Mir Ali Sher Nava'i

Mir Ali Sher Nava'i
Nawa'i auf einer sowjetischen Briefmarke

Mīr ʿAlī Schīr Nawā'ī (‏مير على شير نوائى‎, DMG Mīr ʿAlī-Šīr Nawāʾī), (* 9. Februar 1441 in Herat; † 3. Januar 1501 ebenda) eigentlich Nizām ad-Dīn ʿAlī Schīr, bekannt unter dem Dichternamen Nawā'ī (persisch: „der Weinende“), war ein zentralasiatischer Politiker, Bauherr, Mystiker und Dichter am Hofe der Timuriden in Herat.

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Kindheit und Jugend

ʿAlī Schīr entstammte einer wohlhabenden und gebildeten Familie uigurischer Bachschīs (Volkssänger) in der timuridischen Hauptstadt Herat. Sein Vater, Ghiyāth ad-Dīn Kītschkīna, war ein hoher Staatsbeamter. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er abwechselnd in Herat, Maschhad und Samarqand.

Nawā'ī als Staatsbeamter und Bauherr

1469 kehrte er in seine Heimatstadt Herat zurück, nachdem sein langjähriger Schulfreund Husayn Bāyqarā zum neuen Sultan ernannt worden war. Über eine literarische Tätigkeit Nawā'īs vor dieser Zeit ist nicht viel bekannt. Er interessierte sich schon früh für Politik und für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen in Herat und im restlichen Timuriden-Reich. In Herat übernahm er deshalb die frühere Position seines Vaters und wurde hoher Staatsbeamter unter seinem Milchbruder Sultan Husayn Bāyqarā. In dieser Zeit bewies Nawā'ī vor allem sein Talent als Bauherr und Stadtplaner. Er ließ in Khorasan etwa 370 Schulen, Moscheen, Bibliotheken, Kranken- und Wohltätigkeitshäuser restaurieren oder neu errichten. Zu seinen bekanntesten Bauwerken gehören der Ichlāsiyya-Komplex in Herat, sowie das Mausoleum des persischen Dichters Attar in Nischapur. Besonders Herat erblühte während dieser Zeit. Der Orientalist René Grousset schrieb über Herat, die Stadt sei zu jener Zeit „Persiens Florenz der timuridischen Renaissance“ gewesen.

Nawā'ī als Künstler und Dichter

In Herat beschäftigte sich Nawā'ī zunehmend mit Malerei, Musik und Dichtkunst. Er wurde ein Mitglied des Naqschbandi Sufi-Ordens (Tariqa) und ein Schüler des bekannten persischen Mystikers Dschāmī. Ihm zu Ehren schrieb er später sein Chamsat al-mutaḥirīn (‏خمسة‌المتحيرين‎ - "Das Quintet der Erstaunten"). Nawā'ī war ebenfalls eng befreundet mit dem indischen Geschichtsschreiber Chwānd Mīr, mit den Sufi-Musikern Qul Muhammad und Scheich-e Nay'ī, sowie mit dem bekannten persischen Maler Behzād, dessen Werke er stark beeinflusste. Nawā'ī schrieb zuerst in persischer Sprache - damals jedoch unter dem Künstlernamen Fānī (‏فانى‎ - "der (Ab-)Sterbende"). Die meisten Gedichte behandelten die klassischen Themen des Sufismus.

Wofür er aber bis heute ganz besonders verehrt wird, sind seine auf Tschagataisch verfassten Gedichte. Als erster angesehener Dichter und Staatsmann beschäftigte sich Nawā'ī systematisch mit dieser, ihm noch als "Türkisch" bekannten Sprache - seiner Muttersprache. Er verfasste zu ihrer Verteidigung sein bis heute hin bekanntestes Werk, das Muḥākimāt al-luġatīn (‏محاكمة‌اللغتين‎ - "Vergleich zweier Sprachen"), in dem er seine Muttersprache mit der damals dominanten Kultur- und Literatursprache, dem Persischen, vergleicht und ihre (seiner Meinung nach) Überlegenheit dieser Sprache gegenüber dem Persischen zu beweisen versucht. Die zentralasiatischen Dichter, ganz besonders die turksprachigen, fordert er auf, nicht nur in Persisch und Arabisch zu schreiben, sondern auch in Tschagataisch.

Nawā'ī war zwar nicht der Erfinder der tschagatischen Dichtung, aber der Erste, der sich systematisch mit den Problematiken dieser Sprache im Vergleich zur etablierten persischen Dichtkunst befasste. Mit dem Werk Mīẓān al-auẓān (‏ميزان الاوزان‎) konvertierte er die typisch persische Rhythmik ins Tschagataische und standardisierte dadurch die Sprache, die zuvor von Dichter zu Dichter und von Stadt zu Stadt unterschiedlich war.

Bedeutung nach dem Tod

ʿAlī Schīr starb am 3. Januar 1501 in seiner Geburtsstadt Herat. Sultan Husayn Bāyqarā ließ eine große Trauerfeier organisieren, an dem die ganze Stadt teilnahm.

Nawā'ī hinterließ mehrere bekannte Werke, unter anderem vier Diwane (Gedichtsammlungen). Neben Persisch und Tschagataisch dichtete er auch einige Verse in Arabisch und Hindi. Das Tschagataische war noch lange nach Nawā'īs Tod in Persien und Indien unter dem Namen Nawā'īs Sprache bekannt. Im osmanischen Reich studierten türkische Dichter seine Werke und ließen sich von seinen Arbeiten stark beeinflussen, auch wenn diese in einer anderen Turksprache verfasst waren. Damit war endgültig die türkische Sprache (diesmal das Osmanische) als dritte Gelehrtensprache in der islamischen Welt etabliert.

In Tadschikistan und Usbekistan wird Nawā'ī heute als Volksheld gefeiert, bei den ersteren wegen seiner persischen Dichtung, bei den zweiteren wegen seiner tschagataischen Dichtung. Er gilt er bei den Turkvölkern als der größte turksprachige Dichter aller Zeiten und wird gleichgesetzt mit Dichtern wie Yunus Emre.

Das Mausoleum Nawā'ī befindet sich in Herat in der Nähe des Gauhar Shad-Komplexes und des Mausoleums seines Mentors Dschāmī.

Werke

Zu seinen wichtigsten Werken gehören unter anderem:

  • "Khamza" (türk. "Hamza"), bestehend aus 5 verschiedenen Geschichten, 50.000 Verse
  • "Divān-e Fānī", geschrieben in Ghazal-Form
  • "Farhād-o Shirin", die Nacherzählung einer bekannten orientalischen Liebesgeschichte und ein Bestandteil des "Khamza"
  • "Muhakamat al-Lughatayn", ein Vergleich zwischen Tschagataisch und Persisch
  • "Tārikh-e Muluk-e Adscham" ("Die Geschichte des persischen Volkes")
  • "Nasāyim ul-Muhabbat", eine Auflistung von 750 bekannten Sufi-Scheichs

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