Kapitalismuskritiker

Kapitalismuskritiker

Als Kapitalismuskritik werden Standpunkte bezeichnet, die die seit der Industrialisierung aufgekommenen Wirtschaftsordnungen, die auf Privateigentum und Marktwirtschaft beruhen, grundsätzlich oder in Teilaspekten kritisieren.

Ähnlich wie der Kapitalismus selbst hat die Kapitalismuskritik eine mittlerweile mehr als 200jährige Geschichte. Über die Kritik an wichtigen Elementen des Kapitalismus wie Geld- und Zinswirtschaft, Grundeigentum und privaten Monopolen hinaus äußerte sich praktische Kapitalismuskritik auch in genossenschaftlich organisierten Unternehmen und Banken, dem Aufbau alternativer Wirtschaftsbereiche und der Teil- oder Vollübernahme von einzelnen Wirtschaftssegmenten durch nicht private Akteure. Etwa im Wohnungsbau, bei Infrastrukturnetzen und im regionalen Bankwesen treten staatliche, genossenschaftliche, gewerkschaftliche und kommunale Akteure auf und beanspruch(t)en dabei weniger individuelles Gewinnstreben als auch insbesondere gesamtgesellschaftliche Aufgaben und Ziele zu vertreten.

Die postmoderne Kapitalismuskritik hält demgegenüber den Kapitalismus und die zugeordneten Herrschaftsverhältnisse für gänzlich unreformierbar.


Inhaltsverzeichnis

Kritiker und Kritikpunkte

Maschinenstürmer

Nach Edward Palmer Thompson können bereits die so genannten „Maschinenstürmer“ kapitalismuskritischen Strömungen zugerechnet werden.[1] Mit der Veränderung der Arbeitswelt durch die Industrialisierung kam es vor allem in England (Luddismus), aber auch in anderen europäischen Ländern, zu Arbeiterbewegungen, deren Zielsetzung die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen darstellte. Dazu gehörte unter anderem die Zerstörung von Maschinen wie auch der Zusammenschluss in Interessenvertretungen, im angelsächsischen Raum den "Guilds" (deutsch Zünfte) als Vorläufern der modernen Gewerkschaften.

Frühsozialismus

Die sozialistische Kapitalismuskritik geht ursprünglich von einer Entfremdung durch die industrielle Revolution aus. Bereits die Utopischen Sozialisten wie Charles Fourier kritisierten den Kapitalismus und entwarfen utopische Gegenmodelle.

Fouriers Gegenspieler Robert Owen hingegen gilt als Begründer des Genossenschaftswesen und bemühte sich um praktische Lösungen für menschenwürdigere Arbeitsbedingungen und Formen des Zusammenlebens etwa in der von dem württembergischen Pietisten Johann Georg Rapp gegründeten Kommune (New) Harmony.


Marxistisch inspirierte Kapitalismuskritik

Karl Marx (1875)

Marxistische Kapitalismuskritik

Karl Marx und Friedrich Engels interpretierten den Kapitalismus als Herrschaft der Bourgeoisie. Das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 zeigt sich fasziniert von den im Rahmen des Industriekapitalismus weltweit entfesselten Produktivkräften und sieht Globalisierung, Internationalisierung und Verstädterung als positiv an. Es enthält aber die grundsätzliche Aufforderung, den Kapitalismus durch den Sozialismus bzw. Kommunismus abzulösen, um Elend, Ausbeutung und Entfremdung zu beseitigen.

Nach Karl Marx ist die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln in der Diktatur des Proletariats die ökonomische Voraussetzung der klassenlosen Gesellschaft. Marx Materialismus sieht das Wirtschaftssystem als Basis aller gesellschaftlichen Prozesse und Vorgänge, geistige und kulturelle Auseinandersetzungen werden als nebensächlicher Überbau qualifiziert. Marx und Engels sagten eine bald bevorstehende Revolution und resultierende Diktatur des Proletariats voraus, welche den Kapitalismus global ablösen werde und über die Verstaatlichung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu einer klassenlosen Gesellschaft führen werde.

