Annexion Österreichs

Annexion Österreichs
Der Deutsche Reichstag bei der Verkündung der Eingliederung Österreichs 1938

Mit Anschluss wird der Einmarsch deutscher Wehrmacht-, SS- und Polizeieinheiten in Österreich am 12. März 1938 und dessen darauf folgende De-facto-Annexion durch das nationalsozialistische Deutsche Reich bezeichnet. Der „Anschluss“, offiziell durch das am 13. März 1938 verabschiedete Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vollzogen, markierte das Ende der Ära des Austrofaschismus, der eine Zeit des Nationalsozialismus in Österreich folgte.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Friedrich Heer führt Anschlusswünsche der deutschsprachigen Bevölkerung der ehemaligen Habsburgischen Erblande bereits auf die Zeit der Gegenreformation zurück und sieht sie eng verknüpft mit der jahrhundertelangen politischen und kulturellen Konfrontation zwischen protestantischem Norddeutschland und katholisch-barock geprägtem, vielsprachigem Österreich, die in Folge durch die europäischen Großmächte Preußen und die Habsburgermonarchie getragen wurde. Die Protestanten sahen im evangelischen Norden des „deutschen Reiches“ die Erlösung von der so empfundenen „Einkerkerung“ durch Papst und Kaiser. Erstes Zentrum eines eigenständigen Österreichbewusstseins war laut Heer Wien, das von aufständischen Ländern, von Oberösterreich, Kärnten, der Steiermark, als die multikulturelle Residenz der übernationalen Habsburger bekämpft wurde.[1] Diese These wird empirisch gestützt, indem nachgewiesen werden konnte, dass in Oberösterreich in den Hauptwiderstandsgebieten zur Zeit der Bauernkriege Jahrhunderte später zur Zeit des Juliputsches, dem ersten Versuch Hitlers, Österreich an das Deutsche Reich anzuschließen, besonders viele illegale Nationalsozialisten aktiv waren.[2]

Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806, das die deutschsprachigen Erbländer Österreichs mit den anderen deutschen Staaten verbunden hatte, entstand 1815 auf dem Wiener Kongress als neue Verbindung der Deutsche Bund. Dieser lose Zusammenschluss von 41 deutschen Einzelstaaten wurde jedoch den Bestrebungen nach einem einheitlichen Staat nur unzureichend gerecht, sodass zur Erreichung dieses Zieles unterschiedliche Lösungsansätze entstanden: einerseits die Großdeutsche Lösung, ein neuer deutscher Gesamtstaat, einschließlich der deutschsprachigen Länder des Kaisertums Österreich (was allerdings keine Aussicht auf Erfolg hatte, da das österreichische Kaiserhaus nicht auf seine nicht-deutschsprachigen Gebiete verzichtet hätte) und andererseits die Kleindeutsche Lösung, ohne Österreich.

Von einem Beitritt des deutschsprachigen Teils von Österreich in einen deutschen Nationalstaat war bereits in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 die Rede. Georg Waitz richtete sich in seiner Rede vom 13. März 1849 gegen die Verbindung der deutschsprachigen mit den nicht-deutschsprachigen „Nationen“ in der Habsburgischen „Gesamtmonarchie“ und meinte, dass österreichische Deputierte es als ihre Aufgabe betrachten sollten, das Erbkaisertum zu hindern, damit wenigstens für die Zukunft ein Eintritt Österreichs möglich sei.

Die Kleindeutsche Lösung wurde nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg verwirklicht, so dass es zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches kam, dem Zusammenschluss von deutschen Fürstentümern und Königreichen unter Führung Preußens, aber ohne Österreich (auch ohne Liechtenstein, Luxemburg und anderer Gebiete mit deutschsprachiger Bevölkerung).

Anschlussbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Auseinanderbrechen des k. u. k. Vielvölkerstaates war der Zusammenschluss der neuen Republik Österreich (1918/1919 Deutschösterreich) mit dem nun ebenfalls republikanischen Deutschen Reich, der Weimarer Republik, das erklärte Ziel einer Mehrheit der österreichischen Politiker. Er schien die logische Folge des Nationalismus zu sein, der bereits den Vielvölkerstaat in nach Nationen abgegrenzte Staaten zerbrechen hatte lassen. Auch erschien das verhältnismäßig kleine „Restösterreich“ vielen angesichts des Umstandes, dass wirtschaftlich bedeutende Regionen fortan nicht mehr zum Staatsgebiet gehörten, als nicht lebensfähig. Die Hungerwinter 1918/19 und 1919/20 verstärkten diesen Eindruck.

