Luo (Volk)

Luo (Volk)
Ein traditionelles Luo-Dorf im Bomas of Kenya Museum

Die Luo sind ein Volk am Viktoriasee in Kenia und Tansania, dem etwa 3,4 Millionen Menschen angehören. In Kenia sind sie nach den Kikuyu und den Luhya die drittgrößte Ethnie. Sie gehören zu den Niloten und sind damit ethno-linguistisch verwandt mit den Acholi, den Kalenjin und den Massai. Ihre Sprache heißt ebenfalls Luo oder Dholuo und gehört zu den nilotischen Sprachen.

Inhaltsverzeichnis

Bräuche und Traditionen

Die Luo sind eines der wenigen Völker Kenias, die keine Beschneidung praktizieren: Sie beschneiden weder ihre Mädchen noch ihre Jungen, was sie in den Augen vieler anderer Ethnien auch politisch diskreditiert. Dafür gab es früher den Brauch, bei der Initiation die vorderen Schneidezähne auszubrechen. Entstanden ist dieses Ritual wohl, da Wundstarrkrampf unter den Luo weit verbreitet war. Durch das Ausbrechen der Schneidezähne konnte der Erkrankte trotz starr verschlossenem Kiefer über ein Röhrchen mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt werden. Diese Praxis ist heute aber nicht mehr üblich.

Die Verbindung zum Boden hat eine sehr zentrale, emotionale und in früheren Zeiten auch gesellschaftsprägende Bedeutung. Land wird innerhalb der Familie nach streng festgelegten Regeln vererbt, die die Lebensgrundlage aller Mitglieder sicherstellen sollen. Dabei herrschte die Auffassung, dass das Land nicht nur den Lebenden gehört, sondern auch von den Geistern der Verstorbenen, sowie den kommenden Generationen bewohnt wird. Folglich war es auch nicht verkäuflich oder verpachtbar: Die einzige Möglichkeit, es Fremden zur Verfügung zu stellen, war, es ihnen auf deren Bitte hin gratis zur Nutzung zu überlassen, auch dies nach klaren Regeln, auf bestimmte Zeit und mit eindeutigen Rechten des Nutznießers. Wer keinerlei Land besitzt, hat bis heute einen gesellschaftlich schwierigen Stand, und es wird als sehr belastend empfunden, als Luo kein Stück Heimaterde zu besitzen, auf dem man dereinst begraben werden kann.

Die Luo-Gesellschaft war traditionell bemerkenswert egalitär aufgebaut, so besaß im Prinzip jeder den gleichen Zugang zu den Ressourcen, lediglich das Alter und besondere Weihen wie die von Heilern und Hellsehern garantierten einen höheren Rang. Noch heute wird das Alter hoch geachtet. Der Mensch wird als ein Leben lang lernend und veränderbar betrachtet, was sicher auch die Offenheit für Bildungsangebote begünstigt und eine hohe Mobilität.

Bis heute ist es durchaus noch üblich, dass die Luo in polygamen Ehen leben. So kann ein Mann mehrere Frauen haben, um höheres Ansehen zu erlangen (viele Frauen zeugen von Wohlstand) oder auch um eine Frau zu entlasten wenn sie zu alt zum Kinderkriegen geworden ist. Weiterhin sind die Luo als hervorragende Musiker bekannt.

