- Antijudaistisch
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Antijudaismus (griechisch-lateinisch: „prinzipiell gegen Juden“) nennt man die Ablehnung, Anfeindung und Verfolgung von Angehörigen des Judentums durch Christen, Kirchen, christliche Staaten und Regierungen.
Diese Judenfeindschaft entstand mit dem Alleingeltungsanspruch des Christentums und wurde seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. bis zur „konstantinischen Wende“ zu einem durchgehenden Kennzeichen christlicher Theologie. Sie bestimmte seit der Spätantike - von räumlich und zeitlich begrenzten toleranten Perioden abgesehen - die Volksfrömmigkeit und den Umgang christlicher Mehrheiten mit jüdischen Minderheiten in weiten Teilen Europas während des Mittelalters.
Seit der Reformation wurde der Antijudaismus in die Neuzeit überliefert, wo er sich je nach Ländern und Konfessionen unterschiedlich ausprägte und zum Teil in den Antisemitismus (bis 1945) überging, zum Teil mit diesem verband oder parallel dazu weiterexistierte. Diese Entwicklungen bis zur Gegenwart behandelt der Artikel Antijudaismus in der Neuzeit.
Überblick
Der Aufstieg des Christentums zur hierarchisch organisierten römischen Staatsreligion (380) ermöglichte nach dem Zerfall des Römischen Reiches die Christianisierung Europas. Juden waren vielfach die einzige Minderheit, die dem kirchlichen „Wahrheitsmonopol“ sichtbar trotzte. Sie wurden seit dem 4. Jahrhundert Objekt von Ausgrenzung, Verketzerung, Zwangstaufen und lokaler Verfolgung.
In der Karolingerzeit waren sie relativ geschützt und geachtet. Doch die christliche Ständegesellschaft schloss sie seit dem späten 10. Jahrhundert von allen „ehrenwerten“ Berufen aus und verhinderte ihre soziale Integration durch rechtliche Schranken. Ihre stets bedrohte Randexistenz prägte die mittelalterliche Gesellschaft.
Zu ersten Ansätzen des Antijudaismus und teilweise erheblichen Ausschreitungen kam es jedoch erst seit dem 11. Jahrhundert (Pogrom von Köln). Die Römisch-Katholische Kirche setzte nun die Tabuisierung bestimmter Berufe für Christen, die Isolierung, Stigmatisierung und Ghettoisierung jüdischer Gemeinden europaweit durch. Die mit vorchristlichem Paganismus vermischte christliche Volksfrömmigkeit dämonisierte Juden zunehmend als „Ritualmörder“ von Kindern, „Hostienfrevler“, „Brunnenvergifter“ und „Schweine“.
Im Verlauf des 13. Jahrhunderts verstärkte sich die antijudaistische Tendenz und verfestigte sich als permanente Haltung der Christen gegenüber den Juden. Insbesondere in den Städten, wo sich ein vorindustrielles Proletariat bildete, begannen die unteren Schichten die Juden als Verbündete der herrschenden Patrizier-Schichten zu sehen. [1]
Der Merkantilismus, die Verschuldung christlicher Herrscher und Adeliger infolge ihrer Kriege und Lehnspolitik bei jüdischen Handelshäusern verstärkten zudem das Feindbild des „reichen“, „geizigen“, „listigen“, „verschlagenen“, „anmaßenden“, „faulen“ „Wucherjuden“. Diese stereotype Verachtung und Kriminalisierung wurde oft gerade auch vom Klerus propagiert und aktiviert.
Im Kontext von Verelendung, Kreuzzügen und Epidemien kam es dann häufig zu Hassausbrüchen, regionalen ungeplanten Massakern (Pogromen) bis hin zu organisierter landesweiter Vertreibung mit Massenmorden. Im 13. und 14. Jahrhundert wurden die Juden aus fast allen Städten deutschsprachiger Gebiete, aber auch aus anderen europäischen Regionen vertrieben. Machtansprüche des Papsttums, die Inquisition, die Pest, der im Volk verbreitete Aberglaube und das niedrige Bildungsniveau begünstigten diese Judenverfolgungen. Ob religiöse, politische oder soziale Ursachen dabei Vorrang hatten, ist umstritten.
Die Reformation beendete zwar das kirchliche Machtmonopol, setzte aber die theologische Abwertung des Judentums fort, indem sie es als „Werkreligion“ dem wahren Christusglauben gegenüberstellte. Martin Luther fasste 1543 alle antijüdischen Stereotypen des Mittelalters zusammen und forderte von den Fürsten ein Religionsverbot, Arbeitszwang und Vertreibung der Juden. Er überlieferte den gesamtkirchlichen Antijudaismus in die frühe Neuzeit.
Die Aufklärung beerbte und säkularisierte ihn. So bereiteten christliche Dogmen und Feindbilder den rassistischen Antisemitismus vor. Dieser wird heute vom religiösen Antijudaismus unterschieden, aber nicht getrennt: Beide Formen systematischer Judenfeindlichkeit sind historisch eng verwandt, bedingten einander und wirkten zusammen bis hin zum Holocaust am europäischen Judentum.
Seitdem haben die Kirchen begonnen, ihren Antijudaismus theologisch und praktisch aufzuarbeiten (siehe Kirchen und Judentum nach 1945). In den Vorurteilsstrukturen christlich geprägter Völker Europas ist dieser jedoch nach wie vor vorhanden.
Spanien unter den Westgoten
Die Goten waren im Verlauf der Völkerwanderung schon vielfach Christen geworden. Sie hatten sich aber dem Arianismus zugewandt, den die römische Kirche in Nicäa 325 und Konstantinopel verdammt hatte. Diese „Häresie“ führte der Ostgotenkönig Theoderich der Große 493 in Italien für seine Heere und Beamten ein, zwang sie aber den Römern und Katholiken nicht auf. Diese relative Toleranz gegenüber den übrigen Glaubensrichtungen kam besonders dem Judentum zugute.
Auch die westgotischen Herrscher Spaniens ließen der überwiegend katholischen Bevölkerung und der jüdischen Minderheit ihren Glauben. Aber schon vorher, im Jahr 305 erließ ein Kirchenkonzil in der katholischen Stadt Elvira (Iliberis) in Andalusien erste antijüdische Gesetze: Christinnen wurde es verboten, Juden zu heiraten, wenn diese nicht vorher konvertierten. Juden wurde verboten, Christen Gastfreundschaft zu gewähren, christliche Konkubinen zu haben und die Felder von Christen zu segnen.
