Phonologie

Phonologie

Die Phonologie (aus griech. φωνή, phōnḗ, 'Stimme, Laut' and griech. λόγος, lógos hier: 'Wort, Gesprochenes') ist ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft, im Speziellen der Theoretischen Linguistik, und stellt zusammen mit der Phonetik die Lautlehre dar. Während die Phonetik die eher konkreten Eigenschaften der Sprachlaute untersucht – ihre akustische Beschaffenheit, Artikulation und Wahrnehmung – betrachtet die Phonologie die Laute in abstrakterer Weise: Sie beschäftigt sich mit der Funktion der Laute für das Sprachsystem der einzelnen Sprachen und stellt somit einen Teilbereich der Grammatik dar.

Zu den zentralen Aufgabengebieten der Phonolgie gehört das Ermitteln von sogenannten distinktiven Merkmalen sowie den Phoneminventaren und Silbenstrukturen unterschiedlicher Lautsprachen. Als Begründer der Phonologie in Europa gelten die Russen Nikolai Trubetzkoy, Ethnologe und Linguist, und der Strukturalist Roman Jakobson.

Die Begriffe Phonemik und Phonematik werden teilweise als Synonyme für Phonologie verwendet, haben aber innerhalb der Linguistik auch eine etwas andere Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis

Grundbegriffe und Aufgabenbereiche der Phonologie

Minimalpaare und Phoneme

Hauptartikel: Phonem

Die Phonologie untersucht unter anderem, welche Laute unter welchen Bedingungen Wörter voneinander unterscheiden können. In einem Wortpaar wie „Bass – Pass“ hängt die Unterscheidung der Wörter allein an den beiden Anlauten. Diese verschiedenen Anlaute stellen damit Fälle von kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten dar, Phoneme genannt. Die Gegenüberstellung „Bass – Pass“ illustriert dabei die Methode der Minimalpaare: Dies sind Gegenüberstellungen von Wörtern, die sich nur durch einen einzigen Phonem-Kontrast unterscheiden und damit den Phonem-Status von z. B. /b/ und /p/ zweifelsfrei demonstrieren. (Phoneme werden zwischen Schrägstrichen notiert; ihre lautlichen Realisierungen, die Phone, dagegen in eckigen Klammern).

Diese ‚unterscheidende Funktion‘ der Laute, nach der die Phonologie fragt, ist zu trennen von der phonetischen Beschreibung der Laute, welche deren physikalische Lautgestalt, Artikulation und Wahrnehmung zum Inhalt hat. Es ist Sache jeder einzelsprachlichen Grammatik festzulegen, welche der vielen Lautunterschiede, die man in der Sprache phonetisch feststellen kann, unterscheidende Kraft haben und welche nicht.

An die Bestimmung von einzelnen Phonemen schließt sich als Forschungsgegenstand der Phonologie z. B. die Frage an, welche Gesetzmäßigkeiten sich über den Aufbau von Phoneminventaren in den Sprachen der Welt formulieren lassen (dies bildet ein Beispiel für den allgemeineren Forschungsgegenstand der phonologischen Universalien).

Distinktives Merkmal

Hauptartikel: Distinktives Merkmal

Phoneme müssen nicht als elementare Einheiten gesehen werden, sondern sie setzen sich ihrerseits aus Merkmalen zusammen. Man kann feststellen, dass z.B. das Minimalpaar "Bass - Pass" in gewisser Weise noch "minimaler" ist als ein Paar "Bass - nass". Denn der Unterschied "Bass - Pass" liegt nur in der Stimmhaftigkeit der Anlaute, wogegen bei "Bass - nass" auch noch der Artikulationsort verschieden ist (Lippen bzw. Zungenspitze + Gaumen) und auch der Weg durch den die Luft entweicht (durch den Mund bzw. durch die Nase). Daher kann der Gegenstand der Phonologie auch direkt in den einzelnen Merkmalen der Phoneme gesehen werden, den distinktiven Merkmalen. Hierbei unterscheidet man beispielsweise „Oberklassenmerkmale“ (wie „konsonantisch“ oder „sonorantisch“) von „laryngalen Merkmalen“ (wie etwa Stimmhaftigkeit oder Aspiration), den Merkmalen der Art der Artikulation (z. B. Nasalität) und den Merkmalen des Ortes der Artikulation (z. B. Labialität). Merkmale können entweder binär (z. B. Stimmhaftigkeit kann [+sth] oder [-sth] sein) oder, nach manchen Theorien, auch privativ, also entweder vorhanden oder nicht vorhanden sein. Letzteres trifft vor allem bei den Merkmalen zu, die darauf Bezug nehmen, wo die Laute artikuliert werden, also bei Ortsmerkmalen wie [labial], [dorsal] etc. Solche Merkmale sind nicht + oder -, sondern vorhanden oder nicht vorhanden. Zum Teil schließen sie sich auch gegenseitig aus.[1] Laute können demnach als Matrix von verschiedenen Merkmalen dargestellt werden (lineare Phonologie; segmentale Phonologie).

