Kira Muratova

Kira Muratova
Muratowa

Kira Georgijewna Muratowa (russisch Кира Георгиевна Муратова, wiss. Transliteration Kira Georgievna Muratova; * 5. November 1934 in Soroca / Bessarabien, heute Moldawien) ist eine ukrainische Regisseurin und gehört zu den bekanntesten, aber auch umstrittensten Filmschaffenden des sowjetisch-russischen Films.

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre in der Sowjetunion

Muratowa studierte Philologie an der Staatlichen Universität Moskau, wechselte danach auf die Hochschule für Film (WGIK) in Moskau, um Regie zu studieren. Ihre Lehrer waren u.a. der legendäre Regisseur Sergei Gerassimow, nach dem später das Institut auch umbenannt wurde. 1959 machte sie ihren Abschluss und arbeitete ab 1961 für das Filmstudio in Odessa. Muratowas Lieblingsthemen sind „die kleinen Leute“, akribisches psychonalytisches Beobachten der Gefühlswelt und des menschlichen Miteinanders.

In ihren Filmen spiegelte sich die Realität der damaligen Sowjetunion wider: Das von oben propagierte Gleichgeschaltete und Monotone, alles Individuelle in einem bleiernden Grau der Angepasstheit unterdrückend und erstickend. Das fiel auch den staatlichen Zensoren auf. Obwohl Muratowa in ihren Filmen wie Kurze Begegnungen keinerlei politische Anspielungen machte, fand sie dafür keinen Verleih, andere, wie Lange Abschiede, wurden vom Filmstudio Odessa so massiv beschnitten, dass Muratova ihren Namen aus Vor- und Abspann entfernen ließ, da sie sich mit der verstümmelten Restfassung weder künstlerisch noch persönlich identifizieren konnte und wollte. Stattdessen ließ sie an dieser Stelle den Namen Ivan Sidorov setzen, was in etwa mit dem amerikanischen John Smith vergleichbar ist [1] . Schließlich bekam sie in der Sowjetunion Drehverbot, was de facto einem Berufsverbot gleichkam. Zwischen 1971 und dem politischen Tauwetter, das mit Glasnost kam, konnte sie nur zwei Filme drehen: Der Versuch die große weite Welt kennenzulernen (1978) und Inmitten grauer Steine (1983). [2]

Die Schicksalswende

Mit der Perestroika kam die Wende für Muratowa, ihre Filme durften endlich öffentlich gezeigt werden und erhielten sofort internationale Aufmerksamkeit. Muratowa war jedoch moralisch und psychisch dermaßen zermürbt, dass es ihr schwer fiel, die weltweite Anerkennung wirklich wahr- und anzunehmen. Sie beschloss, ihre Erlebnisse in Die Schicksalswende zu verarbeiten. Die Geschichte basiert auf der Novelle Die Nachricht von William Somerset Maugham, die schon 1940 als The Letter von William Wyler mit Bette Davis in der Hauptrolle verfilmt worden war. Muratowa verlagerte die Handlung in den unwirtlichen Osten der Sowjetunion und provozierte erneut, indem sie die Handlung umstellte und die Protagonistin einen Mann nicht aus Rache wegen einer an ihr verübten Vergewaltigung ermorden ließ, sondern einen Mann, dessen Verbrechen es war, sein sexuelles und seelisches Interesse, sein Leben, der Protagonistin gegenüber verloren zu haben – so dass er auch sein physisches nicht länger verdient. Der sehr düstere Film geriet zu Muratowas Haupt- und Schlüsselwerk, das von der Kritik mit Begeisterung aufgenommen wurde. [3]

