Mohammed Lakhdar Hamina

Mohammed Lakhdar Hamina

Mohamed Lakhdar-Hamina (* 26. Februar 1934 in M'sila) ist ein algerischer Filmregisseur und Drehbuchautor. Zentrales Thema in seinen Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit der algerischen Unabhängigkeitsbewegung, der er zum Ende der 1950er Jahre selbst angehörte. Er ist bis heute der einzige Filmemacher vom afrikanischen Kontinent, der bei den Filmfestspielen von Cannes den Hauptpreis erringen konnte.

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Kindheit und Ausbildung

Mohamed Lakhdar-Hamina wurde 1934 in M'sila, im Nordosten Algeriens, geboren. Aufgewachsen in der Universitätsstadt Sétif begann er ein Studium in seinem Heimatland, dass er wegen des Algerienkriegs (1954–1962) unterbrechen und in Frankreich fortführen musste. Lakhdar-Hamina besuchte das Lycée Carnot in Cannes, wo sein Interesse für das Kino durch einen Kommilitonen, dessen Vater Kameramann war, geweckt wurde. 1958 wurde er in Frankreich zum Wehrdienst eingezogen, desertierte aber später, um sich der algerischen Widerstandsbewegung in Tunis anschließen zu können.[1] Im Auftrag der Front de Libération Nationale (FLN), der Nationalen Befreiungsfront, die für die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich kämpfte, studierte Lakhdar-Hamina ein Jahr später an der Fakultät für Film und Fernsehen der Akademie der Musischen Künste (FAMU) in Prag[2] und kehrte danach nach Tunis zurück. Dort schloss er sich dem 1960 gegründeten Service Cinéma der algerischen Exilregierung (GPRA) an und war 1961 an der Produktion von Djamel Chanderlis Filmen Yasmina, La Voix du peuple und Les Fusils de la liberté beteiligt, die allesamt den Algerienkrieg zum Thema haben.[3]

Erste Regiearbeiten

Nach der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962 baute Lakhdar-Hamina mit seinen ehemaligen Weggefährten aus Tunis das Office des Actualités Algériennes (OAA) auf, das er bis zur Schließung im Jahr 1974 leitete. Das OAA gab unter anderem aktuelle Wochenzeitschriften heraus und produzierte Lakhdar-Haminas erste eigene Filmprojekte in den 1960er Jahren.[1] In diesen war der Regisseur bemüht, die Lebensbedingungen des algerischen Volkes anzuprangern.[2] Ebenfalls in das Jahr 1962 fiel die Arbeit an dem Drehbuch von A. F. Sluc' Kurzfilm Sous le signe de Neptune an dem Lakhdar-Hamina mitschrieb, ehe er sich mit dem Dokumentarfilm Mais un jour de novembre (1964) selbst als Regisseur versuchte.

Ein Jahr nach der Entstehung von Gillo Pontecorvos Schlacht um Algier (1965), die zur ersten großen postkolonialen Filmproduktion in Algerien avancierte, feierte Lakhdar-Hamina mit Der Wind kommt von Aures (1966) sein Spielfilmdebüt. Das Drama, das den Leidensweg einer algerischen Mutter (gespielt von Keltoum) zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft nachzeichnet, war das erste Werk eines algerischen Filmemachers, das internationalen Beifall erhielt.[4] Der Wind kommt von Aures war 1967 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes vertreten. Zwar hatte Lakhdar-Hamina bei der Vergabe des Grand Prix gegenüber Michelangelo Antonionis später kultisch verehrten Blow Up das Nachsehen, erhielt aber den Preis für das beste Erstlingswerk. 1967 folgte mit Hassan terro Lakhdar-Haminas zweiter Spielfilm, in dem er sich eines ängstlichen Algeriers der Mittelschicht (gespielt von Rouïched) annimmt, den es ins Zentrum der Revolution verschlägt. Dort wird er wider Erwarten mit einem gefährlichen Terroristen verwechselt.

