Netzzensur

Netzzensur

Als Zensur im Internet werden verschiedene Verfahren von Staaten oder nichtstaatlichen Gruppen bezeichnet, deren Ziel es ist, die Publikation von bestimmten Inhalten über das Internet zu kontrollieren, zu unterdrücken oder im eigenen Sinn zu steuern. Vor allem Nachrichten und Meinungsäußerungen sind davon betroffen, in einigen Staaten auch Webseiten mit erotischem oder religiösem Inhalt. Die Zensur im Internet unterscheidet sich damit nicht grundsätzlich von der Zensur anderer Massenmedien.

Lücken des freien Zugangs zum Internet. Stand 2008. Daten:RSF
██ Zensiert
██ Überwacht
██ Teilweise Zensiert
██ Freier Zugang

Inhaltsverzeichnis

Juristisches Umfeld

Daraus, dass im Internet einfach Daten über Staatsgrenzen übertragen werden können, ergibt sich eine hohe Komplexität rechtlicher Fragen, da Unvereinbarkeiten zwischen Rechtssystemen nicht lösbar sind. Regierungen und staatliche Organe können durch das Sperren von Webseiten, die in ihrem Rechtsbereich liegen, auch die Bürger anderer Staaten von diesen Informationen abhalten, jedoch können sie nicht verhindern, dass die Bürger sich Zugang zu illegalen Informationen verschaffen, die im Ausland liegen.

In Deutschland sind zum Beispiel die Verherrlichung der NS-Kriegsverbrechen oder auch die Verleugnung des Holocaust verboten. Auf Servern der USA hingegen können diese Dinge ungestraft verbreitet werden, da sie im US-Recht von der Meinungsfreiheit abgedeckt werden. Ende der 1990er wurde von konservativer Seite der Medien-Enquête-Kommission des Bundestages gefordert dem Internet „eine Redaktion vor[zu]schalten, die auswählt, was ins Netz geht“.[1] Einen ersten Vorstoß in Richtung Zensur gab es 2001 durch die Bezirksregierung Düsseldorf (siehe Jürgen Büssow), der zwar mit geringen technischen Kenntnissen umgehbar war, vor Gericht aber durch mehrere Instanzen Bestand fand. Bereits im Jahr 2000 hatte der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil getroffen, nach dem auch z.B. ein australischer Staatsangehöriger für eine holocaustleugnende Website, die in Australien gehostet ist, in Deutschland haftbar gemacht werden kann. [2][3] Auch die Seite Schnittberichte.de musste in Deutschland wegen der Darstellung gewaltverherrlichender Szenen aus in Deutschland indizierten oder verbotenen Filmen im Mai 2002 geschlossen werden. Sie ist seitdem unter der Adresse schnittberichte.com erreichbar und befindet sich auf einem österreichischen Server. Da sowohl Inhaber der Domain, als auch Mieter des Servers österreichischer Nationalität sind, untersteht die Seite nunmehr nur dem österreichischen Recht. Auch seit dem Jahr 2002 ist die Seite BMEzine nicht mehr über deutsche Suchmaschinen verfügbar und wurde in Deutschland als rechtswidrig erklärt. BME gilt als Hauptmedium der internationalen Körpermodifikationsszene.

Im Oktober 2007 verpflichtete das Landgericht Frankfurt am Main aus wettbewerbsrechtlichen Gründen den deutschen Internetzugangsanbieter Arcor per einstweiliger Verfügung, den Zugang seiner Kunden zur ausländischen Website Youporn zu unterbinden.[4]

Zensur durch Regierungen

Europa

In Europa werden mit Unterstützung von Europol zur Kenntnis gelangte Webseiten die kinderpornographisches Material enthalten mit dem "Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter" (CSAADF), einer Domain Name System-Blockadeliste (DNS), gesperrt.[5] In Finnland nutzt ein Internet-Service-provider bereits einen transparenten Proxy-Server.[6] Die Log-Files in Norwegen werden anonym ausgewertet. Das Sperren der Webseiten soll verhindern, das missbrauchte Kinder nicht noch einmal dadurch missbraucht werden, dass Bilder oder Filme ihres Missbrauches weiterhin im Internet kursieren („Re-Victimization“).[7]

Bislang sperren Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Malta, die Niederlande, Norwegen, Polen, Schweden, die Schweiz, Spanien und das Vereinigte Königreich diese Internetseiten. Der Rat der Europäischen Union plant eine zentrale Plattform bei Europol zur Beobachtung von Webseiten.

