- Ostfriesland im Dritten Reich
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Die Zeit des Nationalsozialismus in Ostfriesland umfasst die Geschichte der Region vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 (siehe auch Zeit des Nationalsozialismus).
Inhaltsverzeichnis
Ostfriesland im Nationalsozialismus
Machtergreifung
Bei den Wahlen im März 1933 konnte die NSDAP in Ostfriesland ein Ergebnis von 47,5 % erzielen, in Oldersum sogar fast 70 %. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und ihren Gesetzen („Ermächtigungsgesetz“, „Arierparagraph“ usw.) kam es auch in Ostfriesland zu Übergriffen auf die einheimische jüdische Bevölkerung, zu Bücherverbrennungen und Zensur, Verbot der Gewerkschaften und Verhaftungen von politischen Gegnern. Demokratische Politiker wurden, wie schon 1932 begonnen, mit Verleumdungskampagnen aus dem Amt gedrängt: in Leer wählte Bürgermeister Dr. vom Bruch nach massiven Vorwürfen und Drohungen im Mai 1933 den Freitod, im Oktober wurde Emdens Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Mützelburg bedrängt und nach körperlichen Misshandlungen durch Nationalsozialisten im wahrsten Sinne des Wortes „aus dem Rathaus geworfen“. Aufgrund der neu entstandenen Machtverhältnisse nach der „Machtergreifung“ wurden nun auch in Ostfriesland Verbände und Vereine nach dem Führerprinzip strukturiert, jüdische Mitglieder wurden hinausgedrängt und die freie Marktwirtschaft eingeschränkt. Es gab Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung: Ostfriesland zählte nun zum Gau Weser-Ems der NSDAP.
Beseitigung der Arbeitslosigkeit
Durch das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich konnte die Reichsregierung Gesetze erlassen, die dazu führte, dass auch in Ostfriesland zwei Jahre später sich scheinbar die wirtschaftliche Lage verbesserte. Das schon in der Weimarer Republik begonnene Konjunkturprogramm wurde von den Nationalsozialisten in Ostfriesland erheblich ausgebaut. Noch am 1. Januar 1933 hatte Ostfriesland 21888 Arbeitslose zu vermelden, zum Jahresende 1935 waren es noch 248 und bis 1938 sank die Zahl auf 31, was auch der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht geschuldet war, die Aurich, Emden und Leer zu Garnisonsstädten machte.
Unterdrückung und Repression
Presse
Gleich nach Ihrer Machtübernahme gingen die Nationalsozialisten dazu über, auch in Ostfriesland die Medien aus- bzw. gleichzuschalten. Die Gleichschaltung der ostfriesischen Presse vollzog sich mit geringem Widerstand. Allerdings gingen aufgrund der erzwungenen Uniformität die Leserzahlen stark zurück, erst im zweiten Weltkrieg stiegen das Informationsbedürfnis der Bevölkerung und somit die Verkaufszahlen wieder. Um negative Reaktionen insbesondere des Auslands auf die nationalsozialistische Auslegung der Pressefreiheit zu verhindern, wurde eine begrenzte Meinungsvielfalt inszeniert, indem den verbliebenen bürgerlichen Presseerzeugnissen differenziertere Äußerungen vor Allem zur Politik erlaubt wurden. Unter der gleichgeschalteten Presse nahm für Ostfriesland die Ostfriesische Tageszeitung „OTZ“ eine Vormachtstellung ein, unabhängige Informationen waren kaum noch zu bekommen.
Jüdische Bevölkerung
Schon in den 1920er Jahren stachelte der evangelische Pastor Ludwig Münchmeyer aus Borkum mit antisemitischen Hasstiraden das Publikum auf, und die aus der Arbeiterschaft bzw. dem Handwerk stammenden Agitatoren fanden aufgrund ihrer beruflichen wie sozialen Nähe zum Proletariat vor allem in den größeren Orten gute Resonanz. Dies führte auch in Ostfriesland zur Bildung zionistischer Gruppen, die ihre Zukunft in Palästina sahen. Die überwältigende Mehrheit der Juden blieb jedoch in Ostfriesland und war ab 1933 der Verfolgung durch die Nationalsozialisten schutzlos ausgeliefert.
Ostfriesland ist dabei ein Spiegel der Ereignisse im übrigen Deutschen Reich. Zunächst wurden jüdische Geschäfte boykottiert und Juden aus den Vereinen ausgeschlossen. Der nächste Schlag war die „Reichspogromnacht” vom 9. auf den 10. November 1938. Die Synagogen in Ostfriesland wurden vom aufgebrachten Mob niedergebrannt. Erhalten ist heute nur noch die Synagoge von Dornum, welche am 7. November 1938 an einen Tischler verkauft wurde. Alle Juden wurden zusammengetrieben und verhaftet, Frauen und Kinder jedoch bald wieder entlassen. Die männlichen Juden verschleppten die Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Die jüdischen Gemeinden waren nun nicht mehr Körperschaften öffentlichen Rechts, sondern wurden nun als „jüdische Kultusvereinigungen e. V.“ in das Vereinsregister eingetragen. Die Zahl der Juden ging von 2.336 im Jahre 1933 auf 697 im September 1939 zurück. Nachdem die Reichszentrale für jüdische Auswanderung zunächst die Auswanderung der deutschen Juden in die Wege leitete, wurde sie seit ihrer Zwangsvereinigung mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland am 4. Juli 1939 völlig abhängig von den Behörden und verlor im Laufe der nächsten drei Jahre immer mehr an eigenen Handlungsmöglichkeiten und wirkte wie ein verlängerter Arm des Reichssicherheitshauptamtes.