587 trat König Rekkared I. zum Katholizismus über, um die Kluft zwischen den bis dahin arianischen Westgoten und der romanisch-katholischen Bevölkerung zu überbrücken. Dieses Streben stieß nun bei Arianern und Juden auf Widerstände. Daraufhin verschärfte sich ihre Lage. 589 verordnete ein Konzil von Toledo, damals Hauptstadt des Westgotenreichs, auf dem auch der Übertritt aller Westgoten zum katholischen Glauben beschlossen wurde, die Zwangstaufe von Kindern aus Beziehungen von Juden und Christen. Ab 613 bis 620 verordnete König Sisebut weitere Zwangstaufen, nun auch von Erwachsenen.
Die Kirchenkonzile bestätigten die darauf folgenden Sondergesetze gegen die zwangsbekehrten Juden: Die Archive des Klerus, nicht des Staates, verwalteten die abverlangten „Treueschwüre“ der Neugetauften. Ihnen wurde das Reisen und Ansiedeln stark erschwert, indem sie sich in jedem Ort neu die Weiterreise erlauben lassen mussten. Ein Spitzelsystem überwachte jeden ihrer Schritte, so dass ihre Lage schlimmer war als die der nichtgetauften Juden zuvor.
Trotzdem beeinflussten die getauften „Neuchristen“, die in den Dokumenten der Kirche stets weiter „Juden“ genannt wurden, die „Altchristen“ mehr als umgekehrt. Daraufhin verfasste Isidor von Sevilla zwei polemische Schriften für die christliche Unterweisung der Zwangsbekehrten. Sie argumentieren mit Stellen aus den Psalmen, die auf die Menschwerdung Christi verweisen sollten. Kurz darauf verfasste auch Ildefonsus von Toledo einen Traktat De Virginitate beatae Mariae, der die Jungfrauengeburt Jesu gegen von Juden eingebrachte Zweifel daran verteidigte.
Aufgrund brutaler Übergriffe Egikas auf die verbliebenen Gemeinden nahmen einige der „bekehrten Juden Kontakte zu jüdischen Gemeinden in Nordafrika auf, um Fluchtmöglichkeiten zu erkunden. Dies stellte der König 694 zur Eröffnung des Konzils in Toledo als versuchte staatsfeindliche Verschwörung mit Muslimen dar, die seit 672 begonnen hatten, südspanische Küstenstädte zu überfallen. Er drängte darauf, alle spanischen Juden, ob Greis, Frau oder Kind, ohne individuelle Prüfung der Vorwürfe unbefristet zu verurteilen:
- zur Enteignung,
- Verbannung aus ihren Wohnsitzen,
- Vogelfreiheit,
- beliebigem Sklavendienst bei christlichen Grundherren,
- vollständigem Verbot ihrer Religionsausübung,
- Wegnahme ihrer Kinder ab dem 7. Lebensjahr,
- Zwangsheirat der Mädchen und Frauen mit Christen.
Er nahm nur die gallische Provinz Septimanien aus, wo sie als Steuerzahler unentbehrlich waren. Dieser Versuch, das Judentum als Religion völlig auszulöschen, wurde erneut mit ihrer „Verstockung“, „Gotteslästerung“ und dem „Vergießen von Christi Blut“ begründet.
Erst die islamischen Eroberer setzten diesem Vorgehen der katholischen Gotenkönige Spaniens 713 ein Ende. Die überlebenden Juden halfen ihnen bei ihrem Siegeszug.
Sondersteuern, Erwerbs- und Berufsverbote, feudale Deklassierung
Im 8. Jahrhundert war der größte Teil Westeuropas katholisch christianisiert. In dieser Zeit kam es kaum zu Übergriffen auf Juden. Doch die Tradition der Kirchenväter, Schriften adversus Judaeos (gegen die Juden) zu verfassen, wurde von den christlichen Theologen fortgesetzt. Sie verbreiteten die Ansicht, die Juden hielten sich für auserwählt und seien zudem die Mörder Christi. So impften sie den neuen Gläubigen das tiefe Misstrauen gegen sie ein.
Im Frankenreich fanden Juden eine sichere Zuflucht. Karl der Große (747-814) gewährte ihnen kirchlichen Schutz und räumte ihnen als Händlern besondere Privilegien ein. Daraufhin wurden einige Juden sehr reich. Im Volk entstand der Eindruck, es ginge allen Juden besser als ihnen. Manche konvertierten deshalb zum Judentum. Ludwig der Fromme (778-840) stellte die Juden dann erneut unter seinen Schutz. Doch bald mussten sie sich diesen erkaufen, beispielsweise durch eine Sondersteuer oder so genannte Judenbriefe.
Im 9. Jahrhundert entwickelte sich allmählich das feudalistische Lehnswesen. Grundbesitz war in Europas mittelalterlichen Agrarstaaten die wichtigste Voraussetzung für politische Teilhabe. Nichtchristen durften unter den Karolingern keine Lehnsmänner werden. Juden wurde es untersagt, Grundbesitz zu erwerben, so dass sie sich in Städten niederlassen mussten. Sie blieben ohne politischen Einfluss und konnten nicht zum Adel aufsteigen: weder von Geburt noch durch Verdienste wie das spätere Rittertum.
Ab dem 10. Jahrhundert organisierten sich die Handwerker der Städte in Zünften, die zugleich christliche Bruderschaften waren. Sie verweigerten Juden die Mitgliedschaft und verdrängten sie so aus den meisten Berufen. Die Juden mussten sich auf von Christen geächtete Berufe wie Trödelhandel, Pfandleihe oder Kreditvergabe spezialisieren. Dabei war ihnen maßvolle Zinsnahme erlaubt. Da aber die wenigsten Kleingewerbe ohne Geldkredite auskamen, wurden Juden, besonders in ökonomischen Krisen, als „Wucherer“ betrachtet und beschimpft. Daraus entwickelte sich das Stereotyp des reichen, habgierigen, betrügerischen Juden.
Die Zeit der Kreuzzüge
Mit Beginn des 11. Jahrhunderts wurden Juden immer öfter nicht nur als Feinde des wahren Glaubens, sondern auch als innenpolitische Verbündete äußerer Feinde des Heiligen Römischen Reiches dargestellt. Das bedrohte ihre bisherige relative Duldung schwer.
