Mosaik-Zyklus-Theorie

Mosaik-Zyklus-Theorie

Das Mosaik-Zyklus-Konzept ist ein Konzept aus den Fächern Ökologie und Naturschutz. Es dient neben der fachlich-theoretischen Diskussion auch zur Entwicklung und Umsetzung von Naturschutz- und Nutzungsstrategien (v.a. Forstwissenschaft). Das Konzept wurde u. a. anhand von Untersuchungen von Wald-Ökosystemen (Urwaldrelikten) entwickelt.

Das Mosaik-Zyklus-Konzept, auch Mosaik-Zyklus-Theorie genannt, geht von einer wiederkehrenden Abfolge (Zyklen) verschiedener Reifestadien (Sukzessionsstadien) von Ökosystemen aus. Innerhalb eines Ökosystems seien verschiedene Sukzessionsstadien auf Teilflächen (Mosaik) gleichzeitig anzutreffen. 1947 beschrieb der englische Ökologe A. S. Watt dies als zyklische Sukzession.

Die Autoren Hermann Remmert und Wolfgang Scherzinger beschrieben Anfang der 1990er Jahre, dass sich (Wald-)Ökosysteme zyklisch verjüngen und die Sukzession innerhalb eines Ökosystems phasenverschoben und asynchron ablaufen kann. Die Ursachen hierfür sind sowohl endogene (innerhalb des Systems) als auch exogene Ursachen (von außerhalb des Ökosystems). Das Klimaxstadium (siehe Sukzession) ist nach diesem Konzept, entgegen älterer Meinungen, kein starres Gebilde. Das Konzept sagt aus, dass das Klimaxstadium ein Mosaik aus verschiedenen Pflanzengemeinschaften und Altersstufen ist.

Inhaltsverzeichnis

Zyklen und Mosaiken der Sukzession

Anhand von Untersuchungen an Urwaldrelikten wurde festgestellt, dass statt eines langanhaltenden Klimaxzustandes eine zyklische und unregelmäßige Entwicklung (wiederholte Sukzession, aber auch abrupt eintretende Phasen) von Verjüngungs- und Zusammenbruchszuständen in Wald-Ökosystemen vorherrscht. Der Zusammenbruch wird, so das Konzept, durch Schneelast, Windwurf, Waldbrand/Flächenbrand nach Blitzschlag, Überalterung, Lawinen, Insektengradationen ("-plagen"), etc. ausgelöst. Ein weiterer Faktor kann auch Fraß von Großsäugern sein (siehe auch Megaherbivorentheorie) (hinzugefügt v.A.).

Die Zyklen können von jedem beliebigen Stadium auf jedes beliebige vorhergehende Stadium zurückgeworfen werden. Die Zyklen müssen dabei nicht alle Stadien durchlaufen. So kann sich ein Wald in der Plenterphase nach der Zerfallsphase verjüngen und direkt in die Optimalphase oder wieder in die Plenterphase übergehen.

Diese zyklische Entwicklung eines vom Menschen unbeeinflussten Waldes passiert je nach geobotanischer Einteilung der Wälder (z.B. subalpin, boreal, subozeanischer Mischwald, etc.), also je nach Struktur der Systeme, und je nach Art der Kalamität (Schadereignis), auf unterschiedlich großen Teilflächen. Diese verschiedenen Teilflächen unterschiedlicher Sukzessionsstadien geben von oben betrachtet ein Mosaik ab. Sprugel und Bormann beschrieben 1981, dass sich die Entwicklungsstadien in subalpinen Wäldern durch Windwurf in Windrichtung wellenförmig fortpflanzten.

Flächengröße nach Schäden (nach Scherzinger 1991)

  • Zusammenbrechende, überalterte Vegetation (Bäume bei Scherzinger): 100 m² bis 500 m²
  • Windwurf im Laubmischwald: 1 - 2 ha, selten bis 25 ha
  • Windwurf im Nadelwald: mehrere 100 ha
  • Insektengradationen: mehrere 100 ha - 100 km²

Flächengrößen der Teilstücke nach Ökosystemen (nach Jedicke 1994):

  • Bergmischwald 0,2 - 0,3 ha
  • Buchenwald 1 - 2 ha
  • subalpiner Fichtenwald bis 100 km²

Phasen (Stadien) des Mosaik-Zyklus-Konzeptes

Zeitangaben und "Maße" sind freilich nur ungefähr anzugeben!

Die Mosaik-Zyklus-Theorie in der Waldbewirtschaftung

Bei den Wirtschaftswäldern (Forsten) wird das Ökosystem durch den Menschen gestört. Trotzdem übernehmen bewirtschaftete Wälder mit naturnaher Artenzusammensetzung Ersatzfunktionen für ein gedachtes, ungestörtes Ökosystem. Die Phasen sind in Wirtschaftswäldern wiederzufinden, jedoch unterscheiden sie sich mehr oder weniger stark maßgeblich durch das Vorkommen von Totholz und in der Artenzusammensetzung und können u. U. als Ersatzgesellschaften angesehen werden. Die Häufigkeit und räumliche Ausdehnung der Stadien ist, je nach Bewirtschaftungsweise und Auslegung der theoretischen Lehrmeinungen, sehr unterschiedlich.

