Nemesis (Mythologie)

Nemesis (Mythologie)
Nemesis-Statue aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.

Nemesis (griech.: Νέμεσις) ist in der griechischen Mythologie die Göttin des „gerechten Zorns“ sowie diejenige, die „herzlos Liebende“ bestraft. Sie wurde dadurch auch zur Rachegottheit.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft

Sie ist eine Tochter der Nyx („Nacht“) und des Okeanos oder Erebos und die Schwester von Eris, Hypnos, Ker, Momos, Philotes und Thanatos. Ihre Begleiterin ist die Göttin Aidos („Scham“). Nemesis bestraft vor allem die menschliche Selbstüberschätzung (siehe auch Hybris) und die Missachtung von Themis, der griechischen Göttin des Rechts und der Sittlichkeit. Ihre Attribute sind mannigfach. Unter anderem hält sie einen Zweig vom Apfelbaum in der Hand und wird von einem Greif begleitet. Wie die Erinys kann auch sie in der Mehrzahl – Nemeseis – angerufen werden. Zwei Nemeseis erschienen im Traum Alexander dem Großen (so Pausanias in seiner "Beschreibung Griechenlands" 7.5.1ff.), als er erschöpft von der Jagd unter einer Platane schlief: Sie forderten ihn zur Neugründung der Stadt Smyrna auf, wo sich ihre älteste Kultstätte befand. Das Orakel des Apollon zu Klaros bestätigte den Auftrag.

Zeus paarte sich mit Nemesis in der Gestalt eines Schwans, nachdem sie zunächst aus Scham und gerechtem Zorn vor seinen Nachstellungen geflüchtet war. Auf ihrer Flucht über das Meer verwandelte sie sich in einen Fisch, am Rand der Erde angelangt schließlich in eine Ente oder Gans, mit der Zeus als Schwan die Helena zeugte, um derentwillen schließlich der Trojanische Krieg geführt wurde.

In einer anderen Version der Geschichte spielt Aphrodite die Nemesis Zeus zu, indem sie sich als Adler auf den Schwan stürzt, der sich in den Schoß der Nemesis „flüchten“ kann. In beiden Erzählungen wird das Ei zu Leda gebracht, die Helena aufzieht – wenngleich sie nicht selbst die Mutter Helenas ist.

Bei Aischylos – „Der gefesselte Prometheus“ – heißt Nemesis auch Adrasteia („die Unentfliehbare“), in Ovids Metamorphosen – nach ihrem Heiligtum mit dem berühmten Kultbild in Rhamnous – Rhamnusia, die den Narkissos bestraft, weil dieser die Nymphe Echo und andere durch seine Unerbittlichkeit zugrunde gerichtet hat.

Nemesis als Rechtsbegriff

„Nemesis“ („Zuteilungen“) ist vor „Dike“ („Rechtsprechung“), „Dikaiosyne“ („Staatsrecht“) und „Nomos“ („Gesetz“) der erste von den Griechen entwickelte Rechtsbegriff. In den Hymnen, die unter dem Namen des „Orpheus“ erschienen, wird von ihr in der 62. Hymne, dem „Hymnos an Nemesis“, gesagt:

„Ich rufe Dich, Nemesis!

Höchste!
Göttlich waltende Königin!
Allsehende, Du überschaust
Der vielstämmigen Sterblichen Leben.
Ewige, Heilige, Deine Freude
Sind allein die Gerechten.
Aber Du hassest der Rede Glast,
Den bunt schillernden, immer wankenden,
Den die Menschen scheuen,
die dem drückenden Joch
Ihren Nacken gebeugt <haben>.
Aller Menschen Meinung kennst Du,
Und nimmer entzieht sich Dir die Seele
Hochmütig und stolz
Auf den verschwommenen Schwall der Worte.
In alles schaust Du hinein,
Allem lauschend, alles entscheidend.
Dein ist der Menschen Gericht.

(…)“ [1]

Danach ist „Nemesis“ eher im Sinne von „Beurteilung“ (von Meinungen, Reden usw.) zu verstehen, auf deren Grundlage dann eine Entscheidung gefällt wird, die den streitenden Parteien das ihnen Zukommende zuteilt. Der dahinter stehende Sinn ist, dass auf dieser gesellschaftlichen Entwicklungsstufe noch keine Stadtstaaten und kein Gesetz existierten und keine Rechtsprechung im modernen Sinne stattfand. Der Begriff führt zurück in die Anfänge der menschlichen Gesellschaft, in die Zeit des Matriarchats und der Jäger und Sammler, vor der Zeit der neolithischen Revolution. Es sind die Anfänge juristischen Denkens, die sich in diesem Begriff ausdrücken.

Siehe auch

Literatur

  • Karl Kerényi: Die Mythologie der Griechen – Die Götter- und Menschheitsgeschichten. dtv, ISBN 3-423-30030-2
  • Michael Grant und John Hazel: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten, dtv. ISBN 3-423-32508-9
  • Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie – Quellen und Deutung. rororo, ISBN 3-499-55404-6
  • Orpheus Altgriechische Mysterien Übertragen und erläutert von J.O. Plassmann, Diederichs, ISBN 3-424-00740-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zitiert nach: „Orpheus“ Altgriechische Mysterien übertragen und erläutert von J.O. Plassman, erschienen im Rahmen von Diederichs gelbe Reihe Eugen Diederichs Verlag Köln 1982, Seite 103 (Text redigiert, in spitzen Klammern Einfügung).

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