Das Ausbleiben der Revolution, die eschatologische[2] Frage des Marxismus, versuchten Rosa Luxemburg und Lenin aufgrund des Imperialismus und des Kolonialismus zu deuten. Nach diesen Thesen beuteten die Zentren des Kapitalismus Rohstoffe und Menschen aus den kolonialen Peripherien aus, ohne diese der Kapitalismus nicht würde fortbestehen können. Spätere marxistisch beeinflusste Kapitalismuskritiker haben weitere Herrschaftsverhältnisse und dem Kapitalismus inherente Täuschungsmechanismen zu identifizieren versucht, um das weitere Fortbestehen und die Erneuerungen des Kapitalismus deuten zu können.

Der linksliberale Kapitalismuskritiker John Kenneth Galbraith widersprach den orthodox marxistischen globalen Paradigmen grundsätzlich - das Wirtschaftssystem, Grundsatzdiskussionen über Privat- oder Staatswirtschaft seien zur Deutung des Auftretens wie der Bekämpfung von lokalen massenhaftem Elend und Massenarmut so ungeeignet wie wenig deutungsmächtig[3]. Verwaltungsstrukturen und- Kompetenz, kulturelle, demographische, bildungs- und machtpolitische Fragen seien demgegenüber bedeutender und separat im Einzelfall zu betrachten und zu beantworten.[3] Galbraith wurde dabei der Ausspruch zugeschrieben „Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus. Im Kommunismus ist es genau umgekehrt.“[4]

Neomarxismus und Neue Linke

Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, zu deren wichtigsten Vertretern Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse zählen, entwickelten einen neuen Ansatz für eine wissenschaftliche Kapitalismuskritik (Neomarxismus). Die Kritische Theorie übte großen Einfluss auf die internationale Studentenbewegung von 1968 aus. Diese bezog sowohl gegen den Kapitalismus als auch gegen den Realsozialismus Stellung. In der Folgezeit der Studentenbewegung entstand in den 1970ern in der BRD die vielschichtige, so genannte Neue Linke. Aus dieser Bewegung ging auch die Terrororganisation RAF hervor, die den Kapitalismus durch einen revolutionären Befreiungskampf zu überwinden suchte. Ihre gewaltsamen Aktionen richteten sich gegen Repräsentanten des kapitalistischen westdeutschen Systems. Weitere sozialistische Strömungen dieser Zeit waren die so genannten K-Gruppen, die am Stalinismus, dem Trotzkismus oder dem Maoismus ausgerichtet waren.

Wertkritik

Wertkritik ist eine postmarxistische Strömung, die ausgehend von der Analyse der „Verwertung von Wert“ die gesellschaftlichen Institutionen zu beschreiben versucht. Das Ziel der Kritik ist das Dasein der Wertform selbst, die Verwandlung von konkretem Nutzen in ein abstraktes Medium, gemäß dem aber Produktion und Konsumtion organisiert sind. Diese Verwertung wird durch das soziale Handeln erst verwirklicht, jedoch gibt es diesem Ziel und Form vor. Die Wertkritik hängt im theoretischen Stadium fest, da bisher keine soziale Bewegung eine Aussicht auf Emanzipation von der Wertform selbst in sich trug. Wichtige Vertreter dieser Richtung sind: Robert Kurz, Moishe Postone, Franz Schandl und Eske Bockelmann.

Plakat des IWW von 1911

Gewerkschaften und Syndikalismus

Die gewerkschaftlichen Ansätze der Kapitalismuskritik beziehen sich in der Regel auf die sozialistische Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Allerdings sind die Schlussfolgerungen und Forderungen aus gewerkschaftlicher Perspektive eher auf eine reformistische Umsetzung einer gerechten Gesellschaft bedacht. Dazu gehört im Sozialstaatsmodell das Konsensprinzip, demzufolge Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften als Verhandlungspartner entsprechend dem Tarifvertragsgesetz in der Aushandlung von Tarifverträgen eine Sozialpartnerschaft eingehen und damit eine Verantwortung für eine friedliche gütliche Einigung in Konfliktfällen anstreben sollen. Dieser Ansatz zielt in erster Linie auf einen pragmatischen, realistischen Ausgleich von Interessen.