Filmsprache und -stil

Muratowas Stil verstößt gegen die gängigen Sehgewohnheiten. Sie reduziert die Handlungsfreiheit ihrer Personen auf ein Minimum, lässt sie austauschbar werden, stereotype Sätze wie von einem Blattabgelesen rezitieren, so dass diese fast karikaturhaft wirken und die Banalität des Guten wie des Bösen fast greifbar erscheint. Vor der wie einstudiert wirkenden monotonen Sprache und unlebendigen Intonation der Nebenfiguren, behalten die Hauptfiguren ihrer frühen Filme, oft die „Bösen“, als einzige eine persönliche Individualität, einen letzten Funken Leben, den die anderen schon längst verloren zu haben scheinen und wenn es allein das „Böse“ ist was sie lebendig macht und sich ihr leben alleine nur noch durch Mord, Heuchelei und Menschenverachtung ausdrücken kann und sie paradoxerweise dadurch aber menschlicher wirken lässt, als die guten Roboter. Die Filme weisen eine strenge Strukturiertheit auf. Bereits in ihren frühen Werken Muratowas bremst sie den Blick des Zuschauers, indem sie ihn in eine fast erstarrte Welt mit scheinbar unerschütterbaren Regeln zwingt. Die strenge „Manieriertheit“ der Figuren bleibt Muratowas Stil. Mit ihrer Art der Inszenierung die dramatische Umsetzung des klassischen Films, sondern orientiert sich nach den Handlungstheorien des Brechtschen Epischen Theaters. Indem sie durch bewusste Künstlichkeit den Figuren der Handlung absichtlich die Spannung nimmt, rückt sie diese in den Vordergrund. Mit ihrem Stil versucht sie der nivellierenden Art des Nichtautorenfilm ein Gegengewicht entgegenzusetzen. Sie liebt ihre vorwiegend weiblichen Heldinnen, egal wie sie handeln. Damit ist sie eine der wichtigsten Figuren des neuen „weiblichen Films“.

Der „weibliche“ Film quält sich mit unlösbaren verfluchten Fragen ab, sucht leidenschaftlich nach Gerechtigkeit. Die Regisseurinnen hoffen, das, was ihre männlichen Kollegen bereits von der Hand gewiesen haben, korrigieren zu können. Sie lassen sich von den natürlichen Instinkten der Ordnungsschaffenden und Friedensstifterinnen, von den Streben der Gesellschaft nach Stabilität mit dem Wunsch leiten, ihr Wort zu sagen, während das starke Geschlecht hartnäckig schweigt.
Olga Sobolewskaja, Kommentatorin der RIA Novosti [4]

In ihrem Spätwerk findet Muratova allerdings zunehmend zum Humor. In ihrem Film Tschechow-Motive (2002) entspannt sie das Drama durch Clownerie und absurde Situationen, die der Schwere ihres humanistischen Anspruches eine ironische Leichtigkeit geben, ihn geradezu entspannen. Eine gewisse Altersmilde ist ihrem Werk anzusehen, so wirkt ihr Film Menschen zweiter Klasse wie eine Bilanz über ihr bisheriges Schaffen:

Früher habe ich meiner Person große Bedeutung beigemessen. Heute bin ich bescheidener; ich habe verstanden, wie mein Platz in der Welt aussieht: Es ist der Platz eines Sandkorns oder eines Blattes Papier. [5]

Sehr bezeichnend dazu ein Zitat:

Wenn ich fliege, wird es niemand bemerken. Und ich glaube nicht, dass es irgendjemand über sich denkt. [6]

Filmografie (Auszug)

  • 1962: Am steilen Abgrund (У крутого яра)
  • 1967: Kurze Begegnungen (Короткие встречи)
  • 1971: Lange Abschiede (Долгие проводы)
  • 1987: Die Schicksalswende (Перемена участи)
  • 1989: Das asthenische Syndrom (Астенический синдром) - ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären auf der Berlinale 1990
  • 1992: Der verliebte Milizonär (Чувствительный милиционер)
  • 1997: Drei Geschichten (Три истории)
  • 2005: Der Klavierstimmer (Настройщик)

Literatur und Quellen

  1. http://209.85.135.104/search?q=cache:MM9oya5mtIMJ:forum.mur.at/russfilm/levasov.rtf+kira+muratova+lewaschow&hl=de&gl=de&ct=clnk&cd=1&client=firefox-a
  2. Eine Geschichte voller Grausamkeit. Maja Turovskaja:Die Schicksalswende, aus dem Buch: Mörderinnen im Film/ Frauenfilminitiative – Berlin, Elefantenpress 1992, ISBN 3-88520-447-9
  3. Eine Geschichte voller Grausamkeit. Maja Turovskaja:Die Schicksalswende, aus dem Buch: Mörderinnen im Film/ Frauenfilminitiative – Berlin, Elefantenpress 1992, ISBN 3-88520-447-9
  4. http://russlandonline.ru/ruku10010/morenews.php?iditem=623
  5. http://209.85.135.104/search?q=cache:MM9oya5mtIMJ:forum.mur.at/russfilm/levasov.rtf+kira+muratova+lewaschow&hl=de&gl=de&ct=clnk&cd=1&client=firefox-a
  6. http://parallelinfo.mur.at/ru/kira.html

Weblinks


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