Nicht-Ort

Nicht-Ort

Der Begriff Nicht-Ort (frz. non-lieu, engl. non-place) bezeichnet ein Gedankengebäude des französischen Anthropologen Marc Augé. Nicht-Orte sind insbesondere mono-funktional genutzte Flächen im urbanen und suburbanen Raum wie Einkaufszentren (Shopping Malls), Autobahnen, Bahnhöfe und Flughäfen. Der Unterschied zum traditionellen, insbesondere anthropologischen Ort besteht im Fehlen von Geschichte, Relation und Identität, sowie in einer kommunikativen Verwahrlosung.

Inhaltsverzeichnis

Vorläufer einer Theorie der Nicht-Orte

Bereits vor Marc Augé beschäftigten sich Wissenschaftler mit dem Wandel des städtischen Raumes. Der kanadische Geograph Edward Relph untersuchte beispielsweise in place and placelessness (1976) die Bedeutung von Orten, wobei er eine zunehmende Ortslosigkeit in Bezug auf ausgewählte städtische Bereiche feststellen konnte:

„[The] weakening of the identity of places to the point where they not only look alike but feel alike and offer the same bland possibilities for experience“ (Relph 1976, 90).

Ein anderes, wenngleich ähnliches Konzept verfolgte Michel Foucault in der Heterotopie. Darunter versteht Foucault Orte für Menschen in Extremsituationen (crisis heterotopia) wie Seniorenheime oder Krankenhäuser. In den heterotopoi findet sich bereits der Hinweis auf den beschränkten Zugang, der an Nicht-Orten evident wird:

„In general, the heterotopic site is not freely accessible like a public place. Either the entry is compulsory, as in the case of entering a barracks or a prison, or else the individual has to submit to rites and purifications. To get in one must have a certain permission and make certain gestures.“ (Foucault 1967)

Der Begriff Nicht-Ort wurde schließlich von Michel de Certeau in seinem Hauptwerk Kunst des Handelns geprägt. De Certeau setzt der Statik des Ortes die Dynamik des Raumes und des Nicht-Ortes entgegen, der nur etwas Vorübergehendes sei, nur temporär. „Gehen bedeutet, den Ort zu verfehlen.“ (De Certeau 1980, 197)

Non-Lieux

In dem 1992 erschienenen Werk "Non-Lieux" (Nicht-Orte) versucht Augé dem traditionellen Ort eine neue, dynamische Variante gegenüber zu stellen. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich daher mit der soziologischen Sichtweise des Ortes und gibt Einblick in Augés Zugang. Zentrales Thema in der Auseinandersetzung mit Ort bzw. Nicht-Ort ist der Bezug auf den anthropologischen Ort, der Augé dazu dient, das Modell des Nicht-Ortes zu konstruieren. Im zweiten Teil beschreibt er seine Theorie der Nicht-Orte.

„So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen läßt, einen Nicht-Ort.“ (Augé 1994, 92)

Für Augé stellt der Nicht-Ort im Gegensatz zum Ort eine Schwächung der Funktionen dar: „Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit.“ (Augé 1994, 121)

Literatur (Quellen)

  • Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. S. Fischer, Frankfurt 1994.
  • Marc Augé: Nicht-Orte. Aus dem Französischen von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort Marc Augés zur Neuausgabe. C.H. Beck 2010.
  • Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Merve, Berlin 1988.
  • Michel Foucault: Of Other Spaces, Heterotopias. 1968.
  • Edward Relph: Place and Placelessness. Pion, London 1976.

Literatur (weiterführend)

  • Tim Cresswell: Place. A short introduction. Blackwell Publishing, Oxford 2006.
  • Wolf Gaebe: Urbane Räume. Eugen Ulmer (UTB 2511), Stuttgart 2004.
  • Susanne Hauser, Christa Kamleithner: Ästhetik der Agglomeration. Müller+Busmann, Wuppertal 2006.
  • Kevin Lynch: Das Bild der Stadt. Bauverlag, Berlin 1989.
  • Michael Müller, Franz Dröge: Die ausgestellte Stadt. Zur Differenz von Ort und Raum. Bauverlag, Berlin 2005.
  • Stephanie Weiß: Orte und Nicht-Orte. Kulturanthropologische Anmerkungen zu Marc Augé. (Mainzer kleine Schriften zur Volkskultur, 14). Mainz 2005.

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