Die Ruderalphase wird im Wirtschaftswald möglichst vermieden. Ein Vergrasung wirkt als Konkurrenz für Forstpflanzen und fördert schädigende Mäusepopulationen. Sie verzögert in der Regel die schnelle Entwicklung des neuen Bestandes und verursacht Kosten. In Altersklassenwäldern versucht man durch entsprechende Verjüngungsverfahren (Lichtungshieb, Femelhieb) diese Phase möglichst schnell zu durchlaufen oder ganz zu vermeiden. Die Ruderalphase wird hier insbesondere nach Kahlschlägen erreicht. Die Ruderalflora und -fauna entspricht annähernd denen des Kahlschlags. Kahlschläge werden aber zunehmend verboten oder zumindest räumlich begrenzt. In Dauerwäldern (z. B. Plenterwald) ist die Ruderalphase ganz ausgeschaltet worden. Stark vertreten ist sie in Nieder- und Mittelwäldern, die heute jedoch nur noch in Relikten vorhanden sind. Diese werden alle 20 bis 30 Jahre "auf den Stock" gesetzt, und dadurch wird in relativ kurzen Perioden die Ruderalphase erneut durchlaufen. Das Verjüngungsproblem kann in diesen Wäldern umgangen werden, da die Verjüngung durch Stockausschlag erfolgt, welcher in dieser Phase konkurrenzkräftiger als Kernwuchs ist. Viele Nieder- und Mittelwälder stehen unter Naturschutz, da die entsprechende Kahlschlagflora sehr artenreich ist und Kahlschläge in den heutigen Wirtschaftsformen wie oben beschrieben immer seltener werden.

Die Pionierwaldphase entspricht in den Wirtschaftswäldern am nächsten den Kulturen im Altersklassenwald, insbesondere nach Naturverjüngung (in Hinsicht auf Baumartenzusammensetzung) oder bei Kulturen nach Kahlschlag (in Hinsicht auf Lichteinfluss und damit verbundenem Auftreten von Pionierbaumarten). Diese Altersklassenphase wird als sehr anfällig gegenüber Krankheiten, Wildverbiss und kleinklimatischen Einflüssen betrachtet, und man versucht sie so kurz wie möglich zu halten. Im Plenterwald wird diese Phase wiederum ausgeschaltet. In Nieder- und Mittelwäldern haben in der Zeit vom ersten Stockausschlag bis Kronenschluss Birke, Weide und Pappel die Möglichkeit, sich anzusiedeln. Früher wurden diese Pionierbaumarten oft als Konkurrenz und somit als Unkraut betrachtet und deshalb bei den Kulturpflegearbeiten beseitigt. Die heutige Sichtweise ist eine andere. Die Pionierbaumarten helfen, den Kronenschluss schneller herbeizuführen, und werden in einem gewissen Grade als pflegende Baumarten akzeptiert.

Dickung wird auch im Schlaghochwald die entsprechende Entwicklungsstufe genannt, die nach Kronenschluss einsetzt und mit beginnender natürlicher Astreinigung endet. Im Nieder- und Mittelwald nimmt diese Phase einen großen Anteil der Umtriebszeit ein. Im Plenterwald ist sie durch die starke Mischung von Bäumen in unterschiedlichen Altern und Durchmessern nicht in der beschriebenen Form ausgebildet.

Die Schlusswald- und Optimalphase entsprechen den forstlichen Entwicklungsstufen Stangen- und Baumholz. Letztere Phase wird in Niederwäldern nicht mehr erreicht, da das Wirtschaftsziel bereits vorher erreicht wurde und die Bestände erneut auf den Stock gesetzt wurden; hier wird der Zyklus vorzeitig abgebrochen und neu gestartet. Erste Erträge können in der Schlusswaldphase erzielt werden, aber wirtschaftliches Ziel im heutigen Waldbau ist das Erreichen der Optimalphase mit starkem Zuwachs und hohem wirtschaftlichen Gewinn. Das Absterben einzelner Bäume durch Konkurrenzdruck und damit anfallendes Totholz ist jedoch im Wirtschaftswald je nach Bewirtschaftungsintensität stark vermindert. Die Selektion der zu entnehmenden Bäume wird durch den Forstmann bestimmt, und die ausfallenden Glieder (Stämme) werden aus dem Bestand gebracht und verkauft.

