Kunstmusik

Kunstmusik

Kunstmusik ist ein Abgrenzungsbegriff von Musikstilen der (europäischen) Hochkultur, die im Unterschied zu anderen Musikformen mit bestimmten Funktionen - etwa der Programmmusik oder der Tanzmusik - als autonome Kunst angesehen werden.[1] Aufgrund der Fortentwicklung des Kunstbegriffs grenzt sie sich von der Musik der Volks- und Subkultur ab. Im Gegensatz zum gelegentlich fast synonym verwendeten Begriff ernste Musik, der sich primär von unterhaltender Musik abgrenzt, liegt die Betonung folglich auf dem künstlerisch-kulturellen Anspruch eines Werks.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Bis etwa zum 19. Jahrhundert lässt sich Kunstmusik recht klar als die Musik der oberen sozialen Schichten umreißen, von denen sie vorrangig gehört und rezipiert wird. Im 20. Jahrhundert wird die Abgrenzung mit zunehmender Pluralisierung der Gesellschaft schwieriger. Die vormals das Konzept der Kunstmusik tragenden, klar abgeschlossenen Gesellschaftskreise lösen sich auf, während das sich öffnende kulturelle (Bildungs-)Angebot breiteren gesellschaftlichen Schichten den Zugang zu allen Seiten des Musikbetriebs ermöglichte. Während die Entwicklung der Musikkultur bis zum 19. Jahrhundert meist relativ homogen erscheint, beginnt spätestens im Zeitalter der Postmoderne der Kunstbegriff schwerer fassbar zu werden, wodurch eine klare Trennung in der Kunstmusik zuzurechnende Musik und Musik ohne einen solchen Kunstanspruch erschwert wird.

Kriterien

Der künstlerisch-kulturelle Wert einer Komposition ist nach dem Ende des Serialismus objektiv schwer zu bemessen. Als ein wichtiges Kriterium für Kunstmusik wird mitunter die exakte Notation angeführt, weil sie als Voraussetzung für eine tiefere geistige Durchdringung gesehen wird. Dies schließt allerdings eine Reihe von Werken aus, die mit Aleatorik und Improvisation arbeiten, aber trotzdem gemeinhin zur Kunstmusik gerechnet werden (vergleiche beispielsweise John Cages Werk 4'33"). Die Zugehörigkeit solcher Werke zur Kunstmusik wird damit begründet, dass die Essenz des Werks in der zugrunde liegenden philosophisch-musikalischen Idee liegt, die ebenfalls ein hohes Maß an geistiger Durchdringung aufweise. Es ist zunehmend nicht mehr möglich, „auf Materialeigenschaften zu verweisen, die eine klar abgrenzbare Musiksphäre definieren. Auf die gleiche Art also, wie die Konzeptkunst die Frage aufwirft ›Was ist Kunst?‹, evoziert die Neue Musik die Frage ›Was ist Musik?‹.“[1]

Auch eine Einordnung anderer gegenwärtiger Musikgenres wird vage. Der Free Jazz beispielsweise spricht, wie es bei als Kunstmusik bezeichneter Musik im Allgemeinen auch der Fall ist, ein gewissermaßen elitäres Publikum an und hat mit zumeist fast durchgängig der Kunstmusik zugerechneten Neuen Musik mitunter mehr gemein als mit ursprünglichem Jazz. Auch der Modern Creative Jazz und die Neue Improvisationsmusik erheben einen Kunstanspruch.

Problematisierung

Die Verwendung des Begriffs „Kunstmusik“ birgt die Gefahr, eine generelle künstlerische und kulturelle Minderwertigkeit von nicht der Hochkultur zuzurechnender Musik (zum Beispiel Pop-, Rock-, Volksmusik oder Jazz) zu implizieren und ist deshalb, wie auch der Begriff der ernsten Musik, umstritten. Es ist schwierig zu begründen, warum Werke solcher Genres kein hohes Maß an geistiger Durchdringung (sei es auf musikalischer oder konzeptioneller Ebene) aufweisen können sollen.

Zudem schrieben auch klassische Komponisten wie Mozart oder Haydn schon funktionale Musik. Auch später komponierten beispielsweise Johannes Brahms (Ungarische Tänze) oder Franz Liszt (Ungarische Rhapsodien) Werke, die das breitere Publikum ansprechen sollten. Daher ist eine strikte Trennung von Unterhaltungs- und Kunstmusik beinahe unmöglich.

Da die heutige Vorstellung von Kunstmusik stark von abendländischer Musik geprägt ist, insbesondere auch von Theodor W. Adornos Definition der Komposition als „Arbeit mit geistfähigem Material“, werden auch außereuropäische Musikkulturen, die sich grundsätzlich von der abendländischen unterscheiden können, leicht pauschal unter dem Sammelbegriff Weltmusik als Popularmusik kategorisiert und die Existenz von dortiger musikalischer Hochkultur übersehen.

In der Musikästhetik, aber auch bei Musikern ist heute der Begriff Kunstmusik umstritten; an seiner Stelle ist teilweise von Musik als Kunst die Rede. Dies deutet an, „dass es um einen Kunstbegriff geht, für den der Musikbegriff offensichtlich nicht garantieren kann“.[1] Der hier reklamierte „Kunstbegriff ist eben etwas anderes - etwas das ›außerhalb‹ liegt und einen gewissen Abstand zu dem hat, was wir gewöhnlich mit dem Begriff ›Musik‹ assoziieren, auch wenn letzterem ästhetisches innewohnt. ... Indem die Begriffe ›Kunst‹ und ›Musik‹ getrennt werden, wird eine Freiheit eingeräumt; es entsteht eine Relation, die beide Begriffe in ihrem Verhältnis zueinander unsicher macht.“[1]

Nachweise

  1. a b c d Emil Bernhardt: Was heißt „Kunstmusik“? In: KunstMUSIK. Schriften zur Musik als Kunst. 10, 2008, ISSN 1612-6173, S. 4–8.

Siehe auch


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