- Kindermehl
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Babynahrung oder Säuglingsnahrung ist der Oberbegriff für alle Lebensmittel, die für die Ernährung von Säuglingen besonders geeignet sind. Die natürliche Anfangsnahrung ist Muttermilch, die optimal den Bedürfnissen des Säuglings entspricht. Die industriell hergestellte Babyfertignahrung wird unterteilt in Säuglingsanfangsnahrung, Folgenahrung und Beikost.[1] Beikost besteht in der Regel aus schwach gewürztem Obst- oder Gemüsebrei, teils auch aus püriertem Fleisch und kann auch selbst hergestellt werden. Mit etwa zwölf Monaten können Kleinkinder allmählich an Erwachsenenkost gewöhnt werden.
Die Vorstellungen darüber, welche Nahrung für Säuglinge geeignet ist, sind kulturell beeinflusst, nicht universell in allen Kulturen gleich und auch keine historische Konstante. Die Erkenntnisse der modernen Medizin sind nur ein Faktor, der erst in der jüngsten Vergangenheit in Industrieländern die wesentliche Rolle bei der Nahrungsauswahl spielt.
So bestand in der Frühzeit der Menschheit Babynahrung neben Muttermilch aus vorgekauter geeigneter Erwachsenennahrung. Auch das Säugen durch Ammen war bereits vor Jahrtausenden bekannt. Seit dem Mittelalter galten in Europa vor allem Mehlbrei und Brotsuppe als optimale Säuglingskost. Obst, Gemüse und Fleisch wurden erst im 19. Jahrhundert als geeignete Beikost angesehen. Zu dieser Zeit kam auch die erste industriell hergestellte Babynahrung auf den Markt.
Wenn der Säugling noch teilweise gestillt und Säuglingsfertigmilch zugefüttert wird, spricht man auch von Zwiemilchernährung.
Marktführer bei Babyfertignahrung sind in Deutschland Hipp, Humana, Milupa und Nestlé. Der Gesamtumsatz mit Lebensmitteln für Säuglinge beträgt rund 600 Mill. Euro. Davon entfällt etwa die Hälfte auf Babykost in Gläsern und rund ein Drittel auf Säuglingsmilchnahrung.[2]
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Der Energiebedarf von Säuglingen ist auf Grund des Wachstums mit etwa 90 kcal (377 kJ) pro Kilogramm Körpergewicht zwei- bis dreimal höher als bei Erwachsenen. Damit dieser Bedarf gedeckt wird, muss der Fettanteil der Nahrung 35 bis 50 Prozent betragen, der Kohlenhydratanteil nur etwa 45 Prozent. Auch der Eiweißbedarf ist relativ höher als bei Erwachsenen und liegt bis zum Alter von zwei Monaten täglich bei 2,0 bis 2,7 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, danach bei 1,1 bis 1,5 Gramm (Erwachsene: 0,8 g). Der Flüssigkeitsbedarf ist ebenfalls größer, weil die Nieren noch nicht voll ausgereift sind und mehr Flüssigkeit über Atmung und Haut verloren geht.[3]
In den ersten Lebensmonaten funktioniert die Verdauung nur eingeschränkt; Neugeborene besitzen noch keine Darmflora und die Darmschleimhaut ist noch nicht ausgereift. Auch einige für die Nahrungsverarbeitung notwendige Enzyme werden vom Körper erst später gebildet. Aus diesen Gründen können Babys in der ersten Lebensphase nur mit Muttermilch oder mit speziell für sie konzipierten Produkten ernährt werden. Die Kost soll ungewürzt und salzarm sein.
Moderne Säuglingsfertignahrung entspricht in ihrer Zusammensetzung weitgehend der Muttermilch und darf nach den gesetzlichen Vorgaben weder Bakterien noch Schadstoffe enthalten. Sie unterliegt der Diätverordnung und enthält daher definierte Mindestmengen an Vitaminen und Mineralstoffen sowie Höchstmengen an Fett und Kohlenhydraten. Dadurch müssen auch Hersteller von Bio-Lebensmitteln ihre Produkte mit synthetischem Vitamin B1 anreichern. Fertige Gemüse- und Obst-Breie erreichen die Vorgaben in der Regel ohne Vitaminzusatz.
Als Beikost werden alle Lebensmittel und Zubereitungen bezeichnet, die für Säuglinge etwa ab dem zweiten Lebenshalbjahr geeignet sind und die als Ergänzung der Milchnahrung dienen, um die Umstellung auf feste Nahrung vorzubereiten.[4] Spätestens ab dem siebten Monat deckt auch Muttermilch allein nicht mehr den kompletten Nährstoffbedarf des Säuglings und die Milchmahlzeiten müssen ergänzt und nach und nach ersetzt werden. Beikost soll wenig Speisesalz und Zucker und keine scharfen Gewürze enthalten.[3]
Industriell hergestellte Beikost ist in unterschiedlichen Zusammensetzungen erhältlich, zum Beispiel als Brei oder Mus in Gläsern oder als Pulver zum Anrühren für Babybrei. Grundsätzlich kann Beikost aber auch im Haushalt selbst hergestellt werden, angepasst an den Bedarf und das Verdauungssystem des Säuglings.
Ab dem siebten Lebensmonat und mit dem Durchbruch der Zähne wird die Auswahl der angebotenen Nahrung erweitert, es kommen Lebensmittel mit fester Konsistenz hinzu. Ab einem Jahr können Kleinkinder allmählich dieselbe Kost essen wie Erwachsene.
Anthropologie
Bis zur jüngsten Vergangenheit hatten Säuglinge in den ersten Monaten nur eine Überlebenschance, wenn sie mit Muttermilch gestillt wurden, entweder von der leiblichen Mutter oder von einer Amme, da keine adäquate Ersatznahrung zur Verfügung stand. Die Verwendung von Tiermilch als Säuglingsnahrung war jedoch seit der Einführung der Tierzucht im Neolithikum möglich. Diese Praxis belegen Funde von Trinkhörnern aus Ton oder den Hörnern von Schafen und Ziegen in Kindergräbern aus der Zeit um 4000 v.Chr., in denen Milchreste festgestellt werden konnten. Die Hörner waren an einer Seite geschlossen und an der anderen mit einem Sauglappen versehen. Es ist jedoch nicht möglich zu rekonstruieren, ab welchem Alter diese Trinkhörner für Kleinkinder verwendet wurden.[5] [6]
Ob es eine biologisch determinierte „natürliche Stilldauer“ gibt, ist wissenschaftlich umstritten. Die in der Literatur genannten Werte für angeblich biologisch determinierte Stillzeiten reichen von neun Monaten analog zur Dauer einer Schwangerschaft bis zu 7 Jahren, wenn das Gebiss vollständig vorhanden und ein Drittel des Erwachsenengewichts erreicht ist.[7]
Wie lange die Kinder in prähistorischer Zeit Muttermilch erhielten, lässt sich anhand von Skelettfunden in etwa bestimmen, die Isotop-Analysen erlauben jedoch keine Aussage darüber, ab welchem Zeitpunkt Kleinkinder zusätzlich andere Nahrung erhielten. Vollständig abgestillt wurden Kinder nach diesen Befunden erst im Alter von fünf bis sieben Jahren.[6] Als Hinweis auf die frühzeitliche Stilldauer wird die Nachweisbarkeit des Enzyms Laktase bei Kindern in laktoseintoleranten Kulturen gedeutet, das für die Verdauung der Laktose in der Muttermilch benötigt wird. Die Enzymproduktion endet dort überwiegend im dritten Lebensjahr; die Angaben für verschiedene Ethnien reichen von einem Jahr bis vier Jahre.[6] Einen weiteren Anhaltspunkt gibt die Reproduktionsrate, da die Laktation bei Frauen in der Regel den Eisprung unterdrückt und so während der Stillzeit eine erneute Schwangerschaft verhindert. Statistisch wurden die Frauen in der prähistorischen Phase der Jäger und Sammler nur alle vier Jahre schwanger, nach der Sesshaftigkeit im Neolithikum dagegen alle zwei Jahre.[8]
Als Vergleichswerte ziehen Anthropologen auch die Daten anderer Primaten heran. Wild lebende Schimpansen haben im Schnitt alle fünf Jahre Nachwuchs, Orang-Utans alle sieben Jahre, wobei die Laktationszeit eine wichtige Rolle spielt. In Zoos lebende Gorillas stillen ihren Nachwuchs nur halb so lange wie ihre wilden Artgenossen. Es wurde auch festgestellt, dass ranghöhere Affenweibchen kürzer säugen und in kürzerem Abstand schwanger werden als rangniedrigere, weil sie über bessere Nahrungsquellen verfügen. Daraus folgt laut Jonathan Wells, „dass früheres Abstillen in einer nahrungsreichen Umgebung ein allgemeines Merkmal der Ernährung von Primaten ist.“[8] Kennzeichnend für die Muttermilchbildung bei Primaten sei gerade die große Flexibilität der Laktationsdauer je nach den Erfordernissen, die Annahme einer genetisch fest vorgegebenen Stillzeit sei daher nicht plausibel.[8] „(…) der Säugling kann in einer nahrungsreichen Umgebung früher abgestillt werden, teilweise weil alternative Nahrung verfügbar ist und teilweise weil die gut genährte Mutter den Säugling auch ohne intensives Säugen mit adäquater Milch versorgen kann.“[9]
Da bei den Primaten die Spezies die längsten Säugezeiten aufweisen, deren Nachwuchs am langsamsten wächst und eine relativ lange Kindheit hat, müssten Menschen theoretisch die längste Stillphase aller Primaten aufweisen. Das war jedoch bereits in der Frühphase der Menschheit nachweislich nicht der Fall. G.E. Kennedy nimmt auf Grund der Daten von Naturvölkern eine durchschnittliche natürlich Stillzeit von zwei bis drei Jahren an und erklärt den Zeitpunkt des Abstillens damit, dass ein Kleinkind mit drei Jahren wegen des großen Energieverbrauchs des menschlichen Gehirns durch Muttermilch nur noch unzureichend ernährt werden könne; es erhalte nur noch 50 bis 80 Prozent der benötigten Proteinmenge. Ab diesem Zeitpunkt wäre weiteres Stillen unökonomisch.[7] Der Ernährungsbedarf des Säuglings kann aber bereits ab dem zweiten Lebenshalbjahr durch Muttermilch allein nicht mehr vollständig gedeckt werden.