Gegen dieses Modell der Sozialpartnerschaft stehen kapitalismuskritische Ansätze syndikalistischer und sozialistischer Gewerkschafter. Der Syndikalismus propagiert die Aneignung von Produktionsmitteln durch die Gewerkschaften, die dann auch an Stelle politischer Stellvertreter die Verwaltung organisieren. Ausreichende Stärke um revolutionäre gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen zu können, hatten sie beispielsweise im Spanischen Bürgerkrieg.

Als Wirtschaftsakteure traten und treten Gewerkschaften in etlichen Ländern auf, in Deutschland waren die Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften bis zur Krise der Neue Heimat ursprünglich ein wichtiger Akteur im Wohnungsmarkt. In vielen Ländern, u. a. den USA sind gewerkschaftlich organisierte Pensionsfonds und Rentenkassen in ihrer Anlagepolitik [5] auch zentrale wirtschaftliche Akteure.

Kapitalismuskritik mit ökologischem und feministischen Schwerpunkt

Seit einigen Jahren wird der Kapitalismus bzw. der dabei gleichgesetzte Industrialismus auch verschiedentlich aus der Perspektive der Politischen Ökologie kritisiert. Marxistisch orientierte Politologen und Sozialwissenschaftler wie Elmar Altvater[6] und Athanasios Karathanassis[7] kritisieren den Kapitalismus und das ihrer Meinung dazugehörige Wirtschaftswachstum als nicht nachhaltig. Altvater hält das Globale Ölfördermaximum für ein Vorzeichen des Ende des Kapitalismus.

Allerdings betrifft diese Kritik - außerhalb antikapitalistischer Propaganda - auch den Marxismus selbst, dem etwa Robert Kurz die Übernahme des „positivistischen, technisch-naturwissenschaftlich verkürzten Fortschrittsbegriff des Liberalismus“ vorwarf. Ein radikale Kritik an der Industrialisierungs- und Modernisierungsgeschichte und ihres gewandelten Arbeitsbegriffs sei demnach auch in der „Linken“ bis heute ausgeblieben.

Die Politikerin und Journalistin Jutta Ditfurth vertritt auch These, „die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Profitlogik und ihrem Verwertungszwang“ sei mit der Ausbeutung der Natur eng verbunden[8] und die soziale Frage von ökologischen Herausforderungen damit nicht zu trennen.

Die ökofeministische Soziologin Maria Mies beschreibt hingegen den Kapitalismus als patriarchales Konstrukt. Kapitalismus führe zu Kolonisation, die im übertragenen Sinne auch Frauen wie auch die Natur insgesamt beträfe.[9] Dies wurde unter anderem von Camille Paglia zurückgewiesen, derzufolge amoralische, aggressive, pornographische Elemente und ungleiche Herrschaftsverhältnisse elementar zu menschlicher Kunst, Sexualität und Zivilisation gehörten"[10].

Neuzeitliche Kapitalismuskritik

Christlich / Jüdische Kapitalismuskritik

Wichtige Kritiker und Kritiken des Kapitalismus stammen aus christlich und jüdischen Wurzeln. So war Wilhelm Weitling, der als erster deutscher Theoretiker des Kommunismus gilt, ein Frühsozialist mit christlichen Überzeugungen. Friedrich Engels kam aus einer vom Pietismus auch in seinen radikalen Formen geprägter Umgebung. Engels bezog sich unter anderem auf die Eigentumslosigkeit der urchristlichen Gemeinden. Karl Marx Mentor Moses Hess referierte in frühkommunistischen Utopien und messianistischen Heilserwartungen auf christlich/jüdische Vorstellungen sozialkritischer Propheten wie beim Buch Amos. Entsprechende Elemente und Einflüsse wirkten beim Marxismus wie beim Zionismus weiter und führten u. a. zur Gründung der Kibbuzim beim Aufbau Israels.

Die christliche, insbesondere Katholische Soziallehre etwa des Jesuiten Oswald von Nell-Breuning bemüht sich um eine übergeordneter Perspektive auf die ganze Bandbreite des Zusammenlebens von Menschen. Dabei werden dem Kapitalismus Grenzen durch eine Sozialethik gesetzt, die neben – theologischer Vorgaben – die Prinzipien der Personalität, des Gemeinwohls, der Solidarität und der Subsidiarität einbezieht. Im Falle der römisch-katholischen Kirche kommen auch die Päpstlichen Lehrschreiben hinzu, den so genannten Sozialenzykliken, die auch soziale Fragen zentral ansprechen und dabei auch kapitalismuskritische Stellungnahmen abgeben.

