Lu Hsün

Lu Hsün
Luxun, Fotografie von 1930

Lu Xun (chin. 魯迅 / 鲁迅, Lǔ Xùn, eigentlich chin. 周樹人, Zhōu Shùrén; *1881 in Shaoxing; † 1936 in Shanghai) war ein chinesischer Schriftsteller und Intellektueller der von der Beida (Peking-Universität) ausgehenden Bewegung des vierten Mai, der sich mit anderen Intellektuellen an der Baihua-Bewegung beteiligte, einer Reformbewegung für literarisches Genre und Stil.

Inhaltsverzeichnis

Literarische Bedeutung

Lu Xun gilt in China als Begründer der modernen Literatur. Die Neuerungen beziehen sich allerdings nicht nur darauf, dass er die Umgangssprache Baihua anstatt der Schriftsprache Wenyan verwendete oder für ihre Verwendung eintrat, denn Literatur, in der Baihua verwendet wird, existiert in China bereits seit der Tang- und Song-Dynastie. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts traten Gelehrte wie Huang Zunxian, Qiu Tingliang und Wang Zhao für eine Prestigeerhöhung von Literatur in Baihua und für die Anerkennung der allgemeinen Verwendung von Baihua ein. Huang Zunxian behauptete beispielsweise: „Meine Hand schreibt, wie mein Mund redet“.

Die Neuerungen der von Lu Xun mitbegründeten Literatur der Bewegung des vierten Mai bestehen vielmehr darin, dass sich in ihr vielfach eine intellektuelle und ideologische Rebellion gegen die elitäre konfuzianische Tradition der Gesellschaft äußert. Denn obwohl es 1911 in der Xinhai-Revolution zum Sturz der Qing-Dynastie gekommen war, und eine chinesische Republik gegründet worden war, trug die Gesellschaft weiterhin feudalistische Strukturen, in der die Bauern von den Grundherrn unterdrückt wurden. Die konfuzianische Ethik und mit ihr die klassische Schriftsprache Wenyan können als Träger der alten Vorstellungen und Ideale gelten, nicht zuletzt, da die Staatsbeamten der Qing-Dynastie rekrutiert wurden nach dem Bestehen einer Prüfung im Verfassen von Aufsätzen, die mit der konfuzianischen Ethik vereinbar waren, und nicht wie in einer Demokratie vom Volk gewählt wurden.

So wendet sich Lu Xuns Kurzgeschichte Tagebuch eines Verrückten (1918) als erstes und am deutlichsten gegen das konfuzianische Wertesystem und entlarvt die jahrtausendealte Ethik symbolisch als „Menschenfresserei“. Dieser anti-traditionalistische Gedanke fand Übereinstimmung mit den Ideen der Intellektuellen der Bewegung des vierten Mai.

Biographie

Statue Lu Xuns mit seiner Frau

Die Anfänge

Geboren in Shaoxing, Provinz Zhejiang, hieß er ursprünglich Zhou Zhangshou, änderte später seinen Namen in Zhōu Shùrén. Als Sohn einer Literatenfamilie wurde ihm in frühster Kindheit eine Ausbildung in den Klassikern zuteil. 1898 studierte er an der Kiangnan-Marineakademie in Nanking, 1899-1902 am Institut für Bergbau und Eisenbahnwesen in Nanjing; beides Schulen des westlichen Typs, die dem Wissensdrang des jungen Lu Xun besser nachkamen, als die Ausbildung zum Staatsbeamten. Während des Studiums lernte er On Evolution and Ethics von Thomas Henry Huxley kennen, welches seiner Meinung nach den Ausweg aus Chinas Misere zeigt.