Die Anthropologin Katherine Dettwyler geht davon aus, dass das „natürliche Abstillalter“ bei Kindern frühestens bei 2,5 Jahren liegt, spätestens bei sieben Jahren. Das lasse sich aus Vergleichen mit anderen Primaten und Naturvölkern ableiten.[10] „Menschenkinder sind wie ihre nicht-menschlichen Verwandten der Primaten so konstruiert, dass sie die Vorzüge der Muttermilch und des Stillens für mindestens 2,5 Jahre erwarten.“[11] Die Phase der Gewöhnung an Erwachsenenkost dauere bei Naturvölkern insgesamt rund sieben Jahre.[11] Die zugefütterte feste Kost wird von der Mutter für die Kleinkinder vorgekaut; diese Praxis war vermutlich bereits in der Steinzeit üblich.
Kulturgeschichte
Antike und Mittelalter
Aus der griechischen Epoche im Alten Ägypten sind Verträge mit Ammen erhalten, in denen die Stillzeit auf sechs Monate und den Beginn des Zahnens festgelegt wird; anschließend sollte 18 Monate lang Tiermilch gegeben werden, von Kamelen, Ziegen, Schafen oder Kühen. Zugefüttert wurden in dieser Zeit Eier, Obst und Gemüse.[5]
In der Bibel wird die Beschäftigung von Ammen erwähnt, zum Beispiel im 1. Buch Mose, als der ausgesetzte Säugling Mose gefunden wird. Der Koran legt die Stilldauer explizit auf mindestens zwei Jahre fest. Nach dem Talmud sollen Babys 18 bis 24 Monate lang gesäugt werden.[6] Im antiken Rom wurden Kinder der Oberschicht offenbar bereits sehr früh abgestillt, was Soranos kritisiert, der von „voreiligen Müttern“ spricht, die den Kleinen bereits nach 40 Tagen Getreidebrei gäben, weil sie das Stillen als Last empfänden. Er empfahl als erste feste Nahrung eingeweichtes Brot, später Dinkelsuppe, eine Art Porridge, und weich gekochte Eier. Der antike Mediziner Galenos empfahl, Kleinkinder erst mit drei Jahren völlig abzustillen.[12]
Wie in vielen Kulturen galt auch in Europa jahrhundertelang die Muttermilch der ersten Tage (Kolostrum), die ernährungsphysiologisch besonders wertvoll ist, als schlecht und schädlich für den Säugling. Er wurde in den ersten Tagen daher nicht von der Mutter gestillt, sondern erhielt reifere Milch von anderen Frauen, sehr häufig als Ersatz aber auch gesüßten Wein, Honig, Sirup, Butter oder andere Substanzen. Erbrechen des Säuglings in dieser Phase wurde als notwendiger Reinigungsvorgang interpretiert.[13]
Im Mittelalter wurden Kinder im Schnitt ein bis zwei Jahre lang gestillt und erhielten weiche Beikost, sobald die ersten Zähne kamen. Konrad von Megenberg erwähnt 1352 in seinem Hausbuch Ökonomik, dass Kleinkinder nur in ärmeren Familien deutlich länger als ein Jahr gestillt werden.[14] Seit dem Hochmittelalter breitete sich in Europa die Beschäftigung von Ammen in der Oberschicht aus, vor allem in Frankreich und Italien, weniger stark in Deutschland und England, wo die Ammen im Unterschied zu Frankreich mit im Haushalt lebten. Die Folge war in allen Ländern ein deutlicher Anstieg der Säuglingssterblichkeit. Dennoch beschäftigte in der Frühen Neuzeit zunehmend auch das städtische Bürgertum Ammen.[15] Als ein Grund wird die von der Kirche verordnete sexuelle Abstinenz für stillende Mütter angesehen; es wurde befürchtet, dass eine Schwangerschaft die Qualität der Muttermilch beeinträchtige. „Für die Oberschichten wird deshalb eine Rivalität zwischen Sexualität bzw. weiterer Nachkommenschaft und Kindswohl während der Stillphase angenommen. (…) Zudem wurde Stillen als eine niedere, eher animalische Tätigkeit angesehen.“[16]
Die verbreitetste Babynahrung neben Milch bestand jahrhundertelang aus Mehlbrei und Brotsuppe. [13] Das erste deutschsprachige Buch über Säuglingspflege und Pädiatrie verfasste der Augsburger Arzt Bartholomäus Metlinger im Jahr 1473 (Ein Regiment der jungen Kinder), adressiert an Mütter und Väter. Darin rät er, Neugeborene die ersten 14 Tage nicht von der Mutter stillen zu lassen, da die frühe Muttermilch für das Kind schädlich sei. Bereits sehr früh sollten die Babys nicht nur von einer Amme oder der Mutter gesäugt werden, sondern zusätzlich Brei erhalten, bei Stillproblemen umso mehr Brei. Der Medizinprofessor Bartholomäus Scherrenmüller übersetzte 1493 eine lateinische Abhandlung von Wilhelm von Saliceto aus dem 13. Jahrhundert ins Deutsche. Darin wird empfohlen, zwischen sechs und zwölf Monaten abzustillen. Danach sei das Kind außer mit Mehlbrei mit Reispudding, eingetunktem Brot und etwas weichem Fleisch zu füttern.[14]
Neuzeit
Bis ins 18. Jahrhundert hinein änderte sich die Babynahrung im Grunde nicht. Es gab jedoch Regionen in Europa, in denen die Säuglinge teilweise seit dem späten Mittelalter überhaupt nicht gestillt wurden und bereits als Neugeborene Tiermilch oder Brei erhielten, und zwar bei allen Bevölkerungsschichten. Belege für diese Praxis gibt es für Niederbayern, Teile Württembergs, Böhmen, Teile der Schweiz, das österreichische Tirol, Norditalien, Finnland, Schweden, Russland und Island.[13] [12] Seit der Aufklärung erschienen zahlreiche medizinische Schriften, die Mütter zum Stillen anhielten, doch in diesen Regionen blieben sie wirkungslos, obwohl die Säuglingssterblichkeit bei nicht gestillten Kindern wesentlich höher war. In Niederbayern bestand diese Tradition noch um 1900 bei Dreiviertel aller Mütter, wie Befragungen bei Impfterminen ergaben, während in Oberfranken 80 Prozent stillten. In München lag die Stillquote zwischen 1861 und 1886 unter 20 Prozent.[17] „Südlich von der Donau ist es beim Landvolk allgemeine Sitte, die Kinder nicht an der Brust, sondern auf künstliche Weise aufzuziehen. Die Bauersfrauen verwerfen das Säugen als eine Unbequemlichkeit, ja sogar als ein Geschäft, das unter ihrer Würde sei. An die Stelle der Muttermilch tritt hier die unpassendste Nahrung, nämlich ein Milchbrei von möglichster Dicke, der dem Kinde in großer Masse und oft auch in schlechter, saurer Qualität beigebracht wird“, schrieb ein Medizinhistoriker 1865 über Württemberg.[17] Ein bayerischer Arzt bezeichnete 1871 stillende Frauen als Ausnahme, die Säuglinge erhielten stattdessen Mehlbrei und Zuckerwasser. „Selbst die Kuhmilch wird in manchen Gegenden Schwabens aus Geiz, um dieselbe zur Käsebereitung verkaufen zu können, entzogen.“[17]