In Finnland und Schweden wurde bereits mehrfach die Ausweitung der Sperrmaßnahmen auf weitere Internetinhalte wie Glücksspielangebote und Filesharing-Netzwerke gefordert. In Finnland wird kritisiert, dass auch politisches Material gesperrt wurde. Nach vier Jahren Erfahrung mit Internetsperren kam die schwedische Polizei zu dem Fazit: „Unsere Sperrmaßnahmen tragen leider nicht dazu bei, die Produktion von Webpornografie zu vermindern.“[8]

Matti Nikki, der Betreiber der über Zensur Internet berichtenden finnischen Website lapsiporno.info (dt. „kinderporno.info“) ist der Meinung, dass die Mehrzahl der auf der Blockadeliste aufgeführten Seiten kein kinderpornografisches Material anbieten. Leena Romppainen von der finnischen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Finland (EFFI) merkt an, dass gegen die von der Sperrung betroffenen Seiten und deren Betreiber keine Maßnahmen ergriffen würden.[9] Nach der Veröffentlichung der finnischen Sperrliste wurde seine eigene Website auf ebendiese gesetzt und ist seit Februar 2008 bis heute (03/2009) in Finnland ohne Umgehungsmaßnahmen nicht erreichbar.[10]

Deutschland

Hauptartikel: Sperrung von Internetseiten in Deutschland

Nach einer Demonstration des Familienministeriums von Dokumentationen missbrauchter Kinder vor Internetdienstanbietern und Journalisten plant auch die Bundesregierung in Deutschland am 22. April 2009 eine Klarstellung im Telemediengesetz um Sperren von DNS-Abfragen problematischer Inhalte zu ermöglichen („Access Blocking“).[11][12][13] z.B. fordert das Bildungsministerium zur Verbesserung des Schutzes und der Sicherheit die Eindämmung gewaltbefördernder Elemente.[14] Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einer Studie festgestellt, das der Vorschlag problematische Inhalte im Internet durch Sperrverfügungen unsichtbar zu machen verfassungsrechtlich bedenklich ist.[15] Thilo Weichert, der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, meinte am 21. April 2009: „Die Bundesregierung täte gut daran, vor einem Beschluss ihre Gesetzentwürfe einer öffentlichen Diskussion zu unterwerfen“, da Schnellschüsse eine explosive Wirkung entfalten könnten.[16] Er sieht in dem neuen Gesetzentwurf einen „Frontalangriff auf die freie Kommunikation im Internet“ der „nicht ansatzweise“ echte Rechtssicherheit schaffe. Auch Provider und Juristen aus der Internetwirtschaft übten massive Kritik an der Initiative.[17]

Der Kinderschutzorganisation CareChild ist es Anfang März 2009 gelungen, von 20 ausgewählten Internetdomains, die eine im Internet veröffentlichte, über ein Jahr alte dänische Sperrliste als kinderpornografisch einstufte, 16 innerhalb von acht Stunden abschalten zu lassen. Vier andere enthielten legale Inhalte.[18]

Weltweit

Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat in ihrem Jahresbericht 2006 Internet annual report insbesondere in folgenden Ländern schwerwiegende Fälle von Internetzensur festgestellt:

