L'Estro Armonico

L'Estro Armonico

L'Estro Armonico („Die harmonische Eingebung“) ist der Titel eines Zyklus von zwölf Konzerten für Violinen und Streichorchester, den Antonio Vivaldi 1711 veröffentlichte, nachdem bis dahin von ihm nur Sonaten im Druck verfügbar waren. Das Werk wurde schon nach kurzer Zeit in London (durch John Walsh) und Paris (Le Clerce Cadet) nachgedruckt.

Die Partitur ist durchweg achtstimmig notiert, für vier Violinen, zwei Violen, Violoncello und Continuo. Nach einem strengen Schema setzt das erste Konzert alle vier Violinen solistisch ein, das zweite zwei, das dritte nur die erste Violine - diese Folge wiederholt sich dann in den weiteren Konzerten. Hinzu tritt in einigen Konzerten (manchmal auch nur in Einzelsätzen) ein Solocello. Die Tonarten der Konzerte wechseln zwischen Dur und Moll ab, durch Vertauschung in den letzten beiden Konzerten endet der Zyklus aber in Dur.

Dennoch wirkt der Zyklus nicht ganz einheitlich; er enthält offenbar auch einige ältere Werke, in denen Vivaldi seine Satzfolge, den Aufbau aus abwechselndem Ritornell und modulierender Solopassage und seine Instrumentalbehandlung noch nicht standardisiert hatte. So wirken die Kompositionen ungewöhnlich vielgestaltig und besitzen an vielen Stellen die Frische des „zum ersten Mal“.

Satztechnisch liegt den Kompositionen über weite Strecken ein rein dreistimmiger obligater Satz zugrunde; typisch ist, dass auch in den Konzerten für vier Violinen die Solostellen immer nur zwei Violinen und den Bass gleichzeitig einsetzen[1].

Inhaltsverzeichnis

Einfluss

Vivaldi und ganz besonders dieser Konzertzyklus hat einen enormen Einfluss auf die europäischen Komponisten gehabt, der manchmal als Vivaldi-Fieber bezeichnet wird[2]. Dieser Einfluss setzte bereits vor der Verfügbarkeit der Druckausgabe ein, da die Konzerte auch in Abschriften überliefert waren. Auch die theoretischen Schriften von Quantz und Mattheson beziehen ihre Ratschläge für die Anlage eines Konzerts ganz offenbar aus dem Beispiel des Estro Armonico.

In Johann Sebastian Bachs frühen Konzerten ist der Einfluss Vivaldis und des Estro Armonico ebenfalls unverkennbar. Zunächst bearbeitete er einzelne der Konzerte für Orgel oder Cembalo (er fertigte sich also sozusagen einen Klavierauszug an), wobei er Mittelstimmen ergänzte und die Basslinien belebte sowie imitierende Stimmen einfügte. Er schrieb dann eine ganze Reihe von Konzerten für verschieden besetzte Instrumentalgruppen (wie etwa die Brandenburgischen Konzerte), in denen Vivaldis Einfluss offensichtlich ist; Jahrzehnte später veröffentlichte er in Leipzig sein Italienisches Konzert.

Bachs Bearbeitungen gehen offenbar ausnahmslos auf Abschriften, nicht auf die Druckausgabe, zurück; er könnte etwa 1713 durch seinen Dresdner Freund Johann Georg Pisendel mit Vivaldis Musik in Kontakt gekommen sein.

Übersicht über die Konzerte

Konzert 1 D-Dur

  • Allegro
  • Largo e spiccato
  • Allegro

Solo: 4 Violinen; Violoncello

Das Violoncello hat nur im ersten Satz ein echtes Solo, wo dies die Funktion des Ritornellthemas übernimmt. Das Werk dürfte eins der ältesten des Zyklus sein.

Konzert 2 g-Moll

  • Adagio e Spiccato
  • Allegro
  • Larghetto
  • Allegro

Solo: 2 Violinen, Cello

Konzert 3 G-Dur

  • Allegro
  • Largo
  • Allegro

Solo: Violine

Bach bearbeitete dieses Konzert in F-Dur für Cembalo solo (BWV 978).

