet ist und die beiden Koalitionsparteien annähernd gleich stark im Parlament vertreten sind, schwächt die Ämterkombination aus Vizekanzler und Finanzminister den Bundeskanzler realpolitisch deutlich.

In Zeiten der Überlegenheit des größeren Koalitionspartners und hohen Einflusses des Amtsinhabers in der eigenen Partei oder bei einer Alleinregierung, wie sie in der Zweiten Republik bisher nur unter den Kanzlern Klaus und Kreisky bestand, hat der Bundeskanzler eine deutlich mächtigere Stellung in der Innenpolitik.

Liste der Bundeskanzler Österreichs

Bundeskanzler der Ersten Republik
Name Lebensdaten Amtszeit (Beginn) Amtszeit (Ende) Partei
Karl Renner1) 1870–1950 30. Oktober 1918 7. Juli 1920 SDAP
Michael Mayr2) 1864–1922 7. Juli 1920 21. Juni 1921 CS
Johann Schober 1874–1932 21. Juni 1921 26. Jänner 1922 Beamter
Walter Breisky 1871–1944 26. Jänner 1922 27. Jänner 1922 Beamter/CS
Johann Schober 1874–1932 27. Jänner 1922 31. Mai 1922 Beamter
Ignaz Seipel 1876–1932 31. Mai 1922 20 November 1924 CS
Rudolf Ramek 1881–1941 20 November 1924 20. Oktober 1926 CS
Ignaz Seipel 1876–1932 20. Oktober 1926 4. Mai 1929 CS
Ernst Streeruwitz 1874–1952 4. Mai 1929 26. September 1929 CS
Johann Schober 1874–1932 26. September 1929 30. September 1930 Beamter
Carl Vaugoin 1873–1949 30. September 1930 4. Dezember 1930 CS
Otto Ender 1875–1960 4. Dezember 1930 20. Juni 1931 CS
Karl Buresch 1878–1936 20. Juni 1931 20. Mai 1932 CS
Engelbert Dollfuß3) 1892–1934 20. Mai 1932 25. Juli 1934 CS/VF
Kurt Schuschnigg3) 1897–1977 29. Juli 1934 11. März 1938 VF
Arthur Seyß-Inquart4) 1892–1946 11. März 1938 13. März 1938 NSDAP
1) Staatskanzler
2) Bis 20. November 1920 Staatskanzler
3) 1933/1934 wurden die demokratischen Institutionen Österreichs durch ein autoritäres Regime ersetzt, den austrofaschistischen Ständestaat, dessen wichtigste Repräsentanten Dollfuß und Schuschnigg waren.
4) Der letzte Bundespräsident, Wilhelm Miklas, ernannte unter starkem Druck des NS-Regimes und der österreichischen Nationalsozialisten Seyß-Inquart zum Bundeskanzler; dieser führte den Anschluss an das Deutsche Reich durch, womit die Funktion des Bundeskanzlers zu bestehen aufhörte.
Bundeskanzler der Zweiten Republik
Name Lebensdaten Amtszeit (Beginn) Amtszeit (Ende) Partei
Karl Renner1) 1870–1950 27. April 1945 20. Dezember 1945 SDAP/SPÖ
Leopold Figl 1902–1965 20. Dezember 1945 2. April 1953 ÖVP
Julius Raab 1891–1964 2. April 1953 11. April 1961 ÖVP
Alfons Gorbach 1898–1972 11. April 1961 2. April 1964 ÖVP
Josef Klaus 1910–2001 2. April 1964 21. April 1970 ÖVP
Bruno Kreisky 1911–1990 21. April 1970 24. Mai 1983 SPÖ
Fred Sinowatz 1929–2008 24. Mai 1983 16. Juni 1986 SPÖ
Franz Vranitzky * 1937 16. Juni 1986 28. Jänner 1997 SPÖ
Viktor Klima * 1947 28. Jänner 1997 4. Februar 2000 SPÖ
Wolfgang Schüssel * 1945 4. Februar 2000 11. Jänner 2007 ÖVP
Alfred Gusenbauer * 1960 11. Jänner 2007 2. Dezember 2008 SPÖ
Werner Faymann * 1960 2. Dezember 2008 derzeit im Amt SPÖ
1) Staatskanzler

Zeitleiste: Österreichische Bundeskanzler seit 1945

Siehe auch

Weblinks


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