  • Myanmar (Birma): Da sich die meisten Bürger des Landes Computer aus finanziellen Gründen nicht leisten können, betreffen die Zensur-Maßnahmen der Militärregierung vor allem die Internetcafés. Der Zugang zu oppositionellen Webseiten wird systematisch blockiert, die Technologie dazu liefert, so Reporter ohne Grenzen, das US-Unternehmen Fortinet. Web-gestützte E-Mail-Programme von Yahoo oder Hotmail können nicht genutzt werden. Die Computer der Internetcafés speichern alle fünf Minuten die aufgesuchten Seiten, um so einen Überblick über die Tätigkeiten der User zu schaffen. Während der Demonstrationen 2007 wurden alle Internetverbindungen zeitweilig abgeschaltet um zu unterbinden, dass Nachrichten, Bilder und Filme der Proteste ins Ausland gelangen.
  • China: Das Land hat derzeit etwa 300 Millionen Internet-Nutzer. Die Regierung zensiert das Internet mit einem Mix aus Zensur-Technologie (wie Filter), Ausspähung und Einschüchterung der User und Forderungen an ausländische Internet-Unternehmen. „China ist weltweit das größte Gefängnis für Cyber-Dissidenten mit derzeit 62 Menschen in Haft für Online-Veröffentlichungen“ so der Bericht von Reporter ohne Grenzen. Die Volksrepublik China ist ohnehin das bekannteste Beispiel für starke Zensur im Internet. So sind neben pornographischen Seiten die Auftritte religiöser und politischer Gruppierungen, die die chinesische Regierung als schädlich ansieht, sowie renommierte Nachrichtendienste gesperrt. Dies betrifft u.a. die BBC und seit dem 18. Oktober 2005 die Wikipedia. Wikipedia hatte sich geweigert, politische Einträge für eine chinesische Version zu blockieren. Einem Bericht der Netzeitung zufolge nahm die chinesische Regierung vermutlich Anstoß an dem Eintrag zu den Protesten am Platz des himmlischen Friedens 1989 (Tian'anmen-Massaker). Dort würden sowohl die 200-300 von der Regierung bekannt gegebenen toten Studenten erwähnt, als auch die von dem Roten Kreuz geschätzten 2000 bis 3000 Toten. Microsoft, Yahoo und Google zensierten dagegen die Inhalte gemäß den Wünschen der chinesischen Regierung, so die Netzeitung. So wurde am 23. Januar 2006 bekannt, dass nach vielen anderen Suchmaschinen auch Google-China die Suche manipuliert. In Absprache mit den chinesischen Behörden werden für die chinesische Öffentlichkeit brisante Seiten zu Themen wie Tibet oder Taiwan nicht angezeigt.
Siehe hierzu: Internetkontrolle in der Volksrepublik China
  • Kuba: Da die technischen Möglichkeiten einer flächendeckenden Kontrolle zu kostspielig sind, hat man sich auf eine alte bürokratische Methode besonnen: Wer online gehen will, braucht eine Spezialgenehmigung. Damit ist fast die ganze Bevölkerung Kubas aus dem Netz, die wenigen User erhalten eine stark zensierte Version des Internets.
  • Iran: Das Informationsministerium erklärt, dass es derzeit hunderttausende von Webseiten blockiere. Dies betrifft Sexseiten oder Nachrichtenseiten. Eine unbekannte Anzahl von Bloggern wurde von Herbst 2004 bis Sommer 2005 verhaftet. Einer von ihnen wurde wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes des obersten islamischen Rechtsgelehrten Ajatollah Seyyed Alī Chāmene'ī im Juni 2005 zu zwei Jahren Haft verurteilt. Wie Spiegel online (23. Juli 2006) mitteilte, wird unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad das Internet verstärkt zensiert. Eine Zentralstelle für Filtering, die im Sommer 2006 ihre Arbeit aufgenommen habe, bekämpfe wie gehabt Sexseiten und Seiten mit unerwünschten politischen Inhalten. Seiten mit bestimmten Schlüsselwörtern würden blockiert. Außerdem suchten die Mitarbeiter der Zentralstelle im Web gezielt nach Inhalten, die sie zensieren könnten.
  • Libyen: Etwa ein Sechstel der Bevölkerung hat Zugang zum Web. Der Zugang zu Web-Seiten oppositioneller Exil-Libyer wird per Filter blockiert. Ein Cyber-Dissident, der eine Satire auf einer Londoner Webseite ins Netz gestellt hatte, wurde im Oktober 2005 unter dem Vorwurf des illegalen Waffenbesitzes zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.
  • Malaysia: Die einzige online-Tageszeitung des Landes Malaysiakini wird unter Druck gesetzt, ihre Mitarbeiter werden bedroht, ihre Räumlichkeiten durchsucht. Die Zahl der Vorladungen und Verhöre von Bloggern hat im Jahr 2005 deutlich zugenommen.
  • Malediven: Als „Albtraum für Cyber-Dissidenten“ bezeichnet Reporter ohne Grenzen die Situation. Das Regime unter dem Präsidenten Maumoon Abdul Gayoom unterdrücke Meinungsfreiheit hart. Das britische IT-Unternehmen Cable & Wireless kontrolliert den Internetzugang auf den Malediven.
  • Nepal: Als König Gyanendra Bir Bikram Shah Dev im Februar 2005 an die Macht kam, ließ er als erstes die Internet-Verbindungen komplett kappen. Mittlerweile ist das Regime von der Abschaltung zur Kontrolle übergegangen, die meisten Oppositions-Webseiten werden abgeblockt.
