Lehre vom Satz

Lehre vom Satz

Bei der Lehre vom Satz (lateinischer Titel: De interpretatione, griechischer Titel: Peri hermeneias Περὶ ἑρμηνείας) handelt es sich um das zweite Buch des Organon, eines Werkes des Philosophen Aristoteles.

Im Organon klärt Aristoteles grundlegende sprachphilosophische, logische und grammatische Begriffe. Das Organon ist nach dem Prinzip "Vom Teil zum Ganzen" aufgebaut:

  1. Das erste Buch behandelt die Begriffe (Termini),
  2. das zweite Buch dasjenige, was sich aus Begriffen aufbaut, nämlich die Aussagen und die logischen Beziehungen zwischen ihnen.
  3. Die restlichen Bücher befassen sich dann mit den nächst größeren Einheiten, die ihrerseits aus Aussagen bestehen, nämlich den logischen Schlüssen.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsangabe

Kapitel 1: Der Begriff "Zeichen"

Nach Aristoteles sind die Laute der Sprache Zeichen für die Gedanken der Menschen, und die Schrift ihrerseits Zeichen für Laute. Aristoteles weist darauf hin, dass nicht jeder Sprachlaut und analog auch nicht jeder Gedanke bereits wahr oder falsch ist. Ein isoliertes Nomen wie "Bockhirsch" ist nicht wahr oder falsch, sondern erst der Satz "ein Bockhirsch existiert" (dieser ist dann falsch).

Kapitel 2: Das Nomen

Aristoteles definiert hier ein Nomen als einen "Laut, der konventionell etwas bedeutet, ohne eine Zeit einzuschließen und ohne dass ein Teil von ihm eine Bedeutung für sich hat". Mit "konventionell" will Aristoteles darauf hinweisen, dass die sprachlichen Zeichen auf ihre Bedeutung gemäß einer menschlichen Übereinkunft verweisen und nicht aufgrund eines natürlichen Zusammenhangs (so wie Flecken Masern "bedeuten"). Die Klausel "ohne eine Zeit einzuschließen" soll die Nomen von den Verben abgrenzen. Mit dem Zusatz "ohne dass ein Teil von ihm eine Bedeutung für sich hat" unterscheidet Aristoteles Nomen von größeren sprachlichen Einheiten wie Sätzen, deren Bedeutung sich aus der Bedeutung ihrer Bestandteile zusammensetzt. Dagegen enthält das Wort "Maus" das Wort "aus" nur als Laut, nicht als Bedeutungskomponente.

Kapitel 3: Das Verb

Ein Verbum wird hier von Aristoteles bestimmt als ein "Wort, das die Zeit mit anzeigt, dessen Teile nie etwas für sich bedeuten und das immer etwas zu verstehen gibt, was von einem anderen gilt.". Dass Verben "die Zeit mit anzeigen" erläutert Aristoteles so: Im Gegensatz zu dem Nomen "Gesundheit" drückt das Verbum "ist gesund" aus, dass die Gesundheit in der Gegenwart besteht. Was das Verb ausdrückt, gilt aber "von einem anderen", nämlich von dem Subjekt, das gesund ist.

Kapitel 4: Die (zusammenhängende) Rede

Rede ist nach Aristoteles "ein Laut, der konventionell etwas anzeigt und von dem ein einzelner Teil gesondert etwas anzeigt". In dem Satz "Sokrates läuft" haben beispielsweise die Teile "Sokrates" und "läuft" jeweils eine Bedeutung, die zu der Bedeutung des Ganzen beiträgt. Nicht bei jeder Rede wird einem Subjekt ein Prädikat zu- oder abgesprochen, d.h. nicht jede Rede ist wahr oder falsch. Ein Gegenbeispiel ist die Bitte. Aristoteles will sich jedoch im Folgenden auf eine Diskussion der wahrheitsfähigen Rede, der Aussage, beschränken, da die anderen Redetypen in den Bereich der Poetik und Rhetorik gehören.

Kapitel 5: Die Aussage

Hier erklärt Aristoteles eine Aussage als einen "Laut, dazu bestimmt, den Bestand oder Nichtbestand eines Dinges mit Unterscheidung der Zeiten anzuzeigen". Jede Aussage enthält ein Verb und damit auch eine zeitliche Bestimmung. Durch das Verb wird einem Subjekt etwas zu- oder abgesprochen, d.h. Bestand oder Nichtbestand angezeigt. Eine Rede kann ihrerseits aus mehreren einfachen Aussagen zusammengesetzt sein.

