- Koiné eiréne
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Die Idee des Allgemeinen Friedens (griechisch: κοινή εἰρήνη / koiné eiréne) war neben der des Panhellenismus einer der prägenden politischen Gedanken im Griechenland des 4. vorchristlichen Jahrhunderts.
Der Begriff bezeichnet zugleich eine bestimmte Art von Friedensverträgen, die den grundlegenden Forderungen der Idee gerecht werden sollten. Diese Verträge hatten im Wesentlichen drei Punkte gemeinsam: Ein Allgemeiner Friede musste sich erstens an alle griechischen Poleis wenden; zweitens musste er deren prinzipielle Autonomie und völkerrechtliche Gleichstellung anerkennen, unabhängig von ihrer tatsächlichen Macht; und er musste drittens ohne zeitliche Begrenzung angelegt sein.
Seine Verfechter sahen in ihm eine Chance, den permanenten Kriegszustand zu beenden, der vom Beginn des Peloponnesischen Krieges an die griechische Staatenwelt über mehr als ein Jahrhundert erschütterte. Vom Königsfrieden 387/386 v. Chr. bis zur Gründung des Korinthischen Bundes 338 v. Chr. beeinflusste die Idee der koiné eiréne alle Friedensschlüsse zwischen den griechischen Stadtstaaten. Am Ende erwies sich jedoch, dass auf Dauer nur eine starke Hegemonialmacht einen umfassenden Frieden durchsetzen konnte. In der Neuzeit wiederentdeckt, bilden die Hauptprinzipien der koiné eiréne seit dem 20. Jahrhundert die Grundlage für Friedensorganisationen wie Völkerbund und UNO.
Inhaltsverzeichnis
Das Wesen des Allgemeinen Friedens
Die Idee des Allgemeinen Friedens entwickelte sich aus älteren Vorstellungen, die in den politischen Verhältnissen des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Griechenland allmählich umgeformt wurden. Ihre teilweise Durchsetzung verdankt sie aber weniger der Einsicht in die Notwendigkeit einer dauerhaften Friedensordnung als der Tatsache, dass sie den Interessen mehrerer aufeinander folgender Hegemonialmächte dienlich schien. Die Geschichte der koiné eiréne ist daher nicht nur ein Bestandteil der Ideen-, sondern mehr noch der Diplomatie-Geschichte Griechenlands in den Jahrzehnten zwischen dem Peloponnesischen Krieg und dem Auftreten König Philipps II. von Makedonien und Alexanders des Großen.
Die Entstehung des Begriffs
Das griechische Wort „Eirene“, das ursprünglich nur den „Friedenszustand“ bezeichnete, erfuhr zu Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. eine inhaltliche Erweiterung hin zu „Friedensvertrag“. Dies war Folge einer allgemein veränderten Einstellung zu Krieg und Frieden. Noch im 5. Jahrhundert v. Chr. waren Kriege zwischen den griechischen Poleis mit Verträgen beendet worden, die als „spondai” (σπονδαί), „synthekai” (συνθήκαι) oder „dialysis polemou” (διάλυσις πολέμου) bezeichnet wurden. Alle diese Begriffe meinten im Grunde nur Waffenstillstände oder temporäre Unterbrechungen des Krieges. Nach den nicht enden wollenden Waffengängen seit Mitte des Jahrhunderts setzte sich aber allmählich die Erkenntnis durch, dass nicht der Kriegs-, sondern der Friedenszustand der anzustrebende Normalfall sein sollte. Dies schlägt sich ebenso in der gesteigerten Bedeutung des Worts „Eirene“ nieder wie auch in seiner Anwendung auf Friedensverträge.
Der Begriff des Allgemeinen Friedens tauchte erstmals im Jahr 391 v. Chr. im Zusammenhang mit den gescheiterten Verhandlungen zwischen Athen und Sparta zur Beendigung des Korinthischen Krieges auf. Der athenische Politiker Andokides riet seinen Mitbürgern in einer Rede zur Annahme eines als „koiné eiréne“ bezeichneten Friedens. Möglicherweise war der Begriff schon vorher in den allgemeinen Sprachschatz übergegangen; gesichert ist dies aber erst seit der Rede des Andokides. Der erste Vertrag, auf den die Begriffe „eiréne” und „koiné eiréne” tatsächlich angewandt wurde, war der von Persien und Sparta 387/386 v. Chr. erzwungene Königsfriede. In einem offiziellen Dokument erscheint die Formulierung „koiné eiréne“ zum ersten mal im Friedensschluss nach der Schlacht von Mantineia im Jahr 362 v. Chr.
Insgesamt ist der Begriff koiné eiréne zeitgenössisch nur spärlich belegt. Autoren wie Isokrates, Demosthenes und Xenophon gebrauchen ihn nirgendwo explizit. Aber sie benennen seine Wesensmerkmale genau für jene Friedensschlüsse, die der Geschichtsschreiber Diodor im 1. Jahrhundert v. Chr. regelmäßig als koiné eiréne bezeichnet. Die Tatsache wiederum, dass Diodor sich für die Darstellung der Zeit von 386 bis 361 v. Chr. eng an den zeitgenössischen Autor Ephoros anlehnt, lässt darauf schließen, dass der Begriff damals allgemein geläufig war.
Inhaltliche Merkmale
Aus der Rede des Andokides und den Bestimmungen des Königsfriedens lassen sich zwei Merkmale herauslesen, die für Friedensverträge jener Zeit neu sind. Zum einen sollen alle Griechenstädte – mit wenigen Ausnahmen – autonom sein, zum anderen wendet sich der jeweilige Vertragsentwurf an alle Städte. Er zielt also nicht mehr auf eine zweiseitige Übereinkunft zwischen ehemals verfeindeten Poleis oder Städtebünden, sondern auf einen multilateralen Vertrag, dem nach Möglichkeit auch alle nicht am Konflikt beteiligten Parteien beitreten sollen.
