Landesabitur

Landesabitur

Als Zentralabitur wird eine Abiturprüfung bezeichnet, bei der die schriftlichen Prüfungsaufgaben von einer zentralen Behörde vorbereitet werden. In Deutschland ist dies in der Regel das Kultusministerium des Landes.

Inhaltsverzeichnis

Situation und Entwicklung in den deutschen Ländern

Derzeit führen 15 der 16 Länder (93,75%) ein Zentralabitur durch.

In vier Ländern wurde das Zentralabitur direkt nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt, teilweise unter Einfluss der französischen beziehungsweise amerikanischen Besatzungsmacht:

Nach dem Ende der Besatzungszeit wurde es in Rheinland-Pfalz jedoch wieder abgeschafft.

Von den fünf Neuen Bundesländern führten vier das Zentralabitur bereits kurz nach der Wiedervereinigung ein. In der DDR wurde das Abitur zentral geschrieben:

Brandenburg orientierte sich zunächst an Nordrhein-Westfalen.

Nach 2000 setzte, teilweise unter Berufung auf die PISA-Studien, ein neuer, bundesweiter Trend zum Zentralabitur ein:

Einzig Rheinland-Pfalz will derzeit das dezentrale Abitur beibehalten. Hier reichen die prüfenden Lehrer Aufgabenvorschläge ein, die von Landesfachberatern geprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Diese stellen die Einhaltung der EPA (Einheitliche PrüfungsAnforderungen) und der formalen Vorschriften sicher.

Ablauf am Beispiel Baden-Württemberg

Beim Zentralabitur werden landesweit ausgewählte Lehrer (die zum betreffenden Termin meist keinen eigenen Kurs auf das Abitur vorbereiten) aufgefordert, Abituraufgaben vorzuschlagen. Aus diesen Vorschlägen wählt eine Kommission aus. In einem mehrstufigen Verfahren werden die Aufgaben überprüft und wenn nötig umformuliert.

In Baden-Württemberg wird manchmal die Auswahl der aufgabenstellenden Lehrer auch folgendermaßen durchgeführt: Die vier Regierungspräsidien beziehungsweise die jeweiligen Referate für Schule und Bildung werden angewiesen, Aufgaben zu stellen. Diese fordern bei den Schulen nach einem ihnen eigenen Verfahren Aufgabenvorschläge an. Die ausgewählte Schule bestimmt einen Lehrer, der die Aufgaben ausarbeitet. Dabei wird versucht, jedes Jahr andere Lehrer zu bestimmen. Es kann vorkommen, dass Lehrer Aufgaben stellen, die selbst einen Kurs auf das Abitur vorbereiten. Dies gilt besonders für Fächer, die wenig verbreitet sind. Beispiel: Informationstechnik im Technischen Gymnasium.

Die Prüfungsaufgaben des Zentralabiturs kommen somit unter Mitwirkung einer beträchtlichen Anzahl erfahrener Pädagogen zustande, wobei das entscheidende Personal im Laufe der Jahre nur langsam erneuert wird. Diese personelle Kontinuität garantiert weitgehende Kontinuität in Art und Schwierigkeit der Aufgaben. Andererseits kann die Kultusbürokratie durch überraschende Teilaufgaben durchaus auch einmal Impulse für die Neuausrichtung des Unterrichts setzen, und dies wesentlich effizienter als durch Lehrplanänderungen.[1]

Wo kein Zentralabitur durchgeführt wird, muss jeder Lehrer, der einen Kurs auf das Abitur vorbereitet hat, mehrere Abiturvorschläge ausarbeiten, die von der Schulaufsichtsbehörde kontrolliert werden.

Die Korrektur erfolgt in Baden-Württemberg in drei Durchgängen. Die Erstkorrektur findet durch die Fachlehrkraft anhand des vorgegebenen Lösungshinweises statt, wobei auch, wieder nach Fächern verschieden, die Punkteverteilung vorgegeben ist. Die Arbeiten werden von der Schulleitung kodiert und damit anonymisiert. Die Oberschulämter verteilen dann die Arbeiten anonym zur Zweitkorrektur an jeweils andere Schulen. Erst- und Zweitkorrektor vermerken ihre Punkte nicht in den Arbeiten, sondern auf einem gesonderten Formular, wobei der Zweitkorrektor die Punkteverteilung und Gesamtpunktzahl des Erstkorrektors nicht erfährt. Die Klausuren gehen an die Oberschulämter zurück und von dort an anonyme Drittkorrektoren, in der Regel Fachberater beziehungweise Fachabteilungsleiter (A 15). Diese erhalten auch die Ergebnisse der Erst- und Zweitkorrektur. Sie legen schließlich die Noten endgültig fest, wobei sie sich im Regelfall nur zwischen den Noten der Erst- und Zweitkorrektur bewegen dürfen. Zwischen den Korrektoren der drei Durchgänge gibt es keinerlei Kommunikation. Der Erstkorrektor erfährt vor der mündlichen Abiturprüfung das Endergebnis, jedoch keinerlei Hinweise, worauf eventuelle Abweichungen von seiner Note beruhen.