Entscheidung für das Schriftstellertum

1902 ging Lu Xun zum Medizinstudium nach Japan. Dort widmete er sich allerdings verstärkt der ausländischen Literatur und Philosophie und kam dabei zur Einsicht, dass nur eine Veränderung des Bewusstseins Chinas Rettung sein kann. Rückblickend schrieb Lu Xun 1922 über diese Zeit:

"Es war lange her, seit ich irgendwelche Landsleute gesehen hatte, da wurde eines Tages ein Film vorgeführt, der einige Chinesen zeigte. Einer von ihnen war gefesselt, und viele meiner Landsleute standen um ihn herum. Sie waren alle kräftige Gesellen, schienen jedoch völlig apathisch zu sein. Der Kommentar besagte, dass der eine mit den gebundenen Händen Spion im Dienste der Russen gewesen sein, wofür ihm die japanischen Soldaten - zur Warnung der anderen - nun den Kopf abschlagen würden; die Chinesen rings um ihn seien gekommen, um das Schauspiel zu genießen.
Noch vor Ende des Semesters war ich nach Tokio abgereist, weil ich nach diesem Film zu der Überzeugung gelangt war, die medizinische Wissenschaft sei gar nicht so wichtig. Ich hatte erkannt, dass Menschen eines schwachen und rückständigen Landes, wie stark und gesund sie auch sein mochten, zu nichts anderen dienten, als stumpfsinnige Zuschauer oder willenlose Objekte solch öffentlichen Schauspiels abzugeben; und das war schlimmer, als an einer Krankheit zu sterben. Am wichtigsten war es darum, ihren Geist zu ändern, und da ich Literatur für das beste Mittel zu diesem Zweck hielt, beschloss ich, eine literarische Bewegung ins Leben zu rufen."

Zu diesem Zeitpunkt schrieb Lu Xun seine ersten politischen Essay. 1908 kehrte Lu Xun nach China zurück und unterrichtete in Hangzhou und Shaoxing Naturwissenschaften. 1911, nachdem die Qing-Dynastie gestürzt wurde, wurde er Angestellter im Erziehungsministerium der neuen provisorischen Regierung, aber unterrichtete anschließend wieder in Peking.

Bereits 1911 veröffentlichte Lu Xun seine erste Kurzgeschichte Eine Kindheit in China (Huaijiu).

1918 wurde er Redakteur der Jugendzeitung Neue Jugend. Noch im gleichen Jahr verfasste er seine erste Erzählung Tagebuch eines Verrückten (狂人日記, Kuangren Riji).

Hauptzeit

Von 1918 bis 1926 hielt sich Lu Xun in Peking auf und kämpfte mit den Intellektuellen der Bewegung des vierten Mai an der Peking-Universität (Beida) gegen Imperialismus und überlebte Traditionen. Er veröffentlichte die Kurzgeschichtensammlungen Aufruf zum Kampf und Auf der Suche. In diesen Kurzgeschichtensammlungen schildert Lu Xun offen scharfe soziale Konflikte, stellt die Klassenzugehörigkeit von den Figuren in Frage und will aufgeklärte Anschauungen verwirklichen. So kann die charakteristische Eigenschaft der Romanfigur Ah Q in Die wahre Geschichte des Ah Q, jede Niederlage gedanklich als moralischen Sieg zu interpretieren, als eine kritische Anspielung auf die unterwürfige und zugleich selbstzufriedene Politik der chinesischen Regierung gegenüber der imperialistischen Aggression Japans, insbesondere gegenüber den Vereinbarungen des Versailler Vertrags angesehen werden, in dem die chinesische Provinz Shandong nach dem Ersten Weltkrieg Japan zugestanden werden sollte.

Die Klassenzugehörigkeit von Figuren wird insbesondere in Lu Xuns Kurzgeschichte Kong Yiji in Frage gestellt. Es wird ein konfuzianischer Gelehrter beschrieben, der jedoch den Besuchern einer Weinschenke nur noch als Belustigungsobjekt dient. Ein Ruf nach Aufklärung der einfachen Bevölkerung ist aus Lu Xuns Kurzgeschichte Die Arznei herauszulesen. Es wird unter anderem der naive Aberglaube kritisiert, man könne einen an Tuberkulose erkrankten Jungen mit einem Brötchen heilen, das in das Blut eines frisch geköpften Revolutionärs getunkt worden ist.

