Moorleiche Rosalinde

Moorleiche Rosalinde

Die mittelalterliche Moorleiche Frau von Peiting, populärwissenschaftlich auch Rosalinde genannt, wurde 1957 im oberbayrischen Peiting im Schwarzlaichmoor in einem Sarg aus Kiefernbohlen im Torf gefunden. Der Fund wird auf die Zeit um das Jahr 1100 datiert.

Inhaltsverzeichnis

Fundumstände

Am 23. Juli 1957 stießen Arbeiter mit einem Bagger auf die Kiefernkiste. Die Arbeiten wurden eingestellt und die Kiste in der Hoffnung auf einen Schatzfund geöffnet. Im Sarg fanden sie die gut erhaltene Leiche einer Frau mit auf der Brust verschränkten Armen. Der Leiter der Torfabbaufirma Momm & Co. KG aus Kaufbeuren, Herr Krätzig, ließ die Kiste wieder mit Torf bedecken, um ein Austrocknen zu verhindern, und meldete den Fund den zuständigen Behörden. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege übertrug die Bergung, Konservierung und wissenschaftliche Auswertung des Fundes Rudolf Ullemeyer und Karl Schlabow vom Textilmuseum Neumünster in Schleswig-Holstein, aufgrund ihrer großen Erfahrungen auf dem Gebiet der Moorleichen. Der Sarg wurde für den Transport mit einem Bretterverschlag gesichert und in einem Lieferwagen nach Neumünster transportiert. Am 5. August 1957 begannen die Konservierungsarbeiten. Die Leiche, der man hier den Namen Rosalinde gab, wurde in einem Bad aus Eichenlohe, der Sarg mit Methylzellulose und die Stiefel mit Dégras, einem Gerberfett, konserviert. Da weder das Landesamt für Denkmalpflege in Bayern noch die Gemeinde Peiting nach der abgeschlossenen wissenschaftlichen Auswertung Anspruch auf den Fund erhoben, wurde die Moorleiche im Textilmuseum Neumünster ausgestellt.

Erst 1987 forderte die Gemeinde Peiting den Fund zurück, um ihn im Schongauer Heimatmuseum zu ihrem 550. Jahrestag ausstellen zu können. Nach einem drohenden Rechtsstreit einigten sich die Gemeinde Peiting und das Textilmuseum Neumünster auf eine Leihgabe der Leiche zur 550-Jahresfeier der Gemeinde. Zur Zeit gehört der Fund dem Textilmuseum Neumünster, das Torfmuseum Rottau verfügt über ein Modell des Fundes.

Untersuchungsergebnisse

Der Sarg

Die Sargkiste ist aus Kiefernbrettern mit vierkantigen Holzdübeln zusammengefügt. Die Breite des Sarges beträgt 35 cm unten und 39 cm oben, die Höhe beträgt 37 cm und die Gesamtlänge 180 cm. Die aus einem Baumstamm von mindestens 50 cm Durchmesser stammenden Bretter sind auf eine ungleichmäßige Dicke von etwa 4 bis 5 cm gesägt. Alle Löcher für die Dübel wurden mit einem Hohleisen eingeschlagen, zudem weisen Sargkiste und Deckel an allen vier Ecken daumendicke Bohrlöcher auf, deren Späne sich noch im Sarg befanden. Aus diesen Löchern wurden Reste von Weiden-/Bastseilen geborgen. Eine C14-Analyse des Sargholzes ergab eine Datierung um 1110 (Fällzeit) - 80 Jahre.

Die Leiche

Der Erhaltungszustand des 152 cm langen Körpers und der Kleidung ist sehr gut. Lediglich das Gesicht, die unter dem Kinn liegenden Hände und Teile der Brüste sind vergangen, da diese nicht vollständig in der Moorflüssigkeit lagen. Das Skelett ist, wenn auch stark entkalkt, vollständig erhalten und zeigt keine Verletzungen. Die Haut ist durch die "Moorsäure" vollständig gegerbt und die weiblichen Geschlechtsmerkmale sind deutlich zu erkennen. Das Fettgewebe der Leiche ist zu Leichenwachs verändert. Die Sektion der Leiche ergab, dass die Frau noch kurz vor ihrem Tode ein Kind gebar und wahrscheinlich im Wochenbett verstarb, was auch durch das extrem geweitete Bauchgewebe der Toten angezeigt wird. Alle inneren Organe sind vollständig und gut erhalten. Das Körpergewebe der Leiche ist bis in die feinsten Strukturen überaus gut erhalten und für einen Moorleichenfund einmalig. Die Frau war bis auf eine verheilte Dickdarmentzündung und eine leichte überstandene Lungenspitzentuberkulose gesund. Das Fehlen von Harris-Linien (Wachstumslinien) an den Knochen zeigt an, dass die Frau beim Heranwachsen keine Mangelernährung oder Krankheiten zu erleiden hatte. Das Gebiß der Frau wies 3 fehlende und 4 kariöse Zähne auf. Die letzte Nahrung nahm die Frau etwa 6 bis 8 Stunden vor ihrem Tode zu sich. Die Frau hatte leicht melierte, 15 cm lange Haare, die sie zurückgekämmt trug. Analysen der Schädelnähte und des Gebisses ergaben ein Sterbealter der Frau von etwa 25 Jahren.