Ein Grund für den weitgehenden Stillverzicht ganzer Regionen dürfte die starke Inanspruchnahme der Frauen als Arbeitskräfte gewesen sein. Ein süddeutscher Pfarrer berichtete 1868: „eine Mutter wird als übertrieben faul verschrieen, wenn sie sich entschliesst und Zeit nimmt, ihrem Kinde die Brust zu reichen, und darum macht sie es am Ende lieber wie die anderen und lässt es bleiben.“[18] Ähnliches galt für Schweden. Im Jahr 1749 ließ die Regierung auf Grund der hohen Säuglingssterblichkeit eine landesweite Erhebung durchführen. Besonders hoch war sie im äußersten Norden, wo etwa die Hälfte aller Kinder im ersten Lebensjahr starb. Hier war es seit Generationen üblich, die Babys vom ersten Tag an mit Kuhmilch zu füttern, wofür ein Kuhhorn benutzt wurde. War der Säugling etwas älter, wurde das gefüllte Horn so über die Wiege gehängt, dass das Kind ohne Hilfe daraus trinken konnte. Die Hörner wurden selten gereinigt und enthielten Bakterien, die Milch verdarb darin sehr schnell. Als Begründung für diese Praxis gaben die Mütter an, dass sie auf Grund ihrer Arbeit in der Landwirtschaft keine Zeit hätten zu stillen.[19]
In den Erntemonaten starben allgemein mehr Kleinkinder als im Winter. „Phasen starker Arbeitsintensität in der Landwirtschaft gingen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in den meisten europäischen Ländern mit einer erhöhten Säuglingssterblichkeit einher.“[20] Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 legte fest: „Eine gesunde Mutter ist ihr Kind selbst zu säugen verpflichtet (…) Wie lange sie aber dem Kinde die Brust reichen solle, hängt von der Bestimmung des Vaters ab.“[21]
Seit dem 18. Jahrhundert bezeichneten Mediziner das Stillen als „natürliche Pflicht“ der Mutter und kritisierten den Einsatz von Ammen. Auch der bislang übliche Mehlbrei galt nun als schädlich für Magen und Darm der Säuglinge. Die ersten sechs Monate sollte das Kind nur Milch bekommen, danach zusätzlich eine mit Milch zubereitete Brotsuppe oder eine Biersuppe mit Butter und Zucker. Geeignet seien auch „süße Molken“, für die man frische Milch und gequirltes Ei kochen sollte; die oberste Schicht wurde dann abgeschöpft.[22] „Wenn das Kind aus der ersten Woche heraus ist, kann man diese Molken nach und nach mit Semmel-Krume oder Reiß kochen, und so können die Kinder allein damit groß gezogen werden. (…) Wenn ein Kind nur das erste Vierteljahr überstanden hat, so kann es schon an andere Suppen, auch sogar an dünne Fleisch-Suppen, gewöhnt werden.“[22] Man fütterte die Babys mit dem Löffel oder benutzte so genannte „Lutschkännchen“ oder eine Art Trinkhalm mit einem Schwämmchen oder Läppchen als Sauger.[22]
19. und 20. Jahrhundert
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Kinder in Deutschland allmählich entwöhnt, sobald sie Zähne bekamen. „Will man naturgemäß verfahren, so reicht man dem Kinde bis zum 6. Lebensmonat ausschließlich die Brust, sodann gibt man täglich einmal, nach einigen Wochen zweimal (…) eine Untertasse voll dünner Milch- oder (…) Fleischbrühsuppe (…) oder zur Abwechslung Wassersuppe mit Grieß, Reis, Sago.“[23] Da die deutsche Bevölkerungsstatistik auch Angaben zur Säuglingsernährung enthielt, ist belegt, dass die Stillquote in den Städten als Folge der Industriellen Revolution deutlich zurückging, in Berlin zwischen 1885 und 1910 um 27 Prozent; die Stilldauer sank dort im Schnitt von 8,5 auf zwei Monate.[12]
Ende des 19. Jahrhunderts wurden nicht gestillte Neugeborene in Deutschland mit abgekochter Kuhmilch gefüttert, die mit Wasser, Fencheltee oder Haferschleim verdünnt und mit Milchzucker versetzt wurde, teilweise auch mit Natron. Auf dem Markt gab es inzwischen einen speziellen Kochapparat, mit dem die Milchrationen in kleinen Flaschen sterilisiert werden konnten. Da die Frischmilch in den Städten oft verfälscht wurde, empfahlen Mediziner als Alternative verdünnte Kondensmilch, es gab außerdem Milchkonserven.[24]
In den USA wurde Kuhmilch bis in die 1920er Jahre meistens nicht abgekocht, weil man das fälschlich für eine Ursache von Vitaminmangel und Skorbut hielt. Die Sterberate nicht gestillter Säuglinge war deshalb deutlich höher als in Europa. Erst als Babys Fruchtsaft erhielten und dadurch weniger Skorbut auftrat, stieg die Popularität von Kuhmilch als Muttermilchersatz. Obst und Gemüse wurden lange Zeit als für Babys ungeeignet angesehen. Bis in die 1920er Jahre erhielten Säuglinge in den USA erst mit etwa einem Jahr Gemüsesuppe, mit 18 Monaten zusätzlich Kartoffeln, anderes Gemüse erst ab zwei Jahren. Erst in den 1930er Jahren wurde das Zufüttern von püriertem Obst und Gemüse ab sechs Monaten empfohlen. In den 1960er Jahren war es dann schon nach wenigen Wochen üblich.[25]
Bis in die 1950er Jahre stellten amerikanische Mütter Flaschennahrung selbst her, indem sie Milch oder Kondensmilch, Wasser und Maissirup mischten. [25] In Deutschland war es dagegen üblich, Milch mit Haferflocken zu füttern; in den 1950er Jahren kamen so genannte Schmelzflocken auf den Markt.[26]
Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden in Krankenhäusern auch Milchbanken für Muttermilch. Das Konzept bestand darin, Milchspenden von stillenden Frauen mit überschüssiger Milch anzunehmen und unterernährte oder kranke Säuglinge damit zu füttern. Die vermutlich weltweit erste so genannte Frauenmilchsammelstelle (FMS) wurde 1909 in Wien eröffnet. 1919 folgten Sammelstellen in Boston und in Magdeburg durch die Kinderärztin Marie Elise Kayser (1895–1950). In Magdeburg wurde die abgepumpte Milch zweimal täglich bei den Spenderinnen abgeholt und im Krankenhaus abgekocht. Im ersten Jahr kamen 424 Liter zusammen, ein Jahr später die doppelte Menge. Die Sammelstelle wurde jedoch 1922 aufgegeben. Kayser gründete 1925 eine weitere FMS in Erfurt, andere Städte folgten diesem Beispiel. Die DDR institutionalisierte das System und ordnete per Gesetz die Einrichtung von Muttermilch-Sammelstellen in allen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern an. [27] [28] In der DDR gab es diese Milchbanken bis 1989, einige existieren auch heute noch, die letzten westdeutschen Sammelstellen wurden in den 1970er Jahren geschlossen. 1989 wurden nach offiziellen Angaben in der DDR insgesamt über 200.000 Liter Muttermilch gespendet, allein in Leipzig 10.000 Liter von 93 Frauen.[29] Im Jahr 2000 wurden hier nur noch 1800 Liter von 44 Spenderinnen angenommen.[30] Muttermilchbanken gibt es unter anderem auch in Schweden und Dänemark sowie in den USA.[29]
Fertignahrung
Die erste Fertignahrung für Babys entwickelte Justus von Liebig im Jahr 1865, zunächst in flüssiger Form als „Suppe für Säuglinge“. Einige Zeit später brachte er eine Fertignahrung in Pulverform auf den Markt, die allgemein als Kindermehl bezeichnet wurde. Beide Produkte wurden ab 1866 in mehreren europäischen Ländern verkauft, wobei Liebigs Renommee zum Verkaufserfolg beitrug. Es handelte sich aber noch nicht um ein Instantprodukt, das nur mit Wasser oder Milch angerührt wurde, sondern um mehrere Komponenten. Um die Verdaulichkeit zu verbessern, setzte Liebig auf eine Art von „Vorverdauung“ der Stärke durch einen Maischprozess. Die Mütter stellten einen Brei aus Mehl und Milch her, versetzten ihn mit Gerstenmalz und doppelt kohlensaurem Kalisalz, wärmten ihn und ließen ihn eine halbe Stunde stehen.[31] „Das ganze Prozedere war also nicht nur umständlich, sondern vor allem zeitaufwändig. Bis man dem Kind etwas zu essen geben konnte, war über eine Stunde vergangen“[31]. Liebigs Produkte wurden zunächst in Apotheken verkauft und wegen der komplizierten Zubereitung teilweise dort auch schon fertig hergestellt. In München boten zwei Apotheker frisch zubereitete Liebig-Suppe in Einzelportionen an; 1866/67 verkaufte alleine eine davon innerhalb von elf Monaten 30.000 Portionen.[31]
