- Soziale Norm
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Soziale Normen (Gesellschaftliche Normen, Soziale Skripte) sind konkrete Vorschriften, die das Sozialverhalten betreffen. Sie definieren mögliche Handlungsformen in einer sozialen Situation. Sie unterliegen immer dem sozialen Wandel, sind gesellschaftlich und kulturell bedingt und sind daher von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden. Normen sind (äußerliche) Erwartungen der Gesellschaft an das Verhalten von Individuen. Die Verbindlichkeit dieser Erwartungen variiert (siehe auch Tabu). Sie sind zu unterscheiden von (innerer) vernunftgemäßer Gewissensprüfung von Handlungen (siehe Moral, Ethik, kategorischer Imperativ).
Émile Durkheim war einer der ersten Soziologen, der die Wirkung normativer Regelungen untersuchte. Später erforschte insbesondere Talcott Parsons die Wirkung von Normen auf das Verhalten von Individuen.
Inhaltsverzeichnis
Kontrolle und Wirkung von Normen
Die Einhaltung sozialer Normen wird von Mitmenschen oder von Personen in einer bestimmten Machtposition (z. B. Lehrern) kontrolliert. Sie können auf diese reagieren mit Sanktionen (Belohnung oder Bestrafung) oder mit Ignorieren (d. h. sie können reagieren, müssen es aber nicht).
Soziale Normen sind von den meisten Gesellschaftsmitgliedern (sozialen Akteuren) akzeptierte und vertretene Vorstellungen, Handlungsmaximen und Verhaltensmaßregeln wie z. B. (in unserer Kultur), dass man beim Essen nicht schmatzt, dass man den Hosenschlitz in einem unbeobachteten Moment zuzieht, oder dass man andere Menschen nicht anrempelt. Soziale Normen strukturieren so die Erwartungen der Interaktionspartner in einer Situation und machen das Handeln und Reagieren in einem gewissen Maße vorhersagbar; sie reduzieren daher Komplexität im sozialen Miteinander, engen aber die Verhaltensmöglichkeiten auch ein.
Normvorstellungen können miteinander konkurrieren (vgl. Soziale Rolle). Systemtheoretisch aufgefasst stehen sie jedoch miteinander in einem hierarchischen Bezug, bei dem die jeweils weiter „oben“ angesiedelten Handlungsempfehlungen einen Allgemeinbegriff einsetzen, wo die Einzelnorm einen besonderen Fall beschreibt. Beispiel: Eine Einzelnorm besagt, dass man beim Essen (begründet z. B. mit der Verletzungsgefahr) kein Nahrungsmittel mit dem Messer aufspießen und zum Mund führen soll. Beim Verzehr eines Frankfurter Handkäses gilt jedoch die umgekehrte Norm, dass aufgrund ortsüblicher Sitte ausschließlich mit dem Messer verzehrt werden darf. Die allgemeinere Norm formuliert in diesem Fall: Man soll so speisen, wie es die jeweilige Verzehrsvorschrift anrät. Die gültige Ausnahme erzwingt und rechtfertigt (älterer/redensartlicher Sprachgebrauch: „bestätigt“) damit die Aufstellung einer allgemeineren Regel. Sehr weit vom konkreten Einzelfall abstrahierte allgemeine moralische Handlungsempfehlungen bezeichnet man als Maximen.
Die Einhaltung der sozialen Normen unterliegt der sozialen Kontrolle. Die Formen der Normabweichung reichen von bloßer Exzentrik bis hin zur Kriminalität. Auch der zivilisierte Umgang mit Normverstößen und eine wohldosierte und auf die Wiederherstellung von harmonischem Zusammenleben gerichtete Konfliktkultur sind fester Bestandteil gesellschaftlicher Norm.
Soziale Normen sind im realen gesellschaftlichen Zusammenleben nicht gleich gewichtig. Ihre Durchsetzung orientiert sich an ihrer Wertigkeit für die beteiligten Individuen bzw. dem Grad ihrer allgemeinen Akzeptanz. Ihre Bedeutung hängt von den Anstrengungen ab, die zu ihrer Durchsetzung unternommen werden. Bei hoher Relevanz z. B. beim Schutz der menschlichen Würde werden soziale Normen durch Gesetze kodifiziert und über Strafe (Sanktionen) durchgesetzt.
Normen werden häufig aus ethisch-moralischen Zielvorstellungen (Werten) abgeleitet. Verhält sich jemand entsprechend einer Norm, ohne dabei bewusst an die mit dieser Norm verbundenen Sanktionen zu denken, so hat er die Norm internalisiert. Normen dienen dazu, dass soziales Handeln vereinfacht wird, durch die Existenz von Normen wird es möglich, Erwartungen über das Verhalten anderer Personen zu bilden.
Der Zustand der Abwesenheit von sozialen Normen wird nach Durkheim als Anomie bezeichnet.
Sozialisation von Normen
Das Kind erlernt die jeweils in der Gesellschaft geltenden sozialen Normen während der Erziehung u. a. im Elternhaus und in der Schule kennen (Sozialisation). Mit den Jahren erweitert sich die Anzahl der Normen, und der Heranwachsende passt sich immer mehr der Gesellschaft an. Von einem erwachsenen Menschen erwarten die Leute, dass er die meisten Normen kennt und beachtet, sodass er in der Öffentlichkeit nicht unangenehm auffällt. Als Zeichen von höherer Bildung gilt es, wenn man die Einzelnormen aus den jeweils höher stehenden Maximen abzuleiten in der Lage ist („Einsicht in die Notwendigkeit“). Als Zeichen niedriger Bildung gilt die bloße Kenntnis und unreflektierte Befolgung der wichtigsten Einzelnormen („fremdbestimmtes moralisches Handeln“). Oberste Maxime der moralischen Erziehung ist die größtmögliche Hebung der moralischen Urteilsfähigkeit beim Individuum.
