Magdeburger Stadtrecht

Magdeburger Stadtrecht

Das so genannte Magdeburger Recht ist eine Form des Stadtrechts, die ihren Ursprung in der Stadt Magdeburg hat und von dort aus erheblichen Einfluss auf das Stadtrecht in Ostmitteleuropa und Osteuropa entfaltete, oft in seiner schlesischen und polnischen Variante, dem Neumarkter Recht, oder der nördlichen Variante, dem Kulmer Recht, das sich über ganz West- und Ostpreußen ausbreitete.

Das allgemeine Stadtrecht hat seine Wurzeln in dem Gewohnheitsrecht der Kaufleute, in den vom Grundherren verliehenen Privilegien und von der jeweiligen Gemeinschaft selbst beschlossenen Regeln („Willkür“). Innerhalb der Stadt wurde den Bürgern durch das Stadtrecht die persönliche Freiheit, das Eigentumsrecht, die Unversehrtheit von Leib und Leben und die geregelte wirtschaftliche Tätigkeit garantiert.

Inhaltsverzeichnis

Anfänge des Magdeburger Stadtrechts

Die erste schriftliche Quelle für die Existenz des Magdeburger Stadtrechts ist das Privileg des Erzbischofs Wichmann 1188, durch das städtische Gerichtsverfahren vereinfacht werden sollten. Eine solche Änderung setzt bereits existierendes Stadtrecht in Magdeburg logisch voraus. 1294 kauften die Bürger Magdeburgs dem Erzbischof die Ämter des Schultheißen und Burggrafen ab und konnten sie somit selbst besetzen. Der Erzbischof blieb zwar formal Gerichtsherr, da er aber die Ämter nur mit den von der Stadt bestimmten Personen besetzen konnte, lag die Gerichtsbarkeit praktisch in städtischer Hand. Im selben Jahr bildete sich die Aufgabentrennung von Rat und Schöffengericht aus, in der der Schöffenstuhl für die Rechtsprechung zuständig war, während der Rat für Verwaltung und Gesetzgebung verantwortlich war. Ab diesem Zeitpunkt kann von dem Magdeburger Stadtrecht als "Magdeburger Recht" in dem Sinne der unabhängigen Selbstverwaltung der Stadt gesprochen werden.

Regelungen des Magdeburger Stadtrechts

Prozessordnung

Eine wesentliche Neuerung des Magdeburger Rechts bestand in der Beseitigung der so genannten “Prozessgefahr” direkt im ersten Paragraphen, durch die nun ausgeschlossen wurde, dass ein Prozess allein aufgrund nicht korrekter Wortwahl im Prozess verloren ging. Diese Änderung stärkte das Vertrauen in das Gericht und begründete eine größere Rechtssicherheit. Bei durchreisenden Kaufleuten kam das so genannte „Gastrecht“ zum Einsatz, das bestimmte, dass in diesen Fällen die Streitfrage durch das Gericht innerhalb eines Tages gelöst werden sollte. Diese Regelung des Prozessverfahren zeigt sehr deutlich, dass es sich beim Magdeburger Recht im Wesentlichen um ein Kaufmannsrecht handelt.

Kaufmannsrecht

In dem Bereich des Kaufmannsrechts regelte das Magdeburger Stadtrecht wirtschaftsrechtliche Fragen wie etwa Haftung für die Ware, die Rechnungslegungspflicht der Kaufleute, die geordnete Buchführung, Fragen des Gesellschafterkapitals und des treuhänderischen Wirkens.

Ehegüter- und Erbrecht

Grundsätzlich galt nach Magdeburger Stadtrecht der Ehemann als Vormund seiner Ehefrau. Man nimmt heute an, dass dabei zwar eine Gütertrennung bestand, der Ehemann aber das Vermögen der Frau verwaltete. Trotz der Vormundschaft des Ehemanns war das selbständige Auftreten der Frau als Rechtsperson vor Gericht vorgesehen.