Kurze Zeit später folgte in der Schweiz Henri Nestlé mit einem Produkt, das Liebigs Rezeptur mit kondensierter Milch kombinierte und das im Frühjahr 1868 als Pulver (Kindermehl) auf den Markt kam. Es wurde mit Wasser aufgekocht. Im ersten Jahr verkaufte er 8600 Dosen, 1875 waren es 1,44 Millionen. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Fertigprodukt bereits in 18 Ländern vertrieben, die größten Umsätze wurden in Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Russland und Österreich erzielt. Nestlé war einer der ersten Unternehmer seiner Zeit, der mit großem Aufwand für seine Produkte warb.[31] Philipp Biedert analysierte zu dieser Zeit als erster die chemische Zusammensetzung von Muttermilch und Kuhmilch und entwickelte anhand dieser Erkenntnisse ein Präparat, das als Biedert’s Rahmgemenge in Apotheken verkauft wurde. 1874 folgte als Instantversion Biedert’s Kindernahrung in Dosen, deren Inhalt von butterähnlicher Konsistenz nur noch mit Wasser oder Milch verrührt werden musste.[31] Außerdem kam eine so genannte peptonisierte Milch unter dem Namen Voltmersche Milch in den Handel, der Verdauungsenzyme der Bauchspeicheldrüse zugesetzt waren, um die Milch so künstlich „vorzuverdauen“.
Zahlreiche Hersteller folgten innerhalb kurzer Zeit mit Nachahmerprodukten, die ebenfalls als Kindermehl bezeichnet wurden. „Die meisten Kindermehle sind in der Weise hergestellt, daß Kuhmilch zu sirupartiger Konsistenz verdampft und dann, mit aufgeschlossenem Getreidemehl und mehr oder weniger Zucker vermischt, eingetrocknet und gemahlen wird. Andere haben statt der Milch nur einen Zusatz von Fett (Rahm oder Butter) erhalten, die übrigen sind nichts als aufgeschlossene und besonders präparierte Mehle von Getreide oder Hülsenfrüchten oder einem Gemisch beider.“[32] Die Pulver wurden von jüngeren Säuglingen in der Regel aber nicht gut vertragen, außerdem enthielten sie weder Vitamine noch Mineralstoffe, da deren Bedeutung noch nicht bekannt war.[24]
Der amerikanische Lebensmittelhersteller Gerber war im Jahr 1928 das erste Unternehmen weltweit, das püriertes Obst und Gemüse in Dosen als Babynahrung anbot. Die ersten Produkte waren Erbsen, Karotten, Spinat und Pflaumen.[33]
1929 kam in den USA das erste Fertigpräparat auf der Basis von Sojamehl anstelle von Milchpulver auf den Markt. Auf Grund des hohen Ballaststoffgehalts bekamen die Säuglinge davon jedoch Durchfall. Seit Mitte der 1960er Jahre wird Säuglingsnahrung aus Soja deshalb aus isolierten Sojaproteinen hergestellt.[25]
1932 stieg die Firma Milupa mit Paulys Nährspeise, die aus in Milch aufgelöstem Zwiebackmehl bestand, in die Produktion von Säuglingsnahrung ein. Der Münchner Kinderarzt Günther Malyoth entwickelte 1934 einen „Säuglingsnährzucker“ unter dem Namen Alete. Die Markenrechte besitzt heute das Unternehmen Nestlé. Es brachte zeitgleich mit Hipp Mitte der 1950er Jahre die ersten Gemüsebreie für Babys als Konserven auf den Markt, seit 1959 abgefüllt in Gläschen.[34] 1959 gab es fertigen Griesbrei von Milupa. Fünf Jahre später entwickelte das Unternehmen die erste synthetische Milch namens Milumil.[35] In der Nachkriegszeit wurden die Milchpräparate immer stärker an die Zusammensetzung von Muttermilch angeglichen und als „humanisiert“ oder „adaptiert“ bezeichnet. In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem hypoallergene Produkte entwickelt.
Industriell hergestellte Babynahrung
Säuglingsanfangsnahrung
Als Säuglingsanfangsnahrung werden lebensmittelrechtlich alle Lebensmittel und Produkte bezeichnet, die speziell für die Ernährung in den ersten sechs Lebensmonaten bestimmt sind und alle Nährstoffe enthalten, die der Säugling benötigt. Die natürliche Anfangsnahrung ist die Muttermilch. Für die Zubereitung der Fertigprodukte wird in manchen Fällen noch Wasser hinzugefügt. Industriell hergestellte Anfangsnahrung aus Kuhmilch wird als Säuglingsmilchnahrung bezeichnet.[36] Bei den Fertigprodukten wird in Deutschland unterschieden zwischen Pre-Nahrung (früher adaptierte Säuglingsmilchnahrung), die weitgehend der Zusammensetzung der Muttermilch entspricht und als einziges Kohlenhydrat Laktose enthält, und 1-Nahrung (früher teiladaptierte Säuglingsmilchnahrung), in der auch andere Kohlenhydrate wie Saccharose vorkommen. Die Pre-Nahrung ist vor allem für Neugeborene besser verträglich.[3] Für unreife Frühgeborene gibt es spezielle Fertigprodukte mit erhöhtem Kohlenhydratanteil und weniger Laktose. Der Energiegehalt liegt mit 80 kcal/dl (335 kJ/dl) um 10–20 kcal/dl über dem von normaler Anfangsnahrung und auch von Muttermilch. [37]
Folgenahrung
Folgenahrung für Säuglinge sind im Lebensmittelrecht alle Lebensmittel und Produkte, die speziell für Säuglinge etwa ab dem vierten Monat bestimmt sind und wie die Anfangsnahrung eine flüssige Konsistenz haben, aber mehr Kohlenhydrate in Form von Stärke enthalten. Produkte, die ausschließlich auf der Basis von Kuhmilch hergestellt werden, heißen Folgemilch. Die Zusammensetzung muss nach der Diätverordnung den kompletten Ernährungsbedarf des Babys decken. Für die Zubereitung wird teilweise Wasser zugefügt.[38]
Spezialnahrung
Kinder von Allergikern haben eine erhöhte erbliche Allergieneigung. Da bei Babys die Darmschleimhaut noch durchlässig ist und artfremdes Eiweiß, zum Beispiel aus Kuhmilch, eine Lebensmittelallergie auslösen kann, gibt es auf dem Markt so genannte hypoallergene Säuglingsnahrung, auch Hydrolysat-Formula oder HA-Nahrung genannt, bei der das enthaltene Eiweiß durch Hydrolyse gespalten oder denaturiert wurde. Diese Produkte werden therapeutisch bei festgestellter Eiweißallergie eingesetzt, aber auch das Allergierisiko soll nach Herstellerangaben dadurch verringert werden. Bei der Aufspaltung des Caseins in Kuhmilch werden jedoch bittere Peptide freigesetzt, so dass diese Produkte bitter schmecken.[3] [39] Besonders stark hydrolisierte Formulaprodukte werden auch als semi-elementare Nahrung bezeichnet. Lebensmittelrechtlich handelt es sich dabei um „Heilnahrung“, die therapeutisch bei Erkrankungen wie Durchfall und Dyspepsie eingesetzt wird.
