MT Böhlen

MT Böhlen
Chaussée de Sein im Westen der Île de Sein
Nur ein Punkt

Der MT Böhlen (MT steht für Motortanker) war ein Tanker der Deutschen Seereederei Rostock (DSR), die die Hochseeflotte der DDR betrieb. 1976 machte der tragische Untergang des Schiffes internationale Schlagzeilen.

Inhaltsverzeichnis

Das Schiff bis 1976

Das Schiff lief am 3. Juni 1961 als Leuna IV vom Stapel. Am 16. Oktober des Jahres lieferte die Admiralteiski Schiffswerft Leningrad es jedoch unter dem Namen MT Böhlen ab. Der Tanker wurde 1962 von der Deutschen Seereederei Rostock (DSR) offiziell in Dienst gestellt. Im April 1969 wurde er in Rostock aufgelegt und sollte nach Frankreich verkauft werden; doch es kam letztlich zu keinem Vertrag, woraufhin das Schiff am 1. Januar 1970 zunächst an den VEB Deutfracht Internationale Befrachtung und Reederei und am 1. Januar 1974 an den VEB Deutfracht/ Seereederei Rostock (beides Tochterunternehmen der DSR) ging.

Der Schiffbruch

Auf der Fahrt von Venezuela nach Rostock geriet das Schiff am 14. Oktober 1976 aufgrund eines Navigationsfehlers gegen 3:55 Uhr in die Chaussée de Sein, ein klippenreiches Gebiet im Westen der französischen Insel Île de Sein (im Westen der bretonischen Landspitze Pointe du Raz), und schlug leck. Die Schiffsoffiziere schätzten die Lage nach der Grundberührung falsch ein und ließen Kurs auf hohe See setzen, obwohl sich gerade ein Sturm entwickelte.

Erst 11 Stunden nach der Grundberührung, um 15:25 Uhr, als der vordere Teil des Schiffes bereits tief im Wasser lag und durch überkommende Seen beschädigt wurde, setzte der Funker auf Geheiß des Kapitäns eine Dringlichkeitsmeldung ab; es verging eine weitere Stunde, bis er um 16:25 Uhr ein SOS sendete; darin hieß es in etwa Deck unter Wasser - stop - dringend helfen.[1] Noch jetzt hatte der Kapitän Bedenken, die durchaus übliche[2] Klausel "no cure - no pay" (ohne Erfolg keine Zahlung) zu akzeptieren, als der westdeutsche Hochseeschlepper Pacific seine Dienste anbot. Um 16:33 Uhr brach der Funkkontakt mit dem MT Böhlen ab, da überkommende Seen die Fenster des Funkraumes einschlugen.[3] Gegen 17 Uhr sank der Tanker vor der Küste von Crozon (bei Brest) und kam schließlich auf der Position 48° 10′ 30″ N, 5° 10′ 48″ W48.175-5.187 zu liegen.

Es wurde eine großangelegte Rettungsaktion gestartet, die jedoch durch schlechtes Wetters, fehlende Seenotrettungsmittel und den sich ausbreitenden Ölteppich erschwert wurde. Der westdeutsche Hochseeschlepper Pacific konnte schließlich fünf Überlebende retten, zwei weitere Seeleute kamen bei der Bergung ums Leben, als sie in schwerer See vom Schlingerkiel der Pacific erschlagen wurden. Die französische MS Fort Pontchartrain konnte vier Überlebende, ein Hubschrauber einen Überlebenden bergen. Bretonische Fischer von der Île de Sein, die ebenso wie ihre Kollegen an der Küste von der Rettungsaktion nicht benachrichtigt worden waren und nur zufällig davon hörten, konnten zwei weitere Männer von einem Floß retten. Zu den elf Überlebenden gehörten der Bordfunker, der Koch und der Bäcker.

Beim Untergang des MT Böhlen starben 24 Besatzungsmitglieder und 2 Ehefrauen, die ihre Männer auf der Reise begleitet hatten. Der Kapitän und die weiteren Offiziere überlebten den Untergang nicht. 16 Personen konnten tot geborgen werden.

