Nettozahler

Nettozahler

Als Nettozahler bezeichnet man einen Staat der Europäischen Union, der mehr in den EU-Haushalt einzahlt, als er wieder zurückerhält.

Inhaltsverzeichnis

EU-Haushalt

Die EU besitzt einen eigenen Haushalt. Sie verfügt auch über eigene Einnahmen, doch im Unterschied zu einem Staat hat sie keine Finanzhoheit, das heißt sie hat nicht das Recht, Steuern und Abgaben zu erheben.

Der Haushalt der EU ist per definitionem ausgeglichen: es gibt kein Haushaltsdefizit oder einen -überschuss. Auf unvorhersehbare Ereignisse wird mit der Aufstellung eines Nachtragshaushalts reagiert, in dem entweder umgeschichtet wird oder neue Einnahmen festgesetzt werden müssen.[1]

Einnahmen

Die EU erhält ihre Einnahmen von den Mitgliedsstaaten, die sie für die Union erheben und an sie weiterleiten müssen. Es gibt insgesamt fünf Einnahmequellen:

  1. Agrarzölle und Zuckerabgaben - Agrarzölle sind Abgaben auf landwirtschaftliche Erzeugnisse, die in die EU eingeführt werden und für die es in der Gemeinschaft einen festgesetzten Preis gibt. Liegt der Unionspreis über dem Weltmarktpreis, dann wird der Unterschied zum EU-internen Preis durch einen Zoll ausgeglichen, den Importeure zahlen müssen. Zum Beispiel werden Zucker- und Isoglukoseabgaben von den Zuckerfabriken abgeführt und dienen zur Deckung der Kosten für die Herstellung und Lagerung von Zucker.
  2. Zölle - Sie werden an den Außengrenzen der Gemeinschaft erhoben, wenn Waren aus Nicht-EU-Ländern eingeführt werden.
  3. Mehrwertsteuereinnahmen - Von seinen Mehrwertsteuereinnahmen gibt jeder Mitgliedstaat einen festen Anteil an die EU weiter. Er beträgt zur Zeit einen Prozentpunkt.
  4. Die vierte Einnahmequelle - Wenn die Ausgaben durch die bisher genannten Einnahmen nicht gedeckt sind, wird von allen Mitgliedstaaten ein Finanzbeitrag erhoben, der sich aus der jeweiligen Wirtschaftskraft berechnet.
  5. Sonstige Einnahmen - Hierzu gehören die Steuern, die den EU-Beamten und Bediensteten der EU-Organe von ihren Gehältern abgezogen werden. Außerdem fließen Geldbußen, die der Europäische Gerichtshof einzelnen Mitgliedstaaten oder Unternehmen auferlegt hat, dem EU-Haushalt zu. Beim Haushaltsentwurf kann lediglich mit den festen Einnahmen gerechnet werden. Geldbußen werden nicht im Vorhinein eingeplant.

Ausgaben

Im Jahr 2004 hat die EU rund 94 Milliarden Euro ausgegeben. Als Vergleich dazu: Der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland betrug im gleichen Jahr etwa 250 Milliarden Euro. Die EU-Ausgaben steigen in der Periode von 2007 bis 2013 auf 123 Milliarden Euro pro Jahr.

Beim EU-Haushalt wird zwischen Ausgaben, die sich aus den rechtlichen Verpflichtungen der EU ergeben, den sogenannten obligatorischen Ausgaben, und den übrigen, den nicht-obligatorischen Ausgaben unterschieden. Die Europäische Kommission stellt einen Entwurf für den Haushalt auf. Anschließend beschließen der Ministerrat und das Europäische Parlament (EP) über die tatsächliche Höhe einzelner Posten. Das Parlament kann bei den obligatorischen Ausgaben, die fast ausschließlich im Landwirtschaftsbereich liegen, nur Änderungen vorschlagen, es hat also keine Handhabe, sie auch zu beschließen. Bei den nicht-obligatorischen Ausgaben kann es jedoch Änderungen durchsetzen. Der Gesamtbetrag kann allerdings nur um einen bestimmten Prozentsatz gegenüber dem Vorjahr erhöht werden.