1007 eroberte Kalif Al-Hakim Jerusalem, zerstörte dort die Grabeskirche und viele weitere Kirchen im „Heiligen Land“. Obwohl er ebenso gegen Synagogen vorging, hieß es in Frankreich: Dieses „ungeheure Verbrechen“ sei durch die „Bosheit der Juden“ bewirkt worden (Radulphus Glaber). So wurden diese nun landesweit aus Städten und Dörfern verbannt, in Flüssen ertränkt oder enthauptet. Viele töteten sich selbst, die übrigen ließen sich taufen. Papst Johannes XVIII. sandte vergeblich einen Legaten, um die Verfolgung zu beenden. Der Bevölkerung galt diese dennoch als von „Gott“ befohlenes Werk. Dies war ein deutliches Signal für die spätere Kreuzzugspropaganda.
Nach dem 1. Investiturstreit (1075–1085) hatte der neue Papst Urban II. an Macht gewonnen. Er sah sich nun als dem König- und Kaisertum übergeordnet und zur Weltherrschaft berufen. Als die türkischen Seldschuken Kleinasien eroberten und Byzanz bedrängten, nutzte er sein Amt am 27. November 1095 erstmals zu einem politischen Aufruf an alle Europäer.
Der Erste Kreuzzug sollte Jerusalem von den „Heiden“ - den islamischen Herrschern - befreien. Das Bauernheer von 1096 wie auch das Ritterheer von 1097 sahen sich legitimiert, gegen alle Nichtkatholiken, vor allem gegen Juden - die „übelsten Feinde Gottes“ (Guibert von Nogent) - vorzugehen und damit im eigenen Land zu beginnen. So berichtet der jüdische Chronist Salomo bar Simeon über den Herzog Gottfried von Bouillon:
„Er tat den bösen Schwur, nicht anders seinen Weg zu ziehen, als indem er das Blut seines Erlösers an dem Blute Israels rächen und von jedem, der den Namen Jude trägt, weder Rest noch Flüchtling übrig lassen werde…“
Daraufhin baten die Juden Deutschlands Kaiser Heinrich IV. um Hilfe. Dieser wies Bouillon an, sie ungeschoren zu lassen, erlegte ihnen dafür aber eine hohe Geldzahlung an ihn auf. Auch Peter von Amiens erpresste von ihnen Geld und Wegzehrung für sein Heer. Das Gefolge von Emicho von Leiningen ließ sich dadurch nicht von Raub, Plünderung und Massenmord abhalten, da dies für einfache Bauern weit mehr Aussicht auf Reichtum bot. Verschuldete Adlige ergriffen die Gelegenheit, ihre verhassten Gläubiger und jüdischen Geldverleiher zu beseitigen.
So zerstörten die Kreuzfahrer planmäßig viele der bislang blühenden jüdischen Gemeinden entlang der Reiseroute. Man ermordete die seit Generationen dort Ansässigen ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht und hetzte die Fliehenden solange, bis auch sie getötet waren. Verschont wurden nur Juden, die sich rechtzeitig taufen ließen. Betroffen waren 1096 in Ostfrankreich u. a. Metz und Rouen, im Rheinland Speyer (3. Mai), Worms (5.–18. Mai), Mainz (27. Mai), Trier, Köln (ab 1.–29. Juni), Neuß und Wevelinghoven (24.-25. Juni), Altenahr (25.–26. Juni), Xanten (27. Juni), Moers (29. Juni), Prag in Böhmen. Erst in Ungarn trafen die Kreuzfahrer auf Widerstand und wurden an der Grenze von einem katholischen Heer vernichtend geschlagen. Die übrigen Heere erreichten zuletzt das „Heilige Land“, wo sie in Jerusalem eins der grausamsten Massaker jenes Jahres anrichteten. - Sie gingen in die jüdischen Annalen als Gezerot Tatnu ein. Noch heute wird in der jüdischen Liturgie der Opfer gedacht.
Einige Kirchenführer versuchten das Morden aufzuhalten. Der Kölner Erzbischof verteilte Kölns Juden auf umliegende Dörfer und Städte, wo sie noch drei Wochen überlebten, bis man sie aufgespürt hatte. Dabei halfen oft ortsansässige Denunzianten. Nur eine Gruppe in Kerpen entging dem Tod. In vielen Fällen beging die versammelte Judengemeinde Selbstmord, sobald ihr Versteck gefunden war.
Deshalb stellte Heinrich IV. im Reichslandfrieden von 1103 die Juden unter seinen Schutz. Doch ein solches Dekret war nur begrenzt wirksam. Es verbot den Schutzbedürftigen das Tragen von Waffen. Menschen ohne Waffenrecht waren jedoch im mittelalterlichen Europa praktisch vogelfrei.
Die folgenden Päpste hielten sich nun zurück: Im Decretum Gratiani von 1140 befassten sich nur wenige Canones mit den Juden. Als der Mönch Rudolph im Rheinland 1146 im Vorfeld des Zweiten Kreuzzugs erneut zu Judenpogromen hetzte, erließ Papst Eugen III. die Bulle Sicut Judaeis zu ihrem Schutz. Diese verbot Zwangstaufen, Übergriffe ohne Rechtsverfahren und erpresste Dienstleistungen, erlaubte ungestörte jüdische Feste, gebot den Schutz jüdischer Friedhöfe und drohte denen, die diese Regeln verletzten, die Exkommunikation an.
Zugleich verlangte der angesehene Theologe Petrus Venerabilis von Cluny vom fränkischen König Ludwig VII., die Juden leben zu lassen, aber vollständig zu enteignen, um mit ihrem Besitz die Kreuzfahrer zu verpflegen und auszurüsten. Denn sie seien weit schlimmere Feinde Gottes als die „Sarrazenen“ (Muslime). Dennoch sollten sie „zu einem Leben schlimmer als der Tod bewahrt bleiben“.
