Megaloklitoris

Megaloklitoris
Klassifikation nach ICD-10
Q52.6 Fehlbildungen der Klitoris
ICD-10 online (WHO-Version 2006)
Klitorishypertrophie bei einer 22-jährigen Frau

Eine Klitorishypertrophie, auch Klitoromegalie oder Megaloklitoris genannt, ist die medizinische Bezeichnung für eine anatomisch ungewöhnlich große, penisähnliche Klitoris.

Inhaltsverzeichnis

Ätiologie

Eine Klitorishypertrophie ist meist eine angeborene Fehlbildung. Daneben kann eine Klitoromegalie auch in späteren Lebensabschnitten erworben werden. Letzteres ist jedoch deutlich weniger häufig der Fall.[1][2]

Ätiologisch lassen sich die Fehlbildungen in vier Klassen einteilen:[1]

  • Hormonell bedingt
  • nicht-hormonell bedingt
  • Pseudo-Klitoromegalie
  • idiopathische Klitoromegalie (ohne bekannte Ursache)

Hormonelle Ursachen

Die hormonell bedingte Klitorishypertrophie lässt sich in vier mögliche Ursachen aufgliedern:[1]

Endokrinopathien

Die häufigste Ursache für eine Klitorishypertrophie ist der weibliche Pseudohermaphroditismus als Folge einer angeborenen Nebennierenrindenhyperplasie (congenital adrenal hyperplasia (CAH)) oder eines adrenogenitalen Syndroms, welches durch einen Enzym-Defekt die Steroid-Biosynthese erheblich stört.[3][1]

In über 95% der Fälle liegt dabei ein Defekt des Enzyms CYP21 (Cytochrom P450c21; 21-Hydroxylase) vor. CPY21 katalysiert die Umsetzung von 17-α-Hydroxyprogesteron (17-OHP) zu Cortisol und von Progesteron zu Aldosteron. Durch den reduzierten 17-OHP-Abbau werden vermehrt die Androgene Androstendion und Testosteron gebildet. Dies bewirkt die Virilisierung (Vermännlichung) der weiblichen Patienten.[4]

Weniger häufig ist ein Defekt des Enzyms CYP11B1 (Cytochrom P450c11, 11-β-Hydroxylase) der Ausgangspunkt für eine Klitorishypertrophie. CYP11B1 wird ebenfalls in der Nebennierenrinde produziert. Es katalysiert normalerweise die Umwandlung von 11-Desoxycortisol zu Cortisol und von 11-Desoxycorticosteron (DOC) zu Corticosteron. Eine Fehlfunktion dieses Enzyms bewirkt ebenfalls eine vermehrte Androgenproduktion und führt bei Mädchen zur intrauterinen Virilisierung.[4]

Treten die Hormonstörungen bis zur 14. Schwangerschaftswoche auf, so kann es zu einer ausgeprägten Maskulinisierung der äußeren Genitalien kommen. Im Extremfall führt dies zur Umwandlung der großen Schamlippen (Labien) zum Hodensack (Skrotum) und zum Verschluss der Vagina, beziehungsweise des Urogenitalkanals (Sinus urogenitalis). Die Virilisierung beschränkt sich bei Hormonstörungen im fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium im wesentlichen auf das Symptom einer Klitorishypertrophie.[5][6]

Maskulinisierende Tumoren

Zu den maskulinisierenden Tumoren gehören:

Exogene Androgene

Als exogenes Androgen, das in der Lage ist eine Klitorishypertrophie zu bewirken, wurde das Steroid Danazol identifiziert. In einer retrospektiven Studie mit 129 Frauen, die während ihrer Schwangerschaft das Testosteron-Derivat Danazol verabreicht bekamen, zeigte es sich, dass bei den 94 Lebendgeburten 34 normale Mädchen und 23 virilisierte Mädchen auf die Welt kamen. Die Vermännlichung manifestierte sich unter anderem an dem Symptom einer Klitorishypertrophie.[11]

In der Literatur wird ein Fall berichtet, bei dem offensichtlich die mehrfache Bluttransfusion des Blutes eines Mannes auf ein Kleinkind eine Klitorishypertrophie induzierte.[12]

Nicht-hormonelle Ursachen

Als nicht-hormonelle Ursachen für eine Klitorishypertrophie ist die Neurofibromatose Typ 1 und – allerdings bedeutend weniger häufig – die Neurofibromatose Typ 2 beschrieben. Bei diesen seltenen erblich bedingten Krankheiten wird ein gutartiger Tumor ausgebildet. Ein mögliches Symptom der Krankheit ist die Ausbildung einer Klitorishypertrophie.[13][14][15]

