Kirgise

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Die Kirgisen (kirgisisch Kыргыз, Kыргыздар Kyrgyz, Kyrgyzdar) gehören zu den Turkvölkern. Sie umfassen heute rund 4 Millionen Menschen. Die große Mehrheit von ihnen lebt in der Kirgisischen Republik. Kirgisische Minderheiten leben auch in den benachbarten Ländern Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und China (Kizilsu/Xinjiang).

Inhaltsverzeichnis

Namensherkunft

Über den Namensherkunft sind sich kirgisische Historiker bis heute nur bezüglich der ersten Silbe Kyrk (Vierzig) einig. Ob das Wort Kyrkys in seiner Gesamtheit eine Kombination aus Kyrk (Vierzig) und Kys (Mädchen) ist oder ob es mit dem Anhängsel -ys bloß die alte Pluralform von Vierzig ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

In der Mythologie der Kirgisen sind mehrere Mythen bezüglich ihrer Abstammung verbreitet. Die populärste ist die der Vierzig Mädchen, die durch das Wasser des früher als heilig verehrten Sees Issyk Kul geschwängert wurden und von denen dann die Kirgisen abstammen würden. Es gibt auch andere Versionen dieser Geschichte, wonach die Vierzig Mädchen auf große Wanderschaft gehen und bei ihrer Rückkehr ihren Stamm nicht mehr vorfinden, weil diese durch einen Angriff ihrer Feinde ausgelöscht wurden. Sie entwickeln sich zu guten Kriegerinnen, mehren sich und bilden den Stamm der Kirgisen.

Einer anderen Sage zufolge soll der Legendenhafte Oghus Khan einen Enkelsohn namens Kirgiz Khan gehabt haben, von dem wiederum die Kirgisen abstammen sollen.

Der Historiker Camgertschinov hat im Jahre 1946 die These aufgestellt, derzufolge die Kirgisen ursprünglich ein Zusammenschluss von vierzig Stämmen wären. Dabei hat er aus dem umfangreichen kirgisischen Manas-Epos diese vierzig Stämme zusammengetragen und namentlich aufgezählt. Seine Theorie wurde von Nasanov im Jahre 1967 weiter ausgebaut und verbessert. 1994 hat Karatayev diese Theorie nochmals verbessert und mit weiteren Beweismitteln gestützt.[1]

Mit der mongolischen Eroberung im 13. Jahrhundert ging die Bezeichnung Kirgis unter und wurde vom Begriff „Mongolen“ abgelöst.

Doch bereits im 16. Jahrhundert wurde der Name Kirgisen vor allem von jenen Steppennomaden wieder belebt, die später als Kasachen bekannt wurden.

Religion

Die Kirgisen gehören seit dem 18./19. Jahrhundert dem Islam an. Doch haben zahlreiche schamanistische Traditionen überdauert.

Herkunft

Die Kirgisen stammen wohl ursprünglich aus dem südlichen Altaigebirge. Dort werden sie bereits Ende des 3. Jahrhundert v. Chr. von den benachbarten Chinesen erwähnt. Diese nannten das „wilde Bergvolk“ unter anderem auch Xiájiásī 黠戛斯 und Hélǐqìsī 纥里迄斯.

Verschiedene chinesische Literaten beschrieben die damaligen Kirgisen als hellhäutig, mit rötlichen Haaren und hellen Augen.[2] Um etwa 49 v. Chr. zogen die Kirgisen zum oberen Jenissej und wurden dort Nachbarn der Dingling, die ihrerseits zur Selenge weiterzogen.

Geschichte

Frühgeschichte

Eindeutige Belege aus der kirgisischen Frühzeit sind heute mehr als dürftig. Erst im 6. Jahrhundert wird die kirgisische Geschichte real greifbar: 560 unterwarf der Göktürkenherrscher Muhan (reg. 553-572) die Gebiete des oberen Jenissej und so erschienen die Kirgisen als Vasallen des östlichen Göktürken-Reiches. Zu jener Zeit bauten die Jennisej-Kirgisen sogar Eisen und Gold ab, das sie mit „knirschenden Zähnen“ dem Göktürken-Herrscher als Tribut überlassen mussten (so vermerkten es jedenfalls 583 die chinesischen Chroniken).

