- Ariosoph
-
Ariosophie war die Bezeichnung, die Jörg Lanz von Liebenfels ab den 1920er Jahren für seine okkultistisch-rassistische Lehre benutzte. Der britische Esoterik-Forscher Nicholas Goodrick-Clarke verwendete die Bezeichnung in seiner Studie The Occult Roots of Nazism (1985; deutsch Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, 1997) in einem erweiterten Sinn auch für die verwandte Lehre des Guido von List („Armanenschaft“) sowie für die Ansichten der jeweiligen Anhänger innerhalb der Völkischen Bewegung.[1]
Inhaltsverzeichnis
Etymologie
„Der Begriff "Ariosophie" bedeutet okkulte, die Arier betreffende Weisheit. Er wurde 1915 das erste Mal von Lanz von Liebenfels verwendet und in den zwanziger Jahren zur Bezeichnung für seine Lehre.“ (Goodrick-Clarke)[1]
Lehre
Die Ariosophie entstand um die Jahrhundertwende des 19. zum 20. Jahrhundert in Wien als Verbindung von völkischem Nationalismus und Rassismus mit okkulten Begriffen aus der Theosophie Helena Petrovna Blavatskys. Als eigentlicher Begründer gilt Guido von List, als ein Vorläufer kann der Berliner Theosoph Max Ferdinand Sebaldt von Werth (1859-1916) gelten, von dem List einige okkult-rassische Spekulationen übernahm.[2] Die Ariosophie basiert auf der Vorstellung, dass es in vorgeschichtlicher Zeit ein Goldenes Zeitalter gegeben habe, in der die arische Rasse noch „rein“ gewesen und von einer weisen Priesterschaft geführt worden sei. Diese ideale Welt sei durch Rassenmischung zerstört worden, und darin lägen die Gründe für Kriege, wirtschaftliche Not und politische Unsicherheit. Um dem entgegenzuwirken, gründeten die Ariosophen geheime religiöse Orden mit dem Ziel, das verlorene okkulte Wissen wiederzuerwecken, die rassischen Tugenden der alten Germanen zu erneuern und ein neues alldeutsches Reich zu schaffen.[3]
Guido von List gründete zum Zweck der kulturellen Neugeburt der alten germanischen Religion die Guido-v.-List-Gesellschaft. Ihr innerer, esoterischer Kreis war der „Hohe Armanenorden“. Er schuf ein spirituelles System kreativer Ausdeutungen alter vorchristlicher Überlieferungen und berief sich hierbei auf eine Form mystischer Erkenntnis, die er „Erberinnern“ nannte. Zentrale Aussage ist das Postulat einer „arischen Urrasse“ in Nordeuropa. Unter allen Rassen sei sie die am höchsten entwickelte gewesen. Da im völkischen Umfeld die Zugehörigkeit zu einem Volk vorwiegend über rassische Merkmale definiert war, folgt daraus auch die Überlegenheit der Nachkommen dieser Urrasse – Indogermanen/Indoeuropäer/Arier und davon besonders Germanen im Allgemeinen, Deutsche im Speziellen – über alle anderen Völker.
Lanz von Liebenfels verknüpfte seinen rassistischen Extremismus mit seiner Idee eines „arischen Christentums“ und stellte dann den Kampf der Arier gegen die „Niederrassen“ in den Vordergrund. Ganz konkret ging es ihm um die Verhinderung von Rassenmischung und der aus dieser Vermischung resultierenden Schwächung der „arischen Heldenrasse“. Um dies zu verhindern, schlug er weitreichende Zuchtprogramme für Arier und Sterilisationsmaßnahmen für minderwertige Rassen vor. Liebenfels deutete die Bücher der Bibel und die Geschichte des Christentums auf obskure Art in Zeugnisse eines angeblichen Rassenkampfes um.
Zu den ariosophischen Organisationen gehörte auch der Neutempler-Orden.
Verhältnis zur Theosophie Blavatskys
Die Ariosophie verknüpft einige theosophische Gedanken der Helena Petrovna Blavatsky über Kosmologie, Symbolik und menschliche Evolution (Wurzelrassen) mit den Rassentheorien von Arthur de Gobineau und okkultem Runenglauben. Dabei werden Teile des Gedankenguts Blavatskys von ihrer zentralen Hauptlehre abgetrennt, welche die Begründung der „Bruderschaft der Menschheit ohne Unterschied der Rasse“ als unabänderliches Ziel anstrebt und die Höherentwicklung der Menschheit in der Verschmelzung aller Rassen sieht. Die Ariosophie erstrebt im radikalen Gegensatz dazu die Höherentwicklung der Menschheit durch eine Art „aristokratische“ Rassentrennung und postuliert eine Rassenhierarchie okkulten Ursprungs, welche durch biologische Züchtung und mystische Entwicklung ausgebaut werden soll.
Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus
Von der Ariosophie war die Ideologie der von Rudolf von Sebottendorf am Ende des Ersten Weltkriegs 1917/18 gegründeten Thule-Gesellschaft geprägt.[4][5] Auch Karl Maria Wiligut, der seit 1933 Mitglied der SS war, bezog sich deutlich auf ariosophische Konzepte.[6] Das historische Interesse an der Ariosophie rührt daher, dass sie in Beziehung zu den Ursprüngen und der Ideologie des Nationalsozialismus steht.[7] Nicht ohne Grund heißen Werke zu dem Thema Ariosophie:
- Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus (zuerst publiziert auf Englisch im Jahr 1985)
- Lanz von Liebenfels. Der Mann, der Hitler die Ideen gab (Wilfried Daims Biographie über Lanz von Liebenfels)
- Die Gnosis und der Nationalsozialismus (enthält unter anderem einen detaillierten Vergleich von Hitlers Mein Kampf und Lanz' Theozoologie)
Nicholas Goodrick-Clarke, der Autor des Buches Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, kommt zu dem Schluss, dass die Ariosophie die Nazi-Ideologie antizipiert hat. Insgesamt ist sie aber eher ein Symptom als eine historische Beeinflussung des Nazismus.[8] H. T. Hakl spezifiziert dies in dem Vorwort der deutschen Ausgabe des Buches von Goodrick-Clarke folgendermaßen: „Mag es auch (...) keinen direkten kausalen Konnex von der Ariosophie zur realen Organisation des Dritten Reiches gegeben haben, so hat sie doch einen wichtigen mythenbildenden und wahrscheinlich bis jetzt unterschätzen Anteil an den damaligen politischen Phantasien, die sich unmittelbar in einem Wahn des Auserwähltseins sowie des Für-Wahr-Haltens von Verschwörungsvorstellungen und damit auch in daraus folgenden politischen Aktionen niederschlug.“[9]
Wiederaufleben nach 1945
Ariosophische Ideen lebten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in verschiedenen neugermanischen Gruppen wieder auf, so im 1976 gegründeten Armanen-Orden, in der Arbeitsgemeinschaft naturreligiöser Stammesverbände Europas (ANSE), im Bund der Goden, im Bund für Gotterkenntnis und in der Artgemeinschaft von Jürgen Rieger.[10]
Literatur
- René Freund: Braune Magie? Okkultismus, New Age und Nationalsozialismus. Picus, Wien 1995, ISBN 3-85452-271-1
- Nicholas Goodrick-Clarke: The Occult Roots of Nazism. The Ariosophists of Austria and Germany 1890–1935. London 1985; deutsch: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Leopold Stocker Verlag, Graz 1997 ISBN 3-7020-0795-4 (2. Auflage 2000), ISBN 3937715487 (3. Auflage, Marix-Verlag, Wiesbaden 2004)
- H.-J. Glowka: Deutsche Okkultgruppen 1875-1937. Hiram Edition 12, München 1981.
- H. T. Hakl: Vorwort und Nationalsozialismus und Okkultismus. In: Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. 1997 (oder 2004?), S. 7–9 sowie S. 194–217.
- Franz Wegener: Weishaar und der Geheimbund der Guoten. Ariosophie und Kabbala, Gladbeck 2005, ISBN 3-931300-17-X
- Harald Strohm: Die Gnosis und der Nationalsozialismus. Suhrkamp, 1997. Überarbeitete Neuauflage: Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2005. ISBN 3-932710-68-1
Weblinks
- Kritische Betrachtung der Ariosophie aus neuheidnischer Sicht
- Nationalsozialismus und Okkultismus? Die Thule-Gesellschaft - Artikel der Evangelische Informationsstelle: Kirchen – Sekten – Religionen
Einzelnachweise
- ↑ a b Goodrick-Clarke 1997: 218 (Anmerkung 1 der Einleitung)
- ↑ Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. S. 50f
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 10f
- ↑ Evangelische Informationsstelle Kirche – Sekte – Religion: „In einer schwerpunktmässigen [sic!] Einteilung ordnet Glowka die Thule-Gesellschaft unter die "Ariosophen" ein. Unter "Ariosophie" ist eine völkisch-okkulte Geistesrichtung zu verstehen.“ [1]
- ↑ Das Verhältnis zwischen Ariosophie und der Thule-Gesellschaft wird in Kapitel 11 des Buches von Goodrick-Clarke Rudolf von Sebottendorf und die Thule-Gesellschaft erörtert.
- ↑ Kapitel 14 des Buches von Goodrick-Clarke Karl Maria Wiligut, The Private Magus of Heinrich Himmler
- ↑ siehe: Goodrick-Clarke 1985: 1
- ↑ „Ariosophy is a symptom rather than an influence in the way that it anticipated Nazism.“ Goodrick-Clark 1985: 202
- ↑ Hakl 1997: 7
- ↑ Rainer Fromm: Rechtsradikalismus in der Esoterik, in: Brennpunkt Esoterik, 3. Aufl. Hamburg 2006, S. 169-183
Wikimedia Foundation.