Kelsos

Kelsos

Celsus (griechisch Kelsos Κέλσος) war ein antiker Philosoph (Platoniker) im späten 2. Jahrhundert. Er verfasste die älteste bekannte Streitschrift gegen das Christentum. Von seiner Herkunft und seinem Leben ist nichts überliefert. Alle Versuche, ihn mit einer anderweitig bekannten Person zu identifizieren, sind gescheitert.[1]

Inhaltsverzeichnis

„Wahre Lehre“

Die Streitschrift gegen das Christentum mit dem Titel Alēthḗs lógos 'AληΘής λόγος („Wahre Lehre“) ist wahrscheinlich um 178 entstanden, vermutlich in Alexandria.[2] Der Originaltext ist nicht erhalten, das Werk kann aber aus den Zitaten in der um 248 verfassten Gegenschrift des Kirchenschriftstellers Origenes Gegen die Schrift des Celsus mit dem Titel „Wahre Lehre“ (kurz: Gegen Celsus) teilweise rekonstruiert werden. Da Origenes einen Abschnitt nach dem anderen zitiert und zu widerlegen versucht, kann aus seiner Darstellung auch der Aufbau des Alethes logos ungefähr erschlossen werden. Zwar behauptet Origenes, auf alle Argumente des Gegners eingegangen zu sein, doch gehen die Meinungen der Forscher darüber, wie groß der von ihm überlieferte Textanteil ist, weit auseinander.[3] Spätestens nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion sind alle noch vorhandenen Exemplare vernichtet worden.[4] Ob bzw. in welchem Ausmaß außer Origenes noch andere Autoren das Werk gekannt und verwendet haben, ist strittig; eindeutige Belege fehlen.[5]

Unter der „wahren Lehre“, auf die sich der Titel der Schrift bezieht, versteht Celsus ein anfängliches, den ältesten Völkern und insbesondere deren Weisheitslehrern ursprünglich gemeinsames religiös-philosophisches Wissen.[6] Er nennt u. a. die Ägypter, Assyrer, Chaldäer, Inder und Perser. Unter den Weisen, die nach seiner Überzeugung die wahre Lehre besaßen, führt er insbesondere Homer, Orpheus, Pherekydes von Syros, Pythagoras und Zarathustra („Zoroastres“) an. Platon war aus Celsus’ Sicht keineswegs der Schöpfer einer neuen Philosophie, sondern nur ein hervorragender Verkünder der alten überlieferten Universalweisheit. Diese Auffassung von der Philosophiegeschichte war keine Besonderheit des Celsus; sie wurde u. a. auch von Numenios vertreten, der ebenso wie Celsus zum Mittelplatonismus zählte, und später war sie Gemeingut der spätantiken Neuplatoniker.

Den Juden und den Christen wirft Celsus vor, sie seien aus Neuerungs- und Geltungssucht von der gemeinsamen Urweisheit der Völker abgewichen und hätten irrige Lehren eingeführt, die aber nichts wirklich Neues seien, sondern nur aus mangelhaftem Verständnis hervorgegangene Verfälschungen des alten gemeinsamen Wissens der Weisen. Dadurch hätten sie die ursprüngliche Eintracht gestört und Zwietracht gesät. Ihre Lehren stammten teils aus dem Wissen der Ägypter und der Perser, teils hätten sie sie aus griechischen Quellen – insbesondere Homer und Platon – geschöpft und dabei deren Wahrheiten entstellt. Mit ihrem Sonderweg hätten sich die Christen außerhalb der Gemeinschaft der Menschheit gestellt. Durch ihr Exklusivitätsbewusstsein, ihren Glauben an ihre Einzigartigkeit und ihre feindselige Haltung gegenüber allen anderen Religionen und insbesondere den staatlichen Kulten hätten sie sich von der staatlichen Gemeinschaft losgesagt. Daher seien sie keine loyalen Bürger des Reichs, sondern stellten mit ihrer staatsfeindlichen Gesinnung eine Gefahr für dessen Fortbestand dar. Mit seiner heftigen Polemik gegen das Christentum wendet sich Celsus jedoch nicht nur an Gleichgesinnte, sondern auch an Christen, die er von ihrem Glauben abzubringen beabsichtigt (Alethes logos 8.76). Seine Streitschrift ist zugleich Lehrschrift und Werbeschrift.