Da keine Offiziere den Untergang überlebten, kann über die Beweggründe für ihr Verhalten nachträglich nur spekuliert werden. Diskutiert wurde vor allem, warum die Böhlen Kurs auf die offene See setzte, anstatt einen nahen Hafen anzulaufen. Tatsächlich hätte sie in nur fünf Stunden nach der Grundberührung die geschützte Bucht von Douarnenez anlaufen können, wo sie leichter Hilfe bekommen können hätte.[4] Generell forderte die Böhlen erst spät Hilfe an. Als sie es schließlich tat und der Hochseeschlepper Pacific anbot, die Böhlen abzuschleppen, forderte der Kapitän noch spezielle Bedingungen über die finanzielle Risikoübernahme – unübliche Bedingungen, die die Pacific ablehnte, woraufhin die Böhlen nicht abgeschleppt wurde. Eine falsche Einschätzung der Lage durch die Offiziere des Schiffes ist bei diesem Verhalten anzunehmen. Unklar ist, ob dazu noch politische und finanzielle Gründe kamen: Als Schiff unter DDR-Flagge hatte die Böhlen kein Interesse, Hilfe von westeuropäischen Häfen oder Schiffen anzunehmen, falls es vermeidbar war. Eine mögliche Ölverschmutzung westlicher Gewässer durch ein DDR-Schiff war ebenfalls politisch brisant. Selbst falls die Offiziere ein Leck geahnt hatten, könnten sie daher bewusst versucht haben, sich schnellstmöglich von der Unfallstelle zu entfernen, sofern sie keinen Verlust des Schiffes befürchteten; von den Überlebenden wurden allerdings keine Maßnahmen zu einer Leckbekämpfung oder auch nur dessen Überprüfung berichtet.

In der DDR wurden die Fakten zum Untergang der Böhlen durch die Seekammer der DDR untersucht und im entsprechenden Havariespruch veröffentlicht. Der Dokumentarfilmer Michael Erler argumentiert in seinen Filmen (siehe unten) allerdings, dass einige Unglücksursachen, namentlich die Rolle von Alkohol an Bord, von der Seekammer nicht ausreichend gewürdigt und veröffentlicht wurden.

Der Untergang der Böhlen hatte schwerwiegende Folgen für die Umwelt. Der Tanker hatte ca. 10.000 Tonnen Rohöl geladen, von denen bis zu 2.000 Tonnen austraten, bevor der Rest des Öls aus dem Wrack abgepumpt werden konnte. Die Ölverseuchung der Gewässer hatte ein neunzehnjähriges Fischfangverbot zur Folge, das viele Fischer in diesem Gebiet hart traf.

Film

Michael Erler stellte den Untergang in seinem Dokumentarfilm Protokoll einer Katastrophe: Der rätselhafte Untergang des DDR-Tankers Böhlen. dar (Erstausstrahlung auf ARTE am 10. Juli 2005). Erler besuchte im darauffolgenden Oktober den DSR-Seeleute e.V. in Reinsberg, einen Verein von Seeleuten der DSR, und sprach dort mit Seeleuten über den Film. Daraufhin überarbeitete er den Film und ergänzt ihn um Interviews mit weiteren Überlebenden (D, 45 Min. Erstausstrahlung auf der ARD am 2. Februar 2007).

Einzelnachweise

  1. deck under water stop urgent help - Friedrich Elchlepp: Der Untergang des Motortankers "Böhlen", S.4 aus: „Dietrich Elchlepp, AKSM - Rostock – DGSM“, Panorama maritim 27 (pdf-Datei; abgerufen 14. Oktober)
  2. Steven F. Friedell: Compensation and Reward for Saving Life at Sea. in: Michigan Law Review. Ann Arbor 77.1979, Nr.5 (Mai), S.1218-1289. ISSN 0026-2234
  3. Friedrich Elchlepp: Der Untergang des Motortankers "Böhlen", S. 4 aus: „Dietrich Elchlepp, AKSM - Rostock – DGSM“, Panorama maritim 27 (pdf-Datei; abgerufen 14. Oktober)
  4. Friedrich Elchlepp: Der Untergang des Motortankers "Böhlen" (pdf-Datei; abgerufen 14. Oktober 2007)

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