Lu Xuns Engagement richtete sich auch gegen die konservativen Kreise, die sich nach 1920 neu gründeten. Er veröffentlichte Essays, in denen er vor dem Hintergrund seiner eigenen klassischen Bildung aufzeigte, dass die neu formierten konservativen Zirkel die klassische Schriftsprache Wenyan selbst nicht korrekt verwenden konnten.

1926 ging Lu Xun nach Xiamen, um der Zensur und Verfolgung der nördlichen Kriegsherren zu entgehen. Er wurde Professor an der Xiamen-Universität. 1927 war Lu Xun Professor in Kanton an der Sun-Yat-sen-Universität. Nach der Arbeiterniederschlagung durch die Nationalisten in Shanghai 1927 ging er nach Shanghai, um sich für seine gefangenen Studenten einzusetzen und blieb dort bis zu seinem Tod. 1930 wurde er Mitglied der Liga linksgerichteter Schriftsteller. Während seiner Zeit in Shanghai schrieb Lu Essays, in denen er die reaktionäre Politik der Guomindang unter Chiang Kai-shek, sowie die imperialistische Aggression durch Japan, das seit 1931 mit der Besetzung Nordchinas begonnen hatte, aufdeckte. Er richtete seine Aktivitäten auch gegen den Konservativismus von Japan.

Vermächtnis

Lu Xuns Grab in Shanghai

Im Jahr 1936 stirbt Lu Xun in Shanghai. Doch schon vorher hat er sein Testament aufgesetzt, in dem es hieß:

Für meine Familie hatte ich mir eine Reihe von Punkten zurechtgelegt, unter anderem folgende:

  1. Nehmt von niemandem auch nur einen Pfennig für das Begräbnis - ausgenommen von alten Freunden.
  2. Macht es kurz, beerdigt mich, und Schluß.
  3. Bitte keine Grabreden.
  4. Vergeßt mich und kümmert euch um euer eigenes Leben - wenn nicht, seid ihr selbst schuld.
  5. Wenn mein Sohn erwachsen ist und keine besonderen Talente zeigt, soll er einen bescheidenen Beruf ausüben, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Auf keinen Fall soll er ein nichtssagender Schriftsteller oder Künstler werden.
  6. Verlaßt euch nicht auf die Versprechen anderer.
  7. Gebt euch nicht mit Leuten ab, die anderen Schaden zufügen, aber gleichzeitig das Prinzip der Vergeltung ablehnen und Toleranz predigen.

Lyrik

Zur Lyrik nahm Lu Xun eine zwiespältige Haltung ein, denn er war der Ansicht, dass die großen Werke der chinesischen Lyrik längst geschrieben worden seien:

„Ich glaube, daß Ende der Tang-Zeit schon alle hervorragenden Gedichte geschrieben waren. Seither ist es besser, man versucht sich nicht im Schreiben von Lyrik, es sei denn man ist der Affenkönig, der von der Handfläche des Buddha springen kann.“

Dennoch verfasste er Gedichte, wenn auch nur aus „Gewohnheit“ oder wenn er um eine Kalligrafie gebeten wurde.

Werke

Sammlungen

  • Wilde Gräser (野草, Yecao)
  • Morgenblüten abends Gepflückt (朝花夕拾, Chaohua Xishi)
  • Aufruf zum Kampf (呐喊, Nahan, 1922)
  • Auf der Suche (彷徨, Pang Huang, 1925)
  • Alte Geschichte neu erzählt (1935)
  • Kurze Geschichte der chinesischen Romandichtung (中国小说略史 Zhongguo Xiaoshuo Lüe Shi)