Celsus war sowohl über das Judentum als auch über das Christentum seiner Zeit gut informiert, wobei er sich auf mündliche und schriftliche Quellen stützte. Er kannte das Alte Testament, wie seine Bezugnahmen auf die Schöpfungsgeschichte, die Sintflut und die Geschichte der biblischen Patriarchen (Alethes logos 4.36–47) sowie auf das Konzept des Prophetentums (7.3; 7.9) und speziell Jona und Daniel (7.53) zeigen. Alle vier Evangelien und die Lehren des Apostels Paulus waren ihm vertraut. Auch mit den zahlreichen christlichen Sondergemeinschaften, deren Anhänger von der Kirche als Häretiker bekämpft wurden, kannte er sich aus und unterschied zwischen ihren Lehren. Er wusste über ihre Streitigkeiten untereinander und mit der Kirche, die er als „Großkirche“ (5.59) bezeichnete, Bescheid (3.10; 3.12; 5.61–64), ebenso wie auch über die jüdische Polemik gegen die Christen. Diese Gegensätze machte er sich für seine Argumentation zunutze; so ließ er einen Juden auftreten, der erst gegen Jesus, dann gegen die Judenchristen polemisiert. Die Spaltung der Christenheit in eine Fülle von sektiererischen Sondergemeinschaften betrachtete Celsus als einen Zerfallsprozess, der mit der Absonderung der Juden von den Ägyptern begonnen hatte, sich dann mit der Abspaltung des Christentums vom Judentum fortsetzte und schließlich notwendigerweise in die Aufsplitterung unter den Christen einmündete.

Zu den Argumenten des Celsus, mit denen er das Christentum und einzelne christliche Lehren bekämpfte, gehören folgende:

  • es sei absurd zu glauben, dass sich die höchste Gottheit in einen menschlichen Körper begebe, noch dazu einen normalen und unauffälligen, dem man das Göttliche nicht ansieht, und dass Gott sich mit Bösem und Hässlichem abgebe und dem Leid aussetze (4.2–5; 4.14; 4.18; 6.75; 7.13–15). Außerdem sei nicht einsichtig, dass Gott dies erst zu einem bestimmten Zeitpunkt getan habe und nicht schon früher (4.7)
  • es sei unsinnig zu glauben, dass Gott sich um die Juden und die Christen mehr kümmere als um die übrige Welt und nur zu ihnen seine Boten entsende. Ebenso könnten Würmer oder Frösche sich einbilden, dass das Weltall ihretwegen bestehe und dass Gott sie gegenüber allen anderen Wesen bevorzuge (4.23; 6.78; 6.80)
  • wenn alle Menschen so wie die damaligen Christen sich der Beteiligung an der staatlichen Gemeinschaft verweigern würden, müsse das Reich zugrunde gehen; dann würden Barbaren die Macht übernehmen und jegliche Zivilisation und Weisheit vernichten. Auch vom Christentum bliebe dann schließlich nichts übrig (8.68–71)
  • dem linearen, eschatologischen Geschichtsverständnis der Christen stellt Celsus eine zyklische Geschichtsdeutung entgegen. Nach seiner Überzeugung strebt die Geschichte nicht einem Endpunkt (Weltuntergang und Jüngstes Gericht) zu, sondern ist ein ewiger Kreislauf (4.65)
  • es gebe keinen Grund anzunehmen, die Welt sei um des Menschen willen geschaffen worden. Eher könne man sogar behaupten, sie sei um der Tiere willen da. Zwar würden die Tiere vom Menschen gejagt und verspeist, aber das Umgekehrte komme auch vor und sei früher – bevor die Menschen Waffen, Netze und Jagdhunde einführten – sogar der Normalfall gewesen. Daher scheine Gott eher die Raubtiere bevorzugt zu haben, da er ihnen ihre Waffen schon mitgab. In Wirklichkeit sei die Welt jedoch eine Gesamtheit; es sei nicht einer ihrer Teile um des anderen willen da oder eine Gattung von Lebewesen wegen einer anderen geschaffen, sondern jeder Teil bestehe unmittelbar im Hinblick auf das Ganze (4.74–99)
  • es sei ein Widerspruch, dass Jesus als Sohn eines Zimmermanns bezeichnet wird und zugleich sein Stammbaum zu den jüdischen Königen zurückverfolgt wird (2.32)
  • Jesus drohe und schimpfe, weil er unfähig sei zu überzeugen (2.76)
  • die Christen seien ungebildet und betrachteten dies nicht als einen Mangel, sondern als ob es ein Verdienst wäre. Sie meinten, ein Ungebildeter habe besseren Zugang zur Wahrheit als ein Gebildeter (3.44; 6.12–14)
  • es sei unsinnig anzunehmen, dass Gott außerstande gewesen sei, sein eigenes Geschöpf Adam zu überzeugen (4.36)
  • es sei lächerlich, Gott menschliche Leidenschaften wie Zorn zuzuschreiben (4.71–73)
  • die Lehre von der Auferstehung des Fleisches unterstelle Gott ein naturwidriges und unsinniges Verhalten (5.14)
  • es sei abgeschmackt anzunehmen, dass Gott nach dem Sechstagewerk der Schöpfung einen Ruhetag benötigt habe, als wäre er wie ein Handwerker nach der Arbeit ermüdet (6.60–62)
  • es werde nicht einsichtig gemacht, warum man glauben soll, sondern der Glaube werde als Voraussetzung für die Erlösung einfach gefordert (6.7a–8b; 6.10b–11)
  • der Teufelsglaube, also die Idee, dass Gott einen Widersacher habe, sei ein Zeichen von größter Ignoranz. Wenn es den Teufel gäbe und er die Menschen betrogen hätte, so gäbe es für Gott keinen Grund, den Betrogenen zu drohen; überhaupt drohe Gott niemandem (6.42; vgl. 4.99)