Es spielten aber durchaus nicht nur deutschnational-ideologische Gesichtspunkte eine Rolle. So fürchteten die Sozialdemokraten – wie sich später zeigte zurecht –, im vorwiegend ländlich-konservativ geprägten Restösterreich politisch in die Defensive gedrängt zu werden, und erhofften eine Umsetzung des Sozialismus im Rahmen der deutschen Republik. Bei den Christlichsozialen spielte hingegen die Abneigung gegen den so empfundenen Wiener Zentralismus eine nicht unmaßgebliche Rolle. Befürwortet wurde vielfach kein einseitiger Anschluss wie er schließlich 1938 vollzogen wurde, sondern ein Zusammenschluss gleichberechtigter Bundesstaaten.[3]

Die Österreicher waren es jahrhundertelang gewohnt, in einem imperialen Reich zu leben und konnten sich mit dem neuen Kleinstaat nicht identifizieren. In dieser Situation wurde psychologisch geschickt die Legende lanciert und ständig genährt, dass das verhältnismäßig kleine Restösterreich wirtschaftlich nicht lebensfähig sei. Tatsächlich jedoch verblieben bedeutende Wirtschaftsbetriebe und -zweige im Land. Die Eindämmung der Nachkriegsinflation und die Stabilisierung der Wirtschaft wurden aber gerade deshalb nicht in Angriff genommen, weil man die Lösung der wirtschaftlichen Probleme im Anschluss sah und auf diesen verschob.[4]

Mit Unterzeichnung der Verträge von Saint-Germain für Österreich und Versailles für das Deutsche Reich (mit dem darin statuierten Anschlussverbot) wurde das Ziel der Vereinigung von beiden Seiten politisch vorerst nicht mehr aktiv weiter verfolgt. Sie blieb aber, aus verschiedenen Gründen, weiterhin erklärtes Fernziel, vor allem für die Großdeutsche Volkspartei, die Deutschnationale Bewegung wie auch für die Sozialdemokraten („Anschluß an Deutschland ist Anschluß an den Sozialismus“, Parole der Arbeiterzeitung). Auch die Christlichsoziale Partei trat politisch dafür ein.

Auf Landesebene stimmten im Mai 1919 die Vorarlberger mehrheitlich für den Anschluss ihres Bundeslandes an die Schweiz, was sowohl von der Schweizer Regierung als auch von der Bundesregierung in Wien abgelehnt wurde. Nach dem gescheiterten Restaurationsversuch des früheren Kaisers Karl I., der am 26. März 1921 nach Ungarn gereist war und versucht hatte, die ungarische Königskrone zu erringen, erstarkte vor allem in den noch monarchistisch-konservativ geprägten Bundesländern Widerstand gegen die republikanische Regierung in Wien. Mit Unterstützung aus dem benachbarten Bayern, wo die sozialistische Münchner Räterepublik zwei Jahre zuvor niedergekämpft worden war, bildeten sich in Salzburg und Tirol die ersten österreichischen Heimwehren. Diese setzten sich vehement für einen Zusammenschluss mit dem nun betont konservativ regierten Deutschland der Weimarer Zeit ein. Selbst Monarchisten, die den Zusammenschluss früher als „jüdische Erfindung“ abgelehnt hatten, strebten diesen gemeinsam mit den Deutschnationalen offen an.

Der Tiroler Landtag ließ im April 1921 eine Abstimmung durchführen, bei der sich eine Mehrheit von 98,8 % für den Zusammenschluss aussprach. Eine am 29. Mai 1921 in Salzburg durchgeführte Abstimmung ergab eine Zustimmung von 99,3 % der abgegebenen Stimmen. Weitere Abstimmungen wurden durch Proteste der alliierten Garantiemächte des Friedensvertrages, insbesondere der französischen Regierung, unterbunden. Für den Fall, dass weitere Bundesländer folgen sollten, wurde mit der Verhinderung von Auslandskrediten an das wirtschaftlich geschwächte Österreich gedroht. Bundeskanzler Michael Mayr (CS), der die Einstellung aller noch geplanten diesbezüglichen Abstimmungen gefordert hatte, trat am 1. Juni zurück, als der steirische Landtag ankündigte, dennoch abstimmen zu lassen. Sein Nachfolger wurde der deutschnational eingestellte parteilose Johann Schober (zugleich Polizeipräsident von Wien), der weitere Abstimmungen verhinderte und jene, die den Zusammenschluss anstrebten, auf einen späteren, dafür günstigeren Zeitpunkt verwies.