Im Februar 1940 befahl die Gestapo schließlich allen Juden, bis zum 1. April des Jahres Ostfriesland zu verlassen. Die ostfriesischen Juden mussten sich andere Wohnungen innerhalb des Reiches (mit Ausnahme Hamburgs und der Linksrheinischen Gebiete) suchen. Ostfriesland wurde für „judenfrei“ erklärt und war es de facto auch. Wenige Juden konnten im jüdischen Altersheim in Emden ihr Leben fristen, bis auch sie 1942 deportiert wurden. Nur ein kleiner Teil der jüdischen Bevölkerung konnte sich durch rechtzeitige Emigration retten, der Großteil ist in den Konzentrationslagern umgekommen. Genaue Zahlen liegen hierzu jedoch bis heute nicht vor.
Verbände und Organisationen
Schon bald nach der Machtübernahme erklärten die Nationalsozialisten den 1. Mai als „Tag der nationalen Arbeit“ zum Feiertag und planten auch in Ostfriesland große Kundgebungen. Unmittelbar danach schlugen die Nationalsozialisten los: Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter wurden in Ostfriesland verhaftet. Zeitgleich mit dieser Verhaftungswelle fanden ab dem 2. Mai 1933 auch in Ostfriesland Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Gewerkschaften und oppositionellen Parteien statt. Im Ostfriesland beschlagnahmten die Nationalsozialisten vom 12. bis zum 17. Mai 1933 Geldmittel und Inventar sozialdemokratischer Ortsvereine und des Reichsbanner. Aber auch andere Organisationen, die den oppositionellen Parteien nahe standen und deswegen ebenso als „staatsfeindliche Organisationen“ eingestuft wurden, waren Opfer dieser Welle der Repression. Das Ergebnis der Aktion war die faktische Ausschaltung der Opposition, deren politische Arbeit nicht mehr möglich war, da ihnen die materielle und personelle Basis entzogen worden war. Weiterhin zeigte die Aktion der Bevölkerung deutlich, wie gefährlich es war, sich politisch gegen die NSDAP zu betätigen.
Nachträglich, d. h. erst nachdem man sie de facto zerschlagen hatte, wurde die SPD am 24. Juni 1933 verboten, weil sie „als staatsfeindliche Organisation anzusehen“ sei: „Sämtliche Mitglieder der SPD, die heute noch den Volksvertretungen und Gemeindevertretungen angehören, sind sofort von der weiteren Ausübung ihrer Mandate auszuschließen, weil ihre Weiterbetätigung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellt.“
Ostfriesische Landschaft
Bereits seit 1928 war die Auflösung der Ostfriesischen Landschaft gefordert worden. Ab 1935 wurde die Auflösung der Landschaft in Person des Oberpräsidenten in Hannover verstärkt weiter betrieben. Die Gauleitung in Oldenburg hielt demgegenüber an einer Erhaltung der Ostfriesischen Landschaft fest, dachte dabei aber an eine Umwandlung in eine Institution für (nationalsozialistische) kulturelle Zwecke. Dem setzte die Ostfriesische Landschaft nichts entgegen, wollte sie doch unter allen Umständen bestehen bleiben. Von Widerstandsrecht und friesischer Freiheit, wie sie am Ende des 16. Jahrhunderts formuliert und mobilisiert worden waren, keine Spur mehr. Die Nazifizierung der Landschaft begann und fand 1942 ihren Höhepunkt in einer völlig neuen Verfassung, welche die Landstände selbst beschlossen. In dieser Verfassung wurde das Führerprinzip adaptiert und Berufungsverfahren sowie Ehrenamt konstituiert. Jetzt bekamen aber auch breite Bevölkerungskreise eine Möglichkeit zur Mitarbeit, denn Vorschläge für die Berufung der Mitglieder der Landschaftsversammlung konnten nicht nur von den ostfriesischen Dienststellen der NSDAP sowie den Gemeinden, Städten und Kreisen, sondern auch von den ostfriesischen Heimatvereinen und allen Ostfriesen gemacht werden, womit der Institutionalisierung und Professionalisierung der landschaftlichen Kulturarbeit durch Schaffung von Einrichtungen und Heranziehung von Fachleuten der Grundstock gelegt wurde. Dennoch bleibt zu erwähnen, dass die Einbindung der Ostfriesischen Landschaft in die Nationalsozialistische Herrschaft ausgeprägter war als anderswo.
