Nemesis (Stern)

Nemesis (Stern)

Nemesis ist der Name eines hypothetischen Begleiters unserer Sonne, der als Stern oder Brauner Zwerg die Sonne in einer Entfernung von etwa einem Lichtjahr bis drei Lichtjahren umlaufen soll. Seine Existenz wird aufgrund einer Periodizität von Kometeneinschlägen und Artensterben auf der Erde vermutet.

Postuliert wurde Nemesis unter anderem von Richard A. Muller. Dieser wurde dazu von Walter Alvarez[1], dem Begründer der Hypothese, die Dinosaurier seien durch die Folgen eines Kometeneinschlags auf der Erde ausgestorben, angeregt. Da auch die Meteoritenkrater auf der Erde eine eventuell übereinstimmende Altersstufung zeigen, bezieht Alvarez diese Hypothese zumindest mit in seine Überlegungen ein.

Der Name geht auf Nemesis, die Göttin des gerechten Zorns und der Vergeltung in der griechischen Mythologie, zurück.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung der Hypothese

David M. Raup und J. John Sepkoski untersuchten 1984 die früheren Artensterben auf der Erde und ordneten diese zeitlich ein. Dabei entdeckten sie, dass es regelmäßig zu Massensterben kam, deren zeitliche Abstände zwischen 26 und 33 Millionen Jahren liegen. Als Ausgangspunkt für die meisten theoretischen Rechnungen dient eine Periode von etwa 27 Millionen Jahren. In etwa demselben zeitlichen Abstand traten vermehrt Kometeneinschläge auf, sodass ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen vermutet wurde. In der Folgezeit wurde nun nach einer Ursache für die periodisch gehäuften Kometeneinschläge gesucht. Eine Erklärung dafür liefert ein möglicherweise existierender Begleiter der Sonne, welcher in regelmäßigen Abständen die Oortsche Wolke durchquert und mit seinem Schwerefeld die dort befindlichen Kometen aus ihrer Bahn wirft. Diese Kometen bewegen sich dann in die inneren Bereiche des Sonnensystems, wo es auf Grund der vergrößerten Kometenzahl statistisch auch häufiger zu Einschlägen auf Planeten kommt. Dieser hypothetische Sonnenbegleiter wurde Nemesis genannt.

Allerdings werden diese Ergebnisse prinzipiell angezweifelt, da bei einem Messfehler von zehn Prozent schon nach 320 Millionen Jahren die in Frage kommende Periodenlänge innerhalb des Messfehlers liegt und es andererseits bislang nicht den geringsten Hinweis auf diesen Stern gibt, der durch überprüfbare direkte Beobachtungen gestützt würde.

Nemesis als kleiner Stern

Sollte ein Stern für die periodisch wiederkehrende erhöhte Kometenanzahl verantwortlich sein, besitzt dieser natürlich auch physikalische Parameter. Seit dem Aufkommen der Theorie hat man versucht, diese soweit wie möglich mit Hilfe der bekannten physikalischen Gesetze und der existierenden Beobachtungen einzugrenzen.

Davis, Hut und Muller[2][3] beschreiben den hypothetischen Begleiter der Sonne als Braunen Zwerg auf einer Umlaufbahn mit durchschnittlicher Exzentrizität und seinem Perihel in der Oortschen Wolke. Diese wird bei jedem Durchlauf von Nemesis gestört, wodurch jeweils mehr als 109 Kometen auf Umlaufbahnen abgelenkt werden, die sie ins innere Sonnensystem führen, wo etwa zehn bis 200 von ihnen auf der Erde einschlagen.

Die Annahme, die vermehrten Einschläge auf der Erde würden durch von der Sonne eingefangene Kometen verursacht, wurde verworfen, da es mit diesem Modell überaus schwierig ist, stabile Perioden zu erzielen. Außerdem legt die Analyse von Einschlagkratern Objekte mit Ursprung im Sonnensystem nahe.

Das Modell von Jackson und Whitmire[4] stimmt im Wesentlichen mit dem obigen überein, allerdings erhalten sie eine Exzentrizität e ≥ 0,9, was noch mehr als bei Davis, Hut und Muller Anlass für Kritik war. Elliptische Umlaufbahnen erfordern nämlich mit steigender Exzentrizität eine immer bessere Abstimmung des Drehimpulses mit der Bahn, da sie sonst nicht stabil sind.