Dagegen bezog Bernhard von Clairvaux öffentlich Stellung, indem er Psalm 59,11f zitierte:
„Töte sie nicht, damit meine Völker niemals vergessen.“
Juden seien in der Welt zerstreut als lebendige Zeichen für das Leiden Jesu, um die Völker auf kommende Erlösung hinzuweisen. Dann würden nach Röm 11,25f auch die Juden errettet werden. Dazu müssten sie verschont werden. Sie sollten nur auf Zinsen für ihre Kredite verzichten. Wo man sie töte, könnte es den Kreuzfahrern ähnlich ergehen wie denen in Ungarn. Damit konnte Clairvaux ähnlich organisierte Gemetzel wie 1096 verhindern. - Das 3. Laterankonzil von 1179 lockerte nach dem Zweiten Kreuzzug sogar manche der früheren antijüdischen Gesetze.
In England war die Lage der kleinen jüdischen Minderheit seit ihrer Ansiedlung 1066 besser als auf dem europäischen Festland. Sie wurden als belebender Wirtschaftsfaktor begrüßt. Der Prior der Westminster Abbey, Gilbert Crispin, gewährte einem jüdischen Gelehrten sogar die Ehre einer offenen religiösen Diskussion. Dabei ging es um die allegorische oder wörtliche Auslegung des Alten Testaments. Der jüdische Vertreter schlug vor, Christen könnten sich auch bei übertragener Deutung an den Wortlaut halten, damit die Tora erfüllt und zum Segen für beiderseitiges Wohlergehen würde. Dies war ein seltenes Beispiel eines toleranten Gedankenaustauschs.
Doch im Vorfeld des Dritten Kreuzzugs kam es auch in England erstmals zu Ritualmord-Vorwürfen (s. u.) und grausamen Judenpogromen. Als König Richard I. 1189 seine Teilnahme bekannt gab, griffen religiös fanatisierte Massen fast alle jüdischen Gemeinden in England an, um sie zu berauben. Am schwersten traf es die Stadt York, deren Juden - auch die, die zur Taufe bereit waren - völlig ausgerottet wurden.
Philipp II. von Frankreich ließ auf „eigene Nachforschung“ eines angeblichen Ritualmords hin am 16. Februar 1181 sämtlichen Besitz aller Juden von Frankreich beschlagnahmen, um seine prekäre Finanzlage zu bessern. Im Jahr darauf vertrieb er sie aus dem ganzen Land, so dass auch ihr Grundbesitz an den Königshof fiel. Die Synagogen ließ er „reinigen“ und widmete sie dann zu Kirchen um. Mit Schenkungen solcher Gebäude band er den französischen Klerus umso fester an sich. 1198 rief er die vertriebenen Juden jedoch zurück in sein Land. Der Zisterzienser-Abt Adam von Perseigne verfasste im selben Jahr eine heftige Kritik an der Habsucht des Priesterstands:
„Weder wagt noch vermag der Teufel sich so sehr gegen Christi Majestät versündigen, noch konnte die Unwissenheit der Juden so sehr gegen ihn fehlen, wie diese unseligen Christen gegen ihn Verbrechen aufhäufen.“
Juden könnten nur durch Geduld und christliches Vorbild gewonnen werden. Die ehrlichen Christen sollten ihren Bekehrungseifer zunächst ihren verdorbenen Glaubensbrüdern zuwenden.
Jüdische Fernhändler wurden im 12. Jahrhundert auch sonst aus dem internationalen Handel verdrängt. Verbliebene jüdische Minderheiten wurden durch immer höhere Schutzzölle und Sondersteuern belastet. In dieser Zeit begann die jüdische Abwanderung nach Osteuropa.
Der Weg ins Ghetto
Nach der Erfahrung der Kreuzzüge machte Friedrich II. die Juden 1236 zu so genannten Kammerknechten . Dadurch gerieten sie in direkte Abhängigkeit vom Kaiser. Dieser ließ sich ihren Schutz mit einer „Judensteuer“ bezahlen. Dieses „Judenregal“ wurde nach dem Zusammenbruch der kaiserlichen Zentralgewalt im Interregnum von vielen deutschen Territorialfürsten beansprucht. Die Goldene Bulle von 1356 bestätigte den Kurfürsten das Recht dazu. Oft war die Schutzsteuer so hoch, dass sie die jüdischen Geldverleiher zwang, hohe Zinsen zu verlangen. Das erzeugte neue Vorurteile und verstärkte den Hass der christlichen Bevölkerung auf die „Wucherer“.
Auch die Päpste sahen sich als Schutzherren der Juden und unterstellten sie ihrer „Sündenknechtschaft“. So verlangte Papst Innozenz III. vom fränkischen König, er solle die Juden als Strafe für ihre Schuld am Tod Christi unterdrücken, „damit diese nicht wagen, ihren Nacken, der dem Joch ewiger Knechtschaft unterworfen ist, zu erheben…sondern immer die Scham ihrer Schuld betrachten.“
Derselbe Papst dogmatisierte 1215 auf dem IV. Laterankonzil die Transsubstantiation (Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi). Das Konzil verschärfte ältere Kirchendekrete und verpflichtete alle Juden und „Sarazenen“ (Muslime) zu einer Kleiderordnung, um „Mischehen“ auszuschließen. Es beschloss außerdem ein Ämter- und Missionsverbot für Juden und wies ihnen das Wohnen in gesonderten Stadtvierteln zu. Christen durften nicht für sie arbeiten und nicht mit ihnen essen. Für ihre „Wucherzinsen“ mussten Juden den Kirchen den Zehnten abgeben; andernfalls würden sie vom Handel mit Christen ausgeschlossen. Getauften Juden wurde die Beachtung jüdischer Riten vollständig verboten.
Thomas von Aquin bekräftigte fast alle diese Maßnahmen in seiner Schrift De regimine Iudaeorum. Die theologische Rechtfertigung des Kirchenrechts wiederum verfestigte die Judenfeindlichkeit in der Bevölkerung. Damit wurden aber nur antijüdische Entwicklungen untermauert, die längst im Gang waren. Berufsverbote für Juden waren seit 100 Jahren üblich. Auch die Einrichtung von Judenghettos lässt sich seit Beginn des 11. Jahrhunderts belegen.
Die Beschlüsse des Konzils wurden nicht überall und nicht einheitlich umgesetzt. Erst seit dem 15. Jahrhundert mussten Juden neben dem Spitzhut einen gelben Ring oder Kreis auf dem Mantel tragen. Besonders seit dem „Judendekret“ des Konzils von Basel (1434), das u. a. durch die Legationsreise des Kardinals Nikolaus von Kues 1450 propagiert wurde, entstanden in den meisten deutschen Städten jüdische Stadtviertel, die von Mauern umgeben und deren Tore nachts verschlossen waren. Dadurch wurden die Juden bei Pogromen zu einem leicht greifbaren Ziel.
