Kiefertiere

Kiefertiere
Kiefermäuler
Systematik
Abteilung: Gewebetiere (Eumetazoa)
Unterabteilung: Bilateria
Überstamm: Neumünder (Deuterostomia)
Stamm: Chordatiere (Chordata)
Unterstamm: Wirbeltiere (Vertebrata)
Überklasse: Kiefermäuler
Wissenschaftlicher Name
Gnathostomata
Zittel, 1879

Die Kiefermäuler (Gnathostomata), manchmal auch Kiefertiere oder Kiefermünder sind eine Überklasse innerhalb des Unterstamms der Wirbeltiere. Zu ihnen gehören, mit Ausnahme der primitiven Neunaugen und Schleimaale, alle heute lebenden Wirbeltiere, also die Knorpel- und Knochenfische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere, insgesamt über 54.000 Arten.

Die Kiefermäuler entwickelten sich im obersten Ordovizium (Acanthodii) oder im unteren Silur (Acanthodii und Placodermi). Seit dem mittleren Devon, also vor 380 Millionen Jahren, stellen sie die Mehrzahl aller Wirbeltiere. [1]

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Die wichtigste Autapomorphie der Kiefermäuler ist Festigung der Mundränder durch gelenkig miteinander verbundene Knorpel- oder Knochenspangen. Es entstand ein meist bezahnter Kiefer, der es den Tieren ermöglicht, Nahrung zu ergreifen, festzuhalten und zu zerkleinern. So eröffneten sich den Kiefertieren völlig neue Ernährungsmöglichkeiten.

Kieferbildung

Nach dem klassischen Modell der Kieferevolution wurde der Kieferbogen (Mandibularbogen) aus einem Kiemenbogen, einem stützenden Skelettelement zwischen den Kiementaschen gebildet. Unsicher ist, um welchen Kiemenbogen es sich handelt. Eine Hypothese nimmt an, das es sich um den dritten handelt und die zwei davor liegenden Praemandibularbögen zurückgebildet wurden. Knorpel (Labialknorpel) im Schädel der Neoselachii (moderne Haie und Rochen) könnten Reste der reduzierten vorderen zwei Kiemenbögen sein. Der Kieferbogen der Kiefermäuler besteht nur aus den mittleren beiden Bogenelementen, die durch das primäre Kiefergelenk, bei Säugetieren durch das sekundäre Kiefergelenk, miteinander verbunden sind. Starke Adduktormuskeln dienen zum Schließen der Kiefer.

Der dem zum Kieferbogen gewordenen Kiemenbogen folgende Kiemenbogen wird zum Zungenbeinbogen (Hyalbogen, Hyoidbogen), die übrigen, mit wenigen Ausnahmen meist fünf Kiemenbögen, bleiben im Grundmuster der Gnathostoma als Träger des Kiemenapparates bestehen. Die Kiemenbögen haben jeweils vier Skelettstäbe (Pharyngo-, Epi-, Cerato- und Hypobranchiale). Zwischen Kieferbogen und Zungenbeinbogen liegt im Grundmuster der Gnathostoma jeweils ein Spritzloch, durch das Atemwasser eingesogen werden kann. [2] Aus Knochenschuppen bildeten sich Zähne, die auf den Kieferrändern, in der Mundhöhle und im Schlund sitzen können.

Eine alternative Hypothese sieht die Kiefer homolog zu Knorpelteilen im Velum von Neunaugenlarven (Ammocoeteslarven) [2]. Das Velum sitzt im Schlund dieser filtrierenden Organismen und erzeugt zusammen mit der Kiemenmuskulatur den Wasserstrom von der Mundöffnung zu den Kiemen. Nach dieser Hypothese entwickelten sich die Kiefer also aus einer Struktur, die schon immer der Nahrungsaufnahme gedient hat.

Postcranialskelett

Das Axialskelett besteht zunächst aus der Chorda dorsalis. Wirbel wurden mehrfach unabhängig voneinander zur Festigung der Chorda gebildet und gehören daher nicht zu den Autapomorphien der Kiefermäuler. Von den unpaaren Flossen wurden die Rückenflosse und die Schwanzflosse von den kieferlosen Vorfahren übernommen, die Afterflosse ist eine Neubildung, die bei den primitivsten Gnathostoma, den Placodermi, noch nicht auftrat [2].

Laubfrosch, vier Gliedmaßen sind ein weiteres Merkmal der Kiefermäuler

Die Schwanzflosse war ursprünglich heterocerk, das heißt, das Ende der Wirbelsäule biegt sich nach oben und stützt den oberen, größeren Teil der Schwanzflosse.

Eine weitere Autapomorphie sind die paarigen, von Skelettelementen gestützten Brust- und Becken- oder Bauchflossen, die vor allem die Manövrierfähigkeit der Gnathostoma verbesserten und aus denen Vorder- und Hinterbeine der Landwirbeltiere hervorgegangen sind. Auch die ausgestorbenen, kieferlosen Osteostraci hatten paarige Brustflossen, die aber skelettlos waren und nur durch Muskeln gestützt wurden.