Laut den von Weinberg, Shapiro und Wasserman[5][6] durchgeführten numerischen Untersuchungen haben solche schwach gekoppelten Doppelsternsysteme mit den benötigten Eigenschaften, große Halbachse ~ 105 Astronomische Einheiten und 27 Millionen Jahren Umlaufzeit, eine zwar geringe, aber nicht vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit. Diese Simulationen berücksichtigen die Störungen durch vorbeiziehende Sterne und interstellare Gaswolken ebenso wie die Struktur der Gaswolken und auch die galaktischen Gezeitenkräfte.

Varum Bhalerao und M. N. Vahia[7] haben sich der Frage nach der größtmöglichen Masse von Nemesis gewidmet. Ausgehend von einem Zusammenhang zwischen den gehäuften Kometeneinschlägen auf der Erde und einem Objekt, das eine Störung in der Oortschen Wolke hervorruft, wurde diesem Objekt eine Umlaufzeit von 27 Millionen Jahren zugeordnet.

Lagrange-Punkte

Als Ursache für die auftretenden Störungen, die zu einer erhöhten Kometenanzahl führen, wird angenommen, dass die Bahnen dieser Kleinkörper gestört werden, wenn sie in die Nähe des ersten Lagrange-Punktes kommen, der zwischen Sonne und Nemesis liegt. Ausgehend davon soll die Leuchtkraft des Sterns ermittelt werden. Dazu wird angenommen, dass Nemesis in etwa so alt ist wie die Sonne, wodurch wesentlich schwerere Sterne ausgeschlossen werden können, da diese eine signifikant kürzere Lebenszeit besitzen und auf Grund ihrer höheren Leuchtkraft auch schon entdeckt worden wären. Auch Neutronensterne und schwarze Löcher können ausgeschlossen werden, da sie durch Akkretion eine relativ hohe Leuchtkraft besitzen.

Auf der Grundlage dieser Annahmen wurden numerische Simulationen durchgeführt, um die Parameter von Nemesis weiter eingrenzen zu können. Die dabei entstandenen Kurven der Leuchtkraft in Abhängigkeit von der Masse wurden mit den bisherigen Beobachtungen verglichen. Da der Tycho-2-Katalog bis m = 11,0 und der Guide Star Catalog II bis J = 19,5 komplett sind, kann man davon ausgehen, dass Nemesis eine geringere Leuchtkraft hat, da sie bis jetzt nicht beobachtet wurde. Dies führt zu einer oberen Grenzmasse, die bei etwa 44 Jupitermassen liegt. Der Einfluss der angenommenen Periode auf diesen Wert ist sehr gering. Allerdings könnte eine stark elliptische Bahn, deren Perihel in Sonnennähe liegt, noch eine Abweichung von maximal 47 Jupitermassen hervorrufen, da die Leuchtkraft noch einmal um 0,045 L sinken würde, wenn sich der Stern gerade im Aphel befindet.

E. R. Harrison[8] untersuchte Pulsare und deren Rotationsperiode. Diese sinkt mit zunehmendem Alter des Pulsars. Dabei stieß er auf eine Gruppe, deren Periode ungewöhnlich langsam abnimmt. Eine Erklärung hierfür wäre ein Begleiter der Sonne, der den Schwerpunkt des Sonnensystems beschleunigt. Harrison vermutete, es könnte sich um einen weißen, roten oder sogar schwarzen Zwerg handeln.

Heinrichs und Staller[9] beschäftigten sich mit Harrisons Hypothese und fanden verschiedene Argumente, die diese widerlegten. Zum einen würde ein solches Objekt die Bewegung der Planeten stören. Longitudinale Abweichungen in der Neptunbahn lassen sich beispielsweise nicht mit dieser Theorie erklären und sprechen sogar eher gegen diese. Ein schwarzer Zwerg kann auch ausgeschlossen werden, da er, wenn er existiert, im infraroten Bereich etwa die Leuchtkraft von Beteigeuze hätte und somit schon entdeckt worden wäre. Ähnliches gilt auch für einen roten und einen weißen Zwerg. Eine weitere Möglichkeit, die aufgetretenen Effekte zu erklären, wäre ein schwarzes Loch oder ein Neutronenstern. Dies wird jedoch von allen drei Wissenschaftlern als sehr unwahrscheinlich eingeschätzt.

