Petrus Gassendi

Petrus Gassendi

Pierre Gassendi (Pierre Gassend, Petrus Gassendi; * 22. Januar 1592 in Champtercier/Provence; † 24. Oktober 1655 in Paris) war ein französischer Theologe, Naturwissenschaftler und Philosoph.

Pierre Gassendi

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Gassendi wurde bereits mit 16 Jahren als Lehrer der Rhetorik in Digne angestellt, wo er auch sein Studium begonnen hatte. Später studierte er in Aix-en-Provence und Digne Theologie, und wurde zum Priester geweiht. Er wurde dann Propst in Avignon und 1613 Professor der Theologie, 1616 dann schließlich Professor der Philosophie in Aix. Gassendi stand im Kontakt zu den Wissenschaftlern um den Französischen Mathematiker und Theologen Marin Mersenne, dem damals wichtigsten Wissenschaftlerkreis in Paris. Er korrespondierte ab 1652 mit Galileo Galilei, dessen Fallgesetzen er durch überall von jedermann replizierbare Experimente zum allgemeinen Durchbruch verhalf.

Gassendi verfolgte mit Interesse die Entdeckungen Galileis und Keplers und entwickelte eine tiefe Abneigung gegenüber der seinerzeit allein geltenden Lehre des Aristoteles. Er verließ 1623 sein Lehramt, kehrte nach einem Aufenthalt in Grenoble nach Digne zurück und widmete sich dann ungestört seinen Studien. Nach 1628 bereiste er die Niederlande. Auf Anregung von Marin Mersenne hin konzentrierte er sich in der Folge auf Philosophie. Am 7. November 1631 gelang ihm die erste Beobachtung eines Merkurtransits, der von Kepler vorausberechnet worden war. Zwei Jahre später wurde er Propst an der Kathedrale in Digne, 1645 wurde er dann erneut als Professor berufen und kam (möglicherweise auf Veranlassung von Richelieu) an das Collège de France in Paris, wo er Mathematik lehrte.

1647 veröffentlichte er das erste seiner Werke über Epikur, 1649 folgte seine Abhandlung über epikuräische Philosophie. Bereits 1648 hatte ihn eine Lungenerkrankung gezwungen, seinen Lehrstuhl aufzugeben; es folgte ein zweijähriger Aufenthalt nahe Toulon. 1653 kehrte er nach Paris zurück, wo er die Lebensbeschreibung bedeutender Astronomen verfasste.

Nach längerer Krankheit starb er im Alter von 63 Jahren im Hause eines Gönners, des Edelmannes Habert de Montmor.

Theologisch-Philosophische Leistung

An die atomistische Lehre Epikurs anknüpfend, vertrat Gassendi - entgegen der dualistischen Weltauffassung Descartes' (Geist + Materie) - die "nur" materialistische Weltanschauung. Damit setzte er sich nicht nur von Descartes, sondern letztlich auch von Platon und Aristoteles ab. Schon in Aix hatte er ein Werk Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos verfasst, von dem nur das erste (1624) und das zweite Buch (1659 - postum) veröffentlicht wurde („...welche Faulheit, statt mit den eigenen Augen nur mit den Augen des Aristoteles zu sehen und statt die Natur selbst nur die Schriften des Aristoteles über die Natur zu studieren!“). Im übrigen machte schon Gassendi Descartes zum Vorwurf, was später Kant einschärfen wird: Descartes habe in seinem Gottesbeweis die Existenz einfachhin unter die Eigenschaften(Gottes) gezählt. Dabei sei Existenz etwas grundsätzlich anderes als bloß eine, zusätzliche Eigenschaft bzw. ein Sachgehalt (realitas) unter anderen; sie sei vielmehr das, was alle Sachgehalte überhaupt erst ins Sein bringe.