Geschichte

Wörtlich bedeutet Luo „Menschen aus den Sümpfen“, was auf ihre Herkunft aus den sudanesischen Sümpfen am Zusammenfluss des Weißen Nil und Bahr al-Ghazal anspielt. Von dort wanderten sie aus nicht geklärten Gründen ab dem 14. Jh. n.Chr. aus und spalteten sich in immer weitere Untergruppen auf, die in ihrer Lebens- und Wirtschaftsweise von der neuen Umgebung Anleihen nahmen. Noch im 15. Jh. einigte Nyakango an die Hundert Clans und Untergruppen und gründete eine Nation feudaler Prägung, die er in Richtung Norden führte, um die an Araber und Europäer verlorenen Gebiete zurückzuerobern. Die übrigen Luo wanderten weiter in Richtung Uganda, wobei sich einige Gruppen an die Bantu-sprachige Mehrheitsbevölkerung assimilierten, andere dagegen eigene Dynastien etablierten und ihre Eigenständigkeit verteidigten. Nach Kenia wanderten Luo-sprachige Gruppen während eines Zeitraums von ca. 1550 bis 1800 ein und besiedelten in mehreren Schüben das Gebiet Nyanza und das Westufer des Viktoriasees. Obwohl ursprünglich nomadisch wie die ebenfalls nilotischstämmigen Massai heute, lernten sie dort sehr schnell den Ackerbau und Fischfang, denn für nomadische Lebensweise stand hier nicht genügend Weideland zur Verfügung.

Politik

Die Luo blicken auf eine Tradition der Egalität innerhalb der Gemeinschaft zurück, in der es außer der Hierarchie des Alters und Wissens im Prinzip keine Rangunterschiede gibt. So herrscht auch ein Selbstbewusstsein als treibende Kraft zur Demokratisierung Kenias, die allerdings in der Macht- und Kompetenzverteilung für die Luo bislang unbefriedigend verlief. Bedeutende Politiker unter den Luos waren Tom Mboya †, der ehemalige und 1990 ermordete kenianische Außenminister Dr. Robert Ouko, Oginga Odinga † und dessen Sohn und momentane Minister unter der Narc-Regierung (2002 bis 2005) Raila Odinga. Seit der Kolonialzeit stehen die Luo in einem Konkurrenzverhältnis zu den Kikuyu. Politische Rivalitäten haben nicht erst seit der letzten Wahl (2007) in Kenia der damit verbundenen Enttäuschung über Kompetenzverteilung innerhalb der Regierung (Stichwort Verfassungsreform, Einrichtung des Amtes eines Ministerpräsidenten) zu Misstrauen und Ressentiments gegenüber den Kikuyu geführt. Sie gelten als äußerst traditionsbewusst. Dies und die Spannung zu den Kikuyus trat 1987 sehr deutlich in dem berühmten Otieno-Fall (Wer hat das Recht einen Toten wo zu beerdigen: die Kikuyu-Witwe in Nairobi oder die Luo-Brüder in Kisumu ?), der zu monatelangen Presseberichten und sogar Straßenunruhen in Nairobi führte. Der oberste Gerichtshof des Landes entschied für die Luo-Brüder, da für den Fall, dass ein Rechtsgut nicht geregelt sei (was in diesem Fall zutraf), die Verfassung traditionellen Rechten den Vorrang einräume.

Gebiet

Das Hauptverbreitungsgebiet der Luos ist heute die Nyanza-Provinz im Westen Kenias, die auch von den bantusprachigen Kisii oder Gusii bewohnt wird. Nicht selten ist es in dem dichtbesiedelten Gebiet, das eine der höchsten Bevölkerungsdichten Kenias aufweist, zu Auseinandersetzungen um Land gekommen. Bei einem direkten Vergleich der Luo mit anderen Ethnien bzw. Regionen Kenias fällt der geringe Innovationsgrad im Agrarsektor auf.

Verwaltung

Administratives Zentrum, die Hauptstadt der Luo sozusagen, ist Kisumu, die drittgrößte Stadt Kenias. Dort und in der Stadt Thika ist auch die höchste HIV/AIDS-Rate Kenias zu verzeichnen. Korrelationen mit der hohen Mobilität der Luos können hier nicht ausgeschlossen werden, sind aber zu vermuten.

Bekannte Luo

Literatur

  • Cohen, David William & Odhiambo, E.S. Atieno: Siaya - The Historical Anthropology of an African Landscape, Eastern African Studies
  • Ndisi, John W.: A study in the economic and social life of the Luo of Kenya, Phil.Diss. Uppsala 1974

Weblinks


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