Da bei gestillten Babys in der Darmflora vor allem Bifidusbakterien vorkommen, die für einen pH-Wert sorgen, der die Vermehrung von Fäulnisbakterien hemmt und das Risiko von Darminfektionen und Durchfall deutlich verringert, setzen Hersteller einigen Fertigprodukten mittlerweile so genannte Probiotika oder Prebiotika (spezielle Ballaststoffe) zu, die ebenfalls zur Bildung dieser Bakterien im Darm führen sollen. Als positive Effekte dieser probiotischen Säuglingsnahrung werden die Prävention von Durchfall, Verstopfung und atopischen Ekzemen angegeben.[40] Die gewünschte Veränderung der Darmflora durch Probiotika wurde in Studien nachgewiesen, über die Wirkung stehen entsprechende Studienergebnisse noch aus.[41]
Werberichtlinien
Innerhalb der EU gibt es Richtlinien für die Werbung von Säuglingsfertignahrung, die alle Werbemaßnahmen verbieten, die darauf ausgerichtet sind, Mütter gezielt vom Stillen abzuhalten. So nimmt Richtlinie 91/321/EWG Bezug auf den Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatz. Die Richtlinien werden in den Ländern jeweils durch nationale Gesetze umgesetzt, in Deutschland durch das Säuglingsnahrungswerbegesetz von 1994. Danach ist es verboten, Fertigprodukte als der Muttermilch völlig gleichwertig oder überlegen darzustellen. Erlaubt sind nur wissenschaftlich bestätigte Sachaussagen über die Produkte. Die Begriffe „humanisiert“ und „maternisiert“ dürfen nicht mehr verwendet werden, für den Begriff „adaptiert“ gibt es genaue Vorgaben. Eine idealisierte Darstellung von Flaschennahrung durch Text oder Bild ist verboten. Die Hersteller müssen in Broschüren u. Ä. immer auf die Vorzüge von Muttermilch hinweisen. Auch das Verteilen kostenloser oder verbilligter Produktproben ist nicht erlaubt.[42]
Allgemeiner gesprochen beinhalten auch die Europäischen Richtlinien 2006/82/EG[43], 1999/21/EG[44], 96/4/EG[45] und 91/321/EWG[46] Regelungen zur Säuglingsfertignahrung.
Vermarktung von Babynahrung in Entwicklungsländern
Die Vermarktung von Milchpulver und Säuglingsnahrung in so genannten Entwicklungsländern und die Lieferung solcher Produkte als Nahrungsmittelhilfe ist seit den 1970er Jahren umstritten. Ausgelöst wurde die öffentliche Diskussion in Europa und in den USA vor allem durch den Hersteller Nestlé, der durch massive Werbekampagnen in afrikanischen Ländern in die Kritik geraten war. Nestlé wurde vorgeworfen, nicht nur in Massenmedien für seine Fertigmilch zu werben und Müttern zu suggerieren, ihre Produkte seien besser für Säuglinge als Muttermilch, sondern auch Direktmarketing durch das Verteilen von Gratisproben zu betreiben und in Krankenhäusern so genannte „Milchschwestern“ einzusetzen, die den Müttern von Neugeborenen Nestlé-Produkte anboten. Diese Werbestrategien waren erfolgreich und führten zu sinkenden Stillraten in Entwicklungsländern. Da in diesen Ländern das Trinkwasser häufig verunreinigt ist, stieg durch unsachgemäße Zubereitung der Flaschennahrung die Säuglingssterblichkeit an. Viele Mütter konnten die Hinweise auf den Packungen nicht lesen. Oft wurden die teuren Präparate zu stark mit Wasser verdünnt, so dass die Nährstoffversorgung der Kinder unzureichend war.[47]
Der Mediziner Derrick Jelliffe prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „kommerziogene Fehlernährung“. 1970 war die massive Werbung der Hersteller von Säuglingsnahrung in Entwicklungsländern erstmals Thema einer Beratungskommission der UNO. Im Jahr 1974 veröffentlichte die englische Organisation War on Want einen kritischen Bericht über mehrere Unternehmen mit dem Titel The Baby Killer, wobei sich das Wort „Killer“ auf die Babyflasche bezog. Die schweizerische Arbeitsgruppe Dritte Welt Bern gab eine leicht veränderte deutsche Übersetzung der Publikation heraus mit dem Titel Nestlé tötet Babies. Nestlé erhob daraufhin Klage wegen Ehrverletzung. 1976 wurde die Aktionsgruppe wegen des Titels zu einer Geldbuße von 300 Franken verurteilt. Im Urteilsspruch hieß es, die übrigen in der Publikation erhobenen Vorwürfe zur Vermarktung würden ausreichend belegt.[48]
Eine Folge der öffentlichen Diskussion und des Nestlé-Prozesses war die gesetzliche Regelung der Herstellerwerbung für Babyfertignahrung.
Die Lieferung von Milchpulver an Staaten der so genannten Dritten Welt hatte auch wirtschaftliche Gründe, denn in mehreren europäischen Ländern wie der Schweiz und Deutschland gab es eine Überproduktion bei der Milcherzeugung (Milchsee). In der Schweiz begannen die staatlich subventionierten Lieferungen von Milchpulver Anfang der 1960er Jahre. Der Schweizer Milchverband startete eine Sammelaktion unter dem Namen Milchspende UNICEF – Milch für unterentwickelte Mütter und Kinder. Die Schweizer Nahrungsmittelhilfe bestand 1962 ausschließlich aus Milchpulver, 1975 nur noch zu 54 %, 1980 zu 68 %.[48]
Grundsätze der Zubereitung
Fertigpräparate müssen mit abgekochtem Trinkwasser zubereitet werden. Der Nitratgehalt darf 10 mg/Liter nicht überschreiten, weil sonst das Risiko einer Methämoglobinämie besteht.[3] Wasser aus Bleirohren soll ebenso wenig verwendet werden wie solches aus Wasserfiltern. Bei Kupferleitungen muss das Standwasser erst ablaufen bis das Frischwasser spürbar kälter wird, bevor es zur Zubereitung von Fertignahrung benutzt werden darf. [49] Nach den Empfehlungen der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde soll Säuglingsnahrung „grundsätzlich mit abgekochtem Trinkwasser zubereitet werden. Steht dieses ausnahmsweise einmal nicht in der erforderlichen Qualität zur Verfügung, so soll auf "abgepacktes Wasser" (Mineral-, Quell- oder Tafelwasser), das mit dem Hinweis "geeignet für die Zubereitung von Säuglingsnahrung" versehen ist, zurückgegriffen werden.“[50] Solches abgepacktes Wasser, das auch „Babywasser“ genannt wird, muss Grenzwerte einhalten, die weit niedriger liegen als für Erwachsene, da Säuglinge gemessen am Körpergewicht einen weit höheren Flüssigkeitsumsatz haben und Schadstoffe auf sie einen weit größeren Einfluss haben können als auf Erwachsene.[50] Die Höchstwerte liegen bei 20 mg/l Natrium, 10 mg/l Nitrat, 0,02 mg/l Nitrit, 0,7 mg/l Fluorid, 240 mg/l Sulfat, 0,05 mg/l Mangan und 0,005 mg/l Arsen;[51] im Dezember 2006 wurde zusätzlich ein Grenzwert von 2 µg/l für Uran festgelegt.[52]
Allergiepotenzial von Babynahrung
Da das Immunsystem von Säuglingen noch nicht entwickelt ist, besteht eine erhöhte Anfälligkeit für Allergien, vor allem für Kinder von Atopikern. Die häufigste Form im Säuglingsalter ist eine allergische Reaktion auf Produkte, die Kuhmilch enthalten, ausgelöst durch artfremdes Eiweiß. Bei einer allergischen Reaktion auf Casein besteht auch eine Allergie gegen die Milch anderer Tiere. Betroffen sind bis zu sieben Prozent aller Babys. Häufige Symptome sind Koliken, Durchfall und das Atopisches Ekzem in Form seiner Erstmanifestation als Milchschorf. Bei den meisten Kindern verschwindet die Eiweißallergie im Kleinkindalter jedoch wieder.[53]
Muttermilch enthält kein artfremdes Eiweiß und gilt daher als „hypoantigen“. „Sie stellt aber keinen absoluten Schutz vor der Manifestation der atopischen Anlage dar, u. a. weil unter bestimmten Bedingungen Spuren antigen wirksamer Nahrungsbestandteile in der Muttermilch vorkommen können.“[54] Bei allergischen Reaktionen empfehlen Mediziner das Ausweichen auf spezielle Hydrolysatnahrung.