Als drittes, nicht explizit erwähntes Merkmal, lässt sich das Fehlen einer zeitlichen Befristung feststellen. Im 5. Jahrhundert war eine festgelegte Gültigkeitsdauer in Friedensverträgen durchaus üblich. Der Dreißigjährige Friede, der 346/345 v. Chr. zwischen Athen und Sparta geschlossen wurde, verrät dies schon im Namen. Auch der Nikiasfriede von 421 v. Chr. war auf 50 Jahre festgelegt, wobei Verträge mit einer Gültigkeitsdauer von 100 Jahren faktisch eine Ewigkeitsklausel beinhalteten. Dies geht einesteils auf die schon erwähnte Tatsache zurück, dass der Frieden damals nur als Unterbrechung des Normalzustands Krieg angesehen wurde. Dazu kam die Vorstellung, dass Friede nicht zwischen den Stadtstaaten als solchen, sondern zwischen ihren Bevölkerungen geschlossen wurde und die längstmögliche Vertragsdauer nur die Lebenszeit einer – nur für sich selbst sprechenden – Generation sein konnte. In einer koiné eiréne dagegen setzte bereits die Autonomieklausel die prinzipiell immerwährende Gültigkeit voraus, denn eine Unabhängigkeit, die zeitlich begrenzt ist, wäre keine.
Die Multilateralität
Die erwähnten, zweiseitigen Friedensverträge des 5. Jahrhunderts zwischen Athen und Sparta ließen die Interessen der eigenen wie der gegnerischen Verbündeten zum Teil grob außer Acht. Diese wurden unter Umständen nicht einmal konsultiert. Auch der Vertrag von 404 v. Chr., der den Peloponnesischen Krieg beendete, war, wenn auch de facto ein Diktat von Seiten Spartas, formell ein Vertrag zwischen diesem und Athen. Er enthielt keine Bestimmungen über die Bundesgenossen Athens aus dem Attischen Seebund und wurde sogar gegen den Willen der Verbündeten Spartas abgeschlossen. Der Vertrag entsprach also ganz den Verhältnissen und Vorstellungen des 5. Jahrhunderts, in dem es nur zwei maßgebliche Hegemonialmächte in Griechenland gab, denen sich alle anderen Poleis unterzuordnen hatten.
Die Idee einer panhellenischen Einigung auf multilateraler Ebene war indes schon damals nicht mehr neu. Zur Abwehr der Persergefahr war 481 v. Chr. ein allgemeiner Landfriede beschlossen worden, der allerdings befristet war. Im Jahr 450 v. Chr. wollte Perikles eine allgemeine Friedenskonferenz nach Athen einberufen. Diese kam jedoch aufgrund der Weigerung der Spartaner, die eine athenische Vorherrschaft befürchteten, nicht zustande. Abgesehen von einigen mehrseitigen Verträgen zwischen einigen Griechenstädten in Sizilien und in Ionien war der Kultverband der Amphiktyonie von Delphi das einzige multilaterale Bündnis des antiken Hellas von Dauer und Bedeutung. Der Amphiktioneneid verbot es, im Krieg Mitgliedsstädte zu zerstören oder ihnen das Wasser abzugraben. Eidbrüchige Städte wurden ihrerseits mit der Zerstörung bedroht. Im Amphiktionenfrieden ist möglicherweise ein Vorläufer der koiné eiréne zu sehen.
Dass es seit 387 v. Chr. immer wieder zu Friedensschlüssen auf Basis einer koiné eiréne kam, hat einen einfachen Grund: Die jeweilige Hegemonialmacht sah sich nicht mehr einer, sondern mehreren etwa gleich starken Städten oder Bündnissen gegenüber. Mit ihnen konnte man sich nur noch gemeinsam oder gar nicht einigen. Für die allgemeine Akzeptanz einer solchen multilateralen Einigung war wiederum die Autonomieklausel die erste Voraussetzung.
Die Autonomieklausel
Die Griechen unterschieden zwischen „eleutheria“ (ἐλευθερία), der inneren Freiheit einer Polis – z. B. von der Herrschaft eines Tyrannen – und der „autonomia“ (αὐτονομία), der äußeren Freiheit einer Stadt. Mit „autonomia“ waren also das Recht und die Fähigkeit der Bürger einer Polis gemeint, sich nur ihrem eigenen Gesetz oder „nomos“ (νόμος), nicht aber dem eines anderen Staats beugen zu müssen. Seit sich die Polis als charakteristische Staatsform im antiken Griechenland durchgesetzt hatte, galt für ihre Beziehungen untereinander das ungeschriebene Gesetz, dass jede von ihnen – und sei sie noch so unbedeutend – autonom sein sollte. Davon ausgenommen waren nur die kleineren Städte Attikas und Lakoniens, die seit alters her Besitz der Athener bzw. der Spartaner gewesen waren. Es sollte im 4. Jahrhundert v. Chr. zu schweren Spannungen führen, als Theben versuchte, eine ähnliche Vorherrschaft über die Städte Böotiens zu etablieren.