Besonderheiten in anderen deutschen Ländern

Niedersachsen ist das erste Land, in dem die Verteilung der Abituraufgaben über das Internet erfolgt.[2]

In Nordrhein-Westfalen startete am 26. März 2007 mit dem Prüfungsfach Deutsch an 800 Gymnasien und Gesamtschulen erstmals die erste fast fünfstündige Zentralabiturprüfung, die den Schülern in Abweichung zur alten Regelung vier zentral ausgewählte Prüfungsthemen zur wahlweisen Bearbeitung vorlegt. Bei den Lehrern und rund 64.000 Schülern herrschte nach ersten Meinungsumfragen Zufriedenheit mit dem neuen Prüfmodus. Allerdings gab es in der Gedichtsanalyse im Deutsch-Leistungskurs gleich zwei Fehler. So wurde das Verfassungsdatum des Gedichts falsch angegeben, wobei sich die Aufgabenstellung auch noch explizit auf den epochalen beziehungsweise historischen Kontext bezog, und ein bedeutungsverändernder Fehler, der bei der Abschrift des Gedichts aus der Ursprungsquelle unbemerkt übertragen worden war, lag vor. Weitere bedeutende Fehler traten außerdem in den Klausuren der Leistungskurse Chemie und Biologie auf. Außerdem musste in den Klausuren des Sozialwissenschafts- und Geschichtsleistungskurses der Erwartungshorizont nachträglich abgeändert werden. Spekulationen über einen möglichen Vorteil für die Schüler beim ersten Durchgang in Nordrhein-Westfalen sind laut Ministerium völlig überzogen. Im Einzelfall ist es jedoch fraglich, ob Aufgabenvorschläge auf dem diesjährigen Niveau noch im Vorjahr zugelassen worden wären.

Eine ähnliche Regelung existiert auch im Saarland, dort jedoch schon seit längerer Zeit. Hier werden aus vier Themenbereichen (Gedichtinterpretation, Texterörterung, Problemerörterung und Textanalyse) drei Themen im Abitur den Abiturienten vorgeschlagen. Eines dieser Themen muss dann bearbeitet werden.

Pädagogische Wertung

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Pädagogisch ist das Zentralabitur umstritten, wobei die meisten Lehrer für diejenige Variante eintreten, die sie aus ihrem Land gewohnt sind.[1]

Auf den ersten Blick erweckt das Zentralabitur den Anschein besserer Vergleichbarkeit oder höherer Transparenz. Tatsächlich kann davon jedoch nicht die Rede sein, wenn nicht zugleich auch eine zentrale Bewertung erfolgt wie in anderen Schulsystemen – und das ist in Deutschland in keinem einzigen Bundesland der Fall. Vielmehr obliegt die Bewertung weiterhin den jeweiligen Kurslehrern. Zwar muss die Bewertung stellenweise, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, an einem zentral ausgegebenen Bewertungsraster ausgerichtet werden. Um Unabhängigkeit zu garantieren, findet in Baden-Württemberg und Sachsen eine Zweitkorrektur und Drittkorrektur an einer anderen Schule durch einen Zweit-/Drittkorrektor statt. Der Zweitkorrektor kennt weder den Namen von Erstkorrektor, Prüfling und Schule und weiß auch nicht, zu welcher Note der Erstkorrektor gekommen ist. Der Drittkorrrektor kennt ebenfalls die Namen der beiden Korrektore, der Schule und des Prüflings nicht, jedoch kennt er die beiden Vornoten und hat die Aufgabe zu einer Endnote zu kommen. Dieses Verfahren bildet jedoch die Ausnahme. In zahlreichen anderen Bundesländern ist zwar eine Zweitkorrektur vorgesehen, jedoch nicht notwendigerweise durch einen Lehrer an einer anderen Schule, und weder die Identität von Erstkorrektor und Prüfling noch die Note des Erstkorrektors sind hier geheim zu halten.

In ähnlicher Weise wird der zentralen Prüfung eine größere Gerechtigkeit attestiert. Dagegen lässt sich einwenden, dass bei einem zentral gestellten Abitur zwar die Prüfungsaufgaben, nicht aber die Vorbereitung für alle Schüler gleich ist. In diesem Kontext ist aber auch zu hinterfragen, inwiefern eine „gleiche“ Vorbereitung über identische Lehrpläne hinaus möglich wäre, zumal bei dezentral gestellten Prüfungen nahezu kein Anhaltspunkt zur Vergleichbarkeit der Vorbereitung der Schüler gegeben ist.