  • Saudi-Arabien: Nach Angaben der staatlichen Behörde, die für das Internet zuständig ist, werden derzeit 400.000 Webseiten blockiert, weil sie islamische Prinzipien verletzen. Meistens handelt sich es um Seiten mit den Inhalten Sex, Politik oder Religion. Zugelassen werden islamische Seiten, welche mit der religiösen Auffassung der Regierung vereinbar sind. Besonders betroffen sind auch Blogger-Webseiten, die Seite blogger.com war im Oktober für mehrere Tage gesperrt.
  • Singapur: Nach Reporter ohne Grenzen besteht die beliebteste Methode im Einschüchtern von Usern, Bloggern und Betreibern von Webseiten. Ein Blogger, der das Universitätssystem des Landes kritisiert hatte, wurde im Mai 2005 gezwungen, seinen Blog zu schließen.
  • Südkorea: Das Internet wird exzessiv gefiltert, geblockt werden vor allen Dingen Pornoseiten und solche, von denen die Behörden meinen, sie „stören die öffentliche Ordnung“.
  • Syrien: Der Internetzugang ist auf eine privilegierte Minderheit beschränkt. Missliebige Webseiten werden herausgefiltert. Ein kurdischer Journalistikstudent sitzt in Haft, weil er Fotos von einer Demonstration in Damaskus auf eine im Ausland beheimatete Webseite gestellt hatte. Ein anderer saß von 2003 bis 2005 im Gefängnis, weil er eine E-Mail an eine ausländische Zeitung geschickt hatte. Beide wurden nach Angaben von Reporter ohne Grenzen gefoltert. Im Dezember 2007 wurde die syrische Internetzensur verschärft. Populäre Portale wie YouTube, blogspot und Facebook stehen ebenso auf dem Index wie die Homepages kritischer Zeitungen und mancher Parteien. Internetcafés sind angehalten, ihre Kunden auszuspionieren und Meinungsäußerungen dürfen seit dem Sommer nur mit vollständigem Namen und der E-Mail-Adresse des Verfassers veröffentlicht werden. [19]
  • Thailand: Die Filterung des Internet ist offiziell Teil des Kampfes gegen die Verbreitung von Pornographie. Doch es gibt auch Fälle von Zensur: Im Juni 2005 wurden die Webseiten von zwei regierungskritischen Radiostationen geschlossen, nachdem die Regierung diesbezüglich Druck auf die Provider ausgeübt hatte.
  • Tunesien: Die Familie des Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali kontrolliert wirtschaftlich in Monopolstellung den Zugang zum Internet. Viele Nachrichtenseiten und alle Seiten der Opposition werden abgeblockt. Es wird versucht, den Gebrauch von Webmails so weit wie möglich einzuschränken, da diese schwerer zu kontrollieren sind als die Standard-Programme, die Outlook nutzt. Die Webseite von Reporter ohne Grenzen ist ebenfalls blockiert. Im April 2005 wurde ein Rechtsanwalt zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er den Präsidenten online kritisiert hatte.
  • Türkei: Seit 2007 können lokale Strafgerichte des Landes Websites wegen pädophiler oder pornografischer Inhalte, Verherrlichung von Drogen, aber auch Beleidigungen des Staatsgründers Atatürk landesweit blockieren. Mehrfach wurde wochenlang so die Videowebsite YouTube gesperrt, aber auch Indymedia, Google Groups und der Blog-Anbieter Wordpress waren von der Zensur betroffen.[20]
  • Turkmenistan: Häusliche Internetanschlüsse sind nicht erlaubt. Da es auch keine Internetcafés gibt und nur bestimmte Unternehmen und internationale Organisationen einen Webanschluss haben, sind so gut wie alle Turkmenen aus dem Web ausgeschlossen.
  • Usbekistan: Eine Situation ähnlich wie in China: Mit der schnellen Verbreitung von Internetanschlüssen wuchs auch die Zensur. Oft fordert die usbekische Staatssicherheit Provider auf, den Zugang zu oppositionellen Webseiten zu blockieren. Einige Internetcafés weisen darauf hin, dass das Besuchen von Pornoseiten mit umgerechnet vier Euro Geldstrafe, das von missliebigen politischen Seiten mit acht Euro Geldstrafe geahndet wird.
Screenshot der Zensurseite in den VAE
  • Vereinigte Arabische Emirate: Die Internetanschlüsse in den Emiraten werden durch ecompany, eine Tochtergesellschaft der staatlichen Etisalat, kontrolliert. Webseiten, die Pornographie, jüdische Propaganda, Schriften und Medien, die unvereinbar mit den religiösen, kulturellen, politischen und moralischen Werten der VAE sind, werden gesperrt. Ebenfalls betroffen sind Anleitungen zur Computersabotage, Umgehung der ecompany-Zensur, Internettelefonie (andere Anbieter als ecompany) und Inhalte, die scheinbar Drogen anpreisen. Weiteres werden Webseiten unzugänglich gemacht, die nach Meinung der Regierung unerwünschte Informationen enthalten.
  • Vietnam: Eine eigene Internetpolizei filtert politisch missliebigen Inhalt aus dem Netz und kontrolliert die Internetcafés. Drei Cyber-Dissidenten wurden für mehr als drei Jahre ins Gefängnis geworfen, weil sie sich online für mehr Demokratie ausgesprochen hatten.
  • Weißrussland: Die Regierung nutzt das Staatsmonopol im Kommunikationswesen dazu, dem Zugang zu oppositionellen Webseiten nach Belieben zu blockieren, davon wird vor allen Dingen zu Wahlzeiten Gebrauch gemacht.