Praktische Auswirkungen sind in der Gründung und dem Betrieb von christlichen Gewerkschaften, Handwerks- und Sozialverbänden (Kolpingwerk) und Organisationen und Institutionen der Wohlfahrtspflege (Caritas) und der Entwicklungshilfe (Misereor) zu finden. Innerkirchlich konnte sich eine radikal antikapitalistische Theologie der Befreiung nicht durchsetzen, prägte aber Aspekte der Soziallehre wie in der Option für die Armen.

Die evangelische Sozialethik bzw. Soziallehre kennt kein kirchliches Lehramt im katholischen Sinn und ist auch im Sinne von Calvinismus, Quietismus und Pietismus individualistisch geprägt. Der protestantische Theologe und SPD-Abgeordnete Christoph Blumhardt (1842–1919) gehört zu den Mitbegründern des Religiösen Sozialismus als (kirchen)politisch einflussreiche Richtung in Deutschland. Kapitalismuskritische Aspekte finden sich in gemeinsamen Stellungnahmen zu gesellschaftlichen und politischen Fragen der evangelischen Kirchen und liegen auch den Aktivitäten der evangelisch geprägten Sozial- und Entwicklungsverbände wie der Diakonie und Brot für die Welt zugrunde.

Postmoderne

Die postmodernen Ansätze brechen mit der orthodoxen Kritik des Wirtschaftssystem Kapitalismus und verallgemeinern diese hin zu einer allgemeinen Kritik von Herrschaftsverhältnissen, die unter dem Übertitel Kapitalismus subsumiert werden.

Nach den enttäuschenden Erfahrungen mit dem Realsozialismus entstanden in Folge der 68er-Bewegung Strömungen einer postmodernen Philosophie (Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus). Philosophen wie Gilles Deleuze, Jacques Derrida und Jean Baudrillard setzten sich kritisch sowohl mit dem Kapitalismus, als auch mit den klassischen sozialistischen und kommunistischen Ansätzen auseinander.[11] Sie kritisierten nicht selten den Kommunismus, besonders dogmatische marxistisch-leninistische Strömungen, und entwickelten darüber hinaus neue Sichtweisen.

Michel Foucault kritisiert den Kapitalismus einerseits als Freiheit begrenzende, Gewalt ausübende Disziplinargesellschaft (Panopticon), andererseits mit seinem Konzept der „Bio-Politik“, bei der das Subjekt und seine Lebensbedingungen den Interessen der Herrschenden unterworfen werden: „Für die kapitalistische Gesellschaft ist es die Biopolitik, die vor allem zählt, das Biologische, Somatische, Körperliche“.[12] Jacques Derrida sagt, dass das von Liberalen verbreitete Reden vom Ende der Geschichte nicht verbergen kann, dass es in der „kapitalistischen Weltordnung“ millionenfaches Leid und furchtbare Not für viele Menschen gäbe. Es sei daher notwendig, Marx neu zu lesen, neu zu kritisieren und als Erbe den Marxismus völlig neu zu entwickeln.[13]

Jean Baudrillard wendet sich wiederum allgemein gegen positivistische Geschichtsutopien (z. B. Faschismus, Kommunismus), aber er kritisiert den globalen Kapitalismus als eine Form der „ungeheuren Gewalt“, welche „mehr Opfer als Nutznießer“ schaffe und daher zivilisiert werden müsse, weil ansonsten im Kapitalismus „jeder nichtmonetäre Wert aufgehoben“ werden würde.[14]

Die Abschaffung aller Regeln, genauer: die Reduzierung aller Regeln auf das Gesetz des Marktes ist das Gegenteil von Freiheit – nämlich deren Illusion. So altmodische und aristokratische Werte wie Würde, Ehre, Herausforderung, Opfer zählen darin nicht mehr.“.[15]