Mit Beginn der Perserkriege wuchs aber im 5. Jahrhundert v. Chr. die Bereitschaft, sich zu so genannten Symmachien, Kampfbünden unter der Führung einer Hegemonialmacht, zusammenzuschließen. Dies geschah jedoch auf freiwilliger Basis, so dass das Autonomieprinzip theoretisch nicht angetastet wurde. Als die persische Bedrohung nachließ, zeigte sich aber, dass Athen bestrebt war, den von ihm dominierten Delisch-Attischen Seebund in ein von Athen beherrschtes Seereich umzuwandeln. Dabei verletzten die Athener Grundsätze, die von jeher Kennzeichen der Autonomie gewesen waren: die Freiheit, nach der eigenen Verfassung leben zu dürfen ebenso wie die Freiheit von Garnisonen, Kleruchien, fremder Gerichtshoheit und Tributen. Die Einforderung von „phoroi“ (φόροι), d. h. von Abgaben zu Kriegszwecken, die Verlegung der Bundeskasse von Delos nach Athen und die erzwungene Einführung demokratischer Verfassungen nach athenischem Muster bei einigen Bundesgenossen brachten diese gegen ihre Vormacht auf.
Spartas Politiker, deren Peloponnesischer Bund vergleichsweise locker organisiert war, entdeckten Mitte des 5. Jahrhunderts die Forderung nach Autonomie als diplomatische Waffe zur Schwächung des Seebunds. Sie machten sich die Beschwerden der athenischen Bündner zu eigen: Während und nach dem Peloponnesischen Krieg trat Sparta als Sachwalter der Unabhängigkeit aller Griechenstädte auf. Die Autonomieklausel wurde also nicht nur deshalb zum festen Bestandteil jeder koiné eiréne, weil kleinere Poleis durch sie ihre Eigenständigkeit gesichert sahen, sondern vor allem, weil die größeren Mächte sie zum Instrument ihrer Interessenpolitik machen konnten.
Die Entwicklung der koiné eiréne im 4. Jahrhundert
Ob ein Friedensschluss als koiné eiréne gelten kann oder nicht, ist bei einigen Verträgen umstritten. Im Folgenden wird der Begriff möglichst weit gefasst, um die Entwicklung der Idee des Allgemeinen Friedens deutlich zu machen. Ausschließliche Kriterien sind die Autonomieklausel und die Beitrittsmöglichkeit für alle griechischen Poleis, unabhängig davon, ob sie diese Möglichkeit tatsächlich wahrnahmen.
Der Königsfriede
Im Verlauf des Korinthischen Krieges unterbreitete Sparta 392/391 v. Chr. dem persischen Satrapen von Lydien, Tiribazos, ein erstes Friedensangebot. Sparta stand unter Druck, sich ohne Gesichtsverlust aus seinem aussichtslosen Krieg in Kleinasien zurückzuziehen und gleichzeitig seine Vormachtstellung in Griechenland zu wahren. Dazu musste man erstens Persien die Herrschaft über die ionischen Griechenstädte zugestehen und zweitens dessen Verbindungen zu den griechischen Gegnern Spartas, insbesondere zu Athen, lösen. Gleichzeitig musste der persische Großkönig davon überzeugt werden, dass sich im ägäischen Raum nicht erneut eine griechische Macht bilden könne, die seinen Ansprüchen auf die ionischen Städte entgegentreten könnte.
Der geeignete Vorschlag zur Lösung all dieser Probleme war, dass Sparta und Persien die Autonomie aller Griechenstädte – mit Ausnahme derer in Kleinasien – durchsetzen sollten. Sparta hätte damit die Sicherung eines allgemein anerkannten Grundsatzes als Ergebnis des Krieges vorweisen können. Gleichzeitig wäre die Welt der griechischen Poleis in machtlose Einzelstaaten aufgesplittert worden, was sowohl die spartanische Hegemonie gesichert als auch das persische Sicherheitsbedürfnis befriedigt hätte. Die griechischen Stadtstaaten lehnten den Vorschlag naturgemäß sofort ab. Aber auch der persische Großkönig Artaxerxes II. war nicht geneigt, ihn anzunehmen. Er löste Tiribazos ab und ersetzte ihn durch den neuen Satrapen Struthas, der weiterhin dem Bündnis mit Athen zuneigte.
Wenige Monate später versuchten die Spartaner daraufhin auf einer Konferenz in ihrer Stadt, mit ihren griechischen Gegnern ins Reine zu kommen. Wiederum schlugen sie das Autonomieprinzip als Basis einer Einigung vor, diesmal mit Zugeständnis an Athen und Theben. Den Athenern sollten die Inseln Lemnos, Imbros und Skyros verbleiben, die Thebaner sollten lediglich die Unabhängigkeit von Orchomenos anerkennen.
Bei diesen Verhandlungen wurde erstmals die Formulierung von einem Allgemeinen Frieden für alle Griechen gebraucht, wie er dann in der Rede des Atheners Andokides an seine Landsleute auftaucht. Andokides unterscheidet darin zwischen Verträgen und einem echten Frieden. Er appelliert an panhellenische Gefühle, indem er das Projekt des Allgemeinen Friedens idealisiert. Allerdings verschweigt er, dass die ionischen Städte, für deren Freiheit Athen 100 Jahre zuvor den Konflikt mit Persien in Kauf genommen hatte, von dem Vertrag ausgeschlossen sein sollen. Trotz Andokides’ Fürsprache lehnten die Athener den Vertrag schließlich ab – auch, weil sie sich im Bunde mit Struthas in einer starken Position glaubten.