Phonologisches Lexikon

Die Phonemzusammensetzung eines Wortes (bzw. eigentlich Lexems) ist Teil unseres Wissens über Wörter; die Notwendigkeit, dies zu speichern, führt zur Existenz einer phonologischen Abteilung im Lexikon (phonologisches Lexikon). Wiederum bildet aber diese phonologische Form des Wortes eine Abstraktion gegenüber der tatsächlichen phonetischen Realisierung, die man als Sprecher bildet oder mit der man als Hörer konfrontiert wird. Zum Beispiel enthält im Deutschen die phonologische Darstellung des Wortes „Lob“ die Abfolge der Phoneme /l/, /o:/ (= langes o) und /b/. Wenn aber das stimmhafte /b/ bei der Aussprache im Auslaut steht, wird es als das Phon [p] stimmlos realisiert (die sogenannte Auslautverhärtung). Wird eine Form des Wortes „Lob“ gebraucht, die noch eine Endung besitzt, wie in „(des) Lobes“ und steht daher /b/ nicht mehr im Auslaut, so ist die Aussprache [b], d. h. das Phonem /b/ zeigt sich nur hier in seiner zugrundeliegenden Form.

Die phonologische Repräsentation eines Wortes ist nicht nur abstrakt in dem Sinn, dass über verschiedene Aussprachevarianten eines Phonems abstrahiert wird, es ist außerdem möglich, dass das phonologische Lexikon Einheiten enthält, die unterspezifiziert sind, d. h. die zwar einzelne Merkmale tragen, aber noch nicht alle Merkmale, die nötig wären um ein bestimmtes Phonem zu identifizieren. Es kann demnach sein, dass phonologische Repräsentationen erst im Zuge der Verwendung bzw. des Sprachverstehens mit Merkmalen aufgefüllt werden [2]

Phonologische Regeln und Prozesse

Das obige Beispiel der Auslautverhärtung ist bereits eine Illustration für einen weiteren Aufgabenbereich der Phonologie, nämlich die Entwicklung phonologischer Regeln, die Variation in den lautlichen Erscheinungen erklären, so zum Beispiel auch die Verteilung von [ç] und [x] oder die Vokalharmonie, wie sie etwa im Türkischen, Finnischen oder Ungarischen existiert.

Weiterhin sollen phonologische Prozesse erklärt werden, wie

Segmentierung

Die westliche Phonologie setzt häufig skriptizistisch eine Analyse auf Segmentebene voraus, d.h. sie verwendet Konsonanten und Vokale o.ä. Dies wird manchmal als Phonemik bezeichnet und ihr ergänzend gegenüber steht die nicht-lineare, suprasegmentale oder prosodische Phonologie, teilweise Prosodie genannt. Dieser holistischere Ansatz stellt die Merkmale in Merkmalsbäumen dar und versucht, Sprachen, in denen Tonhöhe oder Tonverlauf auf lexikalischer Ebene bedeutungsunterscheidend sind (z.B. chinesischen Sprachen), adäquat zu beschreiben.

Literatur

  • Hans Grassegger: Phonetik, Phonologie. Schulz-Kirchner, Idstein 2001, ISBN 3-8248-0483-2.
  • Tracy Alan Hall: Phonologie. Eine Einführung. De Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-11-015641-5.
  • Jörg Meibauer: Einführung in die germanistische Linguistik. 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-02141-0, S. 70–120.
  • Christina Noack: Phonologie. Winter, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8253-5796-2.
  • Karl-Heinz Ramers: Einführung in die Phonologie. 2. Auflage. Fink, München 2001, ISBN 3-7705-3265-1.
  • Sven Staffeldt: Einführung in die Phonetik, Phonologie und Graphematik des Deutschen. Ein Leitfaden für den akademischen Unterricht. Tübingen 2010, ISBN 978-3-86057-295-5.
  • Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy: Grundzüge der Phonologie. Travaux du Cercle Linguistique de Prague 7, Prag 1939 (postum).

Einzelnachweise

  1. Siehe auch: Hall, 2000: S. 101-138
  2. Aditi Lahiri & Henning Reetz (2002): Underspecified Recognition. In Carlos Gussenhoven & Natasha Warner (eds.): Laboratory Phonology 7. Berlin: Mouton de Gruyter. pp. 637-675

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Phonologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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