Archiphonem

Archiphonem

Archiphonem ist ein von Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy eingeführter Begriff der Sprachwissenschaft, speziell der Phonologie.

Ein Archiphonem ist ein Abstraktum und umfasst diejenigen phonologischen Merkmale, die zwei gegebenen Phonemen einer Sprache unter Nichtberücksichtigung der sie unterscheidenden distinktiven Merkmale (vgl. Opposition) gemeinsam sind. Archiphoneme werden graphisch oft mit Großbuchstaben wiedergegeben.

Inhaltsverzeichnis

Ein Beispiel

Ein Bereich, in dem Archiphoneme sinnvoll verwendet werden können, ist die sogenannte Auslautverhärtung im Deutschen. Sie lässt sich am Wort „Sieg“ beobachten: dieses Wort wird etwa im Genitiv Singular mit stimmhaftem [g] als [ˈziːɡəs] gesprochen, im Nominativ Singular aber mit stimmlosem [k] als [ziːk]. Das heißt: Wenn das Wort mit „g“ endet, ist der Laut stimmlos; wenn dahinter noch ein Vokal oder Sonant folgt, ist er stimmhaft. Dies ist im Deutschen eine allgemein gültige Regel bei Reibe- und Verschlusslauten. Wenn man diese Regelhaftigkeit auch in der Lautschrift wiedergeben möchte, kann man das Wort „Sieg“ phonologisch auch mit einem Archiphonem als /ziːK/ darstellen. Das Archiphonem /K/ steht dann für den regelhaften Wechsel zwischen den Lauten [ɡ] und [k], die auch verschiedene Phoneme /ɡ/ und /k/ sind. Das Archiphonem /K/ steht für die übereinstimmenden Eigenschaften der beiden Phoneme, ist aber für das Merkmal Stimmhaftigkeit, das beide Phoneme unterscheidet, nicht festgelegt.

Weitere Archiphoneme im Deutschen

Archiphoneme können auch in folgenden Fällen beobachtet werden:

  • /P/: lieb [liːp] - liebes [’liːbəs]
  • /T/: Lied [liːt] - liedes [’liːdəs]
  • /F/: Archiv [aʁˈçiːf] - Archive [aʁˈçiːvə]
  • /S/: Reis [ʀaɪ̯s] - Reises [’ʀaɪ̯zəs]

Ein Archiphonem, das nichts mit Auslautverhärtung zu tun hat, sondern von der Lautumgebung abhängig ist, ist:

  • /X/: Fach [faχ] - Fächer [fɛçɐ]; dieser Wechsel ist durch den vorangehenden Vokal bedingt, nicht durch den Auslaut, wie das folgende Beispiel zeigt: Gefach [ɡəˈfaχ] - Gefache [ɡəˈfaχə].
  • Auch im Vokalismus des Deutschen kann man ein Archiphonem ansetzen: /E/ für [e] oder [ə]. Die beiden Vokale, die für das Archiphonem stehen können, sind ebenfalls von der Lautumgebung, in diesem Fall davon, wo im Wort der Akzent liegt, abhängig.

Literatur

  • Theodor Lewandowski: Linguistisches Wörterbuch. 4., neu bearbeitete Auflage. Quelle & Meyer, Heidelberg 1985, Stichwort: „Archiphonem“. ISBN 3-494-02050-7.
  • N. S. Troubetzkoy: Die Aufhebung der phonologischen Gegensätze. In: Travaux du Cercle Linguistique de Prague VI, 1936, wieder abgedruckt in: A Prague School Reader in Linguistics. Compiled by Josef Vachek. Indiana University Press, Bloomington & London 1967, S. 187-205.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Archiphonem – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Material zu Trubetzkoys Grundzüge der Phonologie mit Erläuterung zum Begriff


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