Megaherbivorentheorie

Megaherbivorentheorie

Die Megaherbivorentheorie ist eine Grundlagentheorie aus den Bereichen Ökologie und Geobotanik und beschäftigt sich mit dem Einfluss von großen Pflanzenfressern (Megaherbivoren) auf die Vegetation. Sie gewinnt seit den 1980er Jahren zunehmend an Beachtung. Sie ist umstritten, nicht endgültig bewiesen und wird in Details noch uneinheitlich dargestellt. Sie wird im Naturschutz häufig als Argument verwendet, eine struktur- und artenreiche Landschaft, die nicht mehr bewirtschaftet werden kann, mit Hilfe von Pflanzenfressern zu erhalten.

Sie versucht, wie andere Theorien auch (z. B. Mosaik-Zyklus-Konzept), einen Beitrag zur Klärung der Frage zu leisten, wie sich die Natur und die Ökosysteme Mitteleuropas in der Vergangenheit entwickelt haben. Die Theorie sucht nach einer Erklärung für Untersuchungsergebnisse, u. a. der Paläobotanik. Hier wurden sowohl typische Weiden- und Wiesenpflanzen als auch typische Waldpflanzen gleichen Datums in Gebieten nachgewiesen, von denen man annahm, sie wären ohne die Kulturtätigkeit des Menschen vollständig von Wald bedeckt gewesen. Vorliegende Theorie steht dazu im Widerspruch zu anderen Meinungen, Mitteleuropa wäre ohne den Einfluss des Menschen, mit Ausnahme von Mooren und Gewässern sowie dem Hochgebirge, von großflächigen, zusammenhängenden Wäldern bedeckt.

Inhaltsverzeichnis

Mosaik unterschiedlicher Vegetationen der Vorzeit

Stattdessen hält es die Megaherbivorentheorie für wahrscheinlich, dass ohne menschlichen Einfluss in weiten Teilen Europas ein Mosaik aus Flächen in unterschiedlichen Sukzessionsstadien vorherrschen würde. Durch den Verbiss von großen Pflanzenfressern (Megaherbivoren) würden nicht ausschließlich Wälder, sondern auch mehr oder weniger offene Wiesenlandschaften entstehen.

Vom Verhalten rezenter Arten abgeleitet wird ein Herdenverhalten angenommen, was durch Umherwandern örtlich stark differenzierte Einflüsse auf die Vegetation erzeugt. Nahrungspräferenzen (Bevorzugung von gewissen Pflanzen) unterscheiden sich je nach Tierart und überlagern das soziale Verhalten. Der Standort spiele eine entscheidende Rolle, so sei die natürliche Waldgesellschaft (vgl. potenzielle natürliche Vegetation) nicht überall gleichermaßen resistent gegen Verbiss.

Hochwald sei der Theorie zu Folge eher auf nährstoffarmen Böden zu erwarten, da die dort wachsenden Pflanzen schlechter verdaulich sind und außerdem über Strategien zur Abwehr verfügen. In solchen Gebieten könnte eine waldreiche und heterogene Landschaft entstanden sein. Sofern häufig Jungwuchs abgefressen wird, lichtet sich der Wald auf, ohne dass nachwachsende Bäume die absterbenden ersetzen können; es entsteht eine offene Landschaft. Auch an Stellen, die bevorzugt von Tieren aufgesucht werden, zum Beispiel an Gewässern, könnten Trittstellen entstanden sein. Weitläufige halboffene Landschaften könnten dort vorgeherrscht haben, wo auf nährstoffreichen und frischen Böden eiweiß- und nährstoffreiche krautige Vegetation besser wächst. Diese Gebiete könnten periodisch aufgesucht worden sein, so dass relativ homogene Landschaftsteile für wahrscheinlich gehalten werden. Weitere Faktoren kämen hinzu: Mastjahre, Seuchen, Schädlinge, Dürren und nasse Jahre, Wanderungen/territoriales Verhalten von Beutegreifern, Flächen- und Waldbrände, Überweidung, so dass eine sehr deutliche Differenzierung entstanden sein könnte.