Die Ausgaben können wie folgt aufgeteilt werden:

  1. Landwirtschaft - 44,7 Mrd Euro, das sind rund 47 % des Haushaltsvolumens, fließen in die Landwirtschaftspolitik. Dieser hohe Anteil hat geschichtliche Ursachen, nach den Hungerjahren der Kriegs- und Nachkriegszeit wurde ein System eingerichtet, das die Versorgung sicherstellen soll. Für mehr als zwanzig Produktgruppen gibt es Marktordnungen, die unterschiedliche Schutzmaßnahmen vorsehen. Am umfassendsten sind Getreide, Zucker, Milch, Rindfleisch, Oliven und manche Obst- und Gemüsesorten geschützt. Hier gab es bis vor wenigen Jahren garantierte Absatzpreise, auch wenn der Markt dies nicht hergab. Der Anteil der Landwirtschaft an den Gesamtausgaben betrug Anfang der siebziger Jahre über 80%.
  2. Strukturpolitik - In diesem Bereich werden Beihilfen für benachteiligte Regionen zur Verfügung gestellt, im Jahr 2004 34,3 Mrd. Euro oder 36,3 %. Diese Gelder sollen helfen, in ärmeren Regionen die Voraussetzung für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung zu schaffen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die Gelder werden meist als Beihilfen gezahlt, den Rest trägt ein Mitgliedstaat oder eine Region oder ein sonstiger Projektpartner.
  3. Interne Politiken - Dazu zählen Justiz und Inneres, Forschung und Entwicklung, Verkehr, Energie und Betrugsbekämpfung. Dafür werden 7 Mrd. Euro oder 7,4 % der Mittel ausgegeben. In diesen Bereich fällt z. B. auch das Austauschprogramm Erasmus, das Studenten einen Aufenthalt im Ausland erleichtert.
  4. Externe Politiken - Sie schlagen mit 4,9 Mrd Euro oder 5,2 % zu Buche. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit den Ländern außerhalb der EU, etwa den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten oder Südafrika, wie auch Nahrungsmittelhilfen oder Geld für den Aufbau demokratischer Strukturen.
  5. Verwaltungsausgaben - Die Ausgaben für die Verwaltung stiegen 2004 stark an und betragen rund 6 Mrd. Euro oder 6,3 %. Der Anstieg ist durch die Erweiterung zu erklären, durch die vor allem im Sprachendienst, bei den Dolmetschern und Übersetzern, neue Planstellen eingerichtet werden müssen. Zu den Verwaltungsausgaben gehören Löhne und Gehälter der Mitarbeiter und Beamten, Mieten und Kredittilgungen für Gebäude, Telefonkosten usw.

Nettozahler und Nettoempfänger

In der EU ist der Anteil, den Deutschland brutto, d. h. ohne Berücksichtigung der Rückflüsse, in den EU-Haushalt einzahlt, ungefähr 25%. Der Anteil Österreichs beträgt ungefähr 2,7 %. "Ungefähr" deshalb, weil nicht alle Einzahlungen in den Haushalt einem bestimmten Mitgliedstaat zugerechnet werden können. Waren aus den USA erreichen die EU beispielsweise über den Hafen von Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg und werden dort verzollt. Verkauft werden sie beispielsweise in Frankreich, Luxemburg, Italien, Zolleinnahmen aber dem Ankunftshafen zugerechnet. Deshalb gibt es keine wirklich korrekte Aufstellung darüber, welches Land wie viel einzahlt.

Deutschlands Anteil an der Bevölkerung der EU beträgt im Vergleich dazu 22 %, der Anteil der Bevölkerung Österreichs 2,2 %.

Deutschland erhält als Flächenland mit einer nicht unbedeutenden Landwirtschaft Gelder aus dem Landwirtschaftsfonds. Insbesondere die Neuen Bundesländer erhalten Fördergelder aus den Strukturfonds. Allerdings wurden die Zahlungen der BRD an die EU 1990 um genau den Betrag erhöht, mit dem die EU die ehemalige DDR förderte. Dies lag daran, dass die bestehenden (Netto-)Zahlungsvereinbarungen nach dem Beitritt der DDR nicht angepasst werden konnten. Im Rahmen der Beitragsverhandlungen in den 1990er Jahren stieg der deutsche Netto-Beitrag an, obwohl das wiedervereinigte Deutschland im Verhältnis zu den anderen EU - Mitgliedstaaten ein deutlich niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen aufwies, als Westdeutschland vor der Wiedervereinigung. In deutlich geringerem Maße erhalten auch andere wirtschaftlich benachteiligte Regionen Gelder aus diesen Töpfen, etwa Regionen mit Schwerindustrie oder mit Werften.