Mit der Machtergreifung des gebürtigen Oberösterreichers Adolf Hitler in Deutschland 1933, der 1925 seine österreichische Staatsbürgerschaft zurückgelegt hatte und 1932 im Alter von 43 Jahren deutscher Reichsbürger geworden war, änderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend.

Positionen der Parteien

Alle österreichischen Parteien mit Ausnahme der KPÖ waren vor 1933 grundsätzlich für eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAPÖ) zum Beispiel proklamierte noch 1926 im grundsätzlich marxistisch ausgerichteten Linzer Programm einen Anschluss „mit friedlichen Mitteln“ an die Deutsche Republik[5]. Sie strich den entsprechende Passus jedoch „angesichts der durch den Nationalsozialismus im Deutschen Reich veränderten Lage“ auf ihrem Parteitag 1933. Die Christlichsoziale Partei (CS) wie auch die nach dem Verbot aller anderen Parteien aus jener hervorgegangene Vaterländische Front traten ebenfalls gegen einen Anschluss auf.

Machtbeteiligung der Nationalsozialisten

Nach seiner Machtergreifung 1933 hielt sich Hitler, der die Forderung „Deutschösterreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande“ schon in seinem Buch Mein Kampf (1924/25) niedergeschrieben hatte, zunächst in Sachen Österreichs zurück. Er wollte Benito Mussolini nicht verärgern, da er ein Bündnis mit ihm anstrebte.

Am 25. Juli 1934 versuchten österreichische Nationalsozialisten unter Führung der SS-Standarte 89 einen Putsch (Juliputsch), der jedoch scheiterte. Einigen Putschisten gelang es, bis in das Bundeskanzleramt in Wien vorzudringen, wo Engelbert Dollfuß durch Schüsse so schwer verletzt wurde, dass er den Verletzungen wenig später erlag. Hitler bestritt eine Beteiligung an dem Putschversuch von deutscher Seite. Die seit 1933 verbotene österreichische NSDAP wurde zwar weiterhin aus dem Deutschen Reich unterstützt, aber das deutsche Regime ging nun verstärkt dazu über, das politische System in Österreich mit Vertrauensleuten zu unterwandern. Dazu zählten, neben anderen, Edmund Glaise-Horstenau, Taras Borodajkewycz und Arthur Seyß-Inquart.

Italien begann am 3. Oktober 1935 die Eroberung des damaligen Abessinien (Italienisch-Äthiopischer Krieg), woraufhin Großbritannien vor dem Völkerbund Sanktionen gegen Italien forderte und in der Folge die Auflösung der Stresa-Front und der Verträge von Locarno betrieb. Mussolini wurde damit international isoliert und an die Seite Hitlers gedrängt. Für die in Österreich regierende Vaterländische Front bedeutete das den Verlust eines wichtigen Verbündeten. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Nachfolger des ermordeten Dollfuß, musste nach Wegen suchen, das Verhältnis zum Deutschen Reich zu verbessern. Am 11. Juli 1936 schloss er mit Hitler das Juliabkommen. Das Deutsche Reich hob die in Folge des Verbots der NSDAP in Österreich 1933 verhängte Tausend-Mark-Sperre auf, in Österreich wurden inhaftierte Nationalsozialisten amnestiert und NS-Zeitungen wieder zugelassen. Darüber hinaus nahm Schuschnigg Vertrauensleute der Nationalsozialisten in die Regierung auf. Edmund Glaise-Horstenau wurde Bundesminister für nationale Angelegenheiten, Guido Schmidt Staatssekretär im Außenministerium und Arthur Seyß-Inquart in den Staatsrat aufgenommen. 1937 folgte die Öffnung der Vaterländischen Front für Nationalsozialisten. In neu eingerichteten „Volkspolitischen Referaten“, die meist unter der Leitung von Nationalsozialisten standen, konnte die NSDAP sich neu organisieren.

