Mathias Ascher

Mathias Ascher
Nathan Birnbaum

Nathan Birnbaum (jiddisch: Nosn Birnboym; er benutzte verschiedene Pseudonyme, meist Mathias Acher, hebr. „ein Anderer“, nach Elischa ben Abuja; weitere Pseudonyme u. a.: Dr. N. Birner, Mathias Palme, Anton Skart, Theodor Schwarz, Pantarhei; * 16. Mai 1864 in Wien; † 2. April 1937 in Scheveningen) war ein jüdischer Schriftsteller und Aktivist, der sich für immer wieder neue und andere Ideen einsetzte, für kurze Zeit vor Herzl Zionist war, dann aber wieder vom Zionismus abfiel, Ideen des Diaspora-Nationalismus vertrat, Jiddischist wurde, dann separatistischer ultra-frommer Agudist.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Birnbaum wurde als Sohn ostjüdischer Einwanderer in Wien geboren (als erstes und einziges Kind des Kaufmanns Menachem Mendel Birnbaum und der Mirjam, geb. Seelenfreund). Nach einer traditionellen religiösen Erziehung beschäftigte er sich bereits auf dem Gymnasium mit der Alija (Emigration nach Palästina). Von 1882 bis 1885 studierte er Jura an der Universität Wien, hörte zudem aber auch nach der Promotion noch Philosophie und Orientalistik. Ende 1882 war er, noch als Student, Mitbegründer der Kadimah und 1885/1886 deren Präses.

1890 heiratete Birnbaum Rosa Korngut (1869 – 22. Mai 1934), eine Verwandte Saul Raphael Landaus. Der Ehe entstammten die drei Söhne Solomon Birnbaum (1891–1989), Menachem Birnbaum (1893–1944) und Uriel Birnbaum (1894–1956; dessen Tochter: Mirjam Birnbaum, 1921-2006). Im April 1933 emigrierte Birnbaum mit seiner Familie in die Niederlande (zunächst Rotterdam, dann Scheveningen) und verstarb nach schwerer Krankheit 1937 in Scheveningen. Er ist begraben auf dem jüdischen Friedhof Den Haag, Oud Wassenaarseweg, neben seiner Frau.

Bis zu seinem Tod war Birnbaum als Publizist tätig und setzte sich nicht nur für den Zionismus ein. Birnbaum, der in jungen Jahren noch Theodor Herzl begleitet hatte, war einer der wichtigsten Vertreter der kulturellen Variante des Zionismus, die eine Besiedlung Palästinas auch ohne eigenen Staat propagierte und erst von Chaim Weizmann zunehmend wieder mit dem so genannten politischen Zionismus verklammert wurde. Daneben aber engagierte sich Birnbaum vor allem für das Ostjudentum, die chassidische Kultur und die jiddische Sprache. Hierfür initiierte er u.a. die erste Konferenz für die jiddische Sprache in Czernowitz (30. August bis 3. September 1908). Später gelangte Birnbaum, der bis zum Atheismus hin nahezu alle religiösen Varianten durchschritten hatte, zum orthodoxen Judentum und wurde General-Sekretär der Agudas Jisroel.

Der gerne sich sprachschöpferisch betätigende Birnbaum prägte u. a. die Begriffe „Zionismus“ (um 1890, vgl. hierzu bei Ruben Bierer) und „Ostjudentum“ (um 1900).

Werke (Auswahl)