Die Konzilsbeschlüsse verbanden Katholizismus und Antijudaismus noch enger miteinander und verschärften die Isolierung der Juden. Das Zinsverbot ließ sich nicht durchhalten; auch Wirtschaftskrisen konnten nun den religiös bereits völlig unterdrückten Juden angelastet werden. Das hatte in Zeiten der Not fatale Folgen.
Die religiöse Kriminalisierung
Seit Mitte des 12. Jahrhundert beschuldigte man die Juden immer öfter einer begrenzten, stets wiederholten Auswahl „satanischer“ Verbrechen: Ritualmord (oft verbunden mit Kindesentführung), Hostienfrevel, Blasphemie, Brunnenvergiftung.
Anonyme Anklagen dieser Art führten oft zu örtlichen Pogromen, da sie nicht einzelne, sondern alle Juden betrafen. Wo die Autoritäten eingriffen, kam es zu Schauprozessen und unter Folter erzwungenen „Geständnissen“. Die Feindbilder des christlichen Volksglaubens gleichen dabei frappierend jenen, die im römischen Reich den Christen selber gegenüber laut wurden und die damalige Christenverfolgung begleiteten. Sie wurden zwar von den Päpsten meist zurückgewiesen, von weltlichen Herrschern aber teilweise für finanzielle und politische Interessen benutzt.
Diese behaupteten, dass Juden christliche Kinder schlachten, deren Blut in ihr Passahbrot (Mazzen) einbacken und damit Unheil auf die Christen herabbeschwören. Ähnlich hatten Römer früher die Abendmahlsfeier der Christen als kannibalischen Akt denunziert. Der Vorwurf wurde oft während der Karwoche vor Ostern erhoben und ignorierte das jüdische Verbot des Blutgenusses ebenso wie den Sinn des Pessachfestes: Dieses erinnert an Israels Befreiung aus der Sklaverei, die die Ablösung von Menschenopfern durch Tieropfer begründet.
Ein Ritualmordvorwurf tauchte erstmals 1144 in Norwich, 1168 auch in Gloucester auf. 1171 führte eine erfundene Ritualmord-Anklage in Blois (Frankreich) erstmals zu einem förmlichen Prozess gegen 40 Juden. Man bot ihnen an, sie am Leben zu lassen, falls sie sich zu Christus bekehrten. Als sie dies trotz Folter verweigerten, wurden sie verbrannt.
1235 wurde in Fulda erstmals im deutschsprachigen Raum ein Gerücht laut, Juden hätten einen Hausbrand und den Tod von fünf Kindern verursacht: Der Mord an 32 örtlichen Juden war von einer Mordanklage gegen alle Juden des Reiches begleitet. Friedrich II. ordnete eine Untersuchung an, die mit Freispruch endete.
Nach dem Folterprozess von Valréas 1247 verbot Papst Innozenz IV. die Blutbeschuldigung und betonte - vergeblich -, dass die Tora Juden den Genuss von Blut verbiete. Auch der spätere Reformpapst Martin V. wies die Legendenbildung durch Hetzprediger in seiner Judenschutzbulle 1422 energisch zurück. Dennoch gab es Ritualmordanklagen und Schauprozesse dazu bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die bekanntesten Fälle waren Hugo von Lincoln 1255, Werner von Oberwesel 1287 und Simon von Trient 1475. Noch 1840 wurde eine solche Anklage in der „Damaskusaffäre“ vom Vatikan gestützt.
Mit dem Ritualmord verband sich auch das Rattenfänger-Motiv der „Kindesentführung“. Der Klerus fürchtete ohnehin ständig den verderblichen Einfluss jüdischen Andersseins auf die christliche Jugend. Man warf Juden vor, was Christen ihnen oft selber real zufügten: Missionare und Inquisitoren nahmen „Ketzern“ und Juden in Spanien und anderswo ihre Kinder durch Zwangstaufe oder Zwangsadoption weg, um sie ihrem „gottlosen“ Einfluss zu entziehen.
- „Hostienfrevel“:
Dieser Vorwurf tauchte vermehrt auf, nachdem das 4. Laterankonzil 1215 die Transsubstantiationslehre dogmatisiert hatte. Gerüchte über „Bluthostien“ sollten ungläubige Frevler widerlegen; als dies misslang, wurde Juden Hostienraub und Marter des Leibes Christi, also die Fortsetzung des Gottesmords an der gewandelten Hostie, unterstellt. Analog zur heidnischen Magie folterten sie die Hostie angeblich mit Messern und Nägeln. 1290 wurden Pariser Juden deshalb zum Tod verurteilt.
In Deutschland zog der fränkische Adelige Rintfleisch 1298 durch die Lande, um einen angeblichen Hostienfrevel in Röttingen anzuklagen: Dies führte zur Vernichtung von 140 jüdischen Gemeinden in Franken, Bayern und Österreich. Auch in Deggendorf wurde eine jüdische Gemeinde deswegen 1338 vollkommen ausgelöscht.
- „Gotteslästerung“:
Dieser Vorwurf löste im 13. Jahrhundert einen großangelegten Feldzug gegen die rabbinische Literatur aus. Der getaufte Jude Nikolaus Donin begann ihn, indem er den Talmud wegen angeblich darin enthaltener „Gotteslästerungen“ 1239 bei Papst Gregor IX. anzeigte. Dieser verlangte daraufhin von den Königen Englands, Frankreichs, Kastiliens und Portugals, alle Talmudexemplare einzuziehen und alle Kleriker, die hebräische Bücher behielten, zu exkommunizieren.
Nur König Ludwig IX. von Frankreich befolgte den Befehl am 3. März 1240, setzte aber eine öffentliche Disputation an, die erst die Vorwürfe klären sollte. Sie brachte dem Wortführer der jüdischen Seite, Rabbi Jechiel ben Josef, einen rhetorischen Sieg und hohes Ansehen. Doch das Urteil stand längst fest: Nach einem Aufschub wurden am 29. September 1242 einige 10.000 Talmudexemplare - 24 Wagen voll - in Paris öffentlich verbrannt.