Klitorale Zysten können sich aus der Epidermis (Oberhaut) bilden und in die Dermis (Lederhaut) oder gar in das subkutane Gewebe (Gewebe unterhalb der Hautschichten) eindringen. Die Zysten können sich entweder vor der Geburt (pränatal) oder nach einer Verletzung (Trauma) manifestieren. [16],

Eine Reihe von Syndromen mit nicht-hormonalem Ursprung können die Ursache für eine Klitorishypertrophie sein. So beispielsweise die kongenitale generalisierte Lipodystrophie (CGL), eine spezielle Form einer Lipodystrophie, die autosomal-rezessiv vererbt wird.[17] Auch beim Turner-Syndrom, eine chromosomale Erkrankung, bei der die betroffenen Frauen nur ein funktionsfähiges X-Chromosom haben, sind Klitorishypertrophien beschrieben[18] Das äußerst seltene Fraser-Syndrom, das ebenfalls autosomal-rezessiv vererbt wird, ist ebenfalls eine mögliche Ursache für eine Klitorishypertrophie.[19]

Beim einer kompletten Androgenresistenz (CAIS = Complete Androgen Insensitivity Syndrome), eine x-chromosomal-rezessive Erbkrankheit, liegt ein defekter Androgenrezeptor vor. Das Krankheitsbild ist sehr vielschichtig und kann auch eine Klitorishypertrophie beinhalten.[20]

Der Nävus lipomatous cutaneous superficialis (NLCS; Hoffmann-Zurhelle) ist eine angeborene gutartige Fehlbildung, bei der sich in der Haut lokal reife Lipozyten muttermalartig ansammeln. NLCS im Bereich der Klitoris kann eine Vergrößerung selbiger bewirken.[21]

Pseudo-Klitoromegalie

Eine Pseudo-Hypertrophie der Klitoris kann bei kleinen Mädchen durch Masturbation bedingt sein. Es sind Fälle bekannt, in denen die Manipulation der Haut des Präputiums durch wiederholten mechanischen Stress zu Verletzungen führten, die das Präputium und die inneren Schamlippen (Labia minora) vergrößerten, so dass sie eine Klitoromegalie vortäuschten.[22]

Idiopathische Klitoromegalie

Bei einer idiopathischen Klitoromegalie sind die Ursachen für die Fehlbildung nicht bekannt.

Therapie

Die ersten chirurgischen Eingriffe wurden 1934 von H. H. Young durchgeführt. Er verkleinerte die Klitoris eines Kindes, welches eine angeborene Nebennierenrindenhyperplasie (CAH) hatte.[23] Bis in die 1960er wurde die Klitorishypertrophie als Amputation (Klitoridektomie) durchgeführt.[24]