Die Erfolge der athenischen Flotte im Jahr 390 v. Chr. bewirkten aber ein Umdenken am persischen Hof. Struthas wurde zwei Jahre später durch seinen Vorgänger Tiribazos abgelöst, der 387/386 v. Chr. im Verein mit Spartas König Antalkidas den Königsfrieden durchsetzte. Das Abkommen, auch „Friede des Antalkidas“ genannt, enthielt im Wesentlichen die spartanischen Vorschläge von 392/91. Seine wichtigsten Bestandteile waren der Beitritt aller Griechenstädte sowie die Garantie ihrer Freiheit und Unabhängigkeit. Davon ausgeschlossen blieben nur die ionischen Städte, Zypern und Klazomenai, die weiter unter persischer Oberherrschaft blieben, sowie die drei bereits erwähnten athenischen Inseln. Alle anderen Gewinne musste Athen wieder herausgeben; auch die Auflösung aller Bündnisse wurde durch den Vertrag unausweichlich. Dessen entscheidender Passus lautete nach Xenophon (Hellenika 5,1,31):
- „Großkönig Artaxerxes hält es für gerecht, dass die Städte in Kleinasien ihm gehören sollen, und von den Inseln Klazomenai und Zypern. Die anderen Griechenstädte jedoch, große wie kleine, sollen autonom sein, außer Lemnos, Imbros und Skyros, die, wie in alten Zeiten, den Athenern gehören sollen. Wer aber diesen Frieden nicht annimmt, gegen den werde ich Krieg führen zusammen mit denen, die dasselbe wollen, zu Land und zur See, mit Schiffen und mit Geld (…)“
Die meisten Forscher sehen im Königsfrieden das erste Beispiel einer koiné eiréne. Hermann Bengtson betrachtet den Allgemeinen Frieden als Teilwirkung des Vertrags, der zunächst nur ein Dekret des Großkönigs gewesen sei, von dem sich sein Name herleitet. Dieses Dekret wurde in Sparta von allen griechischen Städten beschworen – dies allerdings unter der Gewaltandrohung durch den Großkönig für den Fall der Weigerung. Dies und die genannten Ausnahmen zeigen, dass ein Allgemeiner Friede nicht vollkommen verwirklicht wurde. Dies sollte auch später nie der Fall sein. Wie weit die Autonomie und die Teilnahme aller Poleis gewährleistet wurde, hing stets von den Interessen derjenigen Mächte ab, die eine koiné eiréne initiierten und garantierten.
Artaxerxes beabsichtigte mit dem Königsfrieden nicht, Griechenland eine dauerhafte Friedensordnung zu geben, sondern es politisch zu spalten und zu schwächen. Sparta zeigte neben dem Wunsch nach Frieden das Bestreben, die eigene Hegemonie zu sichern. Die spartanische Interpretation von Autonomie verlangte zwar die Auflösung aller Symmachien, nicht aber die des eigenen Peloponnesischen Bundes. Denn dieser war nicht einheitlich und zentral organisiert, sondern bestand aus einem System bilateraler Verträge, die Sparta mit jedem einzelnen seiner Mitglieder geschlossen hatte. Solche Verträge zwischen einzelnen Städten fielen aber aus spartanischer Sicht nicht unter das Verbot von Bündnissen unter einer Hegemonialmacht, obwohl der Peloponnesische Bund de facto genau dies war.
Damit blieb Sparta die stärkste Militärmacht in Griechenland. Unter dem Vorwand, das Autonomieprinzip schützen zu wollen, übte die Stadt in den nächsten Jahren eine Vorherrschaft aus, welche die Autonomie anderer – etwa des Chalkidischen Bundes oder der Stadt Mantineia – grob missachtete.
Der Allgemeine Friede von 375 v. Chr.
Im Jahr 382 v. Chr. besetzten die Spartaner - mitten im Frieden - die Kadmeia, die Burg der Stadt Theben, deren wachsende Macht ihnen ein Dorn im Auge war. Dieses Vorgehen kostete sie den Rest ihrer Glaubwürdigkeit als Verteidiger der Autonomie und brachte ihnen einen Krieg mit Theben und dem mit diesem verbündeten Athen ein. In dessen Verlauf kam es 377 v. Chr. zur Neugründung des Attischen Seebundes.
Dieses Bündnis stellte einen Verstoß gegen die Klauseln des Königsfriedens dar. Aber es wurde möglich, weil ein Großteil der ägäischen Inseln und der Küstenstädte nun in Athen – dank dessen Hilfe für Theben – den besseren Anwalt des Autonomieprinzips sahen. Die Athener nutzten diese Situation propagandistisch geschickt und begründeten die Wiederherstellung des Seebunds ausdrücklich damit, den Königsfrieden wahren und die Unabhängigkeit der griechischen Städte gegen Sparta verteidigen zu wollen. Weniger als dreißig Jahre spartanischer Hegemonie hatten also ausgereicht, um die Ansichten über Symmachien in ihr Gegenteil zu verkehren: Galt der erste Seebund noch als Bedrohung der Autonomie, sollte der zweite sogar deren Verteidigung dienen. Um eine erneute Vormachtstellung Athens zu verhindern, wurde das neue Bündnis nach den Prinzipien des Allgemeinen Friedens organisiert. Dies ist ein Hinweis darauf, dass diese Prinzipien damals allgemein akzeptiert wurden.
Als der Krieg im Jahr 375 v. Chr. stagnierte, wuchs in Athen und Sparta die Bereitschaft zu einem Friedensschluss. Die Spartaner konnten nicht mehr auf einen Sieg hoffen, und die Athener hatten alle ihre Ziele erreicht: Die Freiheit Thebens von spartanischer Hegemonie und die Anerkennung ihres Seebunds galt nun als vereinbar mit den Bestimmungen des Königsfriedens. Diodor berichtet, eine Gesandtschaft des Großkönigs habe eine Erneuerung des Königsfriedens vorgeschlagen, da Persien Ruhe in Griechenland brauchte, um dort Söldner für einen Krieg in Ägypten anwerben zu können. Die Griechenstädte gingen auf den Vorschlag ein, so dass erneut eine koiné eiréne zustande kam.