Nach Festigung seines Bündnisses mit Mussolini, der Achse Berlin-Rom, gelangte Hitler zu der Ansicht, dass Mussolini es müde wurde, den Wächter der österreichischen Unabhängigkeit zu spielen. Als er am 5. November 1937 der Wehrmachtsführung seine militärischen Pläne erläuterte (Hoßbach-Niederschrift), nannte er als spätesten Zeitpunkt für die Annexion der Tschechoslowakei und Österreichs das Jahr 1943, unter günstigen Umständen könne dies schon 1938 erfolgen.

Am 12. Februar 1938 zitierte Hitler Bundeskanzler Schuschnigg zu einem Treffen auf den Obersalzberg in Bayern. Hitler drohte mit dem Einmarsch der Wehrmacht, sollte das Parteiverbot für die österreichischen Nationalsozialisten nicht wieder aufgehoben und ihnen die volle Agitationsfreiheit gewährt werden. Auch forderte er ihre verstärkte Einbindung in die Regierung. Schuschnigg beugte sich den Drohungen und glaubte, mit dem Berchtesgadener Abkommen die Selbständigkeit Österreichs sichern zu können. Wie von Hitler gefordert, wurde Seyß-Inquart am 16. Februar zum Innenminister ernannt und erlangte damit die Kontrolle über die Polizei.

Als Schuschnigg erkannte, dass seine neuen Regierungspartner ihm innerhalb weniger Wochen den Boden unter den Füßen wegzogen und dabei waren, die Macht zu übernehmen, gab er am 9. März bekannt, am folgenden Sonntag, dem 13. März, eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit Österreichs abhalten zu wollen. Die Frage hierin sollte lauten, ob das Volk ein „freies und deutsches, unabhängiges und soziales, ein christliches und einiges Österreich“ wolle oder nicht. Hitler, der offenbar eine Ablehnung des Anschlusses an das Deutsche Reich befürchtete, quittierte das mit der Mobilmachung der für den Einmarsch vorgesehenen 8. Armee. Glaise-Horstenau, der zu diesem Zeitpunkt in Berlin gewesen war, überbrachte von dort das Ultimatum Hitlers, das von Hermann Göring zusätzlich in Telefonaten mit Schuschnigg bekräftigt wurde. Die Reichsregierung forderte die Verschiebung beziehungsweise die Absage der Volksbefragung. Am Nachmittag des 11. März willigte Schuschnigg ein. Noch am selben Abend erzwang Hitler den Rücktritt Schuschniggs zugunsten Arthur Seyß-Inquarts. Göring ließ daraufhin auf Befehl Hitlers ein Telegramm mit der Bitte um die Entsendung reichsdeutscher Truppen aufsetzen, das sich die Reichsregierung daraufhin im Namen des neuen Bundeskanzlers Seyß-Inquart selbst zusandte.

Carl Zuckmayer schrieb in Als wär’s ein Stück von mir über den 11. März 1938:

„An diesem Abend brach die Hölle los. Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen. Die Stadt verwandelte sich in ein Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch: Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen. Die Luft war von einem unablässig gellenden, wüsten, hysterischen Gekreische erfüllt, aus Männer- und Weiberkehlen, das tage- und nächtelang weiterschrillte. Und alle Menschen verloren ihr Gesicht, glichen verzerrten Fratzen; die einen in Angst, die anderen in Lüge, die anderen in wildem, hasserfülltem Triumph. Ich hatte in meinem Leben einiges an menschlicher Entfesselung, Entsetzen oder Panik gesehen. Ich habe im Ersten Weltkrieg ein Dutzend Schlachten mitgemacht, […] Ich hatte die Unruhen der Nachkriegszeit miterlebt, […] Ich war beim Münchner »Hitler-Putsch« von 1923 mitten unter den Leuten auf der Straße. Ich erlebte die erste Zeit der Naziherrschaft in Berlin. Nichts davon war mit den Tagen in Wien zu vergleichen. Was hier entfesselt wurde, hatte mit der »Machtergreifung« in Deutschland, die nach außen hin scheinbar legal vor sich ging und von einem Teil der Bevölkerung mit Befremden, mit Skepsis oder mit einem ahnungslosen, nationalen Idealismus aufgenommen wurde, nichts mehr zu tun. Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Missgunst, der Verbitterung, der blinden böswilligen Rachsucht – und alle anderen Stimmen waren zum Schweigen verurteilt. […] Hier war nichts losgelassen als die dumpfe Masse, die blinde Zerstörungswut, und ihr Haß richtete sich gegen alles durch die Natur oder Geist Veredelte. Es war ein Hexensabbat des Pöbels und ein Begräbnis aller menschlicher Würde.“