Normen in den Sozialwissenschaften
In den Sozialwissenschaften sind Normen Regelungen des sittlichen oder konventionellen Verhaltens der Menschen, die innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe gelten. Dazu gehören z. B. Sitten und Gebräuche, Verbote und Gesetze. Sie dienen dem Schutz von Werten, sie ermöglichen dem Individuum, zu leben und in der Gemeinschaft zusammenzuleben. Für den Einzelnen haben sie eine Entlastungsfunktion: Sie geben ihm Orientierung und befreien ihn von dem dauernden Druck sich selbst Verhaltensregeln suchen zu müssen. In einer offenen Gesellschaft sind Normen nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern unterliegen einem stetigen Legitimationsdruck.
Im Allgemeinen unterscheidet man drei Arten von (gesellschaftlichen) Normen: Kann-, Soll- und Mussnormen.
Empirischer Nachweis
Die Akzeptanz von Normen kann durch Beobachtung oder Befragung ermittelt werden. Die „Norm“ ist mitunter ein Mittelwert (arithmetisches Mittel, Median, Modalwert) bzw. allgemeiner ein Kennwert der Zentralen Tendenz. Ein bestimmter Bereich um diesen Mittelwert (z. B. eine Standardabweichung) wird als normal definiert, wobei im psychodiagnostischen Bereich der Begriff „durchschnittlich“ gebräuchlicher ist. Bei nicht normalverteilten Variablen werden für gewöhnlich Prozentränge herangezogen, um die statistische Norm festzulegen. Ein Prozentrang zwischen 25 und 75 kann zum Beispiel als durchschnittlich gelten, d. h. der Bereich, in dem 50 % der Werte in der Grundgesamtheit (Bevölkerung) liegen.
Abweichungen von diesem Durchschnittsbereich werden üblicherweise als „über-/unterdurchschnittlich“ bzw. „abweichend“ bezeichnet. Weitere übliche Begriffe sind „knapp“ und „stark überdurchschnittlich“ sowie bei klinischen Testverfahren „klinisch relevant“.
Dabei ist es generell wichtig zu beachten, dass jede Einzelmessung mit einem Messfehler behaftet ist, selbst eine Messung des Gewichtes und der Körpergröße, umso mehr physiologische Messungen (Blutdruck) und psychodiagnostische Messungen (Intelligenz, Extraversion, Angstneigung …). Daher kann nie mit absoluter Sicherheit gesagt werden, ob die tatsächliche Merkmalsausprägung (der „wahre Wert“) einer Person der beobachteten (soeben gemessenen) entspricht. Außerdem kann sich sogar der wahre Wert mehr oder weniger schnell verschieben, so kann sich die Persönlichkeit einer Person über das Leben hinweg verändern oder der Blutdruck durch die Aufregung des Arztbesuches erhöht sein, obwohl er sonst im Normbereich liegt.
Dabei gilt die Funktion einer technischen Einrichtung oder eines Organismus als Maßstab dafür, was als „normal“ zu gelten hat. Wenn eine Grippewelle eine Bevölkerung zu 60 % durchseucht hat, mag das „statistisch“ normal sein. Der menschliche Körper ist aber in seiner Funktion beeinträchtigt und hat keine „Normalfunktion“.
Dabei wird ein idealer oder moralischer Wert erstellt, an dem gemessen wird, was „normal“ ist. Die sportlichen Normen für die Olympiaqualifikation sind ein Beispiel für ideale Normen. Die sittlichen und christlichen Normen sind ein Beispiel für moralische Normen.
Befolgung von Normen oder ethische Gewissensprüfung
Ein sittliches Gebot setzt dem Handeln Wertmaßstäbe, z. B. „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu“ (Goldene Regel). Für mündige Menschen gewinnen Handlungsnormen nicht schon dadurch Gültigkeit, dass sie gegeben sind, sondern ihr Verpflichtungscharakter ergibt sich nach verantwortlicher Prüfung. Eine Norm, die nicht auf einem Wert gründet, hat keine sittliche Bindekraft.
Da die Befolgung von Normen eng an Belohnungen/Bestrafungen gekoppelt ist, kann sie durchaus im Widerspruch zu ethischen Grundsätzen stehen.
Literatur
- Hans Joas (Hrsg.): Lehrbuch der Soziologie. 3. Aufl., Campus-Verlag, Frankfurt, M./New York 2007, ISBN 3-593-37920-1 (dort Stichwort: „Kultur“ von Karl-Siegbert Rehberg)
- Hermann Korte: Soziologie. UVK-Verlag-Ges., Konstanz 2004, ISBN 3-8252-2518-6
- Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie: Philosophie und Wissenschaftstheorie, 1995/2004, (Stichworte: „Norm (handlungstheoretisch, moralphilosophisch)“ und „Norm (juristisch, sozialwissenschaftlich)“
- Heinrich Popitz: Soziale Normen. Suhrkamp, ISBN 978-3-518-29394-2
- Bernhard Schäfers, Johannes Kopp (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie. 9. Aufl., Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14686-6 (Stichwort: „Norm, Soziale“)
- Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hrsg.): Über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, 2005
Siehe auch
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