Repression der Bevölkerung am Beispiel Moordorfs
Schon in der Weimarer Republik gehörte Moordorf zu den Hochburgen der Kommunisten, die über 50 % der Stimmen bei den Reichs- und Landtagswahlen erhielten. Der KPD Ortsverband von Moordorf war der zweitgrößte in Ostfriesland nach Emden. Bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 hatte die KPD 48 % der Stimmen im Ort erhalten. Die Mehrzahl der Moordorfer Einwohner war vor der Machtübernahme der NSDAP marxistisch-kommunistisch eingestellt. 1934 wurden 24 Kommunisten verhaftet und 1937 noch einmal 10 ins KZ eingeliefert. Nach 1933 wurden die Kommunisten von den Nationalsozialisten stark verfolgt. Sie wurden als arbeitsscheues, asoziales, minderwertiges und vorbestraftes Gesindel angesehen und hatten entsprechende Repressalien zu ertragen. Moordorf wurde „auf Anregung des Reichsbauernführers“, „von Fachkräften bearbeitet“. Horst Rechenbach wurde mit dieser Aufgabe befasst und kam schnell zu dem Ergebnis, dass „Ein Teil der Kolonisten ... gar nicht erst den Versuch (machte), eine feste landwirtschaftliche Existenz zu gründen.“ Es „ist festzustellen, dass es sich hier um das Beispiel einer völlig verfehlt angelegten ländlichen Siedlung handelt. ... Es waren ... asoziale Elemente des eigenen Volkes.“[1] Er erstellte einige Statistiken über Alkoholismus, Kriminalität, Schwachsinn und Verschuldung und erklärte: Es ist überflüssig zu betonen, dass sich die besonders minderwertigen Familien durch die größten Kinderzahlen auszeichnen. Unter Anwendung des gleich nach der Machtübernahme Hitlers eingeführten eugenischen Sterilisationsgesetzes wurden viele Moordorfer unter Berücksichtigung der Statistiken und Fragebögen Rechenbachs zwangssterilisiert.
Reaktion der Bevölkerung
Die Reaktion der Ostfriesischen Bevölkerung auf die nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen war, dass man entweder wegschaute oder versuchte sich mit dem neuen politischen System zu arrangieren. Sehr rasch identifizierte man sich mit den Machthabern, schien es doch so zu sein, dass auf die Versprechungen der Parteien in der Weimarer Republik nun Taten folgten und die Bevölkerung in Arbeit brachte. Unter dem Druck der Repression wandten sich viele Sozialdemokraten und Kommunisten von ihren früheren Parteien ab und schon 1934 konnte die Gestapo Wilhelmshaven berichten, dass auch ehemalige „Anhänger und Funktionäre (der SPD und KPD) in der Zwischenzeit umgestellt und Mitglieder der SA und der NSBO geworden (seien).“ <-- Quelle? -->
Der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur
Ostfriesland wurde erst in den letzten Kriegstagen von alliierten Truppen erreicht. Am 30. April 1945 drangen die ersten kanadischen und englischen Truppen in Leer ein, bis zum 2. Mai erreichten Sie Oldersum und Großefehn. Aurich wurde am 4. Mai auf Druck der Bevölkerung kampflos übergeben, nachdem diese die Sinnlosigkeit des Widerstandes erkannt hatte. Ostfriesland wurde nach der Kapitulation der Wehrmacht in den Niederlanden und Nordwestdeutschland zum Internierungsgebiet für die westlich der Weser in Gefangenschaft geratenen deutschen Soldaten.
Folgen
Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur wurden auch in Ostfriesland viele Flüchtlinge aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße angesiedelt. Die Einwohnerzahl kletterte von 295.600 (1945) auf 387.000. 1950 betrug der Anteil der Vertriebenen 16,3 % der Bevölkerung, was für die traditionell strukturschwache Region eine schwer zu schaffende Integrationsleistung darstellte. Hinzu kam, dass die Niederlande das Gebiet westlich der Ems besetzen wollten. Weitergehende Pläne sahen sogar vor, die Ems umzuleiten und dem Emder Hafen so das Wasser abzugraben, was der ostfriesischen Wirtschaft den Garaus gemacht hätte. Diese Pläne sind jedoch aufgrund des aufziehenden kalten Krieges nie verwirklicht worden.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Weiss, Volkmar und Katja Münchow: Ortsfamilienbücher mit Standort Leipzig in Deutscher Bücherei und Deutscher Zentralstelle für Genealogie. 2. Auflage. Neustadt/Aisch: Degener 1998, S. 97-104
Literatur
- Franz Kurowski, Das Volk am Meer – Die dramatische Geschichte der Friesen, Türmer-Verlag, Berg am Starnberger See 1984, ISBN 3-87829-082-9.
- Andreas Wojak, Moordorf ISBN 3-9269-5883-9
Weblinks
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