- Preußische Normalkirche
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Bei der so genannten Normalkirche Schinkels handelt es sich um einen Kirchenbau, der zur Kostenersparnis nach einer allgemeinen Vorlage Karl Friedrich Schinkels in ländlichen Gegenden Preußens errichtet wurde. Der schlichte, sparsame klassizistische Rundbogenbau kam in der Regel mit lediglich geringen regionalen Abweichungen zur Ausführung.
Inhaltsverzeichnis
Entwurf
Der „Baumeister Preußens“ entwarf 1825 im Auftrag Königs Friedrich Wilhelm III. einen Prototyp für eine derartige Einheitskirche, bei der ihm sein erster Kirchenbau, die ein Jahr zuvor vollendete Sankt-Nicolai-Kirche in der Magdeburger Neuen Neustadt, als Vorlage gedient haben soll. Hier wollte er nach der 1817 erfolgten Auftragserteilung ursprünglich einen gotisch orientierten Kirchenbau errichten, der aus Kostengründen nicht zur Ausführung kam.
Auch die Konzeption der gedrungenen Kirchtürme in der Normalkirche Schinkels geht möglicherweise auf die Erfahrungen aus dem Magdeburger Kirchbau zurück. Denn Schinkel hatte in einem zweiten Entwurf – gemeinsam mit dem Bau-Kondukteur (Bau-Leiter) und Kupferstecher Johann Conrad Costenoble – einen zeitgemäßen hohen Kirchenturm vorgesehen. Der Magdeburger Stadtkommandant lehnte diesen Turm ab, da er mögliche feindliche Einblicke in die Festung befürchtet haben soll. Damit kam ein dritter und letzter Entwurf zur Ausführung, der einen vergleichsweise niedrigen Turm vorsah und der den Vorstellungen von einem preiswerten einfachen Bau für schnell wachsende oder neue Gemeinden und Siedlungen mit geringen Geldmitteln entsprach.
Als Vorlage käme auch die kleine turmlose Kirche in Nakel im Herzogtum Posen, die Schinkel 1819 entwarf und die nur 4000 Taler kostete, in Frage. Dem König Friedrich Wilhelm III. soll das Kosten-Nutzen-Verhältnis so gut gefallen haben, dass er sie 1827 im Normalkirchenerlass zum Vorbild aller evangelischen Kleinkirchen in Preußen bestimmte. Sie zeichnete sich durch pfeilerartige Eckelemente sowie Rundbogenfenster an den Längs- und Lünettenfenstern an den Schmalseiten aus. Das Innere war hallenartig durch Pfeiler unterteilt, das Mittelschiff mit einer Holztonne überwölbt, und in den Seitenschiffen gab es Emporen.
Ausführung
Während sich die Dörfer und Gemeinden in der Regel nur geringe Abweichungen in der Ausführung der Normalkirchen erlauben konnten, kam es in der Innenausstattung im Laufe der Zeit zu deutlichen Unterschieden. Sobald sie dazu in der Lage waren, statteten einige Dörfer ihre Gotteshäuser beispielsweise mit einem prunkvollen Flügelaltar aus.
Wegen der schnellen und preiswerten Bauweise arbeitete Schinkel parallel an Fachwerkkirchen. Die Ausfachungen des turmlosen Saalbaus mit separatem Glockenturm in Sophiental im Oderbruch (s.u.) wurden unter seinem Einfluss mit Ziegeln ausgefüllt. Das Thema der seltenen Ziegelfachwerkkirchen griffen die Schinkelschüler Friedrich August Stüler und August Soller im Musterbuch der Entwürfe zu Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern auf. Nach den Blättern 16 und 17 aus Stülers Folianten von 1852 entstand beispielsweise 1860 die ungewöhnliche rotleuchtende Ziegelfachwerkkiche in Dippmannsdorf. Der kleine Saalbau entspricht in seiner Grundkonzeption mit polygonaler Apsis und Hufeisenempore ganz dem Typus der von Schinkel für die dörflichen Gemeinden konzipierten Normalkirche. Allerdings ließ sich der Rundbogenstil der Normalkirche nicht in Fachwerk umsetzen. Zudem hatte diese Bauweise für Kirchen keine Zukunft. Der schlichte Stil und die einfache Bauweise fand mehr Anklang bei der Zweckarchitektur wie Bahnhöfen und Werkstatthallen.
Mit dem Amtsantritt Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1840 kam es zumindest im engeren Berliner Raum zunehmend zur Ablehnung von Bauten nach Schinkels Musterplan. So setzte der „Romantiker auf dem Thron“ beispielsweise bei der Spandauer Kirche St. Marien am Behnitz gegen die ursprünglichen Planungen ein an altchristlichen Basiliken orientiertes Gotteshaus durch. Dem Gegenentwurf des Oberbaurats August Soller fügte er abschließend noch vier „Thürmchen im Zinkgussverfahren“ hinzu.
Beispiele
Nach dem Schinkelschen Musterentwurf gebaute Kirchen finden sich heute noch in:
- Lütte, Dorf und Ortsteil der Kreisstadt Belzig im Brandenburger Landkreis Potsdam-Mittelmark. Typische Rundbogenkirche von 1840.
- Lötzen (Ostpreußen), heute zu Polen gehörend. Die Evangelische Pfarrkirche am Marktplatz, erbaut 1827 nach Entwürfen Schinkels, ebenso deren Kanzel. Restauriert in den 1990er Jahren.
- Heudeber, Gemeinde in der Verwaltungsgemeinschaft Nordharz im Landkreises Harz in Sachsen-Anhalt. Klassizistischer Massivbau aus den Jahren 1834-1838.
- Schönwalde, Dorf im Landkreis Barnim in Brandenburg. Bau aus dem Jahr 1844 als Ersatz eines alten Bethauses.
- Seelow, Kreisstadt im Landkreis Märkisch-Oderland in Brandenburg. Deutlicher Einfluss der Musterkirche bei dem Kirchenbau aus den Jahren 1830/1831; allerdings heute mit einem anderen Turm, nachdem der alte Kirchturm 1945 gesprengt worden war.
- (Sophiental im Oderbruch (s.o.). Schinkels Fachwerkkirche in Sophiental wurde 1945 zerstört. Inzwischen haben die Dorfbewohner in eigener Regie mit Spendenmitteln und mit der Hilfe örtlicher Handwerker eine neue Kirche nach dem Vorbild des Schinkelhauses gebaut. Das Gotteshaus mutet mit seinen Fachwerkmauern aus rotleuchtendem Backstein wie eine Kleinausgabe der Kirche in Dippmannsdorf an. Der erste „neue“ Gottesdienst fand am 28. Mai 2006 statt, nachdem Bischof Wolfgang Huber das Haus eröffnet hatte.) - In Klammern gesetzt, da es sich im strengen Sinn um keine „Normalkirche“ Schinkels handelt.
Literatur
- Sabine Bohle-Heintzenberg, Architektur und Schönheit. Die Schinkelschule in Berlin und Brandenburg, Transit Buchverlag, Berlin 1997, ISBN 3-88747-121-0 Zitat zur Kirche in Dippmannsdorf S. 158
- Jan Feustel: Zwischen Wassermühlen und Sumpfwäldern, Ein Reise- und Erlebnisführer in das Baruther Urstromtal. Hendrik Bäßler Verlag, Berlin 1999 ISBN 3-930388-11-1, zur Normalkirche in Lütte Seite 160
- Peter Schmidt: Eine Kirche für alle Provinzen - Schinkels Normalkirche im „Bogenstyl“, in Die Mark Brandenburg Heft 42, Berlin 2001. ISSN 0939-3676
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