Papst Innozenz IV. bekräftigte 1244: Im Talmud würden Gott, Christus und Maria gelästert, seine mündliche Überlieferung (die Haggada) verfälsche das biblische Gesetz, das auf Christus hinweise, und erziehe die Juden dazu, sich dem Hören auf die wahre Lehre der Kirche zu verweigern. Als eine jüdische Delegation erklärte, der Talmud sei für Juden unentbehrlich, um die Bibel zu verstehen, ließ er ihn untersuchen. 40 Gutachter der Universität Paris, darunter Albertus Magnus, verurteilten den Talmud erneut.
Dies rechtfertigte fortgesetzte Zensur-, Einzugs- und Verbrennungsaktionen späterer Päpste, französischer Könige und vor allem der dortigen Inquisition. Bernard Guis berühmtes „Ketzerhandbuch“ führte neben dem Talmud rabbinische Bibelkommentare auf, die es einzuziehen gelte, darunter Schriften von Moses Maimonides. Er veranstaltete 1319 in Toulouse eine weitere Bücherverbrennung. Dies machte die jüdische Religionsausübung zeitweise unmöglich.
In Deutschland blieb es bei öffentlicher Verhöhnung des Talmud und Hetzreden. Damals populäre Prediger wie Berthold von Regensburg und Konrad von Würzburg setzten Juden und Ketzer gleich. Da sie am Talmud festhielten, seien sie alle zur Hölle verdammt.
In Spanien kam es bis 1263 zu Talmudverboten. Danach begnügte sich König Jakob I. von Aragon damit, dass Juden anstößige Stellen freiwillig strichen. Diese festzustellen überließ er einer Kommission unter dem Dominikaner Ramon von Penaforte. Als sich das Verfahren als unwirksam erwies, zog er den Zensurbefehl 1265 zurück.
Ein Gutachter, der Mönch Ramon Marti, hatte das rabbinische Schrifttum positiver beurteilt. Er fand im Talmud viel Verwandtes zu Lehren Jesu und versuchte, aus Legenden der Haggada Jesu Messianität zu beweisen. Nur aus ihrem eigenen Schrifttum heraus könne der christliche Prediger die Juden überzeugen. Sein um 1280 entstandenes Hauptwerk Pugio fidei adversos Mauros et Iudaeos beeinflusste auch Martin Luther (s. u.).
Der Gegenpapst Benedikt XIII. jedoch erließ 1415 mit einer „Judenbulle“ ein Totalverbot der Talmudbenutzung und -verbreitung. Ausgenommen waren nur päpstlich beauftragte Judenmissionare.
- „Brunnenvergiftung“:
Dieser Vorwurf tauchte erstmals im Jahr der großen Pestepidemie auf und führte zur Vernichtung zahlreicher Judengemeinden, vor allem - wie schon 1096 - im Rheinland. Die Anklage variiert das antike Motiv des Brunnenverstopfens. Warum sie nur Juden traf, ist kaum rational erklärbar. Es mangelte in mittelalterlichen Städten allgemein an sauberem Wasser; wegen fehlender Abwasserkanäle war die Hygiene der Bevölkerung schlecht.
Die Tora verlangte zwar Reinheit im Alltag, so dass die Judenghettos ihre Brunnen tiefer anlegten und eher auf saubere Gassen und Körperhygiene achteten als die übrige Stadtbevölkerung. Doch sauberes Wasser war auch dort knapp. Die Pest betraf Juden ebenso.
Doch die kirchliche Propaganda hatte das Vorurteil des heimtückischen, zu allen Verbrechen fähigen Juden längst tief im Aberglauben der mittelalterlichen Bevölkerung verankert und bestärkte es laufend. Die Pogrome des Jahres 1349 waren daher sehr oft eine „Prävention“, bevor die Pest einen Ort erreichte.
Die Ankläger waren oft örtliche Handwerker, Bauern oder Kleingewerbetreibende, die bei Juden hoch verschuldet waren und die Gelegenheit nutzten, ihre Gläubiger loszuwerden. So schrieb der Priester Jakob Twinger über das „Valentinstagmassaker“ in Straßburg:
„…am St. Veltlinstag verbrannte man die Juden auf ihrem Friedhof auf einem Holzgerüst. Man schätzt die Zahl der Getöteten auf 2000. Die sich aber wollten taufen lassen, ließ man am Leben… Was man den Juden schuldig war, wurde bezahlt und alle Pfandbriefe über Schulden wurden ihnen zurückgegeben, das bare Gut aber, das sie hatten, nahm der Rat und verteilte es unter die Handwerker nach der Kopfzahl. Das war auch das Gift, das die Juden tötete.“
Das Pogrom war also eine konzertierte Aktion des Stadtrats mit den christlichen Handwerkern. Auch nach den Jahren der Pest gab es immer wieder derartige Anklagen gegen Juden. Papst Martin V. wies diese ebenso wie den Ritualmord zurück:
„Auch haben wir erfahren, dass man die Juden der Missetat anklagt, sie hätten die Brunnen vergiftet und mischten in ihr Osterbrot Menschenblut. Da dieses aber den Juden mit Unrecht vorgeworfen wird, so verbieten wir allen Christen und vorgenannten geistlichen und weltlichen Predigern, dass sie die Christen gegen die Juden in Bewegung setzen.“
Dies zeigt deutlich, von wem die Pogromhetze damals ausging.
Zu diesen religiösen Anklagen gesellte sich im Lauf des Hochmittelalters das ökonomische Klischee des
- „Wucherjuden“:
Juden war der Geldhandel zugewiesen worden, da Christen das Zinsnehmen verboten war. Dieses galt ihnen als ehrlos, betrügerisch und anmaßend. Juden hatten die unterworfene Minderheit zu sein und nicht Forderungen an Christen zu stellen. Dieser Hass auf die Gläubiger konnte im Kontext von Wirtschaftskrisen leicht in Pogrome ausarten.
Um 1330 griffen Hungerkatastrophen und Seuchen um sich, die die Gegensätze zwischen Arm und Reich und Stadt und Land verschärften. Immer mehr verarmte Bauern mussten Kredite bei städtischen Juden aufnehmen. Unzufriedene verschuldete Bauern rotteten sich nun als „Judenschläger“ zusammen, um an Ghettojuden wahllos Rache zu üben. So kam es 1336-38 erneut zu einer Pogromwelle in Franken, Schwaben, Österreich, der Steiermark, dem Elsass und Rheingau.