Geschichten

  • Aus Aufruf zum Kampf (吶喊, Na Han, 1922)
    • Tagebuch eines Verrückten (狂人日記, Kuangren Riji, 1918)
    • Kong Yiji (孔乙己, Kǒng Yǐjǐ, 1919)
    • Die Arznei (藥, Yao, 1919)
    • Der Kommende Tag (明天, Ming Tian, 1920)
    • Eine unbedeutende Begebenheit (一件小事, Yi Jian Xiao Shi, 1920)
    • Wind und Wellen (風波, Feng Po, 1920)
    • Meine alte Heimat (故鄉, Guxiang, 1921)
    • Die wahre Geschichte des Ah Q (阿Q正傳, Ah Q Zhengzhuan, 1921)
    • Das Drachenbootfest (端午節, DuanWuJie, 1922)
    • Ein Schimmer (白光, Bai Guang, 1922)
    • Kaninchen und Katze (兔和貓, Tu He Mao, 1922)
    • Entenkomödie (鴨的喜劇, Ya De XiJu, 1922)
    • Opfer im Dorf (1922)
  • Aus Auf der Suche (徬徨, Panghuang, 1925)
    • Das Neujahropfer (祝福, Zhufu, 1924)
    • In einer Weinschenke (在酒樓上, Zai JiuLou Shang, 1924)
    • Eine Glückliche Familie (幸福的家庭, XingFu De JiaTing, 1924)
    • Seife (肥皂, FeiZao, 1924)
    • Die ewige Lampe (長明燈, Chang Ming Deng, 1925)
    • Der Menge zur Warnung (1925)
    • Der ehrwürdige Gelehrte Gao (高老夫子, Gao LaoFuZi, 1925)
    • Der Einsame (孤獨者, Gu Du Zhe, 1925)
    • Gewissensbisse (1925)
    • Brüder (兄弟, XiongDi, 1925)
    • Die Scheidung (離婚, Li Hun, 1925)
  • Aus Alte Geschichte neu erzählt (故事新編, Gu Shi Xin Bian, 1935)
    • Den Himmel ausbessern (補天, Bu Tian, 1922)
    • Der Flug zum Mond (奔月, Ben Yue, 1926)
    • Bekämpfung der Flut (1935)
    • Wicken sammeln (1935)
    • Das Schmieden der Schwerter (鑄劍, Zhu Jian, 1926)
    • Beim Verlassen des Passes (出關, Chu Guan, 1935)
    • Widerstand gegen Aggression (1934)
    • Auferstehung (1935)

Literatur

  • Lu Xun - Wilde Gräser: Verlag für Fremdsprachige Literatur, Peking 2002, ISBN 7-119-02977-0
  • Lu Xun - Morgenblüten abends gepflückt: Verlag für Fremdsprachige Literatur, Peking 2002, ISBN 7-119-02974-6
  • Lu Xun - Auf der Suche: Verlag für Fremdsprachige Literatur, Peking 2002, ISBN 7-119-02975-4
  • Lu Xun - Aufruf zum Kampf: Verlag für Fremdsprachige Literatur, Peking 2002, ISBN 7-119-02973-8
  • Lu Xun - Alte Geschichte neu erzählt: Verlag für Fremdsprachige Literatur, Peking 2002, ISBN 7-119-02976-2
  • Wolfgang Kubin (Hg.), Moderne chinesische Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1985.
  • Leo Ou-fan Lee. Voices from the Iron House. A study of Lu Xun. Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press, 1987.
  • Raoul David Findeisen, Lu Xun. Texte, Chronik, Bilder, Dokumente, Frankfurt a.M./Basel: Stroemfeld, 2001
  • Wolfgang Kubin (Hg./ Übers.): Lu Xun. Werkausgabe in 6 Bänden. Zürich 1994
  • Wolfgang Kubin: Literatur als Selbsterlösung. Lu Xun und Vox clamatis. Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert. In: Geschichte der chinesischen Literatur. Band 7 München 2005 S. 33-46

Weblinks


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