Religiöse Philosophie

Origenes wusste offenbar über Celsus und dessen Ansichten nicht mehr als das, was er dem Alethes logos entnehmen konnte. Er versuchte irrtümlich den Platoniker Celsus, gegen den er sich wandte, mit einem gleichnamigen Epikureer zu identifizieren, gab aber diesbezüglich seine Unsicherheit zu. Der Begriff „Epikureer“ wurde damals oft als Schimpfwort für einen philosophischen Gegner verwendet.[7]

Celsus verfügte, wie seine kenntnisreichen Darlegungen zeigen, über eine ausgezeichnete Bildung, die er auch bei seinen Lesern voraussetzte. In Mythologie und Drama kannte er sich ebenso aus wie in der Rhetorik und Philosophie. Seine religiösen und philosophischen Vorstellungen bewegten sich im Rahmen des Mittelplatonismus seiner Zeit. Er nahm einen transzendenten, unwandelbaren und gestaltlosen „obersten“ oder „ersten“ Gott an, in dem er die Ursache des Nous und des Seins (Ousia) sah. Diesen Gott hielt er für nicht unmittelbar erkennbar, doch könne man sein Dasein indirekt erschließen. Er betonte, dass der oberste Gott weder einen Namen noch Anteil an einer bestimmten Seinsweise habe; man dürfe ihm daher keine Eigenschaften zuschreiben. Für Celsus war Gott nur negativ bestimmbar.

Die anderen Götter befinden sich in Celsus’ hierarchischem Weltbild auf einer niedrigeren Ebene. Sie sind handelnde, der obersten Gottheit untergeordnete Wesen, die sich zur Wahrung der Weltordnung betätigen, da dem obersten Gott selbst, dem ewig Unwandelbaren, Veränderung und damit jegliche Tätigkeit fremd ist. Diesen Göttern erweisen die Menschen mit Recht die gebührende kultische Verehrung, und die Götter wenden sich ihrerseits wohlwollend den frommen Menschen zu, etwa indem sie ihnen Orakelsprüche zukommen lassen oder ihnen Heilung von Leiden gewähren. Einzelnen Göttern sind im Rahmen der Weltordnung bestimmte ethnische und geographische Zuständigkeiten zugewiesen, sie sind Volksgötter oder lokale Gottheiten. Daraus ergibt sich der Sinn und die Berechtigung der vielfältigen religiösen Kulte und Bräuche.

Die Materie betrachtet Celsus als nicht von Gott geschaffen, sondern ewig; insofern ist er also Dualist. Die materielle Welt hat für ihn weder einen zeitlichen Anfang noch ein Ende, aber jedes einzelne materielle Objekt ist vergänglich.

Ausgaben und Übersetzungen

  • Origène: Contre Celse, hrsg. Marcel Borret, 5 Bände, Paris 1967-1976 [griechischer Text der Schrift des Origenes mit französischer Übersetzung]
  • Origenes: Contra Celsum libri VIII, hrsg. Miroslav Marcovich, Brill, Leiden 2001. ISBN 90-04-11976-0
  • Horacio E. Lona: Die »Wahre Lehre« des Kelsos, Freiburg 2005. ISBN 3-451-28599-1 [deutsche Übersetzung mit ausführlichem Kommentar]

Literatur

  • Carl Andresen: Logos und Nomos. Die Polemik des Kelsos wider das Christentum, Berlin 1955.
  • Michael Frede: Celsus philosophus Platonicus, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt Bd. II.36.7, Berlin 1994, S. 5183-5213. ISBN 3-11-013946-4.
  • Karl Pichler: Streit um das Christentum. Der Angriff des Kelsos und die Antwort des Origines, Frankfurt am Main 1980.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Giuliana Lanata (Hrsg.): Celso, Il discorso vero, Milano 1987, S. 12f.
  2. Zur Datierung und Lokalisierung Lona S. 54-57. Für Spätdatierung um 200 plädiert Jeffrey W. Hargis: Against the Christians. The Rise of Early Anti-Christian Polemic, New York 1999, S. 20-24.
  3. Lona S. 16-19 bietet eine Übersicht über die unterschiedlichen Ansichten.
  4. Lanata S. 10.
  5. Lona S. 67-69.
  6. Zur Deutung des Werktitels siehe Albert Wifstrand: Die wahre Lehre des Kelsos, in: Bulletin de la Société Royale des Lettres de Lund, 1941/42, S. 396-402.
  7. Aldo Magris: Aufklärerischer Platonismus: Kelsos und Origenes, in: Chartulae. Festschrift für Wolfgang Speyer, Münster 1998, S. 230 Anm. 6.

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