Der Allgemeine Friede wurde diesmal um einen Punkt erweitert: Wie bereits in den Bestimmungen des zweiten Attischen Seebunds vorgesehen, sollten alle fremden Garnisonen aus den Städten abgezogen werden. Dies richtete sich vor allem gegen Sparta, das in einigen südböotischen Städten wie Thespiai – wenn auch auf deren eigenen Wunsch zum Schutz gegen Theben – präsent war. Die Thebaner waren denn auch die Hauptnutznießer des Allgemeinen Friedens von 375. Sparta hatte den Krieg aus demselben Grund begonnen, aus dem Athen ihn nun zu beenden bereit war: ein weiteres Anwachsen der thebanischen Macht zu verhindern. Der Abzug der spartanischen Truppen unter dem Vorwand des Autonomieprinzips führte aber letztlich dazu, dass Theben freie Hand in Böotien erhielt. Aber auch die Athener gehörten eindeutig zu den Gewinnern: Ihr Erfolg lag in der Anerkennung des neuen Seebundes. Gegen ihn konnte nun weder Sparta noch Persien vorgehen, wie es 10 Jahre zuvor noch sicher geschehen wäre.
Trotz der persischen Gesandtschaft kann der Allgemeine Friede von 375 als der erste bezeichnet werden, der im Wesentlichen auf rein griechische Initiativen zurückging und bei dem sich alle Parteien etwa gleich stark und dadurch gleichberechtigt gegenüber standen. Zum ersten Mal schien eine Friedensregelung auch ohne den Druck einer Hegemonialmacht möglich zu sein.
Die Verhandlungen vor und nach Leuktra
In Athen hatten sich schon vor dem Vertrag von 375 v. Chr. zwei gegnerische politische Gruppierungen gebildet: Die eine strebte einen Ausgleich mit Sparta, die andere eine Fortsetzung des Bündnisses mit Theben an. Die antispartanischen Kräfte überschätzten jedoch Athens Stellung nach dem Friedensschluss und unterstützten auf der mit Sparta verbündeten Insel Kerkyra (heute: Korfu) einen demokratischen Umsturz. So hatte Sparta, das mit den Ergebnissen der vorangegangenen Auseinandersetzungen alles andere als zufrieden sein konnte, schon nach anderthalb Jahren wieder einen Kriegsgrund. Zusätzlich wurde die Lage dadurch verkompliziert, dass Theben 374/373 v. Chr. Plataiai zerstörte, das alte Bindungen zu Athen und seit 380 v. Chr. auch zu Sparta unterhielt. Die Spartaner entsandten daraufhin Truppen nach Phokis, um Theben zu bedrohen und die Misserfolge der letzten Jahre wett zu machen. So sah es 371 v. Chr. wieder einmal nach einem Krieg aller gegen alle aus.
In Athen setzten sich jedoch die gemäßigten Politiker durch, die in der Neutralität die vorteilhafteste Lösung für ihre Stadt sahen und den erneuten Abschluss eine koiné eiréne vorschlugen. Auf die Seite Thebens zu treten hätte geheißen, dessen Machtstellung entscheidend zu stärken. Eine Unterstützung Spartas dagegen hätte die eigenen Bündner verschreckt, die in ihm eine Bedrohung ihrer Autonomierechte sahen. Dazu kamen weitere Bedenken: Hätte Sparta das angebotene Bündnis abgelehnt, wäre Athen gezwungen gewesen, gleich zwei Kriege führen zu müssen. So beschlossen die Athener, die Ereignisse um Plataiai zu übergehen und die Thebaner zu einer Friedenskonferenz nach Sparta einzuladen. Sparta war zu einem Frieden nun umso mehr bereit, da seine Aktionen in Phokis erfolglos verlaufen waren. Eine Bedrohung Thebens war damit unmöglich geworden; andererseits sahen sich die Spartaner von Theben noch nicht selbst bedroht.
Der Allgemeine Friede, der nun auf Vorschlag Athens ausgehandelt wurde, brachte wiederum entscheidende Neuerungen. Die athenische Interpretation von Autonomie setzte sich weiter durch, und Sparta verpflichtete sich laut Xenophon, alle seine Harmosten (Garnisonskommandeure) aus fremden Poleis abzuziehen. Das war ein schwerwiegendes Zugeständnis, denn dafür kamen nach 375 nur noch die Städte auf der Peloponnes – Spartas ureigenem Einflussgebiet – in Frage. Noch wichtiger für die Weiterentwicklung der Friedensidee waren jedoch Regelungen, die eine allseitige Demobilisierung der Truppen und Flotten vorsahen und die es den Vertragspartnern erlaubten, sich bei einem Angriff gegenseitig Hilfe zu leisten. Die letztere Klausel, die allerdings keine Verpflichtung zum Beistand enthielt, kam auf Betreiben Athens zustande. Es wollte sich damit jederzeit die Möglichkeit offen halten, zwischen den beiden anderen Machtblöcken die Waage zu halten.
Isoliert betrachtet, wäre dieser Friedensvertrag ein Meisterstück athenischer Diplomatie zu nennen. Da er jedoch nie wirksam wurde, kann nur darüber spekuliert werden, ob er einen dauerhaften Frieden begründet hätte. Immerhin hatten die Vertragspartner der Einsicht Rechnung getragen, dass man zur Sicherung des Friedens auch die nötigen Machtmittel gegen einen möglichen Friedensbrecher bereitstellen musste. Im Königsfrieden war dies noch die Drohung des Großkönigs gewesen. In einem Bund freier Staaten musste es die gemeinsame Absichtserklärung sein, einem Angriff auf einen Vertragspartner entgegenzutreten.