Kapitel 6: Bejahung und Verneinung

"Bejahung" ist nach Aristoteles "eine Aussage, die einem etwas zuspricht", "Verneinung" analog eine, "die einem etwas abspricht". Bejahung und Verneinung sind einander kontradiktorisch entgegengesetzt, sofern keiner der beteiligten Begriffe homonym gebraucht wird. Z.B. sind die Aussagen "Sokrates ist ein Fuchs" und "Sokrates ist kein Fuchs" nicht entgegengesetzt, weil in der ersten Aussage "Fuchs" in der übertragenen Bedeutung "schlauer Mensch" gebraucht wird.

Kapitel 7: Allgemeines und Einzelnes

Aristoteles unterscheidet hier zwischen einem "Allgemeinen" wie z.B. "Mensch", das "naturgemäß von mehrerem" ausgesagt wird, und einem "Einzelnen", bspw. "Sokrates", das "nicht von mehrerem ausgesagt werden kann". Von etwas Allgemeinem kann nun wiederum eine allgemeine Aussage getroffen werden wie in "Jeder Mensch ist gerecht", hier wird nämlich von dem Allgemeinbegriff "Mensch" vermittels des Quantors "jeder" eine allgemeine Aussage getroffen. Einer allgemeinen Aussage ist die Aussage, dass das Verhältnis nicht allgemein gilt, kontradiktorisch entgegengesetzt, so z.B. der Aussage "Jeder Mensch ist gerecht" die Aussage "Nicht jeder Mensch ist gerecht". Genau eine dieser Aussagen muss nämlich wahr sein. Die Bejahung des Allgemeinen und seine Verneinung sind dagegen bloß konträr wie in "Jeder Mensch ist gerecht" vs. "Kein Mensch ist gerecht". Diese können nämlich beide falsch, allerdings nicht beide wahr sein. Verneint man die letzten beiden Aussagen, erhält man Aussagen, die gemeinsam wahr aber nicht gemeinsam falsch sein können: "Nicht jeder Mensch ist gerecht" "Mindestens ein Mensch ist gerecht". Solche Aussagen hat man später als "subkonträr" bezeichnet.

Kapitel 8: Homonymie

Aristoteles weist darauf hin, dass bei homonymen Begriffen auch Bejahung und Verneinung mehrdeutig sind. Würde man nämlich "Pferd" und "Mensch" beide mit dem Wort "Mantel" bezeichnen, so handelte es sich bei der Aussage "Der Mantel ist weiß" nicht um eine einfache, sondern eigentlich um eine komplexe Aussage, nämlich um die Aussage "Der Mensch ist weiß und das Pferd ist weiß".

Kapitel 9: Aussagen über die Zukunft

Das Kapitel 9 ist das von der späteren Philosophie am meisten beachtete der "Lehre vom Satz". Hier wird einerseits die logische Problematik des sogenannten "Satzes vom ausgeschlossenen Dritten" berührt, andererseits die naturphilosophischen Fragestellungen des Fatalismus und der Zeit angesprochen. Nach Aristoteles sind Aussagen über die Zukunft weder wahr noch falsch, für sie gilt also der Satz des ausgeschlossenen Dritten nicht. Aristoteles argumentiert hier wie folgt "Wenn es aber immer wahr war, zu sagen, dass etwas ... sein werde, so ist es nicht möglich, dass solches ... nicht sein werde. Wovon es aber unmöglich ist, dass es nicht wird, das muss werden. Also wird alles, was in der Zukunft wird, notwendig ... ." Nimmt man also an, dass Aussagen über die Zukunft schon vor ihrem Eintreten wahr sind, so folgt nach Aristoteles, dass die Zukunft vor ihrem Eintreten bereits festgelegt ist. Diese Konsequenz ist aber unannehmbar, "denn wir sehen, dass manches Zukünftige seinen Grund darin hat, dass man etwas überlegt und tut ...". Im Gegensatz zu Aussagen über die Vergangenheit und die Gegenwart sind also bei Aussagen über die Zukunft "nicht notwendig von jeder entgegen gesetzten Bejahung und Verneinung die eine wahr und die andere falsch".

Kapitel 10: Privationen

Aristoteles untersucht die verneinten Begriffe - die so genannten "Privationen" - wie z.B. "ungerecht" (zu "gerecht"). Er stellt Folgerungsverhältnisse zwischen Sätzen mit verneinten und nicht verneinten Begriffen fest: Aus "Jeder Mensch ist ungerecht" folgt "Kein Mensch ist gerecht" und aus "Ein Mensch ist gerecht" folgt "Nicht jeder Mensch ist ungerecht".