Gemäß der Kapitalismuskritik Baudrillards, die von der Sprachtheorie Ferdinand de Saussures beeinflusst ist, entferne sich der Signifikantenapparat des Kapitalismus und seiner Medienwirklichkeit von der Wahrheit, und ermögliche so eine umfassende Manipulation und Verführung des Konsumenten. Im Kapitalismus bilde sich ein Raum „permanenter Simulation von Realität", die in Hyperrealität münde.[16]

Diese Ansätze wurden innerhalb einer akademischen Minderheit diskutiert, weniger in politischen Parteien, teils wegen ihrer theoretischen Komplexität oder wie u. a. im Falle des Poststrukturalisten Jacques Lacan gänzlicher Unverständlichkeit (vgl. Sokal-Affäre), teils wegen ihres offenen Bruchs mit herkömmlichen Ansätzen der Kapitalismuskritik. Weitere neuere Ansätze in dieser Richtung finden sich z. B. bei Richard Sennett, Antonio Negri und Michael Hardt.[17]

Camille Paglia bezeichnete 1991 die postmoderne Philosophie in einer spektakulären Vorlesung am MIT als "französischen Quatsch"[18], der für die Krise der amerikanischen Universitäten wie die Lebensfremdheit ihrer Absolventen verantwortlich sei.

Nach Paglia sei "Die Natur, nicht die Gesellschaft … unser größter Unterdrücker"[10] und das Wirtschaftssystem nicht mit dem Geschlechterkonflikt und anderen Herrschaftsverhältnissen zu verwechseln. Die menschliche (apollinische) Kultur sei jedoch angehalten, der chthonischen Realität der Natur wie deren "Grausamkeit der Biologie und Geologie"[10] entgegen zustehen und entgegenzuwirken.

Anarchistische Kapitalismuskritik

Der Anarchismus geht davon aus, dass mit dem Kapitalismus Herrschaft von Menschen über Menschen verbunden ist, aufgrund dessen sie ihn grundsätzlich ablehnen. Der Kapitalismus bedarf in ihren Augen eines Wohlstands- und Machtgefälles innerhalb der Gesellschaft, um zu funktionieren.

Kommunistische Anarchisten sehen den Kapitalismus als ein ineffizientes Wirtschaftssystem an. Durch Konkurrenzkampf und im Finanzwesen würde in großem Umfang unproduktiver Arbeitsaufwand erzeugt. Weiterhin würden Bedürfnisse durch Werbung künstlich erzeugt, während andererseits nur die Bedürfnisse befriedigt werden, denen eine zahlungskräftige und somit -fähige Nachfrage zu Grunde liegt.

Individualanarchisten definieren Kapitalismus als eine Marktwirtschaft, in der sich privilegierte Gruppen mit Hilfe von staatlichen Interventionen auf Kosten der übrigen Gesellschaft bereichern und dadurch zu Reichtum gelangen. Im Kapitalismus würden Gruppen derjenigen, die großen Einfluss auf den Staat besäßen, mit Hilfe des Staates Rahmenbedingungen schaffen, die ihnen einen wirtschaftlichen Gewinn verschafften. Die sich aus dem geschaffenen Rahmen ergebenen Kosten sowie die Kosten zu Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen würden dabei zu einem großen Teil auf andere Gesellschaftsmitglieder abgewälzt. Jedes Übel des Kapitalismus werde so durch staatliche Eingriffe erzeugt.[19][20] Kritisiert wird die schädliche Partnerschaft zwischen Staat und Großunternehmen, wobei der Staat zugunsten einflussreicher Unternehmen oder Organisationen interveniert (wie z. B. bei der Militärindustrie, im Bank- und Versicherungswesen oder im Pharmabereich) und diesbezügliche Privilegien durch Monopole, vor allem Geld-, Boden-, Zoll- und Patentmonopole.

