Polnischer Positivismus

Polnischer Positivismus

Der Polnische Positivismus bezeichnet eine literarische[1] und künstlerische Strömung als auch eine soziokulturelle Bewegung in Polen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie ging einher mit der polnischen Bewegung, deren Opposition sich gegen die russische, preußische und österreichische Aufteilung Polens richtete. Er umfasst den Zeitraum vom Januaraufstand (1863–1864) bis zu den Anfängen der 1890er Jahre hinein und ist mit den sozialpolitischen Ereignissen jener Zeit eng verknüpft.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Polen war nach dem Januaraufstand russifiziert und germanisiert worden; Verwaltungsbeamte, Lehrer und Polizisten waren Russen, deutsche Preußen oder Österreicher. Die Verwendung der polnischen Sprache in Zeitungen, Büchern und Schulen war untersagt. Eine Ausnahme stellte Galizien dar. Die Positivisten organisierten polnischen Sprachunterricht und gründeten die „Fliegenden Universitäten“, wo in heimlichen Zusammenkünften soziale, naturwissenschaftliche und medizinische Themen diskutiert wurden.

Nachdem der Januaraufstand gegen die russische Besatzungsmacht im Jahr 1863/1864 blutig niedergeschlagen war, verbreitete sich unter den Polen die Überzeugung, dass die Fremdherrschaft in Polen nicht durch eine militärische Auseinandersetzung zu besiegen sei, sondern in der organische Arbeit und im konstruktiven Patriotismus, was eine Gegenströmung zu den bisherigen in der Zeit der Romantik geprägten Idealen des Freiheitskampfes darstellte. Inspiriert vom Hauptwerk "Positive Philosophie" des französischen Philosophen Auguste Comte, sahen sie den geeigneteren Weg darin, durch die solidarische Mitarbeit aller gesellschaftlicher Schichten, das polnische Nationalbewusstsein und die polnische Bevölkerung durch den breiteren Zugang aller Bürger zur Bildung, wirtschaftlichen Aufschwung und Verbesserung der Lebensbedingungenden zu stärken. Sie selber nannten sich "Positivisten". Zu den weiteren Postulaten des polnischen Positivismus gehörte die Bildung einer neuen Gesellschaft auf kapitalistischer säkularer Grundlage, die Emanzipation der Frauen, die Assimilierung der Juden und ein Entgegenwirken der Germanisierung, die Folge der Bismarckschen Politik („Kulturkampf“) war.

Dies beweist, dass der Positivismus als eine europäische Bewegung sich nicht auf die Erkenntnistheorie beschränkte, sondern auch sozio-politische Aspekte umfasste und sich so in das Umfeld einer nationalen Gesellschaft und Kultur in jeweils ganz unterschiedlicher Weise eingepasst hatte, ungeachtete der internationalen Netzwerke, über welche die Verbreitung funktionierte.[2] Das zeigt sich auch im Falle des wenn, dann meist nur durch Lenins Materialismus und Empiriokritizismus bekannten Positivismus in der russischen Philosophie.[3]

Zu diesem Kreis der polnischen Positivisten rechnet auch die Wissenschaftlerin Marie Curie, die 1886 bis 1889 während ihrer Tätigkeit als Hauslehrerin und Gouvernante illegale Lehrveranstaltungen für Dorfkinder organisierte, in deren Rahmen sie die polnische Sprache, Geschichte und Algebra unterrichtete und somit die Ideale des Positivismus in die Tat umsetzte.[4]

Polnische Literatur des Positivismus

In der Literatur des polnischen Positivismus dominieren kleine epische Formen wie Novellen, Erzählungen oder Skizzen. Die Schriftsteller sahen in der Literatur in erster Linie ein Instrument, um ausgewählte Probleme sozialer oder moralischer Natur darzustellen.[5]

Warschauer Positivismus

Die bedeutendsten Literaten des Positivismus (Orzeszkowa, Prus, Świętochowski, Sienkiewicz, Faleński, Sygietyński) waren im russischen Teilungsgebiet und in Warschau als literarischem Zentrum tätig. Der Zeit des Warschauer Positivismus hat vor allem Bolesław Prus in seinen dem Realismus treuen Romanen ein Denkmal gesetzt. Allen voran ist hier der Roman „Lalka“ zu nennen, in dem Prus den Werdegang und den Fall des fiktiven Warschauer Unternehmers Stanisław Wokulski beschreibt. Ein anderer Vertreter des Warschauer Positivismus, Henryk Sienkiewicz, erhielt 1905 den Literaturnobelpreis.

Autoren des polnischen Positivismus

Literatur

  • Witold Kosny: Hoffnung der Besiegten. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-04586-5.
  • Grażyna Borkowska: Pozytywiści i inni. Wydawnictwo Naukowe PWN, Warschau 1996, ISBN 83-01-12097-5.

Einzelnachweise

  1. Polnische Frauenprosa vom Positivismus bis zur unmittelbaren Gegenwart.
  2. Polyvalenz des Positivismus, Kontextualität. Call for Papers: Positivismus.Macht.Aufklärung. Politicization of the scientific worldview.
  3. Maja Soboleva: Aleksandr Bogdanov und der philosophische Diskurs in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zur Geschichte des russischen Positivismus. Georg Olms Verlag, Hildesheim u. a. 2007, ISBN 978-3-487-13373-7 (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie 75), [1].
  4. Das Marie-Skłodowska-Curie-Jahr 2011. Abgerufen am 24 April 2011..
  5. Polnische Literatur - Positivismus (Pozytywizm): 1863–1890.

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