Lenggis

Lenggis

Kempraten (offiziell Kempraten-Lenggis) ist ein Kirchdorf und Ortsteil der Gemeinde Rapperswil-Jona im Kanton St. Gallen (Schweiz). Kempraten ist seit der Römerzeit durchgehend besiedelt und zählt im Kanton St. Gallen zu den bedeutendsten archäologischen Fundstellen.[1]

Kempraten, Ansicht vom Schloss Rapperswil über den Zürichsee
Ansicht vom Zürichsee, im Hintergrund der Bachtel

Inhaltsverzeichnis

Lage und Ortszugehörigkeit

Kempraten-Lenggis liegt am rechtsseitigen Ufer des Zürichsees, im Norden von Rapperswil und war bis zur Gemeindefusion von Rapperswil und Jona ein Ortsteil der politischen Gemeinde Jona. Der Gemeindeteil gehört zur Römisch-katholischen Kirchgemeinde Rapperswil-Jona.

Geschichte

Frühgeschichte

Zahlreiche archäologische Funde zeigen, dass das Gebiet um Rapperswil, Jona und insbesondere Kempraten seit mindestens 5'000 Jahren besiedelt ist – bereits vor der Zeitenwende von Kelten und später von Römern. Zu den Glanzlichtern archäologischer Funde zählen in Kempraten eine neolithische Beilwerkstatt im Seegubel sowie aus der La-Tène-Zeit Körpergräber, die auf eine frühe Besiedlung hinweisen.[2] Von Sprachwissenschaftlern soll darüber spekuliert werden, ob eine helvetische Siedlung Cambioratin (Bucht-Hügel) existierte, an der Kempratnerbucht gegenüber dem heutigen Schlosshügel Rapperswil.

Kempraten um die Zeitenwende

Um 15 v. Chr., nach der Eroberung durch Drusus und seinen Bruder Tiberius (Kaiser Tiberius Claudius Nero von 14 bis 37 n. Chr.), beide Stiefsöhne des Augustus, lag das Gebiet am rechten Ufer des Zürichsees im Grenzbereich der römischen Provinzen Rätia und Germania Superior.

Römische Provinzen im Gebiet der heutigen Schweiz
Gallo-römische Fundstücke aus der Siedlung 'Centum Prata' im Stadtmuseum Rapperswil

Der Vicus Kempraten (Centum Prata) war eine bedeutende römische Siedlung, die vom 1. bis nachchristlichen 4. Jahrhundert zur Sicherung der Provinzgrenzen gedient haben dürfte. Kempraten zählt im Kanton St. Gallen zu den bedeutendsten archäologischen Fundstellen und war zum einen ein Etappendorf am Kreuzpunkt der Strassen von Zürich (Lat. Turicum) und Winterthur (Vitudurum) sowie der nach Chur (Curia Rhaetorum) und Italien führenden Alpenroute. Andererseits war Kempraten ein wirtschaftliches Zentrum für das umliegende Gebiet, das Wohn- und Wirtschaftsräume für Handwerker, Gewerbetreibende, Schiffer und Fuhrleute aufwies.[2] Seine Ausdehnung betrug in Nord-Süd-Richtung über 300 Meter und rund 200 Meter in der West-Ost-Achse, mit massiven Steinbauten, Fachwerk- und einfachen Holzhäusern. Am östlichen Rand des vicus bestand ein Brandgräberfeld.

In der heutigen Kempratner Bucht befand sich der Umschlagplatz für Güter, die auf den erwähnten Römerstrassen, über die Holzbrücke Rapperswil-Hurden und auf der Wasserstrasse Zürichsee-Walensee transportiert wurden. Von hier führte vermutlich auch eine Bootsverbindung zum gallo-römischen Inselheiligtum auf der Ufenau. Nach der Unterwerfung Rätiens durch die Römer nahm der schon damals von der helvetischen Bevölkerung betriebene Warenverkehr in West-Ost Richtung beträchtlich zu, und ihre Blütezeit erreichte die Siedlung im zweiten und beginnenden dritten Jahrhundert. Mit der Einwanderung der Alamannen verlor Kempraten seine Bedeutung als Schnittpunkt des Warenverkehrs.[3]

Eine römische Befestigung des heutigen Schlosshügels von Rapperswil, mit seiner strategisch günstigen Position, durch den einen Kilometer entfernten vicus Centum Prata gilt als wahrscheinlich, wenn auch nicht archäologisch nachgewiesen. Nach dem Abzug der römischen Truppen und Verwaltung um das Jahr 401 (488) nach Italien liegen nur wenige Erkenntnisse vor.

Mittelalter

Wie andernorts auch, hat die Siedlung in Kempraten-Lenggis vermutlich wohl weiterbestanden und die gallo-römische Bevölkerung dürfte mit der alamannischen Einwanderungswelle im 3. und 5. Jahrhundert verschmolzen sein. In den römischen Ruinen wurden alemannische Körpergräber aus dem 7. Jahrhundert gefunden und eine Vielzahl von Gebrauchsgegenständen und Waffen aus der gesamten Besiedlungsgeschichte.