In Folge dessen nahmen die kirgisischen Fürsten Kontakte mit der chinesischen Tang-Dynastie auf bzw. sie erbrachten dem chinesischen Herrscher alljährlich einen Tribut (Pferde), so dass sie auch als Vasallen der Chinesen erschienen. Ihr damaliges Siedlungsgebiet soll sich nach den chinesischen Chronisten im Westen von Hami und im Norden Karaschahrs befunden haben.[3]

Die Orchon-Inschriften des 8. Jahrhunderts beschreiben anschaulich einen blutigen Krieg der Göktürken, den diese mit den Kirgisen führten. Der Höhepunkt war kaum mehr als ein überraschender, winterlicher Überfall, und der angesehene Kirgisen-Herrscher Bars Beg fiel während des Kampfes (711/12):

Aus der „Köl Tegin“-Stele; Ostseite, Zeile 20 (ca. 732):
„Es war Bars-Beg. Wir selbst hatten ihm den Titel eines Khagan gegeben. Auch hatten wir meine jüngere Schwester - die Prinzessin - zur Frau gegeben. Er aber hat uns verraten. Deshalb wurde der Khagan getötet, und sein Volk wurde zu Sklaven und Dienern.“[4]

Ähnliches wiederholte sich 758 mit einer Niederlage gegen die Uiguren, welche die Nachfolge der Göktürken als Steppen-Vormacht angetreten hatten. Die Uiguren vernichteten ein 50.000 Mann starkes kirgisisches Heer. Doch sie konnten, anders als ihre Vorgänger, die Verbindungen zwischen dem Kirgisenreich und Tang-China endgültig unterbinden.

Kirgisisches Großreich

Beim Sturz des Uigurenreiches kam den Kirgisen ein schwerer Winter (839) und mehr noch ein uigurischer Überläufer zu Hilfe: Der General Külüg Bagha lief 840 zu ihnen über und zusammen mit dem Fürsten Uje Khan († 847) aus dem Jaglaqar-Klan wurde das Uigurenreich in der heutigen Mongolei blutig beseitigt, die Reste der Uiguren flüchten südwärts.

Die Kirgisen stiegen danach eine Zeit lang zur Hauptmacht Zentralasiens auf und sandten einige Gesandtschaften nach Tang-China. Ihr Machtbereich umfasste die Gebiete zwischen Lena, Irtysch, Baikalsee bis an den Tianshan – rund 198.000 km². Das Zentrum Ujes waren nach 840 die Du-man Berge in Tannu Tuwa, und in dem einstigen Uigurenreich bzw. der heutigen Mongolei sahen er und seine Nachfolger nur ihr „Hinterland“. Doch konnten die Kirgisen die neue Macht nicht voll nutzen, da der Tang-Herrscher Chinas nicht gewillt war, den kirgisischen Adel mit chinesischen Titeln u.ä. aufzuwerten. Von mehreren Seiten wird bei den Kirgisen die Existenz mehrerer Städte und die Stadt Kemidjkat als Residenz erwähnt. Ausgrabungen bezeugen die Verbreitung von Ackerbau und sogar von Bewässerung, obwohl zeitgenössische türkische Darstellungen von Nomadentum reden. Neben kleineren Städten, Bergbau, Ackerbau, Bewässerung werden ihnen auch eine Runen-Schrift und Straßenbau zugeschrieben. Ferner fand man byzantinische Münzen am Altai. Dennoch ist das kirgisische Großreich vergleichsweise schlecht dokumentiert. Bereits 924 wurden es von den Kitan des Apaoka Khan (gest. 926) überrannt und das Volk auf seine eigentliche Stammlande am Jenissej zurückgedrängt. Doch noch während des 10. Jahrhunderts wurden die Kirgisen von den benachbarten Tungusen nach Süden und ins Tian-Schan-Gebirge abgedrängt.[5] Doch werden bereits fürs Ende des 8. Jahrhunderts einige Kirgisen-Klans im Bunde mit den Karluken auch am Ost-Tianshan vermutet, zumindest deuten überlieferte Klannamen aus der Zeit des Großreiches darauf hin.

Unter mongolischer Vorherrschaft

In den Jahren 1207/8 unterwarfen sich die drei oder vier wesentlichen kirgisischen Fürsten (Yedi, Inal, Aldi'er, Örebek Digin) den Mongolen von Dschingis Khans Sohn Dschudschin, rebellierten aber bald. Das Volk der Kirgisen wurde nach mehreren Rebellionen im Verlauf des 13. Jahrhunderts von den Mongolenherrschern aufgelöst, zum Teil 1293 nach der Mandschurei deportiert, verlor seine Runen-Schrift und den wenigen Ackerbau. Die Kirgisen nahmen nun das Nomadentum der Mongolen auf und der Stammesname Kirgis ging unter.

Geringe Reste zogen wahrscheinlich auch 1220 im Heer von Dschudschin nach Mittelasien ans Tianshan-Gebirge, wo sie noch heute leben. (Zumindest hat das Emanuel Sarkisyanz aus der Volksüberlieferung heraus vermutet, was auch im Einklang mit Dschudschins Feldzug steht.) Dort entstand in Verschmelzung mit den Mongolen und verschiedenen Turkstämmen das Volk der Kara-Kirgisen. Nach und nach erhielten sie Zuzug von den im Jenissej-Raum verbliebenen Gruppen. So erreichten z. B. 1469 (unter Ababartsi Chinsang) und 1702 große Gruppen im Gefolge der Oiraten den Tianshan.

