Nationalerziehung

Nationalerziehung

Die Nationalerziehung (seltener auch Nationalpädagogik) ist der Prozess der bewussten und/oder unbewussten Vermittlung „nationalkultureller“ Werte, Normen, Traditionen, Verhaltens- und Einstellungsmuster durch staatliche (z. B. Schule) und/oder gesellschaftliche (z. B. Familie, Massenmedien) Institutionen. Die Methodik und Didaktik der Nationalerziehung ist zeitgebundenen Veränderungen ausgesetzt. Gleich bleibend ist jedoch die Fokussierung auf das Subjekt der Nation bzw. des Nationalstaates als Bezugsgegenstand und Bezugsrahmen individueller und kollektiver Erziehung.

Inhaltsverzeichnis

Ziele

Nationalerziehung will Normen, Werte usw. vermitteln, die einen für alle Angehörigen einer Nation verbindlichen Status zugesprochen bekommen. In der Regel ist das inhaltliche Ziel die Erziehung der Menschen zu loyalen und aktiven Staatsbürgern im Sinne einer etablierten nationalen Staats- und Gesellschaftsphilosophie. Lange Zeit stand dabei die Vermittlung eines positiv verstandenen Nationalbewusstseins (vergleiche auch: Identitätsbewusstsein), d. h. des Bewusstseins, einem zeitlich-historischen Kontinuum anzugehören, welches sich auf gemeinsame Merkmale (z. B. Sprache, Abstammung) und kollektive Erfahrungen gründet, sowie die Vermittlung von Wissen über geschichtliche, politische und gesellschaftliche Strukturen, Prozesse und/oder Ereignisse im nationalstaatlichen bzw. „kulturnationalen“ Kontext, im Mittelpunkt der Nationalerziehung.

Nationalkulturelle Abgrenzung als Legitimationsinstrument

Die Annahme der Existenz bzw. die Konstruktion "nationalkultureller" Werte ermöglicht eine Abgrenzung zu anderen Nationen und die Legitimierung unterschiedlicher Wertesysteme zur unterschiedlichen Anwendung innerhalb und außerhalb einer Nation. Häufig ist die Konstruktion eines solchen Unterschiedes erforderlich, wenn eine Nation Ressourcen beansprucht, über die eine andere Nation jedoch die Verfügungsgewalt hat. Die Funktion der Nation kann sogar gerade darin bestehen, als Legitimationsinstrument[1] zu dienen und Eingriffe in andere Nationen mit anderen "Nationalkulturen" zu rechtfertigen. Die dafür erforderliche Konditionierung hat die Nationalerziehung zu leisten.

Ein praktisches Beispiel der Nutzung einer Nationalerziehung gibt China bei der Übernahme von Begriffen, deren Eindringen in die chinesische "Nationalkultur" nicht abgewehrt werden kann. Begriffe wie "Menschenrechte", "Rechtsstaatlichkeit" und "Marktwirtschaft" erhalten das Attribut "in chinesischer Färbung" (Zhong Guo Te Se, 中国特色) und damit eine kontrollierte neue Bedeutung. Diese Praxis der Nationalerziehung zeigt, dass "Nationalkultur" existiert, Nationalerziehung sich aber nicht nur auf die Vermittlung einer statischen und immer schon da gewesenen Nationalkultur beschränkt, sondern zur bedarfsgerechten Konstruktion einer instrumentalisierbaren Nationalkultur verwendet wird. Unter autoritären Regimen wird der Bedarf dabei nur von wenigen Offiziellen verordnet, aber auch in demokratischen Gesellschaften ist Nationalerziehung als Instrument einer rekursiv konstruierten Rechtfertigungsethik im Einsatz. Konkrete Beispiele liefern hier insbesondere kriegsführende Nationen.

Eine positive Wirkung von Nationalerziehung wäre die Erhaltung und der Ausbau der Zivilisationsleistungen, die innerhalb einer Nation im Verlauf einer langen Geschichte und häufig unter großen Opfern errungen wurden. Hier erscheint Nationalerziehung als Abgrenzungsinstrument gegen schädliche Einflüsse legitim. Dem stehen jedoch mindestens drei Tatsachen gegenüber:

  • Der Nutzen bzw. die Schädlichkeit externer Einflüsse wird innerhalb einer Nation von ihren Bürgern oft unterschiedlich bewertet. Beispiel: "Multikulti"-Debatte in Deutschland.
  • Nationale Errungenschaften wurden oft nicht nur unter Opfern innerhalb einer Nation erreicht, sondern durch Schädigung anderer Nationen. Erstarken letztere, dann ändern sich die Legitimationsmöglichkeiten aller beteiligten Nationen.
  • Es sind unternehmerische Organisationen entstanden, deren wirtschaftliche Kraft die Kraft von Nationen marginalisieren kann. Mit dem Erstarken globaler Unternehmen entstehen an deren Interessen angepasste Rechtfertigungsethiken, die mit nationalen Rechtfertigungsethiken nicht kompatibel sind, obwohl Unternehmen gerade die durch nationale Abgrenzung bewirkten Unterschiede dort erhalten möchten, wo ihnen das wirtschaftliche Vorteile bietet. Die Wahrheitskonstruktionen unternehmerisch orientierter Rechtfertigungsethiken werden derzeit jedoch akzeptiert, weil schon die Wahrheitskonstruktionen nationaler Rechtfertigungsethiken ein Unwissen pflegten, das nun die kritische Auseinandersetzung mit neuen Wahrheitskonstruktionen behindert.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Ulrich Beck: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie. 2002, ISBN 3518413627

Literatur

  • Johann Baptist Gradl: Deutschland als Aufgabe. Politik und Nationalpädagogik. Wissenschaft und Politik, Köln 1986, ISBN 3-8046-8671-0.
  • Helmut König: Zur Geschichte der Nationalerziehung in Deutschland im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Akademie-Verlag, Berlin 1960.
  • Jörg Judersleben: Philologie als Nationalpädagogik. Gustav Roethe zwischen Wissenschaft und Politik. 2000.
  • Heinz Stübig: Nationalerziehung. Pädagogische Antworten auf die „deutsche“ Frage im 19. Jahrhundert. Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts. 2006, ISBN 978-3-89974230-5.

Weblinks


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