Freiwirtschaftliche und anthroposophische Kapitalismuskritik

Die von Silvio Gesell begründete Theorie der Freiwirtschaft definiert Kapitalismus als ein System, in dem die Möglichkeit besteht, sich allein durch den Besitz von Geld oder Boden ein arbeitsfreies Einkommen (Kapitaleinkommen) auf Kosten der Mehrarbeit anderer zu verschaffen. Aus diesem Grund wird auch der Kommunismus als Form des Kapitalismus (Staatskapitalismus) angesehen. Ein großes Problem des Kapitalismus sei, dass nicht benötigtes Geld durch seinen jeweiligen Besitzer beliebig „zurückgehalten“ (also aus dem Umlauf genommen) werden könne, ohne dass er dadurch benachteiligt würde. Laut der Theorie der Freiwirtschaft sind gegenwärtige kapitalistische Wirtschaftssysteme wegen stetig steigender Zinslasten auf ein andauerndes Wirtschaftswachstum angewiesen. Auf lange Sicht sei ein Scheitern unausweichlich, da eine unendliche Steigerung der Produktion von Gütern in einer endlichen Welt faktisch unmöglich sei. Freiwirtschaftliche Ansätze fanden nur geringe Umsetzung bei Versuchen zur Freigeldwirtschaft und den sogenannten Tauschringen, aber spielen bis heute eine starke Rolle bei Konzepten des kommunalen Wohnungsbaus. An der Freiwirtschaft kritisiert wurde unter anderem eine Nähe zu antisemitischen Geldreformern und die mangelnde Einbeziehung gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

Die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie hatte wichtige Einflüsse auf die alternative, nichtkapitalistische Wirtschafts- und Lebensweisen. Anthroposophische Gesellschaftsentwürfe wie die Soziale Dreigliederung Steiners forderten eine zunehmende Einbeziehung von Betrieben in kollektiver Selbstverwaltung wie auch eine stärkere Ausrichtung der Gesellschaft nach künstlerisch ästhetischen statt kapitalistischen Vorgaben (vgl. Soziale Plastik Joseph Beuys'). Neben etlichen anthropososphisch beeinflussten "alternativen" Organisationen und Wirtschaftsverbänden (so im Schulwesen, der Heilkunde und Landwirtschaft) stellt die anthroposophische GLS Gemeinschaftsbank auch eine wichtige wirtschaftliche Grundlage für die Alternativbewegung dar. Sie ermöglichte unter anderem die (zeitweilige) Begründung der Ökobank[21] und der alternativen Beratungs- und Finanzierungsgenossenschaft Oekogeno.

Rechtsextreme und Nationalsozialistische Kapitalismuskritik

Gottfried Feder, ein Wirtschaftstheoretiker der NS-Propaganda, forderte „unter der Parole Brechung der Zinsknechtschaft die Verstaatlichung der Banken und die Abschaffung des Zinses“.[22] Feder unterschied zwischen einem „schaffenden“ Kapital (Gewerbe- und Agrarkapital) und einem „raffenden“ Kapital (Handels- und Finanzkapital). Das schaffende Kapital diene dabei Volk und Vaterland, während das raffende Kapital, das er vor allem mit dem Judentum assoziierte, rein egoistische Ziele verfolge. So war Feders Antikapitalismus auch Ausdruck seines Antisemitismus. Weiter ging die Kapitalismuskritik der Gruppe um Otto Strasser. Strasser hielt den Nationalsozialismus vor allem „für die große Antithese des internationalen Kapitalismus, der die vom Marxismus geschändete Idee des Sozialismus als der Gemeinwirtschaft einer Nation zugunsten dieser Nation durchführt und jenes System der Herrschaft des Geldes über die Arbeit bricht.“[23] Forderungen dieser Strömung waren u. a. die Verstaatlichung von Industrie und Banken sowie eine enge Anlehnung Deutschlands an die Sowjetunion. Beim Röhm-Putsch wurden wichtige Vertreter dieser antikapitalistischen Strömung des Hitlerfaschismus innerhalb der NSDAP ausgeschaltet.

Der Hitler-Stalin-Pakt wurde außenpolitisch mit Elementen der NS-Kapitalismus-Kritik versehen und spielte mit dem Nationalbolschewismus zusammen. Diese Kritik war Bestandteil der anti-amerikanischen Propaganda des Nationalsozialismus, welche die USA als eine von der jüdischen "Ostküste" beherrschte "Plutokratie" beschrieb, die Ölkriege führe und eine rohstoffgetriebene Geopolitik betreibe.