Alternative Theorie

Laut Clube und Napier ist das Modell von Davis, Hut und Muller in von interstellaren Gaswolken dominierten Umgebungen instabil. Berücksichtige man nämlich die von den Gaswolken verursachten gravitativen Störungen des stark elliptischen Nemesisorbits, so verkürze sich die große Halbachse schon nach wenigen Umläufen auf 100 Astronomische Einheiten. Weiterhin sei das Modell außer Phase, und es wäre eine zusätzliche Periodizität mit etwa 250 Millionen Jahren bekannt. Clube und Napier gehen deshalb von der Annahme aus, die periodische Bewegung der Sonne durch eine dünne Trümmerschicht in der galaktischen Ekliptik sei die Ursache. Diese Annahme liefert eine Periode in der richtigen Größenordnung, allerdings würde es sich hierbei um eine Kollision mit extrasolaren Objekten handeln. Außerdem bemängeln Davis, Hut und Muller nun ihrerseits eine Phasenverschiebung: Die Sonne befinde sich zur Zeit nahe der galaktischen Ekliptik, aber die letzte Auslöschung liege etwa 11 Millionen Jahre, also nur eine halbe Periode zurück.

Einen weiteren Erklärungsversuch für die zyklischen Einschlagsereignisse – ohne eines Doppelsternes zu bedürfen – liefern Astronomen um Professor William Napier am Cardiff Institute. Eine von ihnen erstellte Simulation der Bewegung unseres Sonnensystems ergab, dass sich das Sonnensystem etwa alle 35 Millionen Jahre durch die Ebene der Milchstraße bewegt und dabei das Risiko von Einschlagereignissen auf der Erde zunimmt. [10].

Beobachtung

Falls Nemesis existiert, ist sie sehr wahrscheinlich leuchtschwach und besitzt nur eine geringe Radialgeschwindigkeit.

Entdeckt werden könnte Nemesis mit der Hilfe von Pan-STARRS (Panoramic Survey Telescope And Rapid Response System), einem Projekt zur kontinuierlichen Beobachtung des Sternenhimmels. Die vier 1,8-Meter-Teleskope, die in Hawaii auf Mauna Kea oder Haleakala errichtet werden sollen, werden in der Lage sein, Objekte mit einer scheinbaren Helligkeit bis zur 24. Größenklasse zu beobachten. Durch Abgleich mit früheren Beobachtungen sollte die Entdeckung vieler neuer Asteroiden, Kometen, veränderlicher Sterne und anderer Himmelskörper möglich sein. Darunter auch die von Nemesis mit ihrer großen Parallaxe, aber für Radialgeschwindigkeitsmessungen zu geringen Geschwindigkeit.

Parallel zu Pan-STARRS ist LSST geplant, ein ähnliches Vorhaben mit einem in Chile stationierten 8,4-Meter-Teleskop.

Handelt es sich bei Nemesis, wie von Whitmire und Jackson vorgeschlagen, um einen Braunen Zwerg, so sollte die von der NASA 2009 gestartete WISE-Mission mit ihrem satellitengestützten IR-Teleskop in der Lage sein, sie zu beobachten.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Walter Alvarez, Richard A. Muller, Nature April 1984 Seite 718 ff
  2. Marc Davis, Piet Hut, Richard A. Muller, Nature, April 1984, Seite 715 ff.
  3. Marc Davis, Piet Hut, Richard A. Muller, Nature Februar 1985 Seite 503
  4. Daniel P. Whitmire, Albert A. Jackson IV, Nature, April 1984, Seite 713
  5. Martin D. Weinberg, Stuart L. Shapiro, Ira Wasserman, 1986 Icarus 65, Seite 27 ff.
  6. Martin D. Weinberg, Stuart L. Shapiro, Ira Wasserman, The Astrophysical Journal 312, Januar 1987, Seite 367 ff.
  7. Varum Bhalerao, M. N. Vahia, 2005 Bull. Astr. Soc. India 33, Seite 27 ff.
  8. E. R. Harrison, Nature, November 1977, Seite 324 ff.
  9. H. F. Heinrichs, R. F. A. Staller, Nature, Mai 1978, Seite 132 ff.
  10. http://www.cardiff.ac.uk/news/articles/did-the-solar-system-bounce-finish-the-dinosaurs.html/

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