Die Open Net Initiative (ONI), die sich aus Gruppen von Forschern der Universitäten von Toronto, Oxford, Cambridge und der Harvard Law School zusammensetzt, beobachtet eine weltweite Zunahme der Zensur im Internet.[21]

Die von der US-Regierung finanzierte Organisation Freedom House kommt im März 2009 in ihrer 15 Länder umfassenden Studie Freedom on the Net[22] zu dem Ergebnis, dass in allen untersuchten Ländern Internetinhalte reguliert oder zensiert werden. Mit Ausnahme Großbritanniens sei das Internet allerdings noch insgesamt weniger reguliert als die Presse. Einige Regierungen beschäftigen nach Angaben der Organisation auch so genannte Cyberclaqueure zur Manipulation von Inhalten in Onlinediskussionen. Bei vielen Nutzern stellte sie einen „staatsbürgerlichen Aktivismus“ fest vermehrt aktiv Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Allerdings werde ihrer Ansicht nach mit dem Fortschreiten der technologischen Entwicklung auch die Zensur in autoritären wie demokratischen Staaten weiter zunehmen. Als bedenklich wurde die zunehmende Auslagerung der Zensurmaßnahmen an die Internetdiensteanbieter eingeschätzt.

Rechtlich fragwürdige Praktiken und Vorhaben

Neben der offenen Zensur gibt es im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit im Web vor allen Dingen in den USA und Europa rechtlich oder völkerrechtlich fragliche Praktiken und Vorhaben.