Auf dem Markt sind auch Fertigprodukte auf der Basis von Ziegenmilch erhältlich, die vom Hersteller auch zur alternativen Ernährung bei Kuhmilchallergie empfohlen werden. Ziegenmilch ist jedoch nach den EU-Richtlinien nicht als Proteinquelle für spezielle Säuglingsnahrung zugelassen, Angaben für eine therapeutische Verwendung sind für Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung im Gegensatz zu klinisch geprüfter Spezialnahrung nicht erlaubt. Zur Verträglichkeit von Ziegenmilch bei Säuglingen gibt es keine kontrollierten wissenschaftlichen Studien.[55] „Die Allergenität von Ziegenmilch und kuhmilchbasierter Säuglingsmilchnahrung zeigt, entgegen den Werbebehauptungen (…) bei in vitro Untersuchungen sowie in klinischen Studien praktisch keine Unterschiede.“[55]
Ebenfalls im Handel erhältlich und im Unterschied zu Ziegenmilchprodukten auch für Säuglinge zugelassen sind Präparate auf Sojabasis, die häufig als Alternative zu Kuhmilchprodukten angesehen werden. Ernährungsmediziner weisen jedoch darauf hin, dass auch Soja ein allergenes Potenzial hat. 30 bis 50 Prozent aller Säuglinge mit einer Kuhmilchallergie reagieren auch auf Sojaeiweiß. Kritisch bewertet wird außerdem der hohe Gehalt an Phytat, Aluminium aus Verunreinigungen und Phytoöstrogenen. Bei Frühgeborenen wurden negative Einflüsse auf die Gewichtszunahme und den Eiweißstoffwechsel festgestellt. Als Indikationen für Sojanahrung gelten daher nur eine seltene angeborene Laktoseintoleranz und Galaktosämie, nicht aber eine Kuhmilchallergie.[56] Das Bundesinstitut für Risikobewertung erklärte im Mai 2007: „Wie sich eine erhöhte Zufuhr an Isoflavonen bei Säuglingen langfristig auswirkt, ist nicht abschließend geklärt. Aus Vorsorgegründen schließt sich das BfR, solange keine weiteren Daten vorliegen, der Empfehlung der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin an. Danach sind Säuglingsnahrungen aus Sojaeiweiß kein Ersatz für Kuhmilchprodukte. Nicht oder nicht voll gestillte Säuglinge sollten sie nur in begründeten Ausnahmefällen und nach ärztlicher Empfehlung regelmäßig bekommen. Sojanahrung für Säuglinge ist nicht für die Ernährung gesunder Säuglinge gedacht.“[57]
Nahrungsmittel mit hohem Allergiepotenzial (Eier, Tiermilch, Fisch, Nüsse) sollten im ersten Lebensjahr vor allem bei bekannten Allergien in der Familie gemieden und nicht gefüttert werden. Zudem empfiehlt sich ein systematisches Vorgehen bei dem jeweils bei der Einführung neuer Nahrungsmittel beobachtet wird, ob allergische Reaktionen auftreten.
Ernährungsphysiologische Einordnung
Muttermilch ist die speziesspezifische Anfangsnahrung für Menschen, wodurch sie einzigartig und auf Grund ihrer komplexen Zusammensetzung industriell hergestellten Nahrungen (Formula-Nahrungen) überlegen ist. Sie gewährleistet nicht nur ein optimales Gedeihen, sondern schützt auch vor zahlreichen Infektionen und möglicherweise noch weiteren Risiken, darunter dem Plötzlichen Säuglingstod, Diabetes mellitus Typ I und II, Übergewicht, Hypercholesterinämie und Asthma. [58] Neben den gesundheitsfördernden Effekten ließen sich fördernde Einflüsse der Muttermilch auf die grob- und feinmotorische wie auch kognitive Entwicklung[59] der Kinder, nicht jedoch auf die Intelligenz nachweisen.[60] Diese positiven Effekte werden verschiedenen Inhaltsstoffen der Muttermilch zugeschrieben, die in Formula-Nahrungen nicht oder zumindest nicht in gleicher Menge enthalten sind. Dazu gehören neben intakten Zellen des Immunsystems und Immunglobulinen die Aminosäuren Taurin und Glutamin, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Polyamine, Nukleotide, Laktoferrin, Lysozym, Oligosaccharide, Inositol, Carnitin und Antioxidantien.[61] Festgestellte Rückstände schwer abbaubarer, gut fettlöslicher chlororganischer Verbindungen wie Hexachlorcyclohexan, DDT und Polychlorierte Biphenyle in der Muttermilch haben zeitweise zu einer Zurückhaltung beim Stillen geführt, da befürchtet wurde, der Säugling am Ende der Nahrungskette könnte diese Schadstoffe in zu hohen Mengen im Körper anreichern. Mittlerweile haben Studien ergeben, dass der Gehalt dieser Fremdsubstanzen in der Muttermilch wieder sinkt.[62] Wissenschaftler gehen davon aus, dass mögliche Nachteile durch die aufgenommene Menge durch die Vorteile der Muttermilch mehr als aufgewogen werden, wenn diese ab dem zweiten Lebensjahr - wie empfohlen - nicht mehr die Hauptnahrungsquelle darstellt.[63]
Möchte oder kann eine Mutter nicht stillen, stehen so genannte Formula-Nahrungen für die Flaschenernährung zur Verfügung. Diese sind idealerweise in ihrer Zusammensetzung bezüglich Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten vollständig der Muttermilch angepasst (adaptiert). Marketinginteressen haben daneben zur Entwicklung von Anfangsnahrungen und Folgemilch geführt, die nach Ansicht von Medizinern mehr suggerierten Bedürfnissen einer „kräftigeren Nahrung“ für einen älteren Säugling entsprechen als den realen ernährungsphysiologischen Bedürfnissen der Säuglinge. Sie sind allerdings etwas preiswerter. „Moderne Formelmilch-Produkte bringen allenfalls statistische Nachteile, das individuelle Outcome der Kinder ist in fast allen Fällen bezüglich seiner körperlichen Entwicklung optimal.“[63]
Bei regelmäßigem Konsum von Nikotin, Alkohol und anderen Drogen oder der Einnahme von Medikamenten durch die Mutter ist auf Grund der Schadstoffbelastung aus medizinischen Gründen die Ernährung des Kindes mit Fertigprodukten vorzuziehen. Außerdem kann eine Ansteckung mit HIV oder Tuberkulose durch infizierte Mütter bei Fertigpräparaten ausgeschlossen werden. Ein weiterer möglicher Vorteil ist die ausreichende Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen auch dann, wenn die Mutter unterernährt oder fehlernährt ist.[63]
Der im zweiten Lebenshalbjahr steigende Bedarf an Eisen und Calcium kann durch die Muttermilch alleine nicht mehr gedeckt werden, weshalb zu diesem Zeitpunkt Beikost eingeführt werden soll.