  • Die Assimilationssucht. Ein Wort an die sogenannten Deutschen, Slaven, Magyaren etc. mosaischer Confession von einem Studenten jüdischer Nationalität, anonym 1884
  • Die nationale Wiedergeburt des jüd. Volkes in seinem Lande als Mittel zur Lösung der Judenfrage. Ein Appell an die Guten und Edlen aller Nationen Wien: Selbstverlag, 1893 (Sonderabdruck aus „Selbst-Emancipation“)
  • Die Jüdische Moderne, Leipzig 1896 (veröffentlicht unter "Mathias Acher")
  • Ich bin Salomo. Schauspiel in einem Akte, 1909
  • Ausgewählte Schriften zur jüdischen Frage 2 Bände, 1910
  • Juden als Erfinder und Entdecker, Berlin-Wilmersdorf 1913
  • Den Ostjuden ihr Recht! (Löwit) Wien 1915
  • Gottes Volk Verlag R. Löwit, Wien 1918
  • Vom Freigeist zum Gläubigen, Zürich 5679 (1919)
  • Vor dem Wandersturm, Frankfurt am Main 1919
  • Nathan Birnbaum und Hugo Herrmann, Edom. Berichte jüdischer Zeugen und Zeitgenossen über die Judenverfolgungen während der Kreuzzüge, Berlin 1919
  • Um die Ewigkeit. Jüdische Essays Welt-Verlag, Berlin 1920
  • Im Dienste der Verheissung Hermon, Frankfurt a. M. 1927

Birnbaums Publizistik

  • Herausgeber der Zeitschrift Selbst-Emancipation! (die erste Nummer erschien in Wien am 1. Februar 1885 unter dem Titel "Selbst-Emancipation! Zeitschrift für die nationalen, socialen und politischen Interessen des jüdischen Stammes"; die letzte Nr. erschien ebenfalls in Wien am 6. Juli 1886; 1890 konnte die Zeitschrift – mit Birnbaum als Chefredakteur, aber nicht mehr in seinem Eigentum befindlich – wiedererweckt werden; die definitiv letzte Nr. erschien am 15. Dezember 1893)
  • 1886 bis Juli 1888 Mitarbeit an der von Albert Katz in Berlin gegründeten nationaljüdischen Monatsschrift Serubabel. Organ für die Interessen des jüdischen Volkes
  • Jüdische Volkszeitung, das Nachfolgeblatt der eingegangenen Selbst-Emancipation, – Birnbaum arbeitete an ihr massgeblich mit und war nominell Chefredakteur; die letzte Nr. der Jüdischen Volkszeitung erschien am 23. Januar 1895
  • 1896-1897 Herausgeber der Berliner Monatsschrift Zion
  • 1906-1907: Neue Zeitung. Unabhängige jüdische Wochenschrift; Herausgeber: Nathan Birnbaum; erschien selbständig (mit Unterbrechungen) von September 1906 bis September 1907 in Wien und wurde dann mit der (allerdings zionistischen) Jüdischen Zeitung vereinigt; die kurzlebige Neue Zeitung verstand sich als Forum der um 1900 weitgehend assimilierten jüdischen Jugend, deren Gemeinschaftsgefühl erneuert werden sollte, sie plädierte für eine parteiübergreifende "nationale Wiedergeburt Israels"; ausführlich wandte sich das Blatt der zunehmenden Krise des Ostjudentums zu, um grundlegende sozialökonomische bzw. volkspädagogische Themen zu diskutieren
  • September/Oktober 1908 Erscheinen der kurzlebigen (nur 6 Nummern) jiddisch-sprachigen Zeitschrift Dr. Birnboims Wochenblat
  • Mai bis Juli 1910: In Czernowitz gibt Nathan Birnbaum die kurzlebige Halbmonatsschrift Das Volk heraus
  • April 1913 bis Juli 1914 Mitarbeit an der "alljüdischen" Freistatt (Die Freistatt. Alljüdische Revue. Monatsschrift für jüdische Kultur und Politik; hrsg. von Julius Kaufmann; Redaktion: Fritz Mordechai Kaufmann, Andreas F. Meyer) - laut Simon Dubnow galten "Kaufmann und seine Mitarbeiter (Nathan Birnbaum ...) ... bei den deutschen Juden als verschrobene Sonderlinge"
  • (Hg.) Der Aufstieg. Eine jüdische Monatsschrift Verlag von Braunfeld & Eisen, Antwerpen, Berlin & Wien, 1930-1933 (oder: Verlag Aulim, Berlin und Wien.) Einige Hefte in der Mediathek des Jüd. Histor. Museums Amsterdam [1] unter „Periodika“ -> Birnbaum; die "Aulim" ("die Aufsteigenden") sollten nach Birnbaums Vorstellung eine jüdische Elite, eine Art jüdischer Orden innerhalb der Orthodoxie bilden.
  • (Hg.) Zeitschrift Der Ruf 1934-1937 (Zeitung, später Monatsschrift; hier gewann Birnbaum u. a. Döblin und Fritz Rosenthal - den späteren Schalom Ben-Chorin - als Autoren)
  • Übersetzer: Dreibuch: Jüdische Geschichten von Sch. Gorelik, I. L. Perez, Scholem Alejchem; Wie soll man diese Geschichte lesen? Aus dem Jiddischen. Vorbemerkung Max Brod = 2. Aufl. d. Bücher: Sch. Gorelik: Die liebe Provinz; J. L. Peres: Volkstüml. Geschichten; Scholem Alejchem: Die verlorene Schlacht. Berlin : Jüdischer Verlag, 1916