Kempraten könnte wohl schon während der römischen Besiedlung christianisiert worden sein. Erwähnt wird es im Jahr 741 [4] und 744 in einer Schenkungsurkunde im Stiftsarchiv St. Gallen als Centoprato (Ort der hundert Wiesen) und 863 als Centiprata, in Anlehnung an den lateinischen Namen Centum Prata, der in der gallo-romanischen Bewohnerschaft überdauert haben wird. Nach einer in Fulda aufbewahrten Urkunde aus dem 9. Jahrhundert befand sich in Kempraten ein weithin bekannter Wallfahrtsort mit Reliquien des Märtyrers Alexander (Thebäische Legion). Um 847 aufgezeichnete Legenden erzählen von einer Wallfahrtsbasilika mit einem Pfarrer in Kentibruto, womit die St. Ursulakappelle gemeint sein könnte.[1][5]

Grafen von Rapperswil und Habsburg

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde der alemannische Weiler mit Allmendgenossenschaft in die Herrschaft der Rapperswiler integriert und die St. Ursulakapelle am Lenggishang (1607 neugeweiht, 1813 abgebrochen) gehörte ab 1253 zur Pfarrkirche Busskirch. Aegidius Tschudi beschreibt in seiner Chronik, wie im Jahr 1443, während des Alten Zürichkriegs, Urner, Zuger und Glarner Truppen «ushwendig der Kilchen ze Kempraten / hinder dem Büchel bi dem Meienberg ob Rapperschwil / da die Strash von Rüte harin gat» ihr Lager am Meienberg aufschlugen. Tschudi beschreibt ebenfalls einen Stein mit römischer Inschrift bei einer Kirche in Jona.

Kempraten, im Hintergrund Rapperswil mit der Holzbrücke, rechts das Pfäffikoner Ufer. Peter Birmann, 1791.

Bis 1458 war Kempraten im Besitz der Grafen von Rapperswil und von Habsburg-Österreich, ab 1415 unterstand es der Rapperswiler Grundherrschaft und hohen Gerichtsbarkeit. Die bäuerlichen Bewohner des bis in 19. Jahrhundert hinein ländlich bleibenden Umlandes – des heutigen Jona mit Busskirch, Wagen, Bollingen, Wurmsbach, Kempraten – wurden zum Stand der Hofleute.

Neuzeit

Oberhalb von Kempraten stand im Mittelalter das Rapperswiler Siechenhaus auf dem «harten fluefels». Weit ausserhalb der Rapperswiler Stadtmauern entstand es um 1354 und wurde vermutlich im 16. Jahrhundert auf die Insel Lützelau verlegt. Im heutigen Wohnhaus «Fluh» fanden sich bei einem Umbau im Jahr 1904 die historischen Mauern des Siechenhauses. Südlich des Fluhhauses stand bis 1813 die Fluhkapelle (beim heutigen Haus «Felsenburg»), mit einem Beinhaus und dem Begräbnisplatz für Hingerichtete, Selbstmörder und Menschen, die in jener Zeit ausserhalb der sozialen Gemeinschaft standen.[1] Im 19. Jahrhundert wurde vom Zürichsee bis zum Gubel Weinbau betrieben und in der Kempratnerbucht, im Lenggis und im Rebgebiet wurden Landhäuser gebaut, wie Fuchsenberg, Höcklistein und Gubel.[2]

Mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen unter General Nouvion (siehe Helvetische Republik) wurden aus Rapperswil und Jona zwei getrennte Munizipalgemeinden gebildet, und die Bewohner (Hofleute) im Umland, in den damals noch verbleibenden Untertanengebieten der Stadt Rapperswil, ungefähr im Gebiet der heutigen Gemeinde Jona, erkämpften sich die gleichen Rechte wie die Stadtbürger. Jona beanspruchte alles Gebiet «so weit sich ihre Pfarreien erstrecken».[6] 1804 legte der Regierungsrat die Gemeindegrenzen endgültig fest. Dabei wurde Rapperswil auf das Gebiet der spätmittelalterlichen Stadt beschränkt, und das ganze Umland gehörte nun zur Gemeinde Jona.[7]

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Kempraten zum bevorzugten gehobenen Wohnquartier.

Kirche und Pfarreizentrum St. Franziskus
Neu und alte Wohnbauten in Kempraten

Nach früheren erfolglosen Versuchen bejahte die Bevölkerung 2003 an einer Volksabstimmung eine Fusion der Gemeinden Rapperswil (7'400 Einwohner; Ja-Anteil 82%) und Jona (17'100 Einwohner; Ja-Anteil 52%)[8]. Der Fusionsvertrag wurde im Frühling 2005 von der Bevölkerung beider Gemeinden angenommen, und der Gemeindezusammenschluss zur Stadt Rapperswil-Jona trat per 1. Januar 2007 in Kraft.