Die am Jenissej lebenden Gruppen der Kirgisen machten Anfang des 15. Jahrhunderts unter Ugechi (um 1402/03) und seinem Sohn Essekü († 1425) nochmal von sich reden, allerdings nur in von späteren mongolischen Geschichtsschreibern verworrenen überlieferten Kämpfen, welche letztlich die Oiraten dominierten. So geht die Ermordung eines mongolischen Khans namens Elbek (1399 oder 1401/02) auf Ugechis Konto.

Unter kasachischer Vorherrschaft

Im 15./16. Jahrhundert wurde der Name Kirgis wieder aufgenommen und die Kara-Kirgisen standen in einem lockerem Bündnis mit den Kasak-Kirgisen (Als „Kasak-Kirgisen“ wurden die Steppennomaden und als „Kara-Kirgisen“ die Bewohner des Berglandes bezeichnet.) In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts kämpften sie gegen den Tschagatai-Khan Abdur Raschid und dessen Sohn und unternahmen einige Raubzüge gegen Städte wie Taschkent.

In der ersten Hälfte 17. Jahrhunderts kam es zur Konfrontation mit den nach Sibirien vordringenden Russen, und die Fürsten Ischej, Tabun und Ischinej überfielen regelmäßig Krasnojarsk (1628 gegründet) und andere russische Siedlungen.

Unter oiratischer Vorherrschaft

Als sich die Oiraten um 1640 unter Führung der Dschungaren neu formierten, gerieten die Kirgisen wieder in mongolischer Abhängigkeit und setzten ihre Angriffe mit deren Unterstützung fort. Letztlich blieben sie nach Niederlagen 1640-42 und 1679 erfolglos. Nach dem Untergang des Oiratenreiches kamen die Kirgisen formall unter russische Oberhoheit. Doch lag die Macht über der Region bei den Klan- und Stammesfürsten der Nomaden.

Unter chinesischer Vorherrschaft

Mitte des 18. Jahrhunderts stritten sich Russland und China um verschiedene Grenzgebiete. So konnte das chinesische Kaiserreich seinen Einfluss schließlich bis an die Südufern des Balchaschsees ausdehnen, als es 1757 die Dsungarei und das Siebenstrom-Land besetzen konnte. Doch zwischen den Jahren 1864 und 1876 endete die chinesische Vorherrschaft in dieser Region.

Unter russischer Vorherrschaft

1864 begann das zaristische Russland die westturkestanischen Gebiete zu unterwerfen, die bis 1876 abgeschlossen waren. Doch bereits 1898 erhoben sich die Kirgisen gegen die Ansiedlung russischer und ukrainischer Siedler.

1905 nahmen die junge kirgisische Intelligenz an einem Muslimkongress Taschkent teil, wo die Grundlagen der späteren Alasch-Partei gelegt wurden. Ab 1916 nahmen die Kirgisen an verschiedenen Aufständen in Turkestan teil, die von islamisch-türkischen Nationalisten getragen wurden. Im Frühjahr 1917 wurde in der kirgisischen Stadt Bischkek eine Sektion der Alasch Orda gegründet, die eine Autonomie der Kirgisen innerhalb eines föderativen Russlands forderte. 1920 war Herrschaft der Alasch Orda bereits wieder vorbei.

Zwischen 1920 und 1924 wurde das Gebiet der Kirgisen von der jungen UdSSR zentral verwaltet. 1924 erhielten die Kirgisen Autonome Gebiet:

  • Die Kasak-Kirgisen erhielten in den Steppengebieten ein „kirgisisches Autonomes Gebiet“.
  • Die Kara-Kirgisen hatten ebenfalls ein autonomes Gebiet innerhalb der „Turkestanischen ASSR“.

Die Autonomen Gebiete wurden 1926 jeweils zu einer ASSR erklärt. Ende der 1930er Jahre wurden diese Gebiete aus Russland herausgelöst und zu eigenständigen SSR erhoben.

1991 erklärten die Kirgisen ihre Unabhängigkeit und schlossen sich etwas später der GUS an.

Siehe auch

Quellen

  1. Prof.Dr.Ömürkul Karayev[1](türk.)
  2. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 89
  3. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: ebenda, S. 88
  4. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: ebenda, S. 47
  5. Heinz-Gerhard Zimpel: Lexikon der Weltbevölkerung, S. 275

Literatur

  • Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien. Eine Einführung in ihre Geschichte und Kultur, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1992, ISBN 3-534-11689-5
  • Heinz-Gerhard Zimpel: Lexikon der Weltbevölkerung. Geografie - Kultur - Gesellschaft, Nikol Verlagsgesellschaft mbh & Co. KG Hamburg 2000, ISBN 3-933203-84-8
  • Carter Vaughn Findley: The Turks in World History, Oxford University Press 2005, ISBN 0-19-517726-6

Weblinks


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