Mittlerweile sind mehrere Techniken der Klitorisreduktionsplastik etabliert. Alle haben neben kosmetischen Indikationen das Ziel, dass die sexuelle Erregbarkeit und Empfindung möglichst voll erhalten bleibt. Dies wird durch den Erhalt des Gefäßnervenbündels der Klitoris ermöglicht.[25]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c d e E. Copcu u. a.: Idiopathic isolated clitoromegaly: A report of two cases. In: Reprod Health, 1/2004, S. 1–6. PMID 523860
  2. J. Horejsi: Acquired clitoral enlargement. Diagnosis and treatment. In: Ann N Y Acad Sci 816/1997, S. 369–372.
  3. J. D. Wilson: Formation of sexual phenotypes. In: The Endocrinologist 13/2003, S. 205–207.
  4. a b D. Michalk, E. Schönau: Differentialdiagnose Pädiatrie. Elsevier, 2004, S. 77. ISBN 3-437-22530-8
  5. V. Pelzer, U. Holthusen: Vulvaveränderungen im Kindes- und Jugendalter. In: Korasion 1/2001
  6. R. L. Rosenfield u. a.: The diagnosis and management of intersex. Current problems in pediatrics. In: Yearbook Medical Publishers Chicago, 1980
  7. T. A. Baramki u. a.: Bilateral hilus cell tumors of the ovary. In: Obstet Gynecol 62/1983, S. 128–131. PMID 6856214
  8. L. Castelazo-Ayala u. a.: Steroid production by gonadal tumors in male pseudo-hermaphroditism with isolated clitoromegaly. Biochemical studies in vivo. In: Steroidologia 2/1971, S. 138–142. PMID 4336062
  9. L. Falsetti u. a.: Adrenal androgen-secreting carcinoma in a fertile woman. In: Acta Eur Fertil 26/1995, S. 117–121. PMID 9098472
  10. R. Ichinohasama u. a.: Leydig cell tumor of the ovary associated with endometrial carcinoma and containing 17 beta-hydroxysteroid dehydrogenase. In: Int J Gynecol Pathol 8/1989, S. 64–71. PMID 2707954
  11. P. J. Brunskill: The effects of fetal exposure to danazol. In: Br J Obstet Gynaecol 99/1992, S. 212–215. PMID 1606119
  12. M. Akcam, A. Topaloglu: Extremely immature infant who developed clitoromegaly during the second month of her postnatal life probably due to frequent whole blood transfusion from an adult male. In: Pediatr Int 45/2003, S. 347–348. PMID 12828595
  13. H. Yüksel u. a.: Clitoromegaly in type 2 neurofibromatosis: a case report and review of the literature. In: Eur J Gynaecol Oncol 24/2003, S. 447–451. PMID 14584669
  14. M. Haraoka u. a.: Clitoral involvement by neurofibromatosis: a case report and review of the literature. In: J Urol 139/1988, S. 95–96. PMID 3121869
  15. J. A. M. Massie, J. Lacy: Plexiform Neurofibroma Presenting as Clitoromegaly: Case Report and Review of the Literature.Journal of Pediatric and Adolescent Gynecology 21/2008, S. 97.
  16. D. Linck, M. F. Hayes: Clitoral cyst as a cause of ambiguous genitalia. In: Obstet Gynecol 99/2002, S. 963–966. PMID 11975977
  17. R. Kazlauskaite u. a.: A case of congenital generalized lipodystrophy: metabolic effects of four dietary regimens. Lack of association of CGL with polymorphism in the lamin A/C Gene. In: Clin Endocrinol (Oxf) 54/2001, S. 412–414. PMID 11298098
  18. N. G. Haddad, G. H. Vance: Turner syndrome (45x) with clitoromegaly. In: J Urol 170/2003, S. 1355–1356. PMID 14501769
  19. A. Chattopadhyay u. a.: Fraser syndrome. In: J Postgrad Med 39/1993/ S. 228–230. PMID 7996504
  20. A. Yalinkaya, M. Yayla: Laparoscopy-assisted transinguinal extracorporeal gonadectomy in six patients with androgen insensitivity syndrome. In: Fertility and Sterility 80/2003, S. 429–433
  21. R. Hattori u. a.: Nevus lipomatosus cutaneous superficialis of the clitoris. In: Dermatol Surg 29/2003, S. 1071–1072. PMID 12974709
  22. J. Horejsi: Acquired clitoral enlargement. Diagnosis and treatment. In: Ann N Y Acad Sci 816/1997, S. 369–372. PMID 9238289
  23. H. H. Young: Genital abnormalities, hermaphroditism and related adrenal disease. Baltimore, Williams&Wilkins, 1937, S. 103–105.
  24. M. F. Bellinger: Feminizing genitoplasty and vaginoplasty. In: Reconstructive and Plastic Surgery of the External Genitalia. WB Saunders, Philadelphia, 1999, S. 263. ISBN 0-7216-6328-1
  25. G. Bartsch u. a.: Erhaltung des Gefäßnervenbündels bei der Klitorisreduktionsplastik. In: Aktuel Urol 18/1987, S. 96–98.

Literatur

  • K. M. Beier u. a.: Sexualmedizin. Urban&Fischer, ISBN 3-437-22850-1
  • M. W. Beckmann u. a.: Molekulare Medizin in der Frauenheilkunde: Diagnostik und Therapie. Springer, 2001, ISBN 3-7985-1301-5 S. 227
  • A. Berger, R. Hierner: Plastische Chirurgie. Springer, 2007, ISBN 978-3-540-00143-0 S. 413–444.
  • H. Marty: Späte Klärung einer Virilisierung. In: Schweiz Med Wochenschr 129/1999, S. 715.
  • H.-W. Baenkler u. a.: Innere Medizin: 299 Synopsen, 611 Tabellen. Georg Thieme Verlag, 2001, S. 927. ISBN 3-13-128751-9
  • H. U. Schweikert, F. Neumann: Hormonelle Grundlagen der normalen und pathologischen somatischen Sexualentwicklung. In: Klin Wochenschr 64/1986, S. 49–62. PMID 3754024
  • M. A. A. Trotsenburg: Transsexualität: Überblick über ein Phänomen mit besonderer Berücksichtigung der österreichischen Sicht. In: Speculum 20/2002, S. 8–22.
  • I. A. Hughes u. a.: Consensus statement on management of intersex disorders. In: Journal of Pediatric Urology 2/2006, S. 148–162. PMID 16624884
  • P. T. Masiakos u. a.: Masculinizing and feminizing syndromes caused by functioning tumors. In: Semin Pediatr Surg 6/1997, S. 147–155. PMID 9263337

Weblinks


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