1970er Jahre und Triumph in Cannes

Autobiographischen Ursprungs war das 1972 inszenierte Drama Dezember, in dem sich Lakhdar-Hamina von dem Schicksal seines Vaters inspirieren ließ, der während des Algerienkriegs ums Leben kam.[1] Im Mittelpunkt des Spielfilms, der harsche Kritik an der französischen Kolonialpolitik übt und Folter jeglicher Art verdammt, steht ein Führer der algerischen Befreiungsbewegung FLN, der im Dezember 1960 von den Franzosen gefangen genommen wird. Um ihn zur Kollaboration zu zwingen, lässt ein Oberst (gespielt von Michel Auclair) vor seinen Augen Geiseln hinrichten, allerdings nur zum Schein, da der Franzose selbst von Gewissensbissen geplagt wird. Erst im Nachhinein stellt sich heraus, dass die Offiziere dem Befehl zuwider gehandelt und tatsächlich getötet haben und auch der hartnäckig schweigende FLN-Führer muss das gleiche Schicksal erleiden.

Den Höhepunkt in Lakhdar-Haminas Filmkarriere ebnete ihm sein vierter Spielfilm Chronik der Jahre der Glut (1975), mit dem er nach 1967 zum zweiten Mal im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes vertreten war. Die fast dreistündige und in sechs Kapiteln unterteilte Chronik der Entwicklung Algeriens von 1939 bis zum Ausbruch Revolution 1954, aufgezeigt am Schicksal einer armen algerischen Familie, war bereits im Vorfeld mit Lob seitens der Kritikern bedacht und als Favorit auf die Goldene Palme gehandelt worden.[5] Tatsächlich zeichnete die Jury unter Vorsitz der französischen Schauspielerin Jeanne Moreau den Film mit dem Hauptpreis des Festivals aus. Lakhdar-Hamina setzte sich dabei unter anderem gegen so bekannte Regiekollegen wie Michelangelo Antonioni (Beruf: Reporter), Werner Herzog (Jeder für sich und Gott gegen alle) oder Martin Scorsese (Alice lebt hier nicht mehr) durch. Auch in Deutschland erhielt der Film ein positives Echo, wo der film-dienst ihn in seiner zeitgenössischen Kritik als „künstlerisch bemerkenswertes Geschichtsepos über den Befreiungskampf des algerischen Volkes“ lobte.[6] Chronik der Jahre der Glut wurde noch im selben Jahr als Algeriens offizieller Beitrag für eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film ausgewählt, konnte sich aber nicht unter den fünf nominierten Filmen platzieren.[7]

Ausklang der Filmkarriere

Nach dem Erfolg von Chronik der Jahre und der Glut wurde Lakhdar-Hamina 1981 Vorsitzender des Office national cinématographique des industries du cinéma (ONCIC), dem nationalen Amt für die algerische Filmindustrie.[3] Ein Jahr später stellte er in dem Spielfilm Vent de sable (1982) erneut eine algerische Familie in den Mittelpunkt, die mit einer Palmenplantage den Wüstenstürmen zu trotzen versucht. Für diesen wie auch seinen bisher letzten Film, der Jugendfilm La dernière image (1986), erhielt er eine Einladung zu den Filmfestspielen von Cannes. In diesem spielt die Französin Véronique Jannot die Hauptrolle einer jungen und attraktiven Lehrerin, die in einem algerischen Dorf zum Objekt der Begierde eines jüdischen Arbeitskollegen (gespielt von Michel Boujenah) und eines algerischen Jungen (Merwan Lakhdar-Hamina) avanciert.