Kirche und Pfarreizentrum

Die der Pfarrei Busskirch angegliederte St. Ursulakapelle (um 830 erbaut, 1607 neugeweiht) überstand in ihrer wechselvollen Geschichte die Bilderstürme der Reformation und nach dem Einmarsch der Franzosen. Erhalten sind Freskenfragmente aus dem 15. und 16. Jahrhundert. 1906 wurde sie im neugotischen Stil umgestaltet und 1990/91 restauriert. Nach Auflösung der Pfarrei Busskirch wurden Kempraten und Lenggis im Jahr 1945 der Römisch-katholischen Kirchgemeinde Rapperswil zugeteilt.[1][9]

Das 1979 eingeweihte Pfarreizentrum St. Franziskus war der letzte polygonale Kirchenbau des Schaffhauser Architekten Walter Förderer und zeugte von der im späten 20. Jahrhundert rasch erfolgenden Siedlungsentwicklung Kempratens.[1] Die Pfarrei St. Franziskus besteht seit dem 1. Juli 1982, mit rund 2'500 Katholiken im Gebiet von Kempraten (Lenggis und Meienberg).[10]

Schulen, Wirtschaft und Verkehr

Seit 1815 existiert im Lenggis ein Primarschulhaus, das nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut wurde. Die Landstrasse nach Zürich führte bis 1854 durch Kempraten. 1979 erhielt Kempraten eine SBB-Haltestelle, seit 27. Mai 1990 mit Anschluss an die Linie S7 der S-Bahn Zürich.

Das Gasthaus «Krone» wurde 1809/30 erbaut und hatte seit 1845 eine eigene Brauerei. 1829 entstand das «Rössli» und die «Weinhalde», auch heute noch beliebte Treffpunkte der Bevölkerung. 1811 verkaufte die Ortsgemeinde Rapperswil die Liegenschaft «Fluh» mit ihrer Quelle an Hermann Freudenberg, der im alten Siechenhaus eine Gerberei einrichtete. 1846/49 erwarb der Jakob Franz Leder die Gerberei samt dem Wohnhaus «Flue», den Äckern, Wiesen, Reben, Riet sowie dem «Galgenacker» am Meienberg. Die Produktion wurde auf Schuhleder und von den Spinnereien in Rapperswil und Jona benötigten Triebriemen ausgeweitet. Die benachbarte Villa «Belsito» blieb bis 1853 im Besitz von Jakob Franz Leder. Sein Sohn erstellte 1895 das markante langegezogenen, dreigeschossige Fabrikgebäude mit gedecktem und geheiztem Grubenhof. 1926 erweiterte der neue Firmenleiter, Dr. Lothar Burgerstein, die Produktionsstätten der «Lederi» für synthetische Förder- und Prozessbänder im In- und Ausland aus; 1996 erfolgte der Umzug nach Jona-Buech.[1]

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Ansicht von Südosten
Ansicht von Südosten

Siehe auch

Literatur

  • Georg Matter: Die Römersiedlung Kempraten und ihre Umgebung. Hrsg. Gemeinde Jona, 2003.
  • Staatsarchiv des Kantons Zürich (Hsg.): Kleine Zürcher Verfassungsgeschichte 1218–2000. Hsg. im Auftrag der Direktion der Justiz und des Innern auf den Tag der Konstituierung des Zürcher Verfassungsrates am 13. September 2000. Chronos, Zürich 2000. ISBN 3905314037
  • G. Matter: Der römische Vicus von Kempraten. In: JbSGUF 82, 1999, S. 183-211.
  • D. Hintermann: Der römische Vicus von Kempraten. In: HA 106-108, 1996, S. 128-136.
  • Lukas Gschwend: Kempraten vor 1250 Jahren – Ein Beitrag zur ersten schriftlichen Nennung im Jahre 741. Verlag der Kulturkommission der Gemeinde Jona, 1991.
  • Eugen Halter: Geschichte der Gemeinde Jona. Hrsg. von der Politischen Gemeinde Jona, Schweizer Verlagshaus, Zürich 1970.
  • Hans Rathgeb: Zwischen Zürichsee und Walensee, Rapperswil-Jona: Unsere schöne kleine Welt und zusammen mit O. Eggmann Rapperswil - Stadt und Land.
  • L. Kilger: Wallfahrts-Geschichten aus Kempraten um das Jahr 835. In: Heimatkunde vom Linthgebiet, Band 15, 1943, S. 9-12.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Kulturbaukasten Rapperswil-Jona: 36 Museen ohne Dach
  2. a b c Artikel Kempraten im Historischen Lexikon der Schweiz
  3. Stadtmuseum Rapperswil, Kantonsarchäologie
  4. Website Universität St. Gallen, Lehrstuhl Gschwend
  5. Website Kirchen und Kapellen im Bistum St. Gallen
  6. Website «Hotel Schwanen», Geschichte
  7. Website Rapperswil-Jona, Herrschaft und Untertanengebiet, Rapperswil und Jona
  8. Bevölkerungszahlen Stand 2001
  9. Website Kirchen und Kapellen im Bistum St. Gallen
  10. Website der Pfarrei St. Franziskus

47.2386418.8163587Koordinaten: 47° 14′ 19″ N, 8° 48′ 59″ O; CH1903: (704314 / 232884)


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