Das Wucher-Klischee wurde von italienischen Bettelmönchen, allen voran den Franziskanern, im 15. Jahrhundert mit reichsweiten Hetzpredigten geschürt. Bernhardin von Siena (1380–1444) griff dabei den Wucher auch der Christen an. Bernhardin von Feltre (1439–1494) dagegen galt als „Geißel“ der Juden: Als Friedensstifter von vielen Städten gerufen, stachelte er überall zu Pogromen gegen sie auf. Dabei ignorierte er päpstliche Schutzbriefe und beschwerte sich in Rom darüber, dass diese die „Anmaßung“ der Juden gegenüber Christen begünstigten. Daraufhin wurden die Päpste Eugen IV. und Nikolaus V. schwankend und griffen zum Teil auf Canones des 4. Laterankonzils zurück.
Weder Mönche noch Päpste verstanden die ökonomischen Notwendigkeiten des aufkommenden Merkantilismus: Sie berücksichtigten nicht, dass ohne Zinsnahme kein Geldgeschäft und kein Handel möglich war. Gerade die ärmeren Handwerker und das Kleingewerbe der Städte war auf die Leihanstalten angewiesen, die nur Juden betreiben durften. Diese konnten nur durch Zinsen leben. Je höhere Abgaben christliche Herrscher verlangten, umso höhere Zinsen mussten sie nehmen.
- „Der Antichrist“:
Öffentliche Passionsspiele boten viel Raum für Verunglimpfung von Juden. Sie wurden häufig als der Satan dargestellt und „entlarvt“. Das Publikum durfte ihre Bestrafung fordern und festlegen, die auf der Bühne sofort vollzogen wurde. Das drang nun auch in die Dramaturgie der Fastnachtsspiele ein. So wurden Pogrom und Vertreibung eingeübt und symbolisch vorweggenommen. Auch damalige Karikaturen zeigen die wachsende Judenfeindlichkeit.
Pogrome im Spätmittelalter
Im 13. und 14. Jahrhundert kam es zu zahlreichen schweren Pogromen an und Vertreibungen der jüdischen Minderheit.
1221 wurde die jüdische Gemeinde in Erfurt ausgelöscht, 1235 folgte die in Fulda, 1285 die in München. 1264 wurden englische Juden Opfer eines Pogroms in London. In sämtlichen Fällen ging dem Pogrom der Vorwurf eines angeblichen Ritualmords voraus.
Nun begann auch eine Welle von Vertreibungen jüdischer Gemeinden. 1290 vertrieb König Eduard I. von England alle Juden aus seinem Reich. 1306 tat Philipp IV. es ihm in Frankreich nach. Doch Ludwig X. erlaubte 1315 die Rückkehr der französischen Juden. 1394 wurden sie unter Karl VI. endgültig vertrieben.
Die meisten vertriebenen Juden aus England und Frankreich flohen zunächst in das Heilige Römische Reich, in deutsche oder italienische Gebiete. Dort waren sie keineswegs überall vor Verfolgung sicher. Sie wurden in den europäischen Königreichen und Fürstentümern nur geduldet, solange sie den Herrschern wirtschaftlichen Nutzen brachten.
1348 brach die Pest in weiten Teilen Mitteleuropas aus. Damit erreichten die Judenverfolgungen einen grausamen Höhepunkt. Sofort kam das Gerücht auf, sie hätten „Brunnen vergiftet“ und damit die Seuche ausgelöst. Angesichts des um sich greifenden Zerfalls der Autoritäten, die hilflos gegenüber dem „Schwarzen Tod“ waren, fand die Bevölkerung in ihnen den geeigneten Sündenbock.
Zwar versuchten Kaiser und Papst, ihre Pflichten wahrzunehmen und die Juden zu schützen. Clemens VI. argumentierte erstmals rational: Die Pest wüte auch dort, wo keine Juden lebten, und raffe auch sie dahin, wo sie lebten. Er verbot das Hinrichten von Juden ohne Gerichtsverfahren. Das half ihnen jedoch nur in Avignon.
1349 kam es in vielen Städten noch vor Ausbruch der Pest zu Massakern an Juden, oft angeheizt durch die Flagellanten. Vielfach brachten sich Juden selbst um, um der Folter und Verbrennung zu entgehen. Ein Jahr darauf lebten nur noch wenige Juden in Mitteleuropa. Nur in Spanien, Österreich und Polen erreichten die Herrscher ein vorzeitiges Ende der Pogrome.
Die Massenmorde waren nicht nur von religiösem Hass, Aberglauben und politischer Unfähigkeit verursacht. Hinzu kamen Interessen der verschuldeten Adeligen und Bürger, die eine willkommene Gelegenheit sahen, ihre Gläubiger loszuwerden.
Antijudaismus im Islam
Hauptartikel: Antisemitismus in islamischen Ländern
In der islamischen Welt war die Lage der Juden besser als im christlichen Europa. Wie die Christen galten sie dort als Dhimmis („Schutzbefohlene“) und mussten eine Sondersteuer zahlen, durften dafür aber ihren Glauben fast unbeschränkt ausüben.
Spaniens Eroberung durch die Muslime 713 wurde von den Juden daher als große Befreiung erlebt. Unter den Mauren kam es in Spanien und Portugal zu einer friedlichen Toleranz und Zusammenarbeit von Juden, Christen und Muslimen, die zugleich eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit war. In Marokko und Persien jedoch wurden wie in Europa jüdische Ghettos eingerichtet. Zeitweise wurde den Juden dort auch eine Kleiderordnung aufgezwungen (siehe Gelber Ring). 1033 wurden in Fès mehrere Tausend Juden von aufgebrachten Moslems umgebracht, 1066 folgte ein Blutbad in Granada.
Dennoch waren gewaltsame Übergriffe auf Juden hier deutlich seltener als in Europa. Später wurde die jüdische Minderheit jedoch auch in islamischen Ländern ausgegrenzt. Erst 1492 entstand auf Einladung der islamischen Herrscher wieder eine jüdische Gemeinde in Jerusalem. Die Juden konnten unter den Osmanen lange Zeit unbehelligt dort leben.