Im Syntagma philosophicum (1658) folgte er der Dreiteilung der Philosophie Epikurs. In der Logik wies er Descartes’ Ansicht von den naturgegebenen Begriffen zurück und hob Sinneseindrücke (und dementsprechende die Induktion) als primäre Quelle menschlicher Erkenntnis hervor. Gassendi war allerdings kein reiner Sensualist, denn er akzeptierte bei komplexen Vorstellungen sehr wohl das Prinzip der Abstraktion und in der Mathematik erkannte er auch die Deduktion als sinnvoll einzusetzende Methode an. In der Physik vertrat er eine mechanistische Deutung der Natur und der Empfindungen; gleichwohl lässt die Welt sich für Gassendi nicht ohne göttlichen Ursprung erklären. Den Beweis für die Existenz Gottes sah er in der Harmonie der Natur. Sein Beweis für eine rational denkende und – im Gegensatz zu Aristoteles – unsterbliche Seele stützte sich auf die (für ihn offenkundige) Kraft reflektiven Denkens und das Wissen des Menschen um ethische Grundsätze. Im dritten Teil seiner Philosophie – der Ethik – stellte er den Seelenfrieden und Schmerzfreiheit als Ziel menschlichen Strebens dar; diese seien jedoch in der Praxis kaum erreichbar. Hier zeigte er sich besonders deutlich als Anhänger Epikurs.

Bereits Ludwig Feuerbach erkannte, dass Gassendi mehr war als nur Kritiker von Aristoteles und Descartes. Sein Versuch, gemäßigten Skeptizismus, antiken Atomismus, christlichen Glauben und die mechanistische Physik seiner Zeit zu vereinigen, war eine herausragende Einzelleistung. Ähnlich wie Thomas von Aquin – soweit ihm dies möglich schien – aristotelische Lehren mit christlichen Glaubensgrundsätzen kombiniert hatte, unternahm Gassendi dieses mit der Lehre Epikurs. In diesem Sinne war er weniger Vorläufer der kommenden Aufklärung, sondern den Denkern der Renaissance näher. Wie diese begann er jede philosophische Argumentation mit ausführlichen Zitaten antiker und zeitgenössischer Autoren; sie bildeten für ihn den Rahmen „moderner“ Erkenntnistheorie. So war ihm kein Wahrheitskriterium hinreichend, wenn es nicht den Argumenten genügte, die bereits die antiken Skeptiker vorgetragen hatten.

Experimentell-Naturwissenschaftliche Leistungen

In seinen naturwissenschaftlichen Schriften verteidigte Gassendi die heliozentrische Theorie, die Realität des leeren Raumes und lehnte die aristotelischen „Formen“ und Zwecke als Wirkungskräfte der Natur ab. Er lieferte eine gültige Formulierung des Trägheitsprinzips und eine frühe Interpretation der Luftdruckexperimente Pascals. Für seine Theorie des Sehens unterstellte er atomistische „Effluxionen“, die Bilder vom Objekt zum Betrachter transportieren. Zur Unterstützung seiner atomistischen Theorie unternahm er eine Reihe von chemischen Experimenten, die Lösung bzw. Kristallisation von Salzen zum Gegenstand hatten.

Gassendi beschrieb außerdem als erster, dass Eisen durch Blitzschlag magnetisiert werden kann. Dies wurde dadurch veranlasst, dass er nach einem Gewitter die Kirchturmspitze von Aix untersuchte.

Gassendis Formulierung des Trägheitsprinzip (erstmals in seiner heute gültigen Form), geht auf von ihm durchgeführte Experimente zurück. In einem frühen "Großforschungsprojekt" mit mehr als 100 Beteiligten führte er auf einer Galeere vor Marseille ein zwar von Galilei ersonnenes, aber nicht durchgeführtes Fallexperiment durch. Entgegen Aristotelischer Annahmen schlägt ein auf einem fahrenden Schiff vom Mast fallengelassener Stein nicht Richtung Heck verschoben, sondern unmittelbar am Mastfuß auf. Damit war die Impetus-Theorie widerlegt. Die Nutzung von Großgaleeren erfolgte, weil diese gleichzeitig über Masten verfügten und hohe Geschwindigkeiten erreichen konnten, ohne in bedeutsamem Maße Seegang und Krängung ausgesetzt zu sein. Durch das von Gassendi erfundene Fallrad (Durchmesser 4m) kann die Widerlegung der Impetus-Theorie ebenfalls erfolgen, mit dem Vorteil, mit erheblich geringerem Aufwand an allen Orten nachvollziehbar zu sein.