Literatur

  • Leo Herrmann: Nathan Birnbaum. Sein Werk und seine Wandlung. Reihe: Die jüdische Gemeinschaft, Jüdischer Verlag, Berlin 1914
  • Max Wertheimer, "Gottesvolk- Gottesvölker. Eine Entgegnung auf Dr. Nathan Birnbaums Gottesvolk", Wien und Berlin 1919
  • Vom Sinn des Judentums. Ein Sammelbuch zu Ehren Nathan Birnbaums, hrsg. von A. E. Kaplan und Max Landau, Frankfurt a. M. 1925
  • H. J. Lerner, The Tshernovits Language Conference: A Milestone in Jewish Nationalist Thought, 1957
  • M. Ravitch, Tsum Yoyvl fun der Ershter Yidisher Shprakh Konferents, Montreal 1958
  • Josef Fraenkel: Matthias Achers Kampf um die „Zionskrone“. Maccabi, Basel 1959
  • Solomon A. Birnbaum: Nathan Birnbaum. In: Leo Jung (Hg.): Men of the Spirit. Kymson Publ., New York 1964
  • Solomon A. Birnbaum: Nathan Birnbaum and National Autonomy. In: Josef Fraenkel (Hg.): The Jews of Austria. Essays on their life, history and destruction. Reihe: World Council of Jews from Austria Publications, Beiträge von Walter Pillich, Hilde Spiel, Martha Hofmann, Arieh Tartakower. Vallentine-Mitchell, London 1967, 2. unv. Aufl. 1970, ISBN 0853030006 (in dem Art. finden sich deutschspr. Protokolle der „Nationalitäten-Konferenz“ in Wien 2005, von Vorträgen N.B.s ebenda, ein Art. aus Der Weg 1905, ein Referat vor der Berliner Zionistischen Vereinigung 1906 sowie ein Art. aus Ost und West 1906)
  • B’nai B’rith: Werke jüdischer Autoren deutscher Sprache. Desider Stern, Wien 1969 (2. erw. Aufl.), S. 81 (Biographie, Werke. Bis ca. 1910 unter Pseudonym. Diese Bücher, sowie weitere sind nicht im DDB-Opac. Andererseits fehlen hier im OPAC gelistete Werke. Die frühen Texte wieder im Nachdruck von 1989, ISBN 3927217050)
  • Joachim Doron, Jüdischer Nationalismus bei Nathan Birnbaum (1883-1897), Tel-Aviv 1984
  • Joshua A. Fishman: Ideology, Society and Language. The Oddyssey of Nathan Birnbaum; Ann Arbor (Karoma Publ.) 1987
  • Michael Kühntopf-Gentz: Nathan Birnbaum. Biographie. Dissertation, Tübingen 1990
  • Michael Kühntopf: „Israel geht vor Zion.“ Nathan Birnbaum und die Palästinafrage. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte (ZRGG), Jahrg. 44 (1992), S. 118–139
  • Angelika M. Hausenbichl: Nathan Birnbaum. Seine Bemühungen um das jüdische Theater und die jüdische Kultur; Diplomarbeit, Wien 2001
  • Angelika M. Hausenbichl: Wirklich nur Politiker? In: David. Jüdische Kulturzeitschrift, 54 (09/2002)

Weblinks


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