Neben der Arbeit als Filmregisseur und Drehbuchautor betätigte sich Lakhdar-Hamina als Produzent der preisgekrönten Filme Remparts d'argile (1968) und Le Bal – Der Tanzpalast (1983) von Jean-Louis Bertucelli beziehungsweise Ettore Scola. Auch übernahm der algerische Filmemacher selbst kleine Schauspielrollen in seinen Filmproduktionen und setzte auch seinen 1962 geborenen Sohn Malik in Dezember und La dernière image ein. Malik Lakhdar-Hamina trat 1993 in die Fußstapfen seines Vaters und inszenierte das Familiendrama Oktober in Algier, dass zwei Jahre später als offizieller algerischer Beitrag für eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film eingereicht wurde.[8]

Ins Gedächtnis der französischen Öffentlichkeit rief sich Lakhdar-Hamina im Februar 2003, als er auf einer Veranstaltung in Bukarest Stellung zur Irak-Krise nahm und die Position des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac gegenüber den Vereinigten Staaten heraushob und diesen als „Robin Hood der arabischen Länder und der Dritten Welt“ lobte.[9] Im selben Jahr wurde bei den Filmfestspielen von Cannes eine digital überarbeitete Version seines Erfolgsfilms Chronik der Jahre der Glut gezeigt. 2007 wurde Lakhdar-Hamina mit einer Reihe von Hommagen im Pariser Institut du monde arabe, auf den 60. Filmfestspielen von Cannes, auf dem erstmals ausgetragenen Festival international du Film arabe in Oran und dem Cairo International Film Festival geehrt.

Filmografie (Auswahl)

  • 1964: Mais un jour de novembre (Dokumentarfilm)
  • 1966: Der Wind kommt von Aures (Rih al awras)
  • 1967: Hassan terro
  • 1972: Dezember (Décembre)
  • 1975: Chronik der Jahre der Glut (Chronique des années de braise)
  • 1982: Vent de sable
  • 1986: La dernière image

Auszeichnungen

Internationale Filmfestspiele von Cannes

  • 1967: Preis für das Beste Erstlingswerk und nominiert für den Grand Prix für Der Wind kommt von Aures
  • 1975: Goldene Palme für Chronik der Jahre der Glut
  • 1982: nominiert für die Goldene Palme für Vent de sable
  • 1986: nominiert für die Goldene Palme für La dernière image

Moscow International Film Festival

  • 1967: nominiert für den Grand Prix für Der Wind kommt von Aures

Literatur

  • El Kenz, Nadia: L'odyssée des cinémathéques : la cinémathèque algérienne ; à la recherche d'une mémoire perdue (de Méliès à M. Lakhdar Hamina). [Algiers] : Editions ANEP, 2003. – ISBN 9789961768303
  • Corbin, Hubert ; Driguez, Michèle: Cinéma méditerranéen : actes des 8èmes Rencontres de Montpellier, 31 octobre-9 novembre 1986. Montpellier : Publié par la Fédération des oeuvres laïques de l'Hérault, 1987

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c vgl. Biografie bei dilap.com (französisch; aufgerufen am 2. Mai 2008)
  2. a b vgl. Profil bei evene.fr (französisch; aufgerufen am 2. Mai 2008
  3. a b vgl. Biografie bei algeriades.com (französisch; aufgerufen am 2. Mai 2008)
  4. vgl. Algeria. In: Encyclopaedia Britannica 2008 Ultimate Reference Suite. Chicago: Encyclopædia Britannica, 2008.
  5. vgl. Algeria wins Grand Prix award at Cannes festival. In: The Times, 24. Mai 1975, Heft 59404, S. 4
  6. vgl. Lexikon des internationalen Films 2000/2001 (CD-ROM)
  7. vgl. Filmprofil auf der Offiziellen Webpräsenz Lakhdar-Haminas (englisch; aufgerufen am 2. Mai 2008) (mittlerweile geschlossen)
  8. vgl. Profile von Oktober in Algier und Malik Lakhdar-Hamina bei cinemed-tm.fr (französisch; aufgerufen am 1. Mai 2008)
  9. vgl. Mohamed Lakhdar Hamina: "Jacques Chirac, Robin des bois des Arabes". Agence France Presse, 22. Februar 2003, Informations générales, Bucarest

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