Bei dem geplanten Abschluss des Vertrags kam es jedoch zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Theben und Sparta. Thebens Gesandte hatten die Übereinkunft zunächst im Namen der eigenen Stadt beschworen und diesen auch unter den Vertrag setzen lassen. Tags darauf verlangten sie aber, den Namen Thebens durch den des Böotischen Bundes zu ersetzen, da sie sich berechtigt sahen, in dessen Vertretung zu handeln. Dies lehnten die Spartaner kategorisch ab, da nach ihrer Auffassung die böotischen Städte autonom sein sollten. Der Bruch führte zum Krieg und nur zwanzig Tage später zur Schlacht von Leuktra, die mit der ersten Niederlage Spartas in offener Feldschlacht endete und die Machtverhältnisse in Griechenland endgültig zu seinen Ungunsten veränderte.
Nach der Schlacht flauten die kriegerischen Auseinandersetzungen zunächst ab. Theben ging vorerst nicht weiter militärisch gegen Sparta vor, und dieses entsandte lediglich Truppen zum Isthmus von Korinth, um im äußersten Fall einen thebanischen Angriff auf die Peloponnes abzuwehren. In dieser Situation ergriff wiederum Athen die Initiative und lud zu einem Friedenskongress ein, auf dem wieder der Königsfriede beschworen und ein neuer Vertrag ausgehandelt werden sollte. Dahinter stand die Absicht, eine weitere Machtentfaltung Thebens zu verhindern. Als Neuerung in diesem Friedensvertrag wurde daher die Möglichkeit, einem angegriffenen Vertragspartner gegen einen Friedensstörer beizustehen, in eine Verpflichtung umgewandelt. Dies war eine logische Fortentwicklung der vorherigen, gescheiterten koiné eiréne und fand von da an Eingang in jeden weiteren Allgemeinen Friedensschluss. Einige Forscher sehen im zweiten Vertrag von 371 aufgrund der Beistandsverpflichtung die Begründung einer Symmachie.
Die Spartaner traten dem neuen Abkommen im eigenen Interesse sofort bei. Ihre Nachbarn, die Eleier, versuchten unterdessen bereits, die Schwäche Spartas zu nutzen und weigerten sich, die Autonomie einiger Grenzstädte anzuerkennen, die sie 399 v. Chr. auf spartanischen Druck hin abgetreten, nach Leuktra sich aber erneut angeeignet hatten. Schwerwiegender war, dass Theben dem Vertrag fern blieb, da ein Allgemeiner Friede seinen Ambitionen in seiner neu gewonnenen Machtstellung nur hinderlich sein konnte. Bengtson sieht in dieser koiné eiréne nicht mehr als eine athenische „Geste gegen Theben ohne praktischen Wert.“
Wenn die Idee des Allgemeinen Friedens je eine Chance hatte, auf der Basis allgemeiner Gleichberechtigung der Poleis verwirklicht zu werden, dann war es die kurze Zeitspanne zwischen 375 v. Chr. und der Schlacht von Leuktra. Nur damals gab es drei etwa gleichstarke hellenische Großmächte, so dass die stärkste stets durch ein mögliches Bündnis der beiden anderen gezügelt werden konnte. Vorher und nachher dagegen existierte immer eine klar dominierende Hegemonialmacht – erst Sparta, dann Theben – die eine koiné eiréne entweder ablehnte oder für eigene Zwecke instrumentalisierte. Beides führte über kurz oder lang immer wieder zu kriegerischen Konflikten. Mit dem Scheitern der Vereinbarungen von 371 v. Chr. verlor der Gedanke des Allgemeinen Friedens als Mittel der praktischen Politik erheblich an Überzeugungskraft.
Gescheiterte Friedensschlüsse 368 und 366 v. Chr.
Im Jahr nach Leuktra baute Theben seine Hegemonie deutlich aus. Durch einen Kriegszug auf der Peloponnes erwirkte es die Unabhängigkeit Messeniens, das seit Jahrhunderten von Sparta beherrscht worden war, und unterstützte die Bildung des Arkadischen Bundes. Ein weiterer Krieg gegen ein Bündnis aus Sparta, Athen und Syrakus verlief dagegen ergebnislos. Daraufhin fanden sich alle Griechenstädte 369/368 v. Chr. auf Anregung des persischen Satrapen Ariobazarnes zu einer Friedenskonferenz in Delphi bereit. Diese scheiterte aber an der strikten Weigerung Spartas, die Unabhängigkeit Messeniens anzuerkennen, und an der Unterstützung, die es in dieser Frage von Athen und dem persischen Gesandten Philiskos erhielt.
Als im Lauf der weiteren Auseinandersetzungen Dionysios II. von Syrakus seine Hilfe für die Spartaner einstellte, wandten diese sich wiederum an Persien um Vermittlung. So kam es 367/366 v. Chr. zu dem von dem Altertumsforscher Karl Julius Beloch so genannten „Wettkriechen“ der hellenischen Gesandten am Hof des Großkönigs, das der Thebaner Pelopidas am Ende für sich entschied. Persien erkannte nun Theben in gleicher Weise als Ordnungsmacht in Griechenland an wie Sparta 20 Jahre zuvor im Königsfrieden. Messenien sollte künftig von Sparta, Amphipolis von Athen unabhängig sein, und den Eleiern sollten die umstrittenen Grenzgebiete um Triphylia zugestanden werden. Ebenso sollten wieder alle Truppen und die Flotte der Athener abgebaut werden.