Konzert 4 e-Moll

  • Andante
  • Allegro assai
  • Adagio
  • Allegro

Solo: 4 Violinen

Konzert 5 A-Dur

  • Allegro
  • Largo
  • Allegro

Solo: 2 Violinen

Konzert 6 a-Moll

  • Allegro
  • Largo
  • Presto

Solo: Violine

Bach bearbeitete dieses Konzert für Orgel (BWV 593, ebenfalls in a-Moll).

Konzert 7 F-Dur

  • Andante
  • Adagio
  • Allegro – Adagio
  • Allegro

Solo: 4 Violinen, Cello

Das Konzert scheint am Anfang nur für zwei Violinen konzipiert gewesen zu sein[3]. Bach bearbeitete dieses Konzert für Cembalo solo (BWV 972) und transponierte es dabei nach D-Dur.

Konzert 8 a-Moll

  • Allegro
  • Larghetto e spirituoso
  • Allegro

Solo: 2 Violinen

Bach bearbeitete dieses Konzert für Orgel solo (BWV 593).

Konzert 9 D-Dur

  • Allegro
  • Larghetto
  • Allegro

Solo: Violine

Konzert 10 h-Moll

  • Allegro
  • Largo e spiccato
  • Allegro

Solo: 4 Violinen

Am beeindruckendsten ist vielleicht der langsame Satz, in dem die vier Violinen gleichzeitig vier verschiedene Arten von Arpeggio verwenden und so der Akkordstudie einen ungewöhnlichen, eigenartig schillernden Klang geben.

Bach hat dieses Konzert zu einem Konzert für vier Cembali und Orchester in a-Moll umgearbeitet.

Konzert 11 d-Moll

  • Allegro - Adagio e Spiccato - Allegro
  • Largo e Spiccato
  • Allegro

Solo: 2 Violinen, Violoncello.

Dieses Konzert ist sicher das bekannteste des Zyklus. Der erste Satz beginnt mit den beiden Soloviolinen, die sich gegenseitig mit der leeren d-Saite begleiten; es folgt ein virtuoses Cellosolo, das vom ganzen Orchester mit wuchtigen Akkorden beantwortet wird (Adagio e Spiccato); dann folgt eine vierstimmige Fuge mit ausgedehnten Solopartien. Der zweite Satz, ein Siciliano, ist ein begleitetes Solo der ersten Violine; der konzertante Schlusssatz setzt dann wieder das vollständige Trio in den Solopassagen ein.

Das Werk hat Bach sicher sehr beeindruckt – er bearbeitete es zu einem Orgelsolostück (BWV 596), das sein Sohn Wilhelm Friedemann später als eigene Komposition ausgab. Einen ersten Reflex könnte der Singstimmeneinsatz der Kantate 21 Ich hatte viel Bekümmernis darstellen[4], der das Ritornellthema des letzten Satzes aufnimmt.

Konzert 12 E-Dur

  • Allegro
  • Largo e Spiccato
  • Allegro

Solo: Violine

Bach bearbeitete dieses Konzert in C-Dur für Cembalo solo (BWV 976).

Referenzen

  1. Hans Grüß: Über Verbindungslinien, die man zwischen Bachs Weimarer Concertobearbeitungen und einer Reihe seiner eigenen Kompositionen ziehen kann, in: Martin Geck (Her.): Bachs Orchesterwerke, Witten 1997
  2. Peter Ansehl: Zum Problem der Ritornellstrukturen in den Brandenburgischen Konzerten Johann Sebastian Bachs, in: Köthener Bach-Hefte, Heft 4, 1986
  3. Cristopher Hogwood in: Vivaldi: L'Estro Armonico, Op . 3; Volltext
  4. Alfred Dürr: Studien über die frühen Kantaten J.S. Bachs, 1951

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