Die Kleidung

Die Frau trug ein knielanges helles Kleid aus Schafwolle. Der Stoff des Kleides ist auf der Vorder- und Rückseite in Falten gelegt, die auf Höhe unterhalb der Schultern vernäht sind und bis in den unteren Saum in Kniehöhe auslaufen. Durch die Einwirkung der Moorsäure ist die Wolle jetzt braun verfärbt. Spuren von Leinenresten auf dem Sargboden weisen auf eine Unterbekleidung hin. Dies ist einer der seltenen, erhaltenen Leinenreste aus Moorfunden. Weitere Wollreste am Unterkörper, dem Schritt und den Oberschenkeln lassen auf eine weitere, eventuell hosenartige, Unterbekleidung aus leichtem Wollgewebe schließen.

Um den Kopf trug die Leiche ein zweifarbiges Haarband in Brettchenwebtechnik, das bei einer Breite von 18 mm in 2 Teilen von 37 und 23 cm erhalten ist.

Eine Besonderheit sind die hohen Reiterstiefel aus Rind- und Ziegenleder, die nicht typisch für die Fundgegend sind, sondern auf Reiter- und Hirtenvölker Osteuropas, z. B. Ungarn, hindeuten. Die Stiefel wurden in einer sorgfältigen und aufwändigen Schuhmacherarbeit hergestellt, sie sind in Qualität und Erhaltungszustand aus dieser Zeit in Mitteleuropa einmalig. Der zylinderförmige Schaft ist oben schräg angeschnitten, mit eingenähten Verstärkungen bestehend aus weichem Ziegenleder. Sohle, Fußoberteil, Brandsohle sowie eingenähte Kappen an den Fersen sind aus hellbraunem Rindleder hergestellt. Das Nahtmaterial aus gezwirnten Flachsfäden ist durch die Moorsäure vergangen und die Stiefel konnten in Einzelteilen von der Leiche geborgen werden.

Bewertung

Das Fehlen jeglichen Schmuckes lässt vermuten, dass die Verstorbene keinen außergewöhnlich hohen Stand in ihrem sozialen Umfeld inne hatte. Im krassen Gegensatz zu den sehr aufwendig gearbeiteten Stiefeln der Frau steht ihre einfache und schmucklose Bekleidung. Die Herkunft der Frau ist nicht gesichert, denkbar wäre, dass sie aus Mittelosteuropa zugewandert ist, wie die in diese Region gehörenden ungewöhnlichen Stiefel andeuten. Die einfache Machart des Sarges, der nur grob und offenbar hastig gezimmert wurde, spricht für eine eilige Bestattung der Toten.

Rekonstruktion der Bestattung

Zum Zeitpunkt des Todes befand sich an der Bestattungsstelle noch ein Gewässer. Damit der Sarg mit der Toten nicht aufschwimmen konnte, wurden durch die Löcher des Sarges Seile gespannt und ihre Enden am Gewässergrund mit Steinen beschwert. Der Sarg wurde vermutlich von einem Boot aus versenkt. Mit der Zeit verrotteten zuerst die Seile am Kopfende, später die am Fußende, der Sarg neigte sich entsprechend und stieg an die Wasseroberfläche. Dadurch waren Teile des Kopfes und der vor der Brust verschränkten Unterarme nicht von Moorwasser umschlossen und wurden folglich auch nicht konserviert. Das Moor verlandete allmählich und es lagerte sich immer mehr Material im Gewässer ab, so dass der Sarg zum Zeitpunkt des Auffindens schließlich nur noch ca. 50 cm unterhalb der Wasseroberfläche lag.

Trivia

Die Tatsache, dass die Frau in einem Moor und nicht auf einem Friedhof bestattet wurde, könnte darin begründet liegen, dass sie vor ihrem plötzlichen Tod eventuell ein nichteheliches Kind gebar. Ein weiterer Grund für die Bestattung im Moor könnte aber auch in der mittelalterlichen Kirchenlehre begründet liegen, wonach ungesegnet gestorbene Wöchnerinnen nicht in gesegneter Erde bestattet werden durften. Man glaubte außerdem, dass sie noch sechs Wochen lang nach dem Kind sehen würden, deshalb mussten sie mit neuen Schuhen bestattet werden, da man sonst ihre schlurfenden Schritte gehört hätte.

Literatur:

  • Karl Schlabow: Der Moorleichenfund von Peiting (Kreis Schongau in Oberbayern). Veröffentlichungen des Fördervereins Textilmuseum Neumünster e.V., Wachholz Verlag, Neumünster 1961
  • I. Linfert-Reich: Die Frau von Peiting. In: Kölner Römer-Illustrierte. Historische Museen der Stadt Köln, 1975

Weblinks:

47.81666666666710.97257Koordinaten: 47° 49′ 0″ N, 10° 58′ 21″ O


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