- Leergeschäft
-
Unter Leerverkauf (auch: Blankoverkauf, Short Sale) versteht man den Verkauf einer Ware, eines Währungsbetrages oder eines Wertpapiers, das der Verkäufer zum Verkaufszeitpunkt noch nicht besitzt. Der Verkäufer profitiert von dem Leerverkauf, wenn der verkaufte Gegenstand im Preis sinkt. Ein Leerverkauf kann als Kassageschäft oder als Termingeschäft ausgestaltet sein.
Die Position, die dem Verkäufer durch einen Leerverkauf entsteht, wird als Short-Position (Gegensatz: Long-Position) bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Verfahren
Leerverkauf als Kassageschäft
Ein Leerverkauf in der Kasse unterscheidet sich in Abschluss und Abwicklung nicht von einem normalen Verkauf. Das bedeutet insbesondere, dass der Leerverkäufer den verkauften Wert innerhalb der marktüblichen Fristen liefern muss. Bei Wertpapieren sind das je nach betrachtetem Markt meist 2 bis 3 Geschäftstage. Er muss sich also den leer verkauften Wert rechtzeitig verschaffen. Im Falle von Wertpapieren geschieht das normalerweise durch eine Wertpapierleihe oder ein Wertpapierpensionsgeschäft (im Falle von Devisen analog durch einen Kredit bzw. einen Devisenswap).
Durch eine Wertpapierleihe (juristisch korrekt: Sachdarlehen) wird der Leerverkäufer im juristischen Sinn Eigentümer des geliehenen Wertpapiers. Ein Leerverkauf definiert sich jedoch nicht an dem juristischen Eigentum oder Nichteigentum des leer verkauften Wertes. Vielmehr ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise ausschlaggebend, ob durch den Verkauf eine Shortposition entsteht, d. h. ob der Verkäufer durch die Transaktion wirtschaftlich von einem Preisrückgang des verkauften Wertes profitiert.
Zur Rückführung der Leihe bzw. des Pensionsgeschäftes muss der Leerverkäufer den verkauften Wert zu einem zukünftigen Zeitpunkt zurückkaufen. Ist der Preis des Wertes bis dahin gefallen, muss der Verkäufer einen geringeren Preis als den zahlen, den er bei dem Verkauf erzielt hat und erzielt somit einen Gewinn. Ist der Preis dagegen gestiegen, macht der Verkäufer einen Verlust, da er sich zu einem höheren Preis eindecken muss.
Im Zusammenhang mit Wertpapierleerverkäufen existiert die Praxis des Naked short selling (im Deutschen mit „nackter“ oder „ungedeckter“ Leerverkauf wiedergegeben). Die Begriffsbildung ist uneinheitlich. Eine Definition ist, dass der Leerverkäufer sich zum Zeitpunkt des Verkaufs noch kein Eigentum am leer verkauften Wertpapier verschafft hat.[1]. Die BaFin fasst in ihrer Allgemeinverfügung vom 19. August 2008 den Begriff enger und versteht unter ungedeckten Leerverkäufen jene, bei denen sich der Verkäufer weder Eigentum verschafft noch einen Anspruch auf einen Eigentumsübertrag hat.[2] Ähnlich ist die Begriffsbildung der SEC in den USA, für die ein Naked short sale vorliegt, wenn der Verkäufer nicht rechtzeitig für Eindeckung sorgt und so Gefahr läuft, in Lieferverzug zu kommen.[3] Die Bezeichnung Naked Short Selling wird aber auch für einen normalen Leerverkauf mit Leihe verwendet.[4]
Für den Fall eines Lieferverzuges gelten beim Leerverkauf die üblichen Regeln des Wertpapiergeschäftes, die vom betrachteten Markt abhängen. Auf dem deutschen Markt muss zwei Geschäftstage nach Geschäftsabschluss geliefert werden, bei Verzug kann nach weiteren ein bis zwei Geschäftstagen eine Zwangsregulierung durchgeführt werden. Auf dem Euromarkt unter dem ISMA-Rahmenvertrag muss nach drei Geschäftstagen geliefert werden. Frühestens nach zwei Geschäftstagen Verzug kann die Zwangsregulierung angedroht werden, die nach weiteren fünf Geschäftstagen durchgeführt werden kann, d. h. frühestens acht Geschäftstage nach Geschäftsabschluss.
