Perikopenbuch

Perikopenbuch

Perikopen (von griechisch περικοπή = rings umhauenes Stück), in der Sprache des lateinischen Mittelalters Capitula genannt, sind die Abschnitte des Bibeltextes, welche für die Lesung im Gottesdienst bestimmt sind.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Gemäß der in der katholischen Liturgie üblichen Unterscheidung von Erster und Zweiter Lesung des Gottesdienstes unterscheidet man bei den Perikopen zwischen den seit dem 12. Jahrhundert (Johannes Beleth) so genannten Episteln (Epistolae) für die Erste Lesung und den Evangelien oder genauer Evangelienperikopen für die Zweite Lesung. Die Episteln waren nach der in der katholischen Kirche bis 1970 gültigen Leseordnung an den Sonn- und Feiertagen mit Ausnahme des Pfingstsonntags jeweils den Apostelbriefen des Neuen Testaments, an den Wochentagen aber auch Schriften des Alten Testaments mit Ausnahme der Psalmen (vgl. Graduale) entnommen, die Evangelienperikopen hingegen den vier Evangelien des Neuen Testaments.

Die Lesung, welche aus der jüdischen Synagoge in die christliche Kirche überging, war in der alten Kirche zuerst eine durchgehende Lesung des Bibeltextes (lectio continua), seit dem 5. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Idee des Kirchenjahrs dann zunehmend eine Lesung ausgewählter Abschnitte (lectio selecta). Um die Auswahl zu fixieren und die Auffindung der Abschnitte in den biblischen Volltexten zu ermöglichen, wurden zunächst Perikopenverzeichnisse nach der Ordnung der Feste des Kirchenjahres erstellt und den biblischen Volltexten, aus denen gelesen wurde, beigefügt. Solche Verzeichnisse werden Kapitular oder Comes ("Begleiter") bzw. Liber Comitis ("Buch des Begleiters") genannt. Indem solche Stellenverzeichnisse als eigene Bücher angelegt und dort für jede Stelle auch der zu lesende Textabschnitt ausgeschrieben wurde, entstanden aus den Perikopenverzeichnissen spätestens seit dem 7. Jahrhundert die Lektionare und ersetzten dann als Vorlage der Lesung zunehmend die biblischen Volltexte.

Ein vollständiges Lektionar (Lectionarium) enthält ein Epistolar (Epistolarium, Sammlung der Episteln) und ein Evangelistar (Evangelistarium, auch "Perikopenbuch" im engeren Sinn genannt, Sammlung der Evangelienperikopen), die beide auch als separate Bücher bestehen können und dann in der Literatur manchmal ebenfalls als Lektionar bezeichnet werden. Seit dem 8. Jahrhundert wurde das Lektionar oft mit anderen liturgischen Büchern, besonders mit dem Sakramentar und später dem Graduale, zu einem Missale (Meßbuch) vereint, das das Lektionar im Spätmittelalter dann weitgehend verdrängte.

Der Entwicklung bis zur Zeit Karls des Großen verdankt sich in der Hauptsache schon der Bestand der für alle Sonn- und Festtage im katholischen Kirchenjahr vorgeschriebenen Evangelienperikopen und Episteln, welche Luther mit einigen Abänderungen beibehielt, während Zwingli gleich bei seinem ersten reformatorischen Auftreten 1519 das Matthäusevangelium durchpredigte und die reformierte Kirche ihren Predigern freie Wahl ließ. Auch in der evangelisch-lutherischen Kirche hat man es in neuerer Zeit mit neugewählten Reihenfolgen biblischer Abschnitte versucht, und faktisch ist der sogenannte Perikopenzwang, demgemäß der Prediger bloß über die Perikopen predigen durfte, fast überall ermäßigt.

Perikopen in der evangelischen Kirche

In der evangelischen Kirche sind seit dem 1. Advent 1978 sechs Perikopenreihen in Gebrauch (meist als römisch I bis VI notiert). Eine Reihe ist für ein Kirchenjahr, also vom 1. Advent bis zum Ewigkeitssonntag, in Gebrauch. Sie ordnet nach dem Prinzip der Konsonanz (des Zusammenklangs) jedem Sonn- und Feiertag die Lesungen für Evangelium (immer aus Perikopenreihe I), Epistel (immer aus Perikopenreihe II) und AT, sowie den Predigttext (aus der jeweils aktuellen Perikopenreihe) zu. Während der Geltung von Perikopenreihe I sind also der Evangelientext und der Predigtext identisch; während der Geltung von Perikopenreihe II der Episteltext und der Predigttext. Nach sechs Jahren beginnt der Zyklus von vorn. Vom 1. Advent 2007 bis zum Ewigkeitssonntag 2008 gilt beispielsweise die Perikopenreihe VI.

Perikopen in der katholischen Kirche

Literatur

  • Reinhard Brandhorst: Lesung der Heiligen Schrift im Kirchenjahr. Lektionar für alle Tage, Hannover 1997
  • Evangelisches Gottesdienstbuch, Taschenausgabe, Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft 2005, ISBN 3-7461-0141-7
  • Mathias Christiansen, (Hg.), Almanach der frohen Botschaft – Ein Begleiter durch das Kirchenjahr, Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, Münster 2006, ISBN 3-86582-219-3
  • Karl-Heinrich Bieritz: Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, C.H. Beck, München 1991, ISBN 3-4063-4039-3
  • Peter C. Bloth, Die Perikopen, in: Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche, 3. neu bearbeitete und ergänzte Aufl., Göttingen 2003, S.720-730 ISBN 3-525-57210-7
  • Meinolf Schumacher: [Artikel] Perikope, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, hrsg. von Jan-Dirk Müller, Berlin/New York 2003, S. 43-45.

Weblinks

Dieser Artikel basiert auf einem gemeinfreien Text („public domain“) aus Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage von 1888–1890. Bitte entferne diesen Hinweis nur, wenn Du den Artikel so weit überarbeitet oder neu geschrieben hast, dass der Text den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema widerspiegelt und dies mit Quellen belegt ist, wenn der Artikel heutigen sprachlichen Anforderungen genügt und wenn er keine Wertungen enthält, die den Wikipedia-Grundsatz des neutralen Standpunkts verletzen.

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