Selbst hergestellter Milchersatz für die erste Lebensphase wird von Medizinern und Ernährungswissenschaftlern sehr kritisch beurteilt und überwiegend abgelehnt. In einer Stellungnahme der DGE heißt es: „Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) bergen die Ernährung des Säuglings mit Frischkornmilch, mit dem Getreidetrank ‚Kokkoh‘ der Makrobiotiker oder mit einer rein pflanzlichen Reismilch Gesundheitsrisiken für das Kind, denn Rohmilch und über Nacht eingeweichtes Getreide können krankheitserregende Keime enthalten. Diese Produkte belasten zudem Magen und Darm des Säuglings, da sich die Stärkeverdauung erst während des ersten Lebensjahres allmählich entwickelt.“[64]
Geschmacksprägung
Das Geschmackssystem entwickelt sich beim Fötus bereits im Frühstadium der Schwangerschaft. Die Zunge mit den Geschmacksknospen entsteht im zweiten Schwangerschaftsmonat. Ab dem dritten Monat nimmt das Ungeborene den Geschmack des Fruchtwassers wahr; es trinkt davon täglich zwischen 200 und 760 ml. Schon vor der 28. Woche reagiert es nachweislich positiv auf süße Geschmacksreize und negativ auf Bitteres. Reaktionen auf Gerüche sind ab der 28. Woche beobachtet worden. In der Stillzeit werden Geschmacksvorlieben des Kindes nachweislich durch die Ernährung der Mutter beeinflusst, da Aromen der Nahrung in die Muttermilch übergehen. Bereits bekannter Geschmack von Lebensmitteln wird nach dem Abstillen bereitwilliger akzeptiert.[39]
Im Unterschied zu Muttermilch ist der Geschmack von Fertignahrung zumindest desselben Herstellers stets gleich, kann jedoch ebenfalls geschmacksprägend wirken. Früher wurde der Fertigmilch in Deutschland Vanillin zugesetzt. Bei einer Studie wurden heute 30- bis 40-jährige Probanden gebeten, zwei Ketchup-Sorten geschmacklich zu bewerten. Eine davon war mit Vanillin aromatisiert, in derselben Konzentration wie damals die Babynahrung. Zwei Drittel der Versuchspersonen, die diese Kost früher erhalten hatten, bevorzugten den Ketchup mit Vanille-Zusatz, aber nur 30 Prozent der ehemaligen Stillkinder.[65] Erhalten Säuglinge in einer frühen Phase hypoallergene Ersatzmilch, die relativ bitter schmeckt, tolerieren sie Bittergeschmack auch Jahre später in deutlich höherem Ausmaß als Gleichaltrige. Ab dem 5. Lebensmonat verweigern Babys bittere Milch, sofern sie vorher noch nicht damit gefüttert wurden.[66]
Andere Kulturen
Die Ernährung von Säuglingen ist Teil der Esskultur einer sozialen Gruppe und wird wie diese nicht nur von wissenschaftlichen und medizinischen Ansichten beeinflusst, sondern vor allem auch von kulturellen und sozialen Faktoren. „Und wie jedes andere Essverhalten haben Varianten des Stillverhaltens ihnen zugeschriebene Bedeutungen und Werte, die in Übereinstimmung stehen mit anderen Aspekten der (jeweiligen, erg.) Kultur (…)“.[67] In kulturellem und sozialem Kontext ist die Entscheidung, wie ein Säugling ernährt und ob und wie lange er gestillt wird, keine rein individuelle Entscheidung der Mutter, sondern immer beeinflusst von dem, was in ihrer Gesellschaft als Norm gilt.[8]
Während die Stillquote in traditionell geprägten Kulturen im ersten Lebensjahr der Kinder sehr hoch ist, ist ausschließliches Stillen nicht weit verbreitet. In den meisten Ländern erhalten die Babys bereits mit wenigen Wochen oder schon kurz nach der Geburt zusätzlich gesüßtes Wasser, Tiermilch oder auch schon andere Nahrung.[68]
Sowohl Muttermilch als auch anderen Nahrungsmitteln werden oft symbolische Bedeutungen zugeschrieben. So gibt es in mehreren Kulturen die Vorstellung, dass die von einer Amme gesäugten Kinder durch die aufgenommene Milch miteinander verbunden sind und eine Form der Verwandtschaft entsteht, zum Beispiel im Islam, der Ehen zwischen „Milchgeschwistern“ verbietet. Die Massai lassen angeblich Kinder vorher verfeindeter Stämme durch eigene Ammen stillen, um auf diese Weise den Friedensschluss zu symbolisieren. Bei den Murik aus Papua-Neuguinea ist es üblich, Babys in der zweiten Woche einen Brei zu geben, der als „die Knochen der Vorfahren“ bezeichnet wird; damit wird das Kind in die Gemeinschaft aufgenommen.[8]
Asien
Alte vedische Texte aus der Zeit um 1000 v.Chr. empfehlen, indische Kinder ein Jahr lang ausschließlich zu stillen, dann die Muttermilch durch Tiermilch und feste Nahrung zu ergänzen und ab zwei Jahren allmählich abzustillen. Wie in vielen Kulturen, galt die erste Muttermilch nach der Geburt (Kolostrum) als schädlich. Stattdessen erhielt das Neugeborene eine Mischung aus Honig, Ghee, Pflanzensaft und Goldstaub.[6] Das Füttern spezieller Säuglingsnahrung ist in Indien bis heute unüblich. Die meisten Mütter stillen mindestens sechs Monate lang ausschließlich und geben dann zusätzlich Tiermilch. Mit etwa einem Jahr erhalten die Kinder dann die erste feste Nahrung, die aus Linsen (dhal), Reis und Gemüse besteht.[68] In Kerala und bei den Chamar in Nordindien ist es üblich, die erste Reismahlzeit des Säuglings mit einer festlichen Zeremonie zu feiern.[69] In Sri Lanka erhalten die Kinder ebenfalls mit sechs (Jungen) bzw. sieben Monaten (Mädchen) feste Nahrung; in einem Tempel gibt es eine zeremonielle Fütterung mit süßem Reis, die das Wohlergehen des Kindes sichern soll.[70]
In Malaysia werden Babys bereits in der ersten Woche mit einem Brei aus gekochten Bananen oder gekochtem Reis mit Zucker gefüttert, denn diese Nahrungsmittel gelten als stärkend und Muttermilch allein als nicht nahrhaft genug. Sobald das Kind kauen kann, wird es langsam an die Erwachsenenkost gewöhnt, die auf dem Land vor allem aus Reis mit Sauce und Fisch besteht sowie Obst.[68]
In ländlichen Regionen in Vietnam, Kambodscha und Laos werden die meisten Kinder länger als ein Jahr gestillt, Fertignahrung ist nicht erhältlich oder zu teuer. Auch hier erhalten Säuglinge schon früh zusätzlich zur Muttermilch vorgekauten Reis oder einen Reisbrei. Mit etwa sechs Monaten kommen Suppe aus Wasser und Reismehl (bot) sowie Getreidebrei hinzu. Vietnamesische Frauen, die in der Stadt arbeiten, beschäftigen teilweise eine Amme, sobald sie an den Arbeitsplatz zurückkehren.[70]
Die traditionelle Kultur in Korea erwartet von Müttern, dass sie ihre Kinder drei Jahre lang stillen. Das tun heute jedoch nur noch wenige Frauen. Seit den 1970er Jahren ist die Stillquote stark zurückgegangen, vor allem in den Städten gilt Stillen als altmodisch und rückständig. Auch die Stellung der Frau in der Gesellschaft hat sich verändert. Heute stillen nur noch etwa 17 % der Frauen ausschließlich, 67 % verwenden Flaschennahrung und 14 % tun beides.[71]
In Japan hatte eine stillende Mutter traditionell ein sehr hohes Ansehen und es war bis vor einigen Jahrzehnten üblich, sehr lange zu säugen. Auch heute werden einige Kindergartenkinder noch teilweise gestillt, andererseits erhält nur etwa die Hälfte der Säuglinge mit drei Monaten noch Muttermilch und mit sechs Monaten nur noch ein Drittel.[70]
