Lippowaner

Lippowaner
Lipowaner während einer religiösen Zeremonie in Slava Cercheză, Rumänien

Die Lipowaner (Lipovaner, Lippowaner, Lipovener, russ. липованы, auch (hist.) старообрядцы, раскольники) sind eine russischsprachige Minderheit, die im Budschak (heute Oblast Odessa, Ukraine) und in der Norddobrudscha (Rumänien) lebt. Ihre Zahl liegt in beiden Ländern bei ungefähr 100.000 Personen (in Rumänien haben bei der Volkszählung von 2002 29.774 Personen ihre ethnische Herkunft als lipoveni angegeben, sie bilden hier die fünftgrößte nationale Minderheit des Landes). Die Lipowaner sind altgläubige orthodoxe Christen, leben an der Donaumündung und sprechen eine sehr alte Version der russischen Sprache. Ein paar tausende Lipowaner leben auch in der Bukowina und in der Region Moldau.

Die Lipowaner haben Russland seit der Zeit von Zar Alexei Mihailovič verlassen, als es ab 1654 auf Initiative von Patriarch Nikon zu einer Glaubensreform kam, der sie sich als "Altgläubige" widersetzten. Die Mehrzahl floh bis zum Ende des 17. Jahrhunderts - d.h. auch unter der Regentschaft der nachfolgenden Zaren Fjodor III., Iwan V. und Peter des Großen, um der Verfolgung als Raskolniki (von raskol/раско́л "Kirchenspaltung") zu entgehen, und fanden Schutz in den unzugänglichen Gebieten des Donaudeltas. Zunächst siedelten sich die Lipowaner im Südbessarabien, im Übergang zum 18. Jahrhundert dann auch in der Norddobrudscha an, welche sich zu dieser Zeit unter türkischer Herrschaft befand. Insbesondere aufgrund der (auf kulturelle Angleichung Russlands an das übrige Europa ausgerichteten) Politik von Peter des Großen fand eine weitere Flucht und Vertreibung statt, wie nach der Niederschlagung des Bulawiner Aufstands 1708, als Don-Kosaken von Ataman Nekrasov über Kuban in die Dobrudscha flüchteten. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gilt die Zuzugsbewegung der Lipowaner in die Region als abgeschlossen. Die russische Volkszählung von 1817 erwähnte 1.200 lipowanische Familien in Bessarabien.

Wichtige lipowanische Gemeinden entlang des nördlichen Donauufers (im Budschak) sind: Wylkowe (russisch Wilkowo/Вилково, ukrainisch Вилкове, rumänisch Vâlcov), Kilija (russisch Килия, ukrainisch Кілія, rumänisch Chilia Nouă), Ismajil (russisch Ismail/Измаил, ukrainisch Ізмаїл, rumänisch Ismail, türkisch İşmasıl oder Hacidar) , Nowaja Nekrasowka (rumänisch Necrasovca Nouă). Die Lipowaner leben hier zumeist vom Fischfang.

Südlich der Donau und im Donaudelta (Nord-Dobrudscha) leben die Lipowaner vor allem in: Tulcea (russisch Tultscha/Тулча, türkisch Hora-Tepé oder Tolçu), Alt-Kilia (rumänisch Chilia Veche), Mahmudia, Ieroplava, Şfistovca, Letea, Ghindăreşti (russisch Guisdar), Sarichioi (russisch Seriakowo), Carcaliu (russisch Kamena oder Komenka). Tulcea ist mit 16.350 Einwohnern die größte Ansiedlung der Lipowaner in Rumänien. Im dazugehörigen Landesbezirk befindet sich auch das Altgläubigen-Kloster Uspenia. Die Lipowaner machen in dem Bezirk ca. 11% der Bevölkerung aus und sind ebenfalls überwiegend Fischer.

Die Lipowaner, die in den inneren Teilen der Nord-Dobrudscha leben (in Slava Cercheză und Slava Rusă, beide östlich von Babadag), betreiben Ackerbau.

Vereinzelt leben Lipowaner auch in der Moldau-Region (vor allem in der Bukowina) und in Pisc (heute ein Stadtteil von Brăila, früher ein Dorf).

In Rumänien existiert eine politische Partei der Lipowaner, die Comunitatea Rusilor Lipoveni din România („Lipowaner-Russen-Gemeinde von Rumänien“).

Mundart

Die Mundart der Lipowaner ist Teil des südwestlichen Dialekts der russischen Sprache mit Zügen des Pskower Dialekts und Lehnwörtern aus dem Türkischen, Rumänischen und Ukrainischen. Es gibt folgende Abweichungen von der Standardsprache (die Liste ist nicht taxativ):

  • [в] wird vor Konsonanten und im Auslaut als [ў] ausgesprochen;
  • im Anlaut wird [в] vor Konsonanten als [у] ausgesprochen;
  • einige sächliche Substantive sind in der Mundart männlich oder weiblich;
  • unbestimmter Artikel один, одна (nach rumänischem Vorbild);
  • [ть] statt [т] in der dritten Person der Verben (beider Numeri);
  • Perfekt und Plusquamperfekt (mit prädikativen Transgressivformen gebildet; z.B. рыба попавши в сетку; мы выросши вместе);
  • Hilfsverb иметь (мать) statt быть;
  • unbestimmte Pronomina auf -сь, z.B. хтось, шось, какаясь, кудысь;
  • Verneinungsform нема;
  • Konjunktionen бо, чи;
  • spezielle prädikative Konstruktionen mit passiven Partizipien;
  • viele Lehnwörter aus der Pskower Mundart.

Literatur

  • Filip Ipatiov 2002: Ruşii-lipoveni din România. Studiu de geografie umană [Die russischen Lipowaner in Rumänien. Humangeographische Studie], Cluj-Napoca, Editura Universitară Clujeană, ISBN 973-610-090-1
  • Svetlana Moldovan 2004: Comunitatea Ruşilor Lipoveni. Ghid de prezentare. Obščina russkich-lipovan [Die Gemeinschaft der Russischen Lipowaner. Eine Präsentation], Bucureşti, Editura Ararat, ISBN 973-7727-09-6
  • Ion Nistor 1991: Istoria Basarabiei [Geschichte Bessarabiens], Chişinău, Cartea Moldovenească
  • Josef Sallanz (Hrsg.) 2005: Die Dobrudscha. Ethnische Minderheiten, Kulturlandschaft, Transformation; Ergebnisse eines Geländekurses des Instituts für Geographie der Universität Potsdam im Südosten Rumäniens, (= Praxis Kultur- und Sozialgeographie; 35), 2., durchgesehene Auflage, Potsdam, Universitätsverlag Potsdam, ISBN 3-937786-76-7 (Volltext)
  • Josef Sallanz 2007: Bedeutungswandel von Ethnizität unter dem Einfluss von Globalisierung. Die rumänische Dobrudscha als Beispiel, (= Potsdamer Geographische Forschungen; 26), Potsdam, Universitätsverlag Potsdam, ISBN 978-3-939469-81-0
  • Alexandr Varona 2002: Tragedia schismei ruse. Reforma patriarhului Nikon şi începuturile staroverilor [Die Tragödie des russischen Schisma. Die Reform des Patriarchen Nikon und die Anfänge der Altgläubigen], Bucureşti, Editura Kriterion, ISBN 973-26-0702-5
  • Victor Vascenco 2003: Lipovenii. Studii lingvistice [Die Lipowaner. Linguistische Studien], Bucureşti, Editura Academiei Române, ISBN 973-27-0954-5

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