  • Europäische Union: Ein EU-Erlass vom 8. Juni 2000 zum E-commerce macht die Provider verantwortlich für den Inhalt der Webseiten, die sie hosten, und verlangt von ihnen, diese zu blockieren, wenn sie Kenntnis von deren Existenz erhalten und sie diese als illegal einstufen. Nach Ansicht der Organisation Reporter ohne Grenzen schafft dies eine Art privates Rechtssystem, in dem die Provider und ihre Techniker das Richteramt ausübten. (Quelle: Jahresbericht Internet 2006 von Reporter ohne Grenzen)
  • Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben 2003 einer Weiterführung eines Aktionsplans zur sicheren Nutzung des Internet zugestimmt. Es soll stärker gegen illegale und schädliche Inhalte vorgegangen werden.[23]
  • Das US-amerikanische Project for the New American Century, dessen Mitglieder sich in der Regierung Bush (seit 2001) wiederfanden, veröffentlichte im September ein Dokument, in welchem dem Internet eine große Bedeutung in der modernen Kriegsführung und Informationspolitik und -beschaffung zukommt (the creation of 'US Space Forces', to dominate space, and the total control of cyberspace to prevent 'enemies' using the internet against the US).
  • Die australische Regierung beabsichtigt mit dem Plan for Cyber-Safety den Zugang zu Websites, die auf einer von der Regierung vorgegebenen nicht öffentlichen Negativliste stehen, für alle Internetzugänge sperren zu lassen.[24][25]

Zensur und nichtstaatliche Gruppen und Unternehmen

Große Internetanbieter leisten nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Beihilfe zur Zensur in Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit. In Myanmar liefert nach Angaben von Reporter ohne Grenzen das US-Unternehmen Fortinet die Technologie zur Blockierung von oppositionellen Webseiten. Führende US-Internetunternehmen wie Yahoo, Cisco Systems, Microsoft und Google werden von den Organisationen Reporter ohne Grenzen und Amnesty International der Zusammenarbeit mit chinesischen Zensurbehörden beschuldigt. Eine solche Beschuldigung fiel im Zusammenhang mit der Zensur von Google.de in Deutschland jedoch seitens Politik und Menschenrechtsorganisationen aus, jedoch hat sich Google dazu durchgerungen, den Benutzer von Google.de darauf hinzuweisen, falls ein Suchergebnis aus "Rechtsgründen" nicht angezeigt wird. Im Februar 2004 blockierte der Internetdienstanbieter Freenet.de teilweise Webseiten, die sich kritisch zu dem Unternehmen äußerten: Nutzer seines Dienstes, die versuchten, die unternehmenskritischen Seiten aufzurufen, wurden auf andere Webseiten umgelenkt. Technisch wurde dies durch einen transparenten Proxy realisiert.

Auch nichtstaatliche Gruppen versuchen, mit juristischen Mitteln kritische Informationen zu unterbinden wie zum Beispiel Scientology (siehe Scientology gegen das Internet). Suchmaschinen wie Google haben und nutzen die Möglichkeiten zur Zensur. Webseiten, die nicht in einer Suchmaschine aufgeführt werden, können vom Benutzer auch nur schwer gefunden werden. Beides ist jedoch keine Zensur im rechtlichen Sinn.

2007 musste AT&T eingestehen George W. Bush-kritische Kommentare in einem Pearl-Jam-Konzert zensiert zu haben und unter anderem die Passage George Bush, find yourself another home durch eine scheinbare Tonstörung entfernt zu haben. Nach Beschwerden räumte der Konzern ein, dass dies nicht der erste Fall der Zensur war.[26]

Im September 2007 sperrte der deutsche Internetprovider Arcor seinen Kunden den Zugriff auf einige ausländische Internetpräsenzen mit pornografischem Inhalt, entsprechend der Aufforderung eines konkurrierenden Erotikanbieters mit der Begründung, diese Seiten hätten nach deutschem Recht kein ausreichendes Altersverifikationssystem.[27]