Mit seiner Annahme „In der Welt bleibt stets die gleiche Kraft" formulierte er ebenfalls erstmals den Energieerhaltungssatz.

Gassendi unterhielt eine ausgedehnte Korrespondenz mit Mersenne, Cassini, Galilei, Kepler, Hevelius, Scheiner, Descartes, Christina von Schweden, Hobbes und Anderen.

Wissenschaftsgeschichte und Biografien

Gassendi veröffentlichte unter anderem auch Biografien von Epikur, Peiresc, Tycho Brahe, Georg von Peuerbach, Regiomontanus und Nicolaus Copernicus. Er gab auch einen Überblick über die Anhänger und Gegner der Lehre von Copernicus bis ca. 1615 (siehe De Revolutionibus).

Trivia

Die IAU ehrte ihn mit der Benennung des Asteroiden (7179) Gassendi und eines - geologisch stark strukturierten - Mondkraters am Nordrand des „Mare Humorum“.

Schriften

  • Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos (1624)
  • Epistolica Exercitatio, in qua precipua principia philosophiae Roberti Fluddi deteguntur (1631), Streitschrift gegen Robert Fludd
  • Disquisitiones Anticartesianae (1643)
  • Disquisitio metaphysica (1644), Streitschrift gegen Descartes
  • De vita, moribus et placitis Epicuri. (1647)
  • Syntagma philosophiae Epicurii. (1649)
  • Tychonis Brahei, equitis Dani, Astronomorum Coryphaei, vitae Accessit Nicolai Copernici, Georgii Peurbachii, & Joannis Regiomontani, Astronomorum celebrium, Vita. Hagae Comitum (Den Haag), Vlacq (1655)
  • Œuvres complètes (6 vol.), herausgegeben von Henri Louis Habert de Montmor (1658)
  • Syntagma philosophicum (1658).

Zweisprachige Ausgabe:

  • Vie et moeurs d'Epicure, par Pierre Gassendi, édition bilingue français-latin, notes, introduction et commentaires par S. Taussig, Belles Lettres 2006

Literatur

  • Olivier Bloch: La philosophie de Gassendi. Nominalisme, matérialisme et métaphysique. Martinus Nijhoff, La Haye 1971, ISBN 9024750350
  • Franz Daxecker: Der Physiker und Astronom Christoph Scheiner. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 2006, ISBN 3-7030-0424-X
  • Byeong Hee Cho: Wissen und Wahrheit bei Pierre Gassendi. Eine Untersuchung über seine Erkenntnistheorie, Diss. Köln 2004
  • Eduard Jan Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes. Reprint der Ausgabe 1956. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 1983, ISBN 3-540-02003-9
  • Saul Fisher: Pierre Gassendi's Philosophy and Science. Brill, Leiden/Boston 2005, ISBN 9789004119963
  • Lynn Sumida Joy: Gassendi the Atomist: Advocate of History in an Age of Science. Cambridge University Press, Cambridge, UK/New York 1987, ISBN 0521522390
  • Antonia Lolordo: Pierre Gassendi and the Birth of Early Modern Philosophy. Cambridge University Press, Cambridge, UK/New York 2006 ISBN 9780521866132
  • Margaret J. Osler: Divine Will and the Mechanical Philosophy: Gassendi and Descartes on Contingency and Necessity in the Created World. Cambridge University Press, Cambridge, UK/New York 1994, ISBN 0521461049
  • Rolf W. Puster: Britische Gassendi-Rezeption am Beispiel John Lockes. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1991, ISBN 3-7728-1362-3
  • Matthias Risch: Pierre Gassendi und die kopernikanische Zeitenwende. Physik in unserer Zeit 5/2007, S. 249-253.
  • Reiner Tack: Untersuchungen zum Philosophie- und Wissenschaftsbegriff bei Pierre Gassendi: (1592 - 1655). Hain, Meisenheim (am Glan) 1974, ISBN 3-445-01103-6
  • Pierre Gassendi, Oliver Thill: The Life of Copernicus (1473-1543): the man who did not change the world, 2002, ISBN 1591601932 [1]

Weblinks


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