Auch dieser Vorschlag zu einem Allgemeinen Frieden wurde von Sparta und Athen abgelehnt. Zudem gelang es Theben nicht, die übrigen Poleis einzeln zu seiner Annahme zu bewegen. Diese beiden Versuche einer koiné eiréne unter thebanischen Vorzeichen stellten im Grunde eine Rückentwicklung der Friedensidee auf den Stand von 387 v. Chr. dar: Persien versuchte, mittels einer innergriechischen Hegemonialmacht Einfluss zu nehmen und einen Allgemeinen Frieden zu erzwingen. Dass beide Vertragsentwürfe, anders als der Königsfriede, abgelehnt wurden, lag zum einen daran, dass die Drohung des Großkönigs, mit Gewalt gegen einen Friedensbrecher vorzugehen, wegen der innerpersischen Entwicklung mittlerweile erheblich an Substanz verloren hatte. Der wichtigste Grund dürften aber die Erfahrungen gewesen sein, die Griechenlands Städte nach dem Königsfrieden mit Sparta gemacht hatten.
Die koiné eiréne von 362
Aufgrund des wachsenden Drucks Thebens auf Athen – etwa durch die Eroberung von Oropos im Jahr 366 v. Chr. – wurde auch dessen Politik wieder aggressiver, zumal wirkliche Hilfe von seinen Verbündeten ausblieb. Keine der griechischen Mächte konnte sich aber in den Folgejahren völlig durchsetzen. Auch der Konflikt, der aus der Spaltung des Arkadischen Bundes entstand, blieb letztlich unentschieden. Er gipfelte 362 v. Chr. in der Schlacht von Mantineia zwischen Theben und seinen Verbündeten einerseits und Sparta, Athen und ihren Bundesgenossen andererseits. Nach der Schlacht, in der Thebens überragender Heerführer Epameinondas fiel, betrachteten sich alle Beteiligten als Sieger und schlossen wieder einen Allgemeinen Frieden.
Erstmals kam der Vertrag weder auf Betreiben einer oder mehrerer der führenden Mächte noch auf persischen Druck hin zustande. Darin und in der Ablehnung der Griechenstädte, den kleinasiatischen Satrapenaufstand gegen den Großkönig zu unterstützen, haben manche Forscher ein positives Element gesehen. Danach hätten die Griechen sich auf sich selbst besonnen und es geschafft, aus eigener Kraft Frieden zu schließen. Der wahre Grund für diese neuerliche koiné eiréne dürfte aber allein in der völligen militärischen und materiellen Erschöpfung aller Beteiligten zu sehen sein. An ein Eingreifen in Kleinasien war in ihrer Situation ohnehin nicht zu denken.
Auf die weit verbreitete Kriegsmüdigkeit und den Wunsch, so rasch wie möglich Frieden zu machen, deuten vor allem die vertraglichen Regelungen hin, die es jeder Stadt erlaubten, zu behalten, was sie zum Zeitpunkt des Friedensschlusses gerade besaß. Territoriale Probleme wurden so zwar nicht gelöst, stellten aber auch kein Hindernis mehr für ein Abkommen dar. Der Arkadische Bund blieb in eine Nord- und eine Südhälfte gespalten, und Messenien blieb weiter unabhängig. Da die Hälfte des Grundbesitzes der Spartaner in diesem Gebiet lag, traten sie auch dieser koiné eiréne nicht bei. Andererseits waren sie aber auch nicht mehr in der Lage, den Krieg weiterzuführen.
Der Althistoriker Hermann Bengtson sieht im Jahr 362 eine Epochengrenze, da sich damals das Versagen der griechischen Poleis manifestiert habe. Keine von ihnen sei in der Lage gewesen, durch eine Hegemoniebildung Griechenland politisch neu zu ordnen. Vielmehr hätten sie sich im Kampf aller gegen alle verbraucht. Auch gemeinsam seien sie zu einer solchen Neuordnung nicht fähig gewesen, da letztlich weder der panhellenische Gedanke noch die Idee des Allgemeinen Friedens zu einer konstruktiven Politik geführt hätten.
Die koiné eiréne als Grundlage des Korinthischen Bundes
Die innergriechische Politik verlief nach Mantineia in den alten Gleisen. Als sich in den 50er Jahren des 4. Jahrhunderts immer stärker der Konflikt mit der aufsteigenden makedonischen Großmacht abzeichnete, lebte auch die Idee des Allgemeinen Friedens noch einmal auf. Zunächst machte Makedonien den Vorschlag, den Frieden des Philokrates, der den Dritten Heiligen Krieg beendet hatte, durch eine koiné eiréne zu ersetzen. Wegen der anhaltend aggressiven Politik Makedoniens gegen Athen setzten sich dort jedoch in den nächsten Jahren die Verfechter eines dezidiert antimakedonischen Kurses unter Demosthenes durch. Sie lehnten den Vorschlag ab und befürworteten stattdessen den Krieg gegen König Philipp von Makedonien. Tatsächlich brachten die Athener 340/339 v. Chr. einen großen Bund griechischer Staaten zusammen. Dessen Heer jedoch wurde 338 v. Chr. von Philipps Truppen in der Schlacht von Chaironeia vernichtend geschlagen.