Carl Zuckmayer

Vollzug des Anschlusses

Demontage von Schlagbäumen durch österreichische und deutsche Grenzbeamte, März 1938
Deutsche Polizeieinheiten beim Einmarsch in Imst
Wagenkolonne Hitlers in Wien (Praterstern)

Nachdem Hitler am 11. März 1938 die „Militärische Weisung für den Einmarsch in Österreich“ unter dem Decknamen „Unternehmen Otto“ ausgestellt hatte, ließ er am 12. März 1938 Soldaten der Wehrmacht und Polizisten – insgesamt rund 65.000 Mann mit teils schwerer Bewaffnung – in Österreich einmarschieren, die von der Bevölkerung vielfach mit Jubel empfangen wurden. In Wien traf am Flughafen Aspern der Reichsführer-SS Heinrich Himmler in Begleitung von SS- und Polizeibeamten ein, um die Übernahme der österreichischen Polizei durchzuführen. Noch am selben Abend trafen in Linz Hitler und Seyß-Inquart zusammen und vereinbarten die sofortige Durchführung der „Wiedervereinigung“ ohne die früher geplanten Übergangsfristen. Das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich wurde am folgenden Tag in der zweiten Kabinettssitzung der Regierung Seyß-Inquart in Wien beschlossen; daher gilt allgemein der 13. März 1938 als eigentlicher Tag des Anschlusses.

Rede Hitlers in Wien am 15. März 1938

Am 15. März verkündete Hitler auf dem Heldenplatz in Wien unter dem Jubel zehntausender Menschen „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich”. Er bezeichnete Österreich als „älteste Ostmark des Deutschen Volkes“ und „jüngstes Bollwerk der Deutschen Nation und damit des Deutschen Reiches“.

Seyß-Inquart bildete eine nationalsozialistische Regierung und vollzog den Anschluss. Bereits in den ersten Tagen nach der Machtübernahme inhaftierten die neuen Machthaber, auch unter Mithilfe österreichischer Anhänger, rund 72.000 Menschen, insbesondere in Wien. Darunter waren viele Politiker und Intellektuelle der Ersten Republik und des Ständestaates sowie vor allem Juden. Auch der frühere Bundeskanzler Schuschnigg wurde zunächst unter Hausarrest gestellt und später wie die meisten anderen Häftlinge in das KZ Dachau deportiert. Die Polizei, die jetzt Himmler unterstellt war, unterband jeden nachhaltigen Widerstand. Am Brenner trafen sich schließlich deutsche und italienische Truppeneinheiten zu freundschaftlichen Zeremonien.

Volksabstimmung

Hitler ließ sich die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich nachträglich durch eine Volksabstimmung am 10. April 1938 absegnen. Im Vorfeld waren prominente Persönlichkeiten wie der Wiener Kardinal Theodor Innitzer, der eine Erklärung der Bischöfe dazu mit „Heil Hitler“ unterzeichnete, und der Präsident des evangelischen Oberkirchenrates Robert Kauer sowie Politiker, darunter der Sozialdemokrat und ehemalige österreichische Staatskanzler Karl Renner sowie der frühere Bundespräsident Michael Hainisch, und Künstler wie Paula Wessely und Josef Weinheber öffentlich für ein Ja eingetreten. In mehreren Städten Österreichs fanden vor der Abstimmung penibel inszenierte Auftritte hoher Funktionäre der NSDAP statt, so von Goebbels, Göring, Hess und anderen. Hitler selbst hielt am 9. April in der Nordwestbahnhalle eine Ansprache.