Während in den ländlichen Regionen in China und Taiwan die meisten Kinder relativ lange gestillt werden, dominiert in den Städten und in Hongkong heute Flaschennahrung. Bei einer Studie in den 1980er Jahren wurden 75 % der sechs Monate alten Säuglinge auf dem Land gestillt und 49 % in den Städten. Auf dem Land erhielten nur 2 % ausschließlich die Flasche, in der Stadt waren es 15 %. Die übrigen Kinder wurden teilweise noch gestillt. Eine Studie aus dem Jahr 1993 ergab, dass in Hongkong nur 18 % der Neugeborenen gestillt wurden, alle übrigen erhielten Fertigprodukte.[72] In den 1930er Jahren wurden noch 2/3 der Kinder länger als ein Jahr gestillt.[73]
Im vorkommunistischen China war es innerhalb der Oberschicht üblich, Ammen zu beschäftigen, die den Status eines Dienstmädchens hatten. Es gab in den Städten Dienstbotenagenturen, die auch Frauen vom Land als Ammen an Haushalte vermittelten. Die eigenen Kinder ließen diese Mütter im Alter von etwa zwei Monaten bei der Familie zurück. Zugefüttert wird traditionell sehr früh, häufig schon in den ersten Tagen parallel zur Muttermilch. Ein dünner Brei oder eine Paste aus Reismehl gelten als besonders geeignet. Etwas später kommen weicher gezuckerter Reis, Suppe, Eier, Gebäck und Obst hinzu. Für den älteren Säugling werden Gemüse und Fleisch vorgekaut. Auf dem Land erhalten Säuglinge dagegen oft nur wässrigen Reis und Getreidebrei, hin und wieder etwas Gemüse.[73]
In China galten traditionell weder Tiermilch noch Sojamilch als geeignete Nahrung für Babys. Mütter, die nicht ausreichend stillen konnten und sich keine Amme leisten konnte, verwendeten eine Paste aus zerstampften Walnüssen, die mit abgekochtem Wasser vermischt und gefüttert wurde.[74]
Islamische Länder
Im Koran wird eine zweijährige Stillzeit festgelegt, aber an diese Vorschrift halten sich die meisten Frauen in islamischen Ländern heute nicht mehr. In Pakistan erhält noch etwa die Hälfte der Kinder mit knapp zwei Jahren Muttermilch, im Sudan 44 %, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Tunesien ein Viertel, in Jordanien 13 %. Es ist weit verbreitet, den Säuglingen schon in den ersten Tagen nach der Geburt Zuckerwasser oder Tee zu geben und nach 40 Tagen mit dem Zufüttern von Fertigprodukten zu beginnen, weil diese als besonders nahrhaft angesehen werden. [75] Bei einer Studie im Jahr 1999 in den Arabischen Emiraten erhielten 76 Prozent der Babys im ersten Lebensmonat außer Muttermilch zusätzliche Flaschennahrung: knapp 30 % ein Fertigprodukt, 26 % Vollmilch (Kuh- oder Ziegenmilch), 14 % Magermilch und 5 % Kondensmilch.[76]
In Ägypten erhalten Kinder im ersten Lebensjahr Gemüsesuppe, gekochte Hülsenfrüchte, Milchpudding und gesüßten Getreidebrei; mit zwei Jahren kommen weitere stärkehaltige Lebensmittel hinzu. In Saudi-Arabien wird Beikost im Alter von fünf bis sieben Monaten eingeführt und besteht zunächst aus Reis, Brot und Gemüsesuppe. In den Arabischen Emiraten wird feste Nahrung erst am Ende des ersten Lebensjahres gegeben und besteht vor allem aus Reis und Brot. Allgemein ist die Babykost in dieser Region sehr proteinarm. Ein Grund ist die weit verbreitete Ansicht, dass tierische Produkte von Kleinkindern nicht verdaut werden können und im Darm zu Fäulnisprozessen führen.[75]
Afrika
In Afrika ist es üblich, den Säuglingen sehr früh außer Muttermilch andere Nahrung zu geben, auch schon vor der Einführung kommerzieller Produkte. Bei den Luo in Kenia wird traditionell oft schon mit etwa zwei bis drei Wochen zugefüttert, spätestens mit drei Monaten macht Getreidebrei die Hälfte der Babykost aus. Ab sechs Monaten ist ein Brei aus Hirse und gesäuerter Milch die Hauptnahrung. Die Akamba geben den Kindern mit ein bis zwei Monaten abgekochte Kuhmilch und im dritten Monat einen dünnen Brei aus Maismehl (uji). Im zweiten Lebenshalbjahr kommen ein dickflüssiger Brei (ugali) und Gemüseeintopf hinzu.
In Nigeria erhalten die Babys kurz nach der Geburt Kräutertee und im Alter von zwei Monaten einen Maisbrei. Mit sechs bis neun Monaten werden sie zusätzlich mit vorgekautem Yams gefüttert. In Zaire werden schon früh Kräutermischungen, zerdrückte Bananen oder ein Brei aus Maniok gefüttert.[68] Während in den 1950er Jahren nur 13 % der nigerianischen Mütter Fertigmilch verwendeten, hat die Zahl seit den 1960er Jahren stark zugenommen.[70] In den 1980er Jahren erhielten 77 % der drei Monate alten Säuglinge in den Städten und 40 % auf dem Land Fertignahrung neben Getreidebrei. Die Stilldauer betrug in den Städten mindestens sechs und auf dem Land mindestens zwölf Monate.[77]
Sobald ein Kind kauen kann, erhält es in Westafrika auch etwas von der üblichen Erwachsenenkost. Mais- oder Hirsebrei, Yams und Hülsenfrüchte sind die Hauptnahrungsmittel für Kleinkinder, die in der Regel kaum tierische Produkte erhalten.[78]
Die Ernährung der Hirtenvölker in Afrika unterscheidet sich deutlich von der sesshafter Bevölkerungsgruppen, vor allem durch einen hohen Anteil von Milchprodukten und tierischen Fetten. Das gilt auch für die Babynahrung. Bei den Turkana in Kenia werden die Kinder zum Beispiel im Schnitt 21 Monate lang gestillt, erhalten jedoch schon als Neugeborene etwas Butterfett und danach regelmäßig die ersten sechs Monate lang. Mit etwa vier Monaten kommt die Milch von Kamelen und Ziegen hinzu, mit etwa zehn Monaten Schmalz und fettes Fleisch, etwas später Mais und mit 15 Monaten Blut, ein Grundnahrungsmittel vieler Nomadenvölker. Nach dem Abstillen liefern Milch und Milchprodukte 75 % der Kalorien bei Kleinkindern.[79] Ähnlich ist es bei den Massai. Hier erhält das Baby kurz nach der Geburt traditionell zuerst einige Teelöffel Butter oder Sahne, bevor es an die Brust gelegt wird. Trinkt der Säugling nicht ausreichend Muttermilch, werden Butter und Kuhmilch zugefüttert oder ersetzen das Stillen völlig. Bis das Kind mit etwa acht Monaten anfängt zu laufen, bekommt es täglich eine Tasse mit Fett, danach nur noch etwa alle drei Wochen. Die Massaifrauen stillen etwa zwei Jahre lang.[80]
Lateinamerika
In Lateinamerika gehen die Mütter traditionell davon aus, dass ihre Ernährung und ihre gesundheitliche und seelische Verfassung die Muttermilch direkt beeinflussen. Starke Aufregung oder Stress führen nach dieser Auffassung zu „leche agitada“ („aufgeregter Milch“), die für den Säugling schädlich sei. In Ländern wie Kuba und Puerto Rico ziehen Mütter es deshalb vor, Babys bei Nervosität und Stress abzustillen und mit Fertigpräparaten zu füttern. Generell werden Säuglinge in dieser Region in allen Bevölkerungsschichten nur wenige Monate gestillt. Fertignahrung wird schon früh eingeführt, danach folgt Kuhmilch. Schon vor der sechsten Woche erhalten die Kinder Getreidebrei und püriertes Obst. Der Flaschenmilch wird häufig Maissirup zugesetzt. Nach dem Abstillen erhalten die Säuglinge sopa de frijol (die Brühe gekochter Bohnen), Kartoffelbrei aus Süßkartoffeln und agua de panela (Zuckerwasser).[70]
Siehe auch
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