Kapitel 11: Verbindung von Prädikationen

Aristoteles stellt fest, dass man unter Umständen zwei Prädikationen zu einer vereinigen kann und dass dies in anderen Fällen nicht erlaubt ist,. So kann man, wenn man von einem bestimmten Menschen aussagen kann, er sei Sinnenwesen und zweifüßig, folgern, er sei ein zweifüßiges Sinnenwesen. Ist er jedoch Schuster und gut, so folgt nicht unbedingt, dass er ein guter Schuster ist. Aristoteles stellt heraus, dass sich im ersten Fall die Wahrheit der Prädikation (auch "Prädikation per se" genannt) aufgrund einer Definition ergibt: "zweifüßig" und "Sinnenwesen" sind in der Definition von "Mensch" enthalten. Im zweiten Fall (Prädikation "per accidens") beruht die Wahrheit auf einem zufälligen (empirischen) Zusammenhang. Daher ist die Vereinigung zu einer einzelnen Prädikation hier nicht immer zulässig (obwohl sie manchmal statthaft sein kann).

Kapitel 12: Modalbegriffe

Aristoteles befasst sich hier mit den Modalbegriffen "vermögend", "notwendig" und "unmöglich". Für ihn schließt "vermögend zu sein" auch immer "vermögend nicht zu sein" ein. Was beispielsweise gehen kann, kann immer auch nicht gehen. Er klärt die Verneinung der Modalbegriffe: Die Verneinung von "notwendig zu sein" ist "nicht notwendig zu sein" und nicht etwa "notwendig nicht zu sein" (ähnlich ist es mit "vermögend" und "unmöglich"). Will man beispielsweise "Gott existiert notwendig" verneinen, gelangt man zu "Gott existiert nicht notwendig" nicht zu: "Gott existiert notwendig nicht".

Kapitel 13: Modale Schlussfolgerungen

Aristoteles untersucht Folgerungsbeziehungen zwischen Aussagen mit Modalbegriffen. So folgt beispielsweise aus "vermögend zu sein" sowohl "nicht unvermögend zu sein" als auch "nicht notwendig seiend". Nach moderner modallogischer Auffassung würde nur die erste, nicht aber die zweite dieser Folgerungen gelten (aus "es ist möglich, dass p" folgt "es ist nicht der Fall, dass es nicht möglich ist, dass p", aber nicht "es ist nicht notwendig, dass p"). Der Grund hierfür liegt darin, dass für Aristoteles "vermögend zu sein" wie gesagt immer auch "vermögend nicht zu sein" einschließt. Das Subjekt kann also nicht notwendig sein, dann hätte es nicht mehr das Vermögen, nicht zu sein. Aristoteles selbst weist darauf hin, dass bei diesem Verständnis von "vermögend" aus "notwendig seiend" nicht folgt "vermögend zu sein", eine Schlussfolgerung, die nach moderner Auffassung gültig ist. Aristoteles zufolge gibt es jedoch noch eine andere Lesart von "vermögend" nach der diese Schlussfolgerung gültig ist, diese würde dann eher der modernen Auffassung entsprechen.

Kapitel 14: Privation und Kontrarität

Im letzten Kapitel geht es erneut um die bereits in Kapitel 10 behandelten Privationen sowie den aus Kapitel 7 bekannten Begriff "konträr". So lassen sich zu dem Satz "Jeder Mensch ist gerecht" anscheinend zwei konträre Aussagen bilden "Kein Mensch ist gerecht" und "Jeder Mensch ist ungerecht". Nach Aristoteles ist der erste Satz im eigentlichen Sinne konträr, der andere nur "mitfolgend", d.h. indirekt.

Textausgaben

  • Lorenzo Minio-Paluello (Hg.): Aristotelis categoriae et liber de interpretatione, Oxford University Press, Oxford 1949 (maßgebliche kritische Ausgabe)
  • Bekker (veralteter Text), Online

Übersetzungen

deutsch
  • Aristoteles: Peri hermeneias, übers. und erläutert von Hermann Weidemann, Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1994 (Aristoteles: Werke in deutscher Übersetzung, ed. Hellmut Flashar, Bd. 1 Teil 2)
  • Aristoteles: Kategorien, Hermeneutik, übers. von Hans Günter Zekl, Meiner, Hamburg 1998. ISBN 3-7873-1313-3 (griechischer Text der Ausgabe von Minio-Paluello mit deutscher Übersetzung)
  • Aristoteles: Kategorien und Hermeneutik, übers. von Paul Gohlke, Paderborn 1951
lateinisch (spätantik und mittelalterlich)
  • Aristoteles: De interpretatione vel periermenias. Translatio Boethii, specimina translationum recentiorum, translatio Guillelmi de Moerbeka, hg. Lorenzo Minio-Paluello und Gérard Verbeke, Bruges - Paris 1965 (Aristoteles Latinus, Bd. II.1-2)

Literatur

  • Whitaker, C. W. A.: Aristotle's De Interpretatione: Contradiction and Dialectic, Clarendon Press, Oxford 1996.

Weblinks

  • Hermeneutika (=De interpretatione). Übersetzt von J. H. von Kirchmann, Heidelberg 1883. Text bei Zeno.org

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