Stimmzettel zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich

Die Propaganda durchdrang alle Lebensbereiche: Fahnen, Banner und Plakate mit Parolen und dem Hakenkreuz-Symbol wurden in allen Städten, an Straßenbahnen, an Wänden und eigens errichteten Plakatständern und Säulen, angebracht; alleine in Wien fanden sich rund 200.000 Hitler-Portraits an öffentlichen Orten. Selbst in Poststempeln war zu lesen: „Am 10. April dem Führer Dein Ja“. Presse und Rundfunk waren fest in der Hand der neuen Machthaber, hatten kein anderes Thema als das Ja, so dass es keine öffentlichen Gegenstimmen gab. Rund acht Prozent der eigentlich Wahl- und Stimmberechtigten waren von der Abstimmung ausgeschlossen worden: etwa 200.000 Juden, rund 177.000 „Mischlinge“ und die bereits zuvor aus politischen oder rassistischen Gründen Verhafteten. Bei der Abstimmung selbst zogen viele es vor, nicht anonym in der Wahlzelle ihre Wahl zu treffen, sondern öffentlich vor den Wahlhelfern ihr Kreuz bei Ja zu machen, um nicht in den Verdacht zu geraten, gegen den Anschluss gestimmt zu haben und folglich als „Systemgegner“ möglichen Repressalien ausgesetzt zu sein.[6]

Auswirkungen

Uniformierte und Zivilisten sehen zu, als jüdische Mitbürger dazu gezwungen werden, Gehsteige zu reinigen; Wien, März od. April 1938

Am Abend des 10. April berichtete Gauleiter Bürckel aus dem Wiener Konzerthaus das Ergebnis der Abstimmung nach Berlin. Nach amtlichen Angaben hatte es eine Zustimmung von 99,73 % gegeben. Im Deutschen Reich, dem so genannten Altreich, stimmten 99,08 % für den Anschluss. Die Wahlbeteiligung in Österreich lag bei 99,71 %, im Altreich bei 99,60 %.

Zugleich bediente sich Deutschland bei den Gold- und Devisenreserven Österreichs, wo aufgrund der deflationistischen Wirtschaftspolitik der Regierungen in den 1930er Jahren beachtliche Mengen zusammengekommen waren, die nun in das devisenarme Deutsche Reich transferiert wurden. So gerieten mehr als 2,7 Milliarden Schilling an Gold und Devisen unter deutsche Kontrolle.[7]

Im bald in Ostmark umbenannten Österreich hatte die NSDAP großen Zulauf. Auswertungen von Mitgliedskarteien zufolge war der prozentuale Anteil der NSDAP-Mitglieder an der Gesamtbevölkerung im vormaligen Österreich höher als in den meisten Teilen des übrigen Deutschen Reichs.

Die Westmächte Großbritannien und Frankreich, die 1919 den Beitritt Deutschösterreichs zu einem föderalen Deutschen Reich und 1931 auch eine Zollunion verboten hatten, übersandten jetzt lediglich diplomatische Protestnoten. Die London Times schrieb dazu, schließlich habe sich Schottland vor 200 Jahren auch England angeschlossen. Lediglich Mexiko und die Sowjetunion legten Protest ein; erstere durch Übermittlung einer Protestnote „gegen die ausländische Aggression gegen Österreich“ beim Völkerbund sowie die – erfolglose – Forderung der Einberufung einer Ratstagung durch den damaligen Außenminister Eduardo Hay,[8] letztere durch Protestschreiben an die Westmächte.

Als Würdigung der mexikanischen Protestnote wurde am 27. Juni 1956 der Erzherzog-Karl-Platz in Wien in Mexikoplatz umbenannt. Seit 1985 steht dort ein Gedenkstein mit folgender Inschrift: „Mexiko war im März 1938 das einzige Land, das vor dem Völkerbund offiziellen Protest gegen den gewaltsamen Anschluß Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich einlegte. Zum Gedenken an diesen Akt hat die Stadt Wien diesem Platz den Namen Mexikoplatz verliehen.“ Ein 1988 gestiftetes weiteres Denkmal steht in Mexiko-Stadt.

Eingliederung in das „Großdeutsche Reich“

Hauptartikel: Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus

Die Österreicher wurden mit Verordnung vom 3. Juli 1938 zu Bürgern des Deutschen Reiches und teilten nun die nationalsozialistische Geschichte des nunmehr Großdeutschen Reiches bis zu dessen historischem Untergang 1945.