Allerdings sei der Einfluss der Pflanzenfresser durch deren Bestandsregulierung durch Beutegreifer, Krankheiten, Parasiten und nicht zuletzt durch Futtermangel im Winter niemals so groß geworden, dass der Wald hätte vollständig zurückgedrängt werden können. In manchen Gebieten (z. B. Serengeti) regulieren sich heute lebende (rezente) Pflanzenfresser ausschließlich durch das Nahrungsangebot in Trockenzeiten und die Wasserversorgung. Für Mitteleuropa stehen harte Winter mit ihrer Nahrungsknappheit sowie Beutegreifer stärker im Vordergrund. Durch den Vergleich mit bekannten Kulturlandschaften oder Naturlandschaften, die für ähnlich gehalten werden, wird ein größerer Artenreichtum einer solchen, auch durch Pflanzenfresser geprägten, Landschaft vermutet.

Ökosystementwicklung in der Nacheiszeit

Diese Theorie geht davon aus, dass der Mensch bereits in den Zwischenwarmzeiten durch die Bejagung von Pflanzenfressern und Fleischfressern bei deren Aussterben mitgewirkt habe. So seien manche Tierarten auch in ihren Rückzugsräumen während der Kaltzeiten bejagt worden und andere seien während Warmzeiten ausgestorben. Durch das Klima hervorgerufene Änderungen in den Ökosystemen werden bewusst ausgeblendet, da die klimatischen Bedingungen des betrachteten Zeitraums den heutigen ähnelten.

In einigen Gebieten Amerikas und Australiens ließ sich ein stärkerer Bewuchs von Bäumen nach der Ausrottung einiger Pflanzenfresser feststellen. Nach der letzten Eiszeit könne so eine dichte Bewaldung (Wiederbesiedelung) Mitteleuropas eingesetzt haben, da der Fraß der Pflanzenfresser zu gering geworden war, um einen wesentlichen Einfluss auf die Vegetation auszuüben. Dieses sich in Mitteleuropa einstellende Klimax der Sukzession war größtenteils Buchenwald, Buchen-Mischwälder, Mischwälder, Nadelwälder sowie azonale und extrazonale Waldgesellschaften. Offene Landschaften hat es nach der Lehrmeinung in der Nacheiszeit kaum gegeben.

Vergleichbare Ökosysteme

Die spätere Intensivierung menschlicher Kulturtätigkeit führte erst zum Rückgang der großflächigen Wälder und zu einer Anreicherung der Landschaft mit kleingliedrigen Strukturen und aus Wiesen und Feldern, sowie einer Vielzahl von Wäldern, Gehölzgruppen und Hecken und damit zu einem Anstieg der Artenvielfalt. Häufig werden deshalb die "Kulturlandschaften" Mitteleuropas aus der Zeit des 14. bis 16. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. zur Veranschaulichung als Beispiel angeführt. Diese Landschaften waren gebietsweise sehr strukturreich und boten einer Vielzahl einwandernder Offenlandarten einen neuen Lebensraum. Verglichen wird das Erscheinungsbild der durch die Fauna geprägten Landschaft auch mit einer "Parklandschaft" aus weitläufigen Graslandschaften mit Bäumen und Baumgruppen, wie sie z. T. in Ost- und Südafrika zu finden sind.

Historische Landnutzungsformen führten zu einer devastierenden Waldvernichtung. Diese boten sicher Nischen für "natürlich" seltene, "eingeschleppte" Arten. Bevölkerungsrückgänge durch Pest oder Dreißigjährigen Krieg führten zu einer Steigerung des Waldanteils.

Kritik

Gegen die Megaherbivorentheorie spricht, dass es Arten gibt, die auf über Jahrhunderte ungestörte Waldentwicklung angewiesen sind. Ost- und Südafrika dürften zudem kaum ein Maßstab für Mitteleuropa sein.

Es kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, ob die angenommenen Verhältnisse wirklich zutreffen, so kann z. B. die Paläobotanik nur unvollständige Angaben über die Größe der Mosaike und damit zur räumlichen Verteilung machen. Auch über soziales Verhalten der Tierarten und deren Populationsgrößen gibt es nur Ableitungen von denen heute lebender, verwandter Arten. Schließlich werden Vermutungen zu den Ursachen des Aussterbens der Tierarten angestellt. Die Behauptung, der Mensch habe dazu wesentlich beigetragen, wird häufig kritisiert und ist bisher unbewiesen. Dieser Fehlerkorridor konnte noch nicht verkleinert werden, aber dennoch gibt diese Theorie eine Perspektive, die aufgeworfenen Fragen und Widersprüche in der Klimaxhypothese zu beantworten.

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