Strafrecht

Als wichtige Vorschriften im Strafrecht des Magdeburger Stadtrecht können die Abschaffung der Sippenhaft angesehen werden, dass also bei Körperverletzung und Totschlag ausschließlich der Täter und nicht seine Familie zur Rechenschaft gezogen werden kann, die Aufwertung der prozessualen Rechtsfindung und des Zeugenbeweises vor Gericht im Gegensatz zu Blutrache und Gottesbeweis und die Aufhebung der Verjährung für Gewaltverbrechen.

Gerichtsverfassung

Mit der Urteilsfindung war in Magdeburg der so genannte „Schöppenstuhl“ betraut, der in der Regel aus elf Schöffen bestand, die auf Lebenszeit mit dem Amt betraut waren und ihren Nachfolger selbst bestimmen konnten. Ab 1336 war eine gleichzeitige Mitgliedschaft in dem für die Rechtsprechung verantwortlichen Schöffenkollegiums und dem für die Gesetzgebung zuständigen Rat in Magdeburg untersagt. Neben der Funktion als Gerichtshof für Magdeburg kam dem Schöffenstuhl auch hohe Bedeutung bei der Rechtsauslegung anderer Städte zu, die sich nach Magdeburger Recht konstituiert hatten.

Ausbreitung des Magdeburger Rechts

Schon nach 1160, also noch vor der Herausbildung des Magdeburger Stadtrechts als Recht der völligen Stadtselbstverwaltung, erhält Stendal das Magdeburger Stadtrecht zugewidmet. Das Magdeburger Recht wurde in der Folge vielen neu gegründeten Städten im "Neusiedelgebiet" vom jeweiligen Stadtherren verliehen und wirkte teilweise sogar in die Gebiete westlich von Magdeburg (im heutigen Niedersachsen) hinein. Vor allem aber breitete es sich im Zuge der Siedlungsbewegung nach Osten aus: Mark Brandenburg, vereinzelt in Pommern, Preußen, Thüringen, Sachsen, Schlesien, Böhmen, Mähren und der Lausitz.

Ausbreitung in Osteuropa

Die bemerkenswerte Ausbreitung des Magdeburger Rechts nach Osteuropa ging Hand in Hand mit der Ausbreitung des Sachsenspiegels als Quelle des Landrechts in Osteuropa. Wenn die Quellen selbst von Deutschem Recht sprechen, ist hiermit immer das Magdeburger Stadtrecht gemeint, das immer auch im Zusammenwirken mit dem Sachsenspiegel gesehen werden muss. In Anlehnung an den Gebrauch in manchen Quellen bezeichnete es die frühere Forschung als ius teutonicum oder auch Deutsches Recht, mittlerweile scheint sich jedoch die Bezeichnung „sächsisch-magdeburgisches Recht“ durchgesetzt zu haben. Im Zuge der Verbreitung in Osteuropa wurde der Sachsenspiegel in das Lateinische übersetzt (Versio Vratislaviensis zwischen 1272 und 92) und auch an die jeweiligen Umstände angepasst (Livländischer Spiegel Mitte 14 Jh.). Städte, die ein Magdeburger Stadtrecht erhielten sind zum Beispiel Vilnius und Kaunas (1408) in Litauen, Kiew oder Minsk.

Bedeutung des Magdeburger Rechts

Bedeutung des Magdeburger Rechts für die jüdische Bevölkerung

Das Magdeburger Recht galt für die jüdische Bevölkerung nicht, da sie allgemein als nicht Teil der ursprünglichen städtischen Bevölkerung angesehen wurden. Als Ausnahme kann die litauische Stadt Troki angeführt werden, in der der jüdischen Bevölkerung das Magdeburger Recht 1444 als eigenständige Gruppe verliehen wurde, während es der christlichen Bevölkerung bereits zuvor zugewidmet worden war.

Bedeutung des Magdeburger Schöffenstuhls und der Schöffensprüche für Städte Magdeburger Rechts

In den Fällen, in denen die Schöffenstühle in den mit Magdeburger Recht bewidmeten Städten nicht in der Lage waren, ein Urteil zu finden, konnten sie beim Schöffenstuhl in Magdeburg um Rechtsauskunft nachsuchen ("Rechtszug nach Magdeburg"). Als so genannter "Oberhof" hatte der Magdeburger Schöffenstuhl damit die Interpretationshoheit über das Recht und übte so in der Rechtsausbildung bleibend gewaltigen Einfluss aus. Die Rechtsauskunft war jedoch meist kein Urteil, sondern eine Auskunft, die es den anfragenden Schöffen ermöglichen sollte, ihr Urteil zu finden, allerdings sahen einzelne Stadtverfassungen auch das Magdeburger Ergebnis als bindendes Urteil an.