Am 1. Mai 1939 wurde das so genannte Ostmarkgesetz verabschiedet, mit dem die Befugnisse vom Reichsstatthalter an den Reichskommissar übergeben werden sollten. Die Umsetzung dieses Gesetzes war am 31. März 1940 beendet. Josef Bürckel wurde im April als „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ eingesetzt. Ihm folgte ab 1940 Baldur von Schirach. Das Staatsgebiet der ehemals souveränen Republik Österreich wurde in Reichsgaue (Kärnten, Niederdonau, Oberdonau, Salzburg, Steiermark, Tirol und Wien) aufgeteilt. Hitler ließ den von ihm ungeliebten Namen Österreich (nach seinen Worten eine „Mißgeburt der Geschichte“) anfangs durch Ostmark ersetzen, eine ab dem 19. Jahrhundert verbreitete Übersetzung für marcha orientalis, die damals auch für Gebiete im Osten Preußens verwendet wurde (siehe Deutscher Ostmarkenverein). In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gab es daneben einen Gau Bayerische Ostmark.[9]

Ab 1942 wurde die Benennung Ostmark durch Donau- und Alpenreichsgaue abgelöst. Der Historiker Karl Vocelka, Professor für österreichische Geschichte an der Universität Wien, sieht darin einen weiteren Schritt im Bestreben der nationalsozialistischen Machthaber, jeden Hinweis auf eine (historische) Eigenständigkeit Österreichs auszulöschen.[10] Möglicher Grund für die Umbenennung ist auch, dass im Zuge der Eroberungen des Deutschen Reiches in Osteuropa das frühere Österreich keine „östliche Grenzmark“ mehr darstellte.[11]

Einzelnachweise

  1. Friedrich Heer: Der Kampf um die österreichische Identität, Wien 2001, ISBN 3-205-99333-0, u.a. S. 21, 29, Kap. 3.
  2. Margarethe Haydter, Johann Mayr: Regionale Zusammenhänge zwischen Hauptwiderstandsgebieten zur Zeit der Gegenreformation und den Julikämpfen 1934 in Oberösterreich. In: Zeitgeschichte, 9. Jg., Heft 11/12, 1982, S. 392–407.
  3. Hellwig Valentin: Vom Länderpartikularismus zum föderalen Bundesstaat. In: Stefan Karner, Lorenz Mikoletzky (Hrsg.): Österreich. 90 Jahre Republik, Innsbruck 2008, ISBN 978-3-7065-4664-5, S. 35 ff.
  4. Stefan Karner: Problemfelder des wirtschaftlichen Aufbaus in Österreich 1918/19, in Stefan Karner, Lorenz Mikoletzky (Hrsg.): Österreich. 90 Jahre Republik. Innsbruck 2008, ISBN 978-3-7065-4664-5, S. 205ff.
  5. Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs: Das Linzer Programm, 3. November 1926.
  6. Wilhelm J. Wagner: Der große Bildatlas zur Geschichte Österreichs. Kremayr & Scheriau 1995, ISBN 3-218-00590-6 (Kapitel „Heim ins Reich“).
  7. Manfred Jochum: Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern. Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung, Wien 1983, S. 247.
  8. Die Protestnote Mexikos an den Völkerbund im Wortlaut.
  9. Helmut W. Schaller/Historisches Lexikon Bayerns: „Bayerische Ostmark, 1933–1945“; 1942 wurde der Gau Bayerische Ostmark, der infolge der NS-Eroberungspolitik nicht mehr im Grenzgebiet lag, in Gau Bayreuth umbenannt.
  10. Karl Vocelka: Geschichte Österreichs (S. 300), Heyne 2002, ISBN 3-453-21622-9.
  11. Andreas Hillgruber: „Die versuchte Auslöschung des Namens „Österreich“ und seine Ersetzung zunächst durch „Ostmark“, dann (als die Ostgrenze des Großdeutschen Reiches durch die vorrückende Front immer weiter nach Osten verschoben wurde) durch die Verlegenheitsbezeichnung „Donau- und Alpengaue“, kennzeichnete oberflächlich den Weg vermeintlich vollständiger Eingliederung.“ Aus: Das Anschlussproblem (1918–1945) – Aus deutscher Sicht. In: Robert A. Kann, Friedrich E. Prinz: Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien-München 1980, S. 175.

Literatur

  • Gerhard Botz: Wien vom Anschluss zum Krieg. Wien / München 1978.
  • Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, S. 32–34, de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-013379-2.
  • Ulrich Weinzierl (Hrsg.): Österreichs Fall – Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. 2. Aufl., Wien und München 1988, ISBN 3-224-11429-0.
  • Ernst Jandl: wien: heldenplatz, in: Laut und Luise. Olten, Freiburg i. Breisgau 1966.
  • Jobst Knigge: Prinz Philipp von Hessen. Hitlers Sonderbotschafter für Italien, Humboldt Universität Berlin 2009.

Weblinks


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