Die Brustflossen sind durch den Schultergürtel, die Bauchflossen durch den Beckengürtel gelenkig miteinander verbunden. Die paarigen Flossen werden durch Muskelgruppen bewegt, die Elevatoren (Heber, Strecker) und die Depressoren (Senker, Beuger).

Sinnesorgane

Die Augen der Kiefermäuler haben eine echte Hornhaut. Lage und Innervation der sechs äußeren Augenmuskeln unterscheiden sich von der der Kieferlosen. Durch die Entwicklung innerer Augenmuskeln bekommt das Auge die Fähigkeit, einen Gegenstand in einer beliebigen Distanz zwischen Nah- und Fernpunkt auf der Fovea der Netzhaut beider Augen abbilden zu können, damit ein scharfer Seheindruck entsteht (Akkommodation). Als Riechorgan entwickeln sich zwei Nasenlöcher. Das Gleichgewichtsorgan bekommt drei Bogengänge, für jede Ebene im dreidimensionalen Raum eine. Auch ein Seitenlinienorgan sowie Elektrorezeptoren gehören wahrscheinlich zum Grundmuster der Kiefermäuler.

Innere Organe

Das Gehirn der Kiefermäuler ist dreigeteilt, in Prosencephalon (Vorderhirn), Mesencephalon (Mittelhirn) und Rhombencephalon (Rautenhirn). Aus dem Neuralrohr tritt pro Muskelsegment jeweils ein Spinalnerv aus, der sich in einen rückenseitigen und einen bauchseitigen Ast teilt. Gliazellen an den Axonen peripherer Nerven ermöglichen eine schnelle Informationsweiterleitung.

Im Verdauungstrakt wurde ein Magen als Speicherorgan entwickelt. Bei primitiven Gnathostoma wird die Oberfläche des Darms durch eine Spiralfalte vergrößert. Leber und Bauchspeicheldrüse sind die größten Darmanhangdrüsen und haben sich aus dem Entoderm gebildet. Verdauungstrakt, Nieren und Geschlechtswege (Ei- und Samenleiter) enden in einer Kloake.

Schädel des Placodermen Dunkleosteus
Schädel des Schwertwals

Äußere Systematik

Die Kiefermäuler sind eine Überklasse des Unterstamms Wirbeltiere (Vertebrata). Unter allen Kieferlosen teilen die ausgestorbenen Osteostraci (vielleicht zusammen mit den Pituriaspida) die größte Anzahl von Autapomorphien mit den Kiefermäulern, vor allem paarige muskulöse Brustflossen, einen Knochenring (Skleralring) um die Augen und die heterozerke Schwanzflosse. Sie sind vielleicht die Schwestergruppe der Kiefermäuler [3].

Innere Systematik

Klassisch werden die Kiefermäuler in zwei Untertaxa eingeteilt, die Fische (Pisces) und die Landwirbeltiere (Tetrapoda). Da letztere aber aus ersteren hervorgegangen sind, handelt es sich bei den Fischen nicht um ein monophyletisches Taxon; sie werden daher nicht als natürliche Gruppe anerkannt.

Die genauen stammesgeschichtlichen Verhältnisse innerhalb der Kiefermäuler gibt stattdessen das folgende Kladogramm wieder:

Kiefermäuler (Gnathostomata)
├──† Placodermi
└──N. N.
   ├──Knorpelfische (Chondrichthyes)
   └──Teleostomi = Osteognathostoma
      ├──† Stachelhaie (Acanthodii)
      └──Euteleostomi (=Knochenfische (Osteichthyes) + Landwirbeltiere (Tetrapoda))
         ├──Strahlenflosser (Actinopterygii)
         └──Muskelflosser (Sarcopterygii)
            ├──Quastenflosser (Coelacanthimorpha)
            └──Choanata
               ├──Lungenfische (Dipnoi)
               └──Landwirbeltiere (Tetrapoda)

Nach klassischen Rängen sieht das System folgendermaßen aus:

Literatur

  • Hans-Peter Schultze: Gnathostomata, Kiefermäuler in Wilfried Westheide & Reinhard Rieger: Spezielle Zoologie Teil 2: Wirbel und Schädeltiere, 1. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg • Berlin, 2004, ISBN 3-8274-0307-3
  • Joseph S. Nelson: Fishes of the World. John Wiley & Sons, 2006, ISBN 0-471-25031-7

Einzelnachweise

  1. Janvier, Philippe: Gnathostomata. Jawed Vertebrates. Version 01 January 1997. in The Tree of Life Web Project
  2. a b c Peter Ax: Das System der Metazoa III. Ein Lehrbuch der phylogenetischen Systematik. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg, Berlin, 2001, ISBN 3-8274-1179-3
  3. Janvier, Philippe: Osteostraci. Version 01 January 1997. in The Tree of Life Web Project

Weblinks


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