Inquisition in Spanien
Die Reconquista im 15. Jahrhundert beendete die Blütezeit der Mauren. Es kam zur massenhaften Vertreibung und vielen Zwangstaufen von Juden und Muslimen. Hinzu kam seit 1481 die spanische Inquisition. Ursprünglich hatte Papst Innozenz III. 1231 den Dominikanerorden mit der Durchsetzung religiösen Zwanges beauftragt, der aber hauptsächlich gegen „Ketzer“ und „Hexen“ vorging.
König Ferdinand II. und seine Gemahlin Isabella I. jedoch gründeten die Inquisition auch zu dem Zweck, jüdische und maurische Konvertiten aufzuspüren, zu enteignen, zu vertreiben und zu vernichten, die sie im Verdacht hatten, heimlich ihre angestammte Religion weiter auszuüben, nachdem die spanischen Juden mit dem Alhambra-Edikt 1492 vor die Alternative gestellt worden waren, entweder das Land zu verlassen oder sich taufen zu lassen. Juden und Muslime mussten theologische Scheindebatten und Schauprozesse - sogenannte „Autodafés“ - über sich ergehen lassen und endeten dabei zu Tausenden auf dem Scheiterhaufen. Und selbst wenn sie sich taufen ließen, wurden die Juden von der christlichen Mehrheit nicht als vollgültige Kirchenmitglieder geachtet, sondern als marranos (span. für Schweine) beschimpft. Die Marranen wurden teils noch bis in die dritte Generation verachtet und angefeindet. Sie reagierten darauf ähnlich wie Morisken, d. h. verfolgte Muslime: mit der Geheimhaltung ihres Glaubens (Taqiyya). Das wiederum verstärkte das Misstrauen gegen alle Juden und Muslime. Seitdem konnten diese mit dem Namen „Jesus Christus“ nur noch Terror, Folter, Verbrennung verbinden. Diese Hetzjagd erreichte mit Tomas de Torquemada ihren Höhepunkt, der das Ideal der „limpieza de sangre“ (span. für Reinheit des Blutes) aufstellte: Nur reinblütige Spanier ohne jüdische oder maurische Vorfahren galten als vertrauenswürdig. Damit wurde erstmals die Judenfeindschaft von ihrer bisherigen religiösen Begründung gelöst und mit der Abstammung gerechtfertigt - ein Rassismus avant la lettre.
Kiewer Rus
Die Geschichte des Aufstiegs und der Christianisierung der Kiewer Rus ist eng mit der Zerschlagung des Chasarenreichs verbunden, eines Khaganats zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. Dieses Reich hatte zwischen dem 8. und 9. Jahrhundert die jüdische Religion als Staatsreligion eingeführt.
956 oder 957 zerstörte Swjatoslaw I. die Reichshauptstadt Itil an der Wolga und besiegelte damit den Untergang des Chasarenreichs. In der Tauflegende um Großfürst Wladimir I. von Kiew spielen die Chasaren noch einmal eine Rolle: Nach der Nestorchronik habe Wladimir Vertreter der vier großen Religionen empfangen um selbst zu entscheiden, welcher Religion sich die Rus anschließen sollten. Das Judentum vertreten in dieser Legende Gesandte der Chasaren. Die Juden werden in der Legende als das zerstreute Volk dargestellt, das den Zorn Gottes auf sich gezogen habe und deshalb aus seiner Heimat vertrieben wurde, was ihre Religion aus der Sicht des Kiewer Fürsten gänzlich unattraktiv erscheinen lässt.
Von Konstantinopel, dessen Religion sie annahmen, übernahmen die Kiewer Großfürsten auch den byzantinischen Antijudaismus.
Ob nach der Zerschlagung des Chasarenreichs größere Gemeinschaften von Chasaren im Kiewer Herrschaftsgebiet existierten, ist in der historischen Forschung umstritten.
Unter Großfürst Wladimir Monomach kam es um 1113 zu einem ersten Pogrom an Juden in Kiew. Geduldet waren nur die kleinen, relativ wohlhabenden Gemeinden der Karäer.
Siehe auch
- Antike Judenfeindschaft
- Antijudaismus im Neuen Testament
- Antijudaismus in der Neuzeit
- Antisemitismus (bis 1945)
- Antisemitismus (nach 1945)
- Antisemitismusforschung
Einzelbelege
- ↑ Sylvia Haslinger: Die Juden in der mittelalterlichen Stadt, Kapitel 7 (abgerufen am 18. August 2006)
Literatur
- Malcolm Hay: Roots of Christian Anti Semitism. 2 Auflage. 1984, ISBN 0884640337.
- Thomas Brechenmacher: Der Vatikan und die Juden. München 2005, ISBN 3-406-52903-8.
- David I. Kertzer: Die Päpste gegen die Juden. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus.. Propyläen Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-549-07147-7.
- Karl Heinrich Rengsdorf (Hrsg.): Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen.. TB Nr. 4478. 1, DTV (Klett-Cotta), München 1988, ISBN 3-12-906720-5.
- Karl Heinrich Rengsdorf (Hrsg.): Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen.. TB Nr. 4478. 2, DTV (Klett-Cotta), München 1988, ISBN 3-12-906730-2.
- Heinz Schreckenberg: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.-11. Jh.).. 2 Auflage. Frankfurt am Main 1990.
- Abba Kovner: Schriften des Feuers. Eine Nation kämpft um ihr Leben..
- Edith Wenzel: „Do worden die Judden alle geschant.“ Rolle und Funktion der Juden in spätmittelalterlichen Spielen.. München 1992.
- Rainer Kampling: Im Angesicht Israels. Studien zum historischen und theologischen Verhältnis von Kirche und Israel.. Katholisches Bibelwerk Stuttgart, Stuttgart 2002, ISBN 3-460-00471-1.
- Hering Torres, Max Sebastián: Rassismus in der Vormoderne. Die „Reinheit des Blutes“ im Spanien der Frühen Neuzeit. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006, ISBN 3-593-38204-0.
- Heiko A. Oberman: Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation. Siedler Verlag, 2. Auflage, ISBN 3-88680-023-7
- Friedrich Heer: Gottes erste Liebe. Die Juden im Spannungsfeld der Geschichte. Ullstein Tb, 1986, ISBN 3-548-34329-5
- Gerhard Czermak: Christen gegen Juden. Geschichte einer Verfolgung. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-8218-1133-1
Weblinks
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