Am 17. April 2009 schlossen fünf deutsche Internetprovider (Deutsche Telekom, Kabel Deutschland, O2, Arcor und Alice)[28] freiwillige Verträge zum Sperren von Internetseiten in Deutschland mit der Bundesregierung ab, wonach diese sich verpflichten, Seiten mit Dokumentationen missbrauchter Kinder zu blockieren. Die Pläne sehen vor, dass das Bundeskriminalamt (BKA) täglich aktualisierte, geheime und verschlüsselte Sperrlisten von Webseiten mit problematischen Inhalten an die Provider übermittelt. Darüber hinaus wird eine Gesetzesänderung im Telemediengesetz angestrebt, um alle großen deutschen Internetanbieter zu entsprechenden Sperren zu verpflichten. Allerdings haben Anwender noch die Möglichkeit, die Sperren mittels alternativer DNS[29]- oder Proxyserver zu umgehen.[30]

Effizienz

Die Wirkung von Zensurmaßnahmen ist umstritten, da die inkriminierten Inhalte gewöhnlich im Zuge des Bekanntwerdens der Zensur von Zensurkritikern auf einer Vielzahl von weiteren Webseiten gespiegelt außerhalb des Zugriffsbereichs des Zensors zugänglich gemacht werden. Durch die Zensur und die damit verbundene Medienberichterstattung gewinnt zudem ein größerer Personenkreis überhaupt erst von den zensierten Inhalten Kenntnis (Streisand-Effekt).

Problematisch an Zugangssperren zu einzelnen Webpräsenzen bzw. IP-Adressen, z.B. durch Contentfilter, ist weiterhin, dass für gewöhnlich dadurch auch der Zugriff auf zusätzliche Inhalte, Websites und E-Mail-Adressen unterbunden wird.

Die Beschränkung einer Zugangssperre ausschließlich auf die vom Zensor beanstandeten Inhalte ist technisch aufwändig, kostenintensiv und mit Leistungseinbußen verbunden.[31]

Technische Gegenmaßnahmen

Bei Sperrungen durch den Internetanbieter sind – je nach technischer Umsetzung der Zugriffssperre – mittels Provider-fremder DNS-Server, Proxy-Server, Freenet, Picidae-Server oder VPNs, welche sich gegebenenfalls auch im Ausland befinden können, die originären Inhalte trotzdem problemlos weiter abrufbar. Einige Dienste wie das Tor-Netzwerk und Anonymizer, die zum Schutz der Anonymität im Internet entwickelt wurden, können darüber hinaus wie Proxy-Server zur Überwindung von Zugriffssperren verwendet werden.

Ein Projekt der Universität Toronto namens Psiphon ermöglicht seit Dezember 2006 die Umgehung der Internetzensur durch sogenannte soziale Netzwerke.

Sonstiges

Der Wunsch nach Zensur kann durch entsprechende Berichterstattung über als unmoralisch empfundene Webinhalte auch in der breiten Bevölkerung geweckt werden. Ein Beispiel ist der Fall Chester's guide to: Picking up little girls, bei dem eine englische Zeitung eine Moralkampagne mit falschen Informationen initiierte, der Leser und Politik unkritisch folgten.

Verschiedene Anbieter von Diensten zur Umgehung der Zensur im Internet speichern und verkaufen Daten die zur Identifikation der Nutzer geeignet sind.[32]

