- Postmoderne Sozialarbeit
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Lyotard zufolge ist die Moderne durch die Herrschaft von folgenden Leitideen charakterisiert, die alle Wissensanstrengungen und Lebenspraktiken einer Zeit auf diese Ziele hin richtet:
Metaerzählungen der Moderne:
- die Emanzipation der Menschheit in der Aufklärung,
- die Zielgerichtetheit (Teleologie) im Idealismus,
- die Hermeneutik des Sinns im Historismus,
- die Beglückung aller Menschen durch Reichtum im Kapitalismus,
- die Befreiung der Menschheit zur Autonomie im MarxismusDer Abschied von den großen Erzählungen der Moderne öffnet uns SozialarbeiterInnen den Horizont und gibt den Raum frei für die vielen kleinen fragmentarisch, zumeist paradoxen Überlieferungen, Hypothesen und Geschichten, die auch die Wissenschaften als miteinander konkurrierende und nicht abschließbare Theorien befruchten, beleben und insofern vor dem Verfall bewahren. Soziale Arbeit ist ein Projekt der Postmoderne, weil sie einen eigenen Wissenschaftstypus entwickelt, der die Vielheit (Pluralität) anderer wirklicher und möglicher Geschichten und Diskurse beachtet und diese nicht versucht auszuschließen.
Mit Postmoderne meinen wir eine andere, neue Form der Moderne, in der nicht mehr ein Fortschrittsmodell andere beherrscht, sondern dass sich plurale und miteinander auch im Widerstreit stehende Entwick-lungsvorstellungen (Paralogiken; lokale Erzählungen) von Mo-derne nebeneinander realisieren.
Postmoderne Sozialarbeit (im folgenden PSA) führt in die Soziale Arbeit sowohl eine neue aufklärerische, vielmehr aber noch eine abklärerische Perspektive ein. Im Hinblick auf eine Entwicklung postmoderner Hilfesysteme richtet die aufklärerische Perspektive die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass Hilfebedürftigkeit, psychosoziale Schwierigkeiten, Abweichungen und Krankheiten keine real existierenden, also auffindbare Kategorien sind. Sondern sie sind auf individuelle Beobachtungsleistungen rückführbare sozial fungierende bzw. funktionierende Kategorien bzw. soziale Konstruktionen (Kommunikation).
Die abklärerische, philosophische Perspektive der PSA oszilliert um das von Jean-François Lyotard in seinem Buch "Postmodernes Wissen" entwickelte Bild der Auflösung der Meta-Erzählungen der Moderne. Zugleich wird mit Hilfe der Kybernetik eine Absage an linear-kausale, in der Konsequenz ökonomisch-mechanische Modelle von professioneller Hilfe erteilt. Eine wichtige Methode der PSA stellt die allgemeine, über Texte als solche hinausgehende Anwendung der aus der Philosophie kommenden Methode der Dekonstruktion von Hilfetheorien dar. Auf dieser Basis ist es nun möglich, Ideen und Ansprüche von „Experten“ auf ihr „wahres“ Wissen zu minimieren. Denn oft stehen hinter Wahrheitsansprüchen ganz einfach Machtwünsche. Die Formel der Moderne „Mehr Wissen führe zu mehr Macht“ stellt die postmoderne Kritik zu „Mehr Macht führt zu mehr Wissen“ um, denn wer die Macht hat, kann entscheidend darauf Einfluss nehmen, welches Wissen für richtig, falsch oder ideologisch befunden wird.
Im Kern der PSA stehen differenz- und systemtheoretische, ambivalenzakzeptierende und lösungsorientierte Theoreme und Methoden. Ein wichtiger Baustein ist die soziologische Systemtheorie der Bielefelder Schule.
Literatur
- Kleve, Heiko/ Jan V. Wirth (2009). Die Praxis der Sozialarbeitswissenschaft - eine Einführung. Hohengehren: Schneider Verlag.
- Kleve, Heiko (1999/2007). Postmoderne Sozialarbeit. Wiesbaden: VS Verlag.
- Jan V. Wirth ( (2005). Helfen in der Moderne und Postmoderne. Fragmente einer Topographie des Helfens. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.
- Weil, Harald (2008). Postmoderne Sozialarbeit zwischen Erkenntnisinteresse und ethischer Orientierung. Eine Grundsatzkritik. Marburg: Tectum Verlag.
Weblinks
- Postmoderne & Systemtheorie in der Sozialen Arbeit Das P & S - Online-Journal der Sozialen Arbeit.
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