Ende des Magdeburger Oberhofes

Während schon früh einzelne Herrscher versuchten, durch Installation eigener Oberhöfe die überterritoriale Bedeutung des Magdeburger Schöffenstuhls zu unterlaufen, war diesen Versuchen aber erst dann durchschlagender Erfolg beschieden, als sich Deutschland im Zuge der Reformation konfessionell aufspaltete und daher etwa katholisch gebliebene Gebiete vom Rechtzug nach Magdeburg abgeschnitten wurden. Das endgültige Aus für die Bedeutung Magdeburgs als Oberhof bedeutete die Vernichtung der umfangreichen Spruchsammlung des Schöffenstuhls während des Dreißigjährigen Krieges 1631. Mit dem Archiv und sozusagen der "Rechtsbibliothek" war dem Magdeburger Schöffenstuhl die Grundlage seiner Rechtsprechung verlustig gegangen und in der Folge ging er als Institution unter.

Ende des Magdeburger Rechts

In Polen verliert das Magdeburger Recht erst im Zuge der napoleonischen und josefinischen (Galizien) Reformen seine Gültigkeit und in der Ukraine verlor das sächsisch-magdeburger Recht seine Gesetzeskraft erst mit dem Inkrafttreten der "Gesetzessammlung des Russischen Kaiserreiches" 1840 in der linksufrigen Ukraine und zwei Jahre später in der rechtsufrigen Ukraine. In Kiew galt das Magdeburger Recht bis 1834. Noch das lettische Zivilrecht von 1937 kann als vom sächsisch-magdeburgischen Recht beeinflusst angesehen werden.

Literatur

  • Gerhard Buchda: Magdeburger Recht. In: Adalbert Erler (Hrsg.) u.a.: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Band 3. Erich Schmidt Verlag, Berlin 1984, ISBN 3-503-00015-1, Sp. 134ff.
  • Friedrich Ebel: Magdeburger Recht. In: Norbert Angermann (Hrsg.): Lexikon des Mittelalter. Band 6. Metzler, Suttgart/Weimar 1999, ISBN 3-476-01742-7.
  • Friedrich Ebel: Magdeburger Recht. In: Matthias Puhle (Hrsg.): Erzbischof Wichmann (1152 – 1192) und Magdeburg im hohen Mittelalter (Ausstellung zum 800. Todestag Erzbischof Wichmanns vom 29. Oktober 1992 bis 21. März 1993). Magdeburger Museen, Magdeburg 1992.
  • Heiner Lück: Die Verbreitung des Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts in Osteuropa. In: Mamoun Fansa (Hrsg.): Der sassen speyghel. Sachsenspiegel – Recht – Alltag. Band 2. Isensee, Oldenburg 1995, ISBN 3-895-98241-5, S.37-49.
  • Herman Rosenthal, Peter Wiernik: Magdeburg Law. In: The standard Jewish encyclopedia. (zitiert nach: JewishEncylopedia.com)
  • Magdeburger Recht und Sachsenspiegel, Begleitmaterial zu „Geschichte Sachsen-Anhalts im Zeitstrahl“, 1998, Quelle: Zur Entwicklung des Stadt- und Landesrecht im heutigen Sachsen-Anhalt
  • Prof. Ludwik Łysiak. Ius supremum Magdeburgense castri Cracoviensis 1356 - 1794, Decreta iuris supremi Magdeburgensis castri Cracoviensis 1456 - 1481 oraz Decreta iuris supremi Magdeburgensis castri Cracoviensis 1481 - 1511.
  • Margret Obladen. Magdeburger Recht auf der Burg zu Krakau. Die güterrechtliche Absicherung der Ehefrau in der Spruchpraxis des Krakauer Oberhofs. 235 ss. 2006.

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