Siehe auch

Literatur

  • Christian Zelger: Zensur im Internet. Eine Argumentationsanalyse auf Grundlage des Naturrechts und der Menschenrechte. Berlin 1999, ISBN 3-89700-063-6.
  • Stefan Scholz: Internet-Politik in Deutschland. Vom Mythos der Unregulierbarkeit. Münster 2004, ISBN 3-8258-7698-5.
  • Ronald J. Deibert: Everyone’s Guide to By-Passing Internet Censorship: For Citizens Worldwide (PDF, 31 S.), The Citizen Lab, Munk Centre for International Studies, University of Toronto, September 2007.
  • Rainer Strzolka: Das Internet als Weltbibliothek. Ein Beitrag zur Zensur-Diskussion. Berlin 2008, ISBN 978-3-940862-00-6.
  • Matthias W. Zehnder: Gefahr aus dem Cyberspace? Das Internet zwischen Zensur und Freiheit. Basel/Boston/Berlin 1998, ISBN 3-7643-5784-3.
  • Ronald Deibert, John Palfrey, Rafal Rohozinski, Jonathan Zittrain (Hg): Access Denied: The Practice and Policy of Global Internet Filtering. MIT Press, Cambridge 2008, ISBN 978-0-262-54196-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. taz.de: Wahlkampf der Paragraphen-Surfer. 24. September 1998.
  2. Heise online: Update: Leugnung des Holocaust im Internet nach deutschem Recht strafbar.
  3. intern.de : BGH weitet Zuständigkeit deutscher Gerichte aus.
  4. Heise.de: Arcor muss YouPorn sperren
  5. CIRCAMP - COSPOL Internet Related Child Abusive Material Project
  6. Fortress Europa - Erosion freedom of speech in Europe, Vgl. Technicalities.
  7. heise online: Kinderporno-Sperren im internationalen Vergleich. 20. Februar 2009.
  8. golem.de: Schwedens Polizei: Kinderpornofilter sind wenig wirksam. 28. März 2009.
  9. WIKINEWS: Finnish internet censorship critic blacklisted. 12. Februar 2008.
  10. Telepolis: Schuldig bis zum Beweis der Unschuld. 9. Februar 2009.
  11. heise online: Schäuble will Kampf gegen Kinderpornografie internationalisieren. 16. Januar 2009.
  12. heise online:Internetprovider fordern klare gesetzliche Regelung für Access Blocking. 15. Januar 2009.
  13. odem.org: Wie man Grundrechtseingriffe wegzaubert. 19. Februar 2009.
  14. AFP: Schavan für Sperrung von Gewaltseiten im Internet. 19. März 2009.
  15. Chaos Computer Club: Ausblendung von problematischen Inhalten schützt nur die Täter. 12. Februar 2009.
  16. golem.de: Bundesregierung will Internetsperren mit Zugriffskontrollen – Landesdatenschützer: Klicken jedes unbekannten Links wird zum Risiko 21. April 2009.
  17. heise online: Kinderporno-Sperren: "Frontalangriff auf die freie Kommunikation" befürchtet. 21. April 2009.
  18. CareChild e.V.:Internetzensur: CareChild-Versuch blamiert Deutsche Politiker. 2. März 2009.
  19. http://www.tagesschau.de/ausland/meinungsfreiheitsyrien2.html Tagesschau.de - Syrien macht Internetopposition mundtot
  20. Kai Strittmatter: Die Türkei und YouTube: Schminken verboten, in: Süddeutsche Zeitung, 5. Juni 2008.
  21. BBC-News (18. Mai 2007): Global net censorship “growing” (Letzter Zugriff: 22. Mai. 2007)
  22. Freedom House: Freedom on the Net: A Global Assessment of Internet and Digital Media. 30. März 2009.
  23. Heise Online: EU gegen "illegale und schädliche Inhalte" im Internet.
  24. The New York Times: Proposed Web Filter Criticized in Australia. 11. Dezember 2008
  25. nocensorship.info
  26. heise.de, AT&T räumt Beschneiden weiterer Konzert-Webcasts ein, 14. August 2007
  27. heise.de, Arcor sperrt Zugriff auf Porno-Seiten, 10. September 2007
  28. SZon.de, Neue Kinderporno-Sperren von Protesten begleitet, 17. April 2009
  29. http://gettoweb.de/netzwelt/alternative-dns-liste-gegen-zensur
  30. WinFuture.de, Kinderporno-Sperren in Kürze bei fünf Providern, 11. April 2009
  31. the register: Demon ends porn-less Internet Archive block. 16. Januar 2009.
  32. Hal Roberts, The Berkman Center for Internet & Society: Popular Chinese Filtering Circumvention Tools DynaWeb FreeGate, GPass, and FirePhoenix Sell User Data. 9. Januar 2009.

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