Volksfront bzw. Querfrontansätze, Nationalbolschewismus sowie rechtspopulistische wie rechtsextremistische Globalisierungskritik greifen auf diese Konstruktionen zurück. In Osteuropa (laut Verfassungsschutz bereits in Thüringen) sind nationalbolschewistische Politikansätze weiter verbreitet als im Westen. In Russland stehen hinter der Verbindung von links- und rechtsextremen Ideen in Parteien (vgl. Rodina oder Nationalbolschewistische Partei Russlands) auch mehrere prominente Schriftsteller wie Eduard Limonow und Alexander Prochanow, weshalb diese politische Richtung dort ein größeres Gewicht hat, als in Mitteleuropa.

Literatur

Primärliteratur

  • Ronald Barazon: Kampf dem Kapitalismus. Ecowin Verlag, Salzburg 2006, ISBN 3-902404-30-2. 

Marxistisch inspirierte Kapitalismuskritik

  • Bini Adamczak: Kommunismus. Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird. Unrast, Münster 2004, ISBN 3-89771-430-2. 
  • Elmar Altvater: Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir Kapitalismuskritik?. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 4, 2006, S. 457–468 (online ; Elmar Altvaters Abschiedsvorlesung vom 18. Januar 2006). 
  • Georg Fülberth und Michael R. Krätke: Neun Fragen zum Kapitalismus. Karl Dietz Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3320021023. 
  • Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung. theorie.org, 2004 (Internet Archive ; Stand: 21. März 2008). 
  • Michel Vakaloulis, Jean-Marie Vincent und Pierre Zarka,: Vers un nouvel anticapitalisme. Pour une politique d'émancipation (coll. « Questions d'époque »). Éditions du Félin, 2003, ISBN 978-2866455194. 

Marx und Engels

Wertkritik

Gewerkschaften und Syndikalismus

  • Benoît Frachon: Le grand capitalisme provocateur de crise, de désordre et de misère. Édition de la C.G.T.U, Paris 1935 (online). 

Postmoderne

Nationalsozialismus

  • Otto Strasser: Aufbau des deutschen Sozialismus. Wolfgang Richard Lindner Verlag, Leipzig 1932. 

Religion

Katholizismus
  • Pax Christi Kommission Weltwirtschaft (Hrsg.): Der Gott Kapital: Anstöße zu einer Religions- und Kulturkritik. 2. Auflage. Lit Verlag, 2006, ISBN 978-3825893163. 

Islam
  • Maxime Rodinson: Islam und Kapitalismus. Suhrkamp, 1996, ISBN 978-3518281840. 

Kapitalismuskritik mit ökologischem Schwerpunkt

  • Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen – Eine radikale Kapitalismuskritik. 7. Auflage. Westfälisches Dampfboot, 2007, ISBN 978-3896916273. 
  • Jutta Ditfurth: Entspannt in die Barbarei: Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus. Konkret Literatur, 2002, ISBN 978-3894581480. 
  • Athanasios Karathanassis: Naturzerstörung und kapitalistisches Wachstum. Ökosysteme im Kontext ökonomischer Entwicklungen. Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung, Hamburg 2003, ISBN 978-3899650181. 
  • Maria Mies: Patriarchat und Kapital. Rotpunktverlag, Zürich 1996, ISBN 978-3858690500. 

Sekundärliteratur

  • Johannes Berger: Kapitalismusanalyse und Kapitalismuskritik. In: Andrea Maurer (Hrsg.): Handbuch der Wirtschaftssoziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3531152592, S. 363–381. 
  • Albrecht Langner (Hrsg.): Katholizismus, konservative Kapitalismuskritik und Frühsozialismus bis 1850. Schönigh, München 1975. 
  • Peter Schallmayer: Kapitalismuskritik. Theorie und Praxis bei Marx, Nietzsche, Mann, Müntefering und in der Heuschreckendebatte. Königshausen&Neumann, Würzburg 2009, ISBN 978-3826040702. 

Kritik

  • Ludwig von Mises: Die Wurzeln des Antikapitalismus. European Center of Austrian Economics, 1956/2007, ISBN 978-9551518011. 
  • Avraham Barkai: Der Kapitalist. In: Julius H. Schoeps, Joachim Schlör (Hrsg.): Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus - Vorurteile und Mythen. Piper Verlag, Augsburg 1999, ISBN 3-8289-0734-2. 