Tabelle: Geber- und Nehmerländer im EU-Haushalt des Jahres 2005 (rot - Nettozahler; blau - Nettoempfänger; Werte in Klammern aus dem Jahre 2004)

Land Einw. in Mio. BIP/Kopf in EUR Saldo in Mio. EUR
2005
Saldo in Mio. EUR
2004
in % vom BNE EUR pro Einw.
2005
EUR pro Einw.
2004
Niederlande 16,3 30.800 2.637 2.035 0,52 162 125
Luxemburg 0,47 64.300 87 93 0,36 185 198
Schweden 9,1 31.900 867 1.060 0,30 95 116
Deutschland 82,4 27.300 6.064 7.141 0,27 74 87
Belgien 10,4 28.500 607 536 0,20 58 52
Frankreich 60,7 27.300 2.884 3.051 0,17 48 50
Italien 58,8 24.200 2.200 2.947 0,16 37 50
Dänemark 5,4 38.400 265 225 0,13 49 41
Österreich 8,3 29.900 278 365 0,11 34 44
Großbritannien 60,4 29.400 1.529 2.865 0,08 25 47
Finnland 5,2 29.600 85 70 0,05 16 13
Tschechien 10,2 9.620 178 272 0,19 17 27
Slowenien 2,0 13.700 102 110 0,37 51 55
Spanien 44,1 20.900 6.018 8.502 0,68 136 193
Zypern 0,72 17.700 90 64 0,69 125 89
Ungarn 10,1 8.710 590 193 0,72 58 19
Slowakei 5,4 7.080 271 169 0,73 50 31
Polen 38,6 6.380 1.853 1.438 0,80 48 37
Irland 4,2 38.700 1.137 1.594 0,83 271 380
Estland 1,3 7.820 154 145 1,54 118 112
Portugal 10,5 14.000 2.378 3.124 1,64 226 298
Malta 0,40 11.100 90 45 2,07 225 113
Lettland 2,3 5.560 264 198 2,09 115 86
Griechenland 11,1 16.300 3.901 4.163 2,19 351 375
Litauen 3,4 6.030 476 369 2,35 140 109

Quelle: EU-Kommission 2006, Statistisches Jahrbuch 2006 für das Ausland (von destatis) ** Quellenangabe unsicher: siehe Diskussion

Die Bilanz des Jahres 2005 wirft einige Fragen auf. Warum erhalten die Einwohner Portugals, Irlands und Griechenlands weiterhin deutlich mehr Unterstützung pro Kopf als die in den neuen Mitgliedstaaten Ungarn oder Tschechien? Jeder Ire erhält mehr als das 15-fache eines Tschechen, obgleich Irland im Jahre 2005 unter den EU-Staaten nach Luxemburg das zweithöchste Bruttoinlandprodukt/Kopf aufweist.

Überdurchschnittlich profitieren neben den genannten Ländern Irland, Portugal und Griechenland auf der Nehmerseite noch Spanien, dessen Bruttoinlandsprodukt 2006 nur mehr wenig unter dem EU-Schnitt liegt, das aber andererseits weit höhere Wachstumsraten als manche reicheren Länder aufweist und etwa Italien und Deutschland in wenigen Jahren überholen dürfte. Auf der Geberseite fallen vor allem die geringen Belastungen Großbritanniens (Britenrabatt), Dänemarks, Finnlands und Österreichs auf.

Überdurchschnittliche Belastungen (gemessen an der jeweiligen Leistungsfähigkeit) tragen Deutschland, Schweden sowie die Niederlande, wobei in letzterem Fall die hohen Zolleinnahmen am Rotterdamer Hafen, welche schließlich in andere EU-Länder gelangen, ein verzerrtes Bild zeichnen.

Kritik Nettozahlerbegriff

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Von Kritikern wird gesagt, dass eine Fixierung auf Nettozahlungen dazu beiträgt, dass die Höhe der Gesamtausgaben aus dem Blickfeld gerät. Dies begünstige Etatismus. Außerdem sei zu bedenken, dass die Rückflüsse volkswirtschaftlich deutlich weniger wertvoll seien als z.B. ein echtes Verfügen über Finanzmittel. Das läge daran, dass diese Rückflüsse in ihrer Verwendung auf vergleichsweise unproduktive Verwendungen wie Agrarsubventionen festgelegt sind oder auf Mittelverwendungen, welche Korruption in der EU strukturell begünstigen. Die Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF wurde deshalb v on der EU-Kommission eingerichtet. Sie soll eine korrupte Verwendung europäischer Mittel verhindern. Die Aufgabe von OLAF umfasst die Aufdeckung und Verfolgung von Betrug im Zollbereich, die missbräuchlichen Verwendung von Subventionen und Steuerhinterziehung (soweit sie sich auf den Gemeinschaftshaushalt auswirkt), außerdem die Bekämpfung von Korruption und sonstigen Gesetzesverstößen, die die finanziellen Interessen der Gemeinschaft schädigen.

Einzelnachweise

  1. vgl. aktuelle Diskussion zum EU-Haushalt


Weblinks

Europäisches Parlament: Die 115-Milliarden-Frage: wie funktioniert der EU-Haushalt?


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