Die Plenterphase hat ihren Namen aus dem Plenterbetrieb erhalten. Allerdings werden die Lücken im Wirtschaftswald nicht durch umfallendes Totholz, sondern durch gezielte Holzernte geschaffen. Im Plenterwald wird diese Phase durch die Bewirtschaftung langfristig manifestiert. Andere Phasen kommen in deutlicher Ausformung hier nicht vor. Im Altersklassenwald wird die Phase mit Beginn der Endnutzung erreicht, sobald diese z. B. als Lichtungs- oder Femelhieb durchgeführt wird. Das in die Löcher einfallende Licht bereitet den Boden für die Naturverjüngung vor (durch Erwärmung wird der Humusabbau beschleunigt) und ermöglicht ersten Sämlingen das Keimen.

Die Zerfallsphase und der Zusammenbruch werden im Altersklassenwald in der Endnutzung durchlaufen. Allerdings fehlt das entsprechende Totholz, und der Ablauf geht in sehr kurzer Zeit vonstatten. Wirtschaftliches Ziel ist, das noch stehende Holz zu nutzen und durch Auflichtung beziehungsweise Freistellung der Flächen die neue Generation einzuleiten. Dieses entspricht auch dem Ende des Zyklus.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Strukturen des Mosaik-Zyklus-Konzepts auch in Wirtschaftswäldern wiederzufinden sind. Die Zyklen werden jedoch in deutlich kürzeren Zeiträumen durchlaufen. Diese können bei Fichtenbetrieben bei unter 100 Jahren liegen und erreichen in langsamwüchsigen Eichenbetrieben Zeiten von etwa 250 Jahren. Einige Bewirtschaftungsformen wie Niederwald oder Plenterwald schließen einzelne Phasen systematisch aus (siehe oben). Das immer mehr angestrebte Prinzip einer Dauerwaldbewirtschaftung mit Vermeidung von Kahlflächen trägt ebenfalls dazu bei, die Ruderal- und Pionierwaldphase zu verdrängen. Allgemein abweichend ist in Wirtschaftswäldern auch das Fehlen von größeren Mengen Totholz, welches für einige Phasen mitprägend ist. Viele Betriebe versuchen, durch Totholzprogramme dieses Manko auszugleichen. Allerdings sind solche Maßnahmen in der Regel an Einkommensverluste gekoppelt und werden daher oft nur halbherzig umgesetzt.

Konsequenzen für Ökologie und Naturschutzpraxis

Gegenüber der Megaherbivorentheorie bietet das Konzept den Vorteil, dass es sich noch heute überprüfen und verallgemeinern lässt (Übertragung und Überprüfung anhand anderer Biotope, um Lehrsätze ableiten zu können). Eine zyklische Entwicklung ist z.B. auf extremen Standorten wie Mooren und Trockenstandorten zu beobachten. Jedicke (1994) vermutet, dass sich viele Ökosysteme zyklisch verjüngen. Das soll hier nicht die Megaherbivorentheorie verneinen. Vielmehr sind sie komplementär zu betrachten; so ähneln Zerfalls- und Zusammenbruchsphase des Waldes (die in ihrer zeitlichen Ausdehnung widersprüchlich ist) einem Hutewald.

Im Zusammenhang mit der Diskussion prähistorischer Ökosystementwicklung sei erwähnt, dass der Nachweis, wie groß die Einzelflächen der Mosaike vor allem vor der letzten Eiszeit waren, durch die Paläobotanik wahrscheinlich nicht erbracht werden kann.

Jedicke leitet u.a. aus dieser Theorie die Forderung nach langfristig zu sichernden Großschutzgebieten ab, um einen Prozessschutz des Ökosystems zu gewährleisten (Waldbrand, Windwurf etc.). Bei einem großflächigem Windwurf in einem unter Naturschutz stehenden Wald kann der Status eines Naturschutzgebietes wieder aufgehoben werden, weil der Schutzzweck "Erhaltung des Waldes" entfällt. In letzter Konsequenz müsste der Schutzzweck auf die Prozesse der Sukzession ausgeweitet werden.

Die praktische Umsetzung und Überprüfung des Konzeptes wird zukünftig durch die Anlage von Wildnisentwicklungsgebieten ermöglicht.

Literatur

  • Watt, 1947: Pattern and Process in Plant Community, zitiert in Odum, 1991.
  • Sprugel; Bormann: Natural Disturbance and the Steady State in High-Altitude Balsam Fir Forests, zitiert in Odum, 1991.
  • Odum, 1991: Prinzipien der Ökologie, Spektrum, Heidelberg.
  • Remmert, 1991: Das Mosaik-Zyklus-Konzept und seine Bedeutung für den Naturschutz.
  • Scherzinger, 1991: Das Mosaik-Zyklus-Konzept aus der Sicht des zoologischen Artenschutzes.
  • Jedicke, 1994: Biotopschutz in der Gemeinde. Neumann, Radebeul. ISBN 3740201487
  • Jedicke, 1994: Biotopverbund - Grundlagen und Maßnahmen einer neuen Naturschutzstrategie. 2. Aufl. Ulmer, Stuttgart. ISBN 3800133245
  • Ellenberg, Heinz, 1996: Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer, dynamischer und historischer Sicht. 5. Auflage, Ulmer, Stuttgart. ISBN 3825281043

Siehe auch


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