Leerverkauf als Termingeschäft
Bei Leerverkäufen über unbedingte Termingeschäfte (Forwards und Futures) muss im Gegensatz zum Kassageschäft erst in der Zukunft geliefert werden. Der Leerverkäufer kann den Leerverkauf vor dem Verfallstermin glattstellen, indem er den gegenläufigen Terminkauf tätigt, oder er kann den Basiswert vor dem Fälligkeitstermin kaufen und bei Verfall liefern. Gewinn- und Verlustmöglichkeiten entsprechen denen des Kassageschäfts.
Die Position, die durch den Leerverkauf als Termingeschäft für den Verkäufer entsteht, heißt Short-Position. Das ist unabhängig davon, ob der Verkäufer den Basiswert in Besitz hat oder leer verkauft.
Bedingte Termingeschäfte (Optionen) erlauben eine ähnliche Position wie ein Leerverkauf des Basiswertes, indem eine Put-Option gekauft oder eine Call-Option verkauft wird.
Einsatzmöglichkeiten, Chancen und Risiken
Ähnlich wie bei Derivaten gibt es bei Leerverkäufen drei grundsätzliche Einsatzmöglichkeiten:
- als Spekulation auf zukünftige Preisänderungen, im Falle des Leerverkaufs ein Preisrückgang,
- als Absicherungsgeschäft (Hedgegeschäft), z. B. indem ein Terminkauf eines bestimmten Gutes über den Leerverkauf desselben Gutes abgesichert wird,
- oder zur Ausnutzung von Preisinkonsistenzen zwischen dem Kassamarkt und dem Terminmarkt (Arbitrage), z. B. in Form der umgekehrten Cash-and-Carry-Arbitrage.
Bestimmte Termingeschäfte (Terminkauf, die Optionspositionen Long Call und Short Put) lassen sich am Kassamarkt nur mit Leerverkäufen absichern. Wegen dieser Hedge- und Arbitragemöglichkeit spielen Leerverkäufe eine wichtige Rolle bei der Preisbildung an den Terminmärkten.
Das Eingehen einer Short-Position (Leerverkauf eines Wertes) beinhaltet ein Chancen-Risiko-Verhältnis, das genau umgekehrt dem des Kaufes dieses Wertes ist. Beispielsweise ist beim Kauf einer Aktie der maximal mögliche Verlust auf den Kaufpreis begrenzt, während die Chancen aus einem Kursanstieg theoretisch unbegrenzt sind. Beim Leerverkauf dieser Aktie ist spiegelbildlich die Chance auf die erlöste Einnahme limitiert, während das Risiko durch einen Kursanstieg theoretisch unbegrenzt ist.
Problematisch ist der sogenannte Short squeeze (englisch squeeze: Knappheit, Engpass), bei dem es nach Leerverkauf zu einem Kursanstieg nach der Aktie kommt. Viele Leerverkäufer wollen oder müssen ihre eingegangenen Short-Positionen glattstellen, um ihre Verluste zu begrenzen, was zu einem weiteren Kursanstieg führt und damit die Verluste aus diesen Positionen erhöht.
Rechtslage
Deutschland
Auch wenn sie am Kassamarkt ausgeführt werden, sind Leerverkäufe in bestimmten Fällen laut Börsengesetz den Börsentermingeschäften zuzuordnen. Kein Börsentermingeschäft liegt vor, wenn der Leerverkäufer aus einem anderen Termingeschäft einen zukünftigen Lieferanspruch auf die leer verkaufte Wertpapiergattung hat.
Verbotsmöglichkeiten und Einschränkungen
In verschiedenen Rechtsordnungen besteht die Möglichkeit, Leerverkäufe vorübergehend zu untersagen. In Deutschland kann die BaFin gemäß §4 Abs. 1 WpHG Leerverkäufe in inländischen Aktien untersagen, wenn eine erhebliche Marktstörung droht.