Die Makedonen gingen anschließend aber nur gegen Theben äußerst hart vor, während sie sich die Macht Athens und der anderen Poleis durch ein Bündnis zunutze machen wollten. Der von Philipp initiierte Korinthische Bund beruhte formal auf einer koiné eiréne. Der Bundesvertrag enthielt das ausdrückliche Verbot, mit Gewalt in die Verfassungen anderer Städte einzugreifen – eine wesentliche Präzisierung der Autonomieklausel – , außerdem erstmals generelle Verbote von Fehden und Kaperei sowie eine Garantie der freien Schifffahrt. Der Bund, dem wiederum nur Sparta nicht beitrat, bildete ein Synhedrion: einen Rat, der mit Philipp als Person eine Symmachie einging. Der Makedonenkönig wurde so zum Hegemon des Bundes.
Theoretisch waren also Freiheit und Autonomie der griechischen Städte gesichert. In der Praxis wurde aber bereits das allgemeine Fehdeverbot als starke Einschränkung der Unabhängigkeit empfunden. Zudem erhielten die Makedonen das Recht, Besatzungen nach Theben, Akrokorinth und Chalkis zu verlegen: vorgeblich zur Wahrung der allgemeinen Sicherheit.
Der Korinthische Bund war also die endgültige Absage an eine koiné eiréne auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung und verband die Friedensidee wieder mit der Garantie durch eine starke Hegemonialmacht. Symmachie und koiné eiréne bedingten sich in dem Bündnisvertrag gegenseitig. Die panhellenische Vorstellung von einer Einigung Griechenlands und einem „Rachefeldzug“ gegen die Perser, wie ihn Alexander der Große wenige Jahre später propagierte, wurde erst durch diesen Allgemeinen Frieden ermöglicht.
Chancen und Scheitern der Friedensidee
Mit „Autonomie und Freiheit“ hatten die griechischen Poleis zu Beginn des 4. Jahrhunderts eine für alle Seiten akzeptable Formel für eine umfassende Friedensregelung gefunden. Ohne sie war nach 387 v. Chr. kein Friedensschluss mehr möglich, auch wenn die Vereinbarungen meist nur wenige Jahre hielten. Aber die Prinzipien des Allgemeinen Friedens fanden auch Eingang in Bündnisverträge wie die Gründungsakten des 2. Attischen Seebunds und des Korinthischen Bundes. Eine große Chance zur Verwirklichung einer wahren koiné eiréne lag auch darin, dass sich die Friedensidee als flexibel genug für Weiterentwicklungen erwies.
Sie scheiterte jedenfalls nicht daran, dass den griechischen Poleis bis zur Etablierung der makedonischen Großmacht nicht genügend Zeit zu ihrer Realisierung blieb. Die besten Chancen zu einer dauerhaften Friedenslösung auf gleichberechtigter Basis waren schon mit dem Scheitern der koiné eiréne von 371 vertan. Neun Jahre später, nach der Schlacht von Mantineia, sah man in einem Allgemeinen Friedensvertrag nur noch eine Notlösung. Ihre Wiederbelebung durch Philipp von Makedonien erfuhr sie nur, weil sie dessen Machtinteressen nützte, so wie zuvor schon den Interessen Persiens, Spartas, Athens und Thebens.
Vieles spricht auch dafür, dass das Scheitern der koiné eiréne in ihrem Wesen begründet war, speziell in der weitgehenden Auslegung des Autonomiegebots. Die wechselseitige Machtkontrolle zwischen Staaten war im 4. Jahrhundert v. Chr. nur in Ansätzen möglich. In einer solchen Zeit musste ein Denken, das selbst Beschränkungen der Kriegsführung als Beschneidung der eigenen Autonomie und Freiheit empfand, eine dauerhafte Friedensordnung fast zwangsläufig scheitern lassen.
Den Staatsmännern der Poleis war bewusst, dass guter Wille allein kein Garant einer koiné eiréne sein konnte. Je nach politischer Konstellation entwickelten sie daher Vertragsmechanismen, die Friedensstörer abschrecken sollten. Sie tasteten sich langsam zu der Erkenntnis vor, dass ein Allgemeiner Friede auf gleichberechtigter Basis nur dann möglich würde, wenn alle Beteiligten bereit wären, einem angegriffenen Bündnismitglied notfalls militärisch zu Hilfe zu eilen. Dies wiederum setzte ein ungefähres Gleichgewicht zwischen den griechischen Poleis voraus, das aber nur in der kurzen Zeit zwischen 375 v. Chr. und der Schlacht von Leuktra wirklich gegeben war. Vorher und nachher hatte ein Allgemeiner Friede nur eine Chance, wenn eine starke Garantiemacht bereit war, ihm notfalls mit Gewaltandrohung Geltung zu verschaffen.
Immerhin entwickelten die Griechen des 4. vorchristlichen Jahrhunderts in der Diskussion um die koiné eiréne Prinzipien, die erst in der Neuzeit wiederentdeckt und zur Grundlage dauerhafter Friedensschlüsse und -organisationen geworden sind. Auf der Gleichberechtigung souveräner Staaten und dem Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten (dem Wesen der Autonomie) basierte bereits der Westfälische Friede. Immanuel Kant forderte in seiner Schrift Zum ewigen Frieden einen „Völkerbund“, der mit Machtmitteln zur Bekämpfung von Friedensstörern ausgestattet sein solle, ähnlich wie sie schon die koiné eiréne nach der Schlacht von Leuktra vorgesehen hatte. Auf Kants Ideen wiederum beriefen sich im 20. Jahrhundert die Gründer des Völkerbunds und der Vereinten Nationen. Eine definitive Antwort auf die Frage nach einer dauerhaften Friedenssicherung hat die Welt von heute aber ebenso wenig gefunden wie die Welt der griechischen Poleis vor 2400 Jahren.
Literatur
Quellen
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