Trotzdem kommt es bei einem nichtzentralen Abitur in Einzelfällen vor, dass Lehrer ihre Schüler, unter Missbrauch ihres Ermessensspielraums, überaus gezielt auf einzelne Prüfungsaufgaben vorbereiten (literarisch verarbeitet in „Der Schüler Gerber“ von Friedrich Torberg). Um solche Gegebenheiten zu vermeiden, wurden entsprechende Kontrollmechanismen entwickelt, beispielsweise die schulaufsichtliche Kontrolle und Auswahl der eingereichten Aufgaben, eine Zweitkorrektur sowie mündliche Prüfungen bei signifikant von den Vornoten abweichenden schriftlichen Ergebnissen.

Die Heftigkeit, mit der in Deutschland über die Organisationsform des Abiturs gestritten wurde, ist wahrscheinlich nur mit dem in kultureller Tradition begründeten Symbolwert dieser Prüfung zu erklären. Denn die tatsächliche Bedeutung der schriftlichen Arbeiten ist durch die Ausgestaltung des Abiturs als ausbildungsbegleitende Prüfung seit 1972 stark reduziert. Nach derzeit (2004) bundesweit geltender Regelung gehen die Noten aus sämtlichen schriftlichen Prüfungen zusammengenommen mit einem Gewicht zwischen nur 10,7 Prozent (6/56) und 21,4 Prozent (12/56) in die Abiturnote ein (das genaue Gewicht hängt davon ab, wieviele Abiturfächer es gibt, wieweit mündliche Prüfungen stattfinden und ob eine besondere Lernleistung eingebracht wird).

Während die Auswirkung des Zentralabiturs auf die Abiturnote also zumeist überschätzt wird, hat es signifikanten Einfluss auf den vorhergehenden Unterricht und die individuelle Prüfungsvorbereitung: Mit zentralen Prüfungen geht ein Kanon an einheitlich zu behandelnden Inhalten einher, welcher den Unterricht in der vorausgehenden Qualifikationsphase deutlich stärker bindet als ein neuer oder geänderter Lehrplan.

Kritik

Bei der Durchführung der zentralen Prüfung ist es im Jahr 2008 zu Problemen gekommen: In Nordrhein-Westfalen etwa wurden in mehreren Fächern Aufgaben falsch, sinnentstellt oder unvollständig gestellt. Die ausgewählten Aufgaben wiesen für Kritiker einen Umfang und Schwierigkeitsgrad auf, der für die Schüler nicht zu bewältigen sei. Tatsächlich mussten in Nordrhein-Westfalen in einzelnen Leistungskursen 50 Prozent oder mehr der Schüler eine Nachprüfung absolvieren. Der Zusammenhang zum Zentralabitur wird jedoch von Befürwortern zurückgewiesen, da bei der Mehrheit der Schüler keine Auffälligkeiten festzustellen seien und die Lehrer aus einer Menge von Aufgaben auswählen könnten.[3]

2009 kam es in Hessen zu Fehlern beim Zentralabitur, sowohl die Grund- und Leistungskurse im Fach Mathematik waren betroffen. Diese Prüfung durfte ebenso wiederholt werden.

Auch in Niedersachsen kam es im Fach Deutsch zu Unregelmäßigkeiten durch sinnentstellende Kürzungen und falsche Vorgaben durch den Erwartungshorizont.

Situation in anderen Staaten

Das französische Baccalauréat und das litauische Abitur werden ebenfalls mit einheitlichen Aufgabenstellungen zentral geschrieben, die Matura in Österreich zum Beispiel dezentral, wobei auch hier mittelfristig die Aufgaben zentral vorgegeben werden sollen.

Quellen

  1. a b Botho Stumpf: Für und Wider zum Zentralabitur unter besonderer Berücksichtigung des Verfahrens in Baden-Württemberg. In: Der Mathematikunterricht. 39 (1), 59, 1993
  2. www.nibis.de – „Informationen auf dem niedersächsischen Bildungsserver“
  3. Spiegel Online – „Das Abi-Chaos von Nordrhein-Westfalen“

Literatur

  • Tobias Hoymann: Umdenken nach dem Pisa-Schock. Das gesamtdeutsche Zentralabitur als Motor für den Wettbewerb im Bildungsföderalismus. Tectum-Verlag, Marburg 2005, ISBN 3-8288-8826-7.

Weblinks


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