Im Zuge der Finanzkrise ab 2007 wurde von dieser Möglichkeit in Deutschland [5],[6], Großbritannien [7], den USA [8], in Australien, Kanada, Taiwan, Portugal und Irland[9] und in Österreich Gebrauch gemacht und der Leerverkauf von Finanzwerten verboten oder eingeschränkt.
In den USA hat die SEC 2005 eine spezielle Regelung, die Regulation SHO, für das Naked short selling aufgestellt [10] und diese Regelungen im September 2008 verschärft [11].
Geschichte
Anfänge
Als erster Fall eines Leerverkaufes gelten Transaktionen des holländischen Händlers Isaac Le Maire. Le Maire war ein großer Teilhaber der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC). Im Jahr 1602 investierte er etwa 85.000 Gulden in die VOC. Im Jahr 1609 zahlte die VOC immer noch keine Dividenden und Le Maires eigene Schiffe auf den Routen zum Baltikum waren ständig bedroht durch Angriffe englischer Schiffe wegen der damaligen Handelsstreitigkeiten zwischen Großbritannien und der VOC. Le Maire beschloss seine Anteile an der VOC zu verkaufen, und zwar mehr als er besaß. Die Notablen verurteilten diese Handlungsweise und erließen die erste Regulierung für Börsengeschäfte überhaupt, ein Verbot von Leerverkäufen. Dieses Verbot wurde einige Jahre später wieder aufgehoben.[12]
Große Depression
Im Gefolge der großen amerikanischen Börsenkrise von 1929, siehe Schwarzer Donnerstag, die in den USA zur Großen Depression und weltweit zur Weltwirtschaftskrise führte, wurden Leerverkäufe 1932 in den USA durch die so genannte Uptick-Regel (engl. Uptick rule) verboten bzw. eingeschränkt.[13][14] Mit Inkrafttreten der Uptick-Regel wurden Leerverkäufe bei Titeln mit fallenden Kursen untersagt wodurch der Leerverkauf einer Aktie nur dann vorgenommen werden durfte, wenn die letzte Transaktion über dem vorherigen Kurs lag.
Einzelnachweise
- ↑ Thomas Laurer, S. 984
- ↑ Erläuterungen der BaFin zur Allgemeinverfügung der BaFin vom 19. September 2008 [1], heruntergeladen am 8. Oktober 2008
- ↑ Key Points About Regulation SHO
- ↑ Johannes Weninger: Wertpapierleihe in Österreich. In: Bank-Archiv. Heft 11/Jg. 42, November 1994, S. 859–867
- ↑ Allgemeinverfügung der BaFin vom 19. September 2008 [2], heruntergeladen am 8. Oktober 2008
- ↑ Erläuterungen der BaFin dazu [3], heruntergeladen am 8. Oktober 2008
- ↑ http://news.bbc.co.uk/1/hi/business/7624012.stm
- ↑ http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=20601087&sid=aTHLqfgpnFYw&refer=home
- ↑ http://www.reuters.com/article/reutersEdge/idUSTRE48P7CS20080926?PageNumber=2&virtualBrandChannel=0&sp=true
- ↑ Key Points About Regulation SHO
- ↑ [4]
- ↑ NRC Handelsblad - Naked short selling is an old-Dutch trick
- ↑ http://www.reuters.com/article/reutersEdge/idUSTRE48P7CS20080926?PageNumber=2&virtualBrandChannel=0&sp=true
- ↑ Handelsblatt (9.4.2009): Leerverkäufer im Fadenkreuz der US-Börsenaufsicht
Quellen
- Wolfgang Gerke: Börsenlexikon. Gabler, Wiesbaden 2002, ISBN 3-409-14603-2
- John C. Hull: Options, Futures and Other Derivatives. Prentice Hall International Inc., 1997, ISBN 0-13-264367-7
- Krumnow, Jürgen (Hrsg.): Gabler, Bank-Lexikon. Gabler, Wiesbaden
- Thomas Laurer: Der Leerverkauf von Aktien. Abgrenzung, Formen und aufsichtsrechtliche Implikationen. In: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen. Band 61, Nr. 19, 2008, S. 980-984
- Hans-Wilhelm Ruland: Effekten. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-7910-2249-0
Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!
Wikimedia Foundation.