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Edward Palmer Thompson: Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1987 (übersetzt von Lotte Eidenbenz u. a.), ISBN 3-518-02687-9. 
  2. Nach dem Essen philosophieren. Zur Eschatologie des Marxismus, in: Alfred Bellebaum und Peter Schallenberg (Hrsg.): Glücksverheißungen. Heilige Schriften der Menschheitsgeschichte, Münster: Aschendorff 2005, 133-159
  3. a b The nature of mass poverty. dt.: Die Arroganz der Satten. Strategien für die Überwindung der weltweiten Massenarmut. Bern, München: Scherz 1980, ISBN 3502172595
  4. vgl. Wikiquote, mehrmalige Zuschreibung, nicht aber schriftlich fixiert
  5. [1] Pensionsfonds in den USA - Betriebsrente durch Shareholder Value ? IG Metall Abteilung Wirtschaft – Technologie – Umwelt vom Mai 2001
  6. Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik. Westfälisches Dampfboot, Münster 2007, ISBN 3-89691-627-0. 
  7. Athanasios Karathanassis: Naturzerstörung und kapitalistisches Wachstum. 2003, ISBN 3-89965-018-2. 
  8. Jutta Ditfurth: Entspannt in die Barbarei. konkret Literatur Verlag, 1996, S. 157. 
  9. Maria Mies und Vandana Shiva: Ecofeminism. Zed Books, London 1993, S. 298. 
  10. a b c in Camille Paglia. Die Masken der Sexualität. Seite 17. Aus dem Amerikanischen von Margit Bergner, Ulrich Enderwitz und Monika Noll. Berlin: Byblos Verlag. ISBN 3-929029-06-5
  11. Gabriel Kuhn: Tier-Werden Schwarz-Werden Frau-Werden Unrast-Verlag 2005 s. z. B. Kap. III,3,9 S. 168 ff. ISBN 3-89771-441-8
  12. Michel Foucault: Schriften Bd. III, Frankfurt/M 2003, S. 275. Vgl. auch ders., Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik, Frankfurt/M 2004. zit. n. Joachim Bischoff & Christoph Lieber: Die Herrschaft des Kapitals und die Multitude auf linksnet.net abgerufen 18. August 2008
  13. Jaques Derrida Marx´ Gespenster, Suhrkamp: 2004, ISBN ISBN 3-518-29259-5
  14. http://www.egs.edu/faculty/baudrillard/baudrillard-das-ist-der-vierte-weltkrieg.html Interview mit Jean Baudrillard
  15. http://www.egs.edu/faculty/baudrillard/baudrillard-das-ist-der-vierte-weltkrieg.html Interview mit Jean Baudrillard
  16. http://www.wsws.org/de/2007/apr2007/baud-a21.shtml Nachruf zu Jean Baudrillard, Stefan Steinberg
  17. Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Campus Fachbuch 2002, ISBN 978-3593369945
  18. Die MIT Vorlesung. Zur Krise der amerikanischen Universitäten. In Sex, Art, and American Culture, Essays. Von Camille Paglia. Verlag Vintage Books; September 1992, ISBN 0679741011, deutsch Der Krieg der Geschlechter Sex, Kunst und Medienkultur. Aus dem Amerikanischen von Margit Bergner, Ulrich Enderwitz und Monika Noll. Berlin: Byblos Verlag, 1993
  19. Kevin A. Carson: Studies in Mutualist Political Economy. Ark, Fayetteville 2004 (Chapter 4 & 5). 
  20. Jack Schwartzman, Hanson, Ingalls and Tucker: Nineteenth-Century American Anarchists. In: American Journal of Economics and Sociology. Vol. 62, Nr. 5, November 2003, S. 325. 
  21. Strawe, Christoph: Marxismus und Anthroposophie, Stuttgart: Klett-Cotta, 1986. ISBN 3-608-91407-2
  22. Gottfried Feder. In: Deutsches Historisches Museum. Abgerufen am 21. März 2008
  23. „Revolutionäre Nationalsozialisten“: "Die Sozialisten verlassen die NSDAP". In: NS-Archiv